IT- und Medienrecht

Aberkennung der Ruhegehaltsbezüge

Aktenzeichen  M 13L DK 18.3287

Datum:
7.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 50351
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 26 Abs. 2
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 34 S. 3
StGB § 222, § 223 Abs. 1, § 229, § 230 Abs. 1
BayBO § 55 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Dem Beklagten wird das Ruhegehalt aberkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässig erhobene Disziplinarklage führt in Anwendung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 24. Dezember 2005 (GVBl S. 665; BayRS 2031-1-1-1-F) zur Aberkennung des Ruhegehalts.
I.
Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf.
II.
Gegenstand der disziplinarischen Würdigung im vorliegenden Verfahren ist somit der Sachverhalt, der vom Kläger im Einzelnen in der Disziplinarklage vom 3. Juli 2018 (dort zu Ziff. III., S. 4 mit 9) dargelegt worden ist. Darauf wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen nach Art. 3 BayDG i.V.m. § 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verwiesen.
Dieser Sachverhalt steht zum einen fest durch die tatsächlichen Feststellungen im Strafverfahren, die als Inhalt der beigezogenen strafrechtlichen Ermittlungsakte dem Disziplinargericht zur eigenen Überzeugungsbildung vorgelegen (vgl. Art. 3 BayDG i.V.m. § 108 Abs. 1 VwGO) und die im Ergebnis zur Verurteilung des Beklagten mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 14. Juni 2017 geführt haben. Auch wenn die tatsächlichen Feststellungen in dem Strafbefehlsverfahren nicht an der Bindungswirkung nach Art. 55 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 BayDG teilnehmen, so kann das Disziplinargericht diese der Entscheidung im vorliegenden Verfahren ohne eine weitere nochmalige Prüfung zugrunde legen (Art. 55 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 BayDG).
Das Vorbringen der Beklagtenseite im behördlichen und gerichtlichen Disziplinarverfahren gebietet kein Abweichen von den tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehlsverfahren.
Die Indizwirkung des Strafbefehls wurde auch nicht durch die Ausführungen im Schriftsatz vom 11. September 2018 und in der mündlichen Verhandlung erschüttert.
Im Schriftsatz vom 11. September 2018 wurde kein ordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt (Art. 56 BayDG, § 86 VwGO). Der Schriftsatz stellt dar, weswegen die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl nach Auffassung des Bevollmächtigten nicht in vollem Umfang zugrunde gelegt werden können, ohne einen substantiierten Antrag zu stellen, welche konkreten und individuellen Tatsachen durch welches Beweismittel bewiesen werden sollen.
Es wurde die Tatsachenfeststellung im Strafbefehl auch nicht substantiiert in Zweifel gezogen, weswegen es keinen Anlass zu einer eigenständigen Beweisaufnahme gab.
Wie sich aus den Bauakten des Landratsamtes ergibt, gab es am 16. Juli 2008 eine Baukontrolle des Landratsamtes. Dabei wurden Zelte, Werbeanlagen und Anbauten festgestellt.
Mit Schreiben vom 21. Juli 2008, das an die Gemeinde ging, wurde Herr S. aufgefordert, einen Bauantrag zu stellen (BV 640-2008).
Unter dem 20. August 2008 beantragte Herr S. den Anbau einer Gerätehütte.
Nach einem in den Akten (BV 923/08) mit Stempel der Gemeinde vom 21. August 2008 versehenen Schreiben des Bauherrn wurden die Gründe für die Erweiterung des bestehenden Carports dargestellt.
Der Beklagte las in der Sitzung am 16. September 2008 dieses Schreiben vor. Der Gemeinderat erteilte seine Zustimmung.
In den Akten befindet sich ein Schreiben des Landratsamtes vom 27. Oktober 2008 an den Bauherrn, das auch der Gemeinde zugeleitet wurde. Darin ist aufgeführt:
Das Vorhaben befinde sich innerhalb des Bebauungsplans „S. West“. Es handele sich um einen Sonderbau. Es solle ein Bauantrag für sämtliche Gebäude, baulichen Anlagen – insbesondere der Zelte – und die dem Unternehmen dienenden Nutzungsänderungen der Gebäude inklusive der Gästebetten gestellt werden. Bezüglich des Brandschutzkonzeptes könne man die Erforderlichkeit mit dem Landratsamt absprechen.
In der Bauakte (BV 199-2009) zum Antrag auf Baugenehmigung des Abbruchs des ehemaligen Zuhauses mit Nebengebäuden und Neubau einer Gerätehütte, der den Stempel der Gemeinde vom 26. Februar 2009 trägt und als „Änderungsantrag zu einem beantragten Verfahren“ (BV 923-2008) bezeichnet wird, befindet sich ein mit Stempel der Gemeinde vom 26. Februar 2009 versehenes Schreiben des Bauherrn, wonach der Bauherr von einem Genehmigungsverfahren der Gästebetten in der Niederlassung S. absehe, da keine Möglichkeit für die bauliche Veränderung bezüglich der Brandschutzverordnung gegeben sei. Die Unterbringung der Saisongäste erfolge in der Niederlassung im „B. 7“. S. beherberge im Haus nur noch Tagesgäste ohne Übernachtungsmöglichkeit.
Dieses Schreiben wurde von Herrn S. dem amtlichen Vordruck (Antrag auf Baugenehmigung) beigefügt und gleichzeitig bei der Gemeinde eingereicht, weshalb es ebenfalls den Stempel 26. Februar 2009 trägt. Er schreibt darin: „als Anlage erhalten Sie den neu erstellten Bauantrag der durch unseren Architekten angefertigt wurde.“
Demnach wurde das Schreiben nicht unabhängig vom Bauantrag zur Gemeinde gebracht, wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung behauptete.
Es wurde damit Teil der Bauakten (BV 199-2009), die schließlich mit der Stellungnahme der Gemeinde an das Landratsamt gesandt wurden.
In der Gemeinderatssitzung vom 4. März 2009, deren Protokoll vom Beklagten am 5. März 2009 unterschrieben wurde, wurde die Angelegenheit als Tekturplan bezeichnet.
Der Beklagte merkte in der Sitzung an, dass die jetzt geplante Gerätehütte nicht im Bebauungsplan enthalten sei und daher eine Befreiung erteilt werden müsse.
Der Gemeinderat stimmte dem Antrag auf Befreiung zu.
Der unter dem 5. März 2009 datierende Befreiungsantrag des Bauherrn ging am 5. März 2009 bei der Gemeinde ein.
Das Protokoll der Sitzung wurde vom Beklagten am 5. März 2009 unterschrieben.
Die Stellungnahme der Gemeinde wurde unter dem 9. März 2009 vom Zweiten Bürgermeister unterschrieben.
Selbst wenn die Schreiben des Landratsamtes vom 21. Juli 2008 und 27. Oktober 2008 dem Beklagten nicht vorgelegt worden wären, kannte er aus dem Bauvorgang (BV 199-2009), der dem Beklagten zur Vorbereitung der Sitzung am 4. März 2009 diente auch das Schreiben des Bauherrn vom 26. Februar 2009, aus dem hervorging, dass überhaupt keine Übernachtungsgäste mehr im Haus übernachten sollen und dass es keine Möglichkeit der baulichen Veränderung bezüglich der Brandschutzverordnung gäbe.
Der Beklagte mag sich heute an das Schreiben vom 26. Februar 2009 nicht erinnern, was nichts daran ändert, dass er den Vorgang mit dem Schreiben vom 26.02.2009 im Rahmen der Vorbereitung der Sitzung vom 4. März 2009 zur Kenntnis bekam.
Die Aussagen des Beklagten zur Rücknahme des Bauantrages (Schreiben vom 26.02.2009) sind daher widersprüchlich und nicht glaubhaft. In der mündlichen Verhandlung behauptete er, dass Herr S. das Schreiben – anstatt es in einen Briefumschlag zu stecken – bei der Gemeinde vorbei gebracht habe, damit diese es an das Landratsamt weiterleite. Er könne sich nicht daran erinnern, es gesehen zu haben. Nachdem die Vorsitzende die Akten mit den Parteien besprach, nämlich, dass der Bauantrag und das Schreiben des Herrn S. den Eingangsstempel der Gemeinde vom 26.02.2009 tragen und daher das Schreiben Teil der Bauantragsakten war, gab er an, dass er sich nicht daran erinnern könne, dass es Teil der Bauakten gewesen sein soll. Im Schriftsatz vom 11.09.2018 wurde mitgeteilt, dass der Beklagte von der Rücknahme des Bauantrags wusste.
Es stellt sich daher die Frage, woher er dies erfahren haben will. Das einzige Rücknahmeschreiben in der Akte ist das vom 26.02.2009.
Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass der Beklagte im Rahmen der Vorbereitung auf die Sitzung des Gemeinderates am 4.03.2009 von diesem Schreiben Kenntnis erlangte.
Wie der Beklagte selbst angab, wusste er, dass im Haus auch nach dem 26. Februar 2009 weiter Gäste übernachteten und dass die Zahlen stiegen. Er ging – wie der Bevollmächtigte in der Sitzung und im Schriftsatz vom 11.09.2018 ausführte – von einer Kleinvermietung der vier Doppelzimmer aus. Er kannte zumindest die genauen Gästezahlen von 2013.
Er wusste durch das Schreiben vom 26. Februar 2009, dass es ein Brandschutzproblem gibt und ein bauliche Veränderung nach Meinung von Herrn S. nicht möglich ist. Er wusste daher, dass es Brandschutzprobleme für Übernachtungsgäste gibt. Dabei ist unerheblich, ob er wusste, dass im Obergeschoss/Matratzenlager Gäste übernachten. Herr S. hatte vielmehr in seinem Schreiben vom 26.02.2009 angegeben, dass im Haus überhaupt niemand mehr übernachtet. Da der Beklagte wusste, dass trotz dieses Schreibens weiterhin Gäste im Haus übernachteten, hatte für ihn als Organ der Gemeinde die Pflicht nach Art. 6 und 7 LStVG bestanden, dem Landratsamt zu melden, dass – entgegen den Aussagen von Herrn S. – weiterhin Übernachtungsgäste im Haus vorhanden sind und eine Baukontrolle zu veranlassen.
Da der Beklagte selbst von dem Brandschutzproblem und der Behauptung wusste, dass keine Übernachtungsgäste mehr im Haus vorhanden sein sollten, dies aber nicht zutraf, kann er auch nicht darauf verweisen, sein Verschulden bestehe allenfalls darin, dass er sich nicht darauf habe verlassen dürfen, dass seine Mitarbeiter ihren Pflichten nachkommen.
Es war auch für den Beklagten vorhersehbar, dass bei einem Unterlassen der Meldung an das Landratsamt, dass weiterhin Gäste im Haus übernachten, es im Brandfall zu verhängnisvollen Folgen kommen kann.
Daher wurde die Indizwirkung der tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls (vor allem S. 3 letzter Absatz bis S. 4 erster Absatz) durch das Vorbringen im Disziplinarverfahren nicht erschüttert. Es bestand für eine Beweisaufnahme weder für den Kläger noch das Gericht Anlass.
Entgegen den Ausführungen vom 11. September 2018 sind die Zeugenaussagen von Frau M. und Herrn P. insoweit nicht relevant.
Auch ist nicht erheblich, ob der Beklagte zum Beispiel aufgrund von Elektroarbeiten von den Übernachtungen schon früher Kenntnis hatte.
Ob andere Mitarbeiter oder der Nachfolger des Beklagten ebenfalls gegen Pflichten verstoßen haben und ob Herr S. der Hauptschuldige ist, ist insoweit ebenso wenig relevant.
III.
Durch diesen zur Überzeugung des Gerichts vorstehend im Einzelnen festgestellten Sachverhalt hat der Beklagte gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten verstoßen.
Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begeht ein Beamter ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt.
Als Erster Bürgermeister der Gemeinde S. hat der Beklagte die Dienstpflichtverletzung während seiner Dienstausübung und damit innerdienstlich begangen.
Durch die Begehung der im Strafbefehl des Amtsgerichts … festgestellten fahrlässige Tötung durch Unterlassen in sechs tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen in achtzehn tateinheitlichen Fällen, hat der Beklagte gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, gegen die in § 34 Satz 1 BeamtStG geregelte Pflicht, zur ordnungsgemäßen Diensterfüllung sowie gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.
Auf die Ausführungen des Klägers in der Klageschrift wird insoweit verwiesen (S. 18 – 19).
IV.
Diese festgestellte und als innerdienstliches Dienstvergehen zu wertende Pflichtenverletzung durch den Beklagten (vgl. zur Einordnung der Pflichtverletzungen des Erster Bürgermeisters in das von ihm ausgeübte Amt: BayVGH, U.v. 21.12.2016 -16a D 2335/13 – Rn. 97) führt vorliegend gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayDG zur Aberkennung des Ruhegehalts.
Für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist nach Art. 14 Abs. 1 BayDG durch das Gericht „über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten“ (BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 2 C 59/07 – juris Rn. 16).
Damit ist maßgebliches Kriterium der Zumessung zunächst die Schwere des Dienstvergehens. Diese ist zum einen nach der Eigenart und der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, nach Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) zu bewerten. Zum anderen sind für die Bewertung die Form und das Gewicht des Verschuldens und die Beweggründe des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) heranzuziehen. Weiter sind die unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich oder für Dritte in den Blick zu nehmen (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 13).
Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG sieht für den Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts vor, wenn er, wäre er noch im aktiven Dienst, aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden müsste (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG: „sind aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen“).
Ist durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren, ist der Beamte gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
Damit gelten für Ruhestandsbeamte, die ein Dienstvergehen begangen haben, die gleichen Maßstäbe wie für aktive Beamte. „Der Eintritt in den Ruhestand ist daher kein Grund, unabhängig davon, ob er in einem sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren steht, die Dienstvergehen anders zu beurteilen“ (BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 105 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 3127/09 – juris Rn. 168). Damit ist auch die Frage des Vertrauensverlustes nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie bei einem aktiven Beamten.
Im vorliegenden Fall führt die gebotene Abwägung aller be- und entlastenden Umstände zu dem Ergebnis, dass das Fehlverhalten des Beklagten schwer wiegt und zu einem irreversiblen Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit in ihn führt, sodass die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme erforderlich, aber auch angemessen ist.
Es handelt sich um ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen, das der Höchstmaßnahme zuzuordnen ist.
Auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen ist in einer ersten Stufe der Strafrahmen maßgeblich (BVerwG, 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris).
Für den vom Beklagten verwirklichten (strafbaren) Tatbestand der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) ist ein Strafrahmen eröffnet, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren ermöglicht. Damit bewegt sich die Strafandrohung über dem mittelschweren Bereich, der nach der Rechtsprechung für Delikte mit Strafandrohungen bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe anzusetzen ist (vgl. etwa BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – BVerwGE 154, 10 Rn. 20).
Damit reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. für den vorliegend im Ruhestand befindlichen Beklagten bis zur Aberkennung des Ruhegehalts.
Bei innerdienstlichen Dienstvergehen kommt dem ausgeurteilten Strafmaß keine indizielle Bedeutung zu (BVerwG, B. v. 5.7.2016 – 2 B 24/16 – juris).
Das Amtsgericht … hat gegen den Beklagten durch Strafbefehl keine Geldstrafe, sondern eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Daher kommt die Ausschöpfung des eröffneten Orientierungsrahmens bis zur Höchstmaßnahme in Betracht.
Nach der Rechtsprechung bedarf es jedoch immer einer genauen Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Folgende Aspekte sind vorliegend im Rahmen der Gesamtabwägung und Maßnahmenbemessung zu berücksichtigen:
Erschwerend ist hier zu werten, dass der Beklagte als erster Bürgermeister der Gemeinde S. während seiner langen Amtszeit immer wieder Veranlassung hatte, das Landratsamt … über die baurechtswidrigen Zustände auf dem Anwesen S. Nr. 2 zu informieren, dieser Aufgabe aber während seiner gesamten Amtszeit nicht nachkam. Spätestens das über die Gemeinde an das Landratsamt … eingereichte Schreiben des Zeugen S. vom 26. Februar 2009, mit dem dieser dem Landratsamt … mitteilte, dass er auf dem Anwesen S. Nr. 2 nur noch Tagesgäste ohne Übernachtungsmöglichkeit beherbergen würde, hätte dem Beklagten zu einem sicherheitsbehördlichen Einschreiten der Gemeinde gemäß Art. 6, 7 LStVG veranlassen müssen, da das Unternehmen des Zeugen S. die folgenden Jahre der Gemeinde weiterhin sogar steigende Übernachtungszahlen auf dem Anwesen S. Nr. 2 meldete.
Erschwerend sind hier schließlich die katastrophalen Folgen des Brandes mit vielen Toten und Verletzten zu berücksichtigen, die durch ein ordnungsgemäßes Handeln des Beklagten hätten vermieden werden können.
Die subjektiven Handlungsumstände lassen keine Situation erkennen, die ein Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme rechtfertigt. Im Strafbefehl wird insoweit festgestellt, dass für den Beklagten vorhersehbar war, dass es bei einem Unterlassen der dem Beklagten obliegenden Tätigkeiten im Brandfall zu verhängnisvollen Folgen kommen würde, der Beklagte aber hoffte, dass es nicht zu einem Brand kommen würde. Der Beklagte ließ damit in besonders gravierender Weise die ihm als erster Bürgermeister obliegende Sorgfalt außer Acht.
Auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, soweit diese nicht bereits im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung fanden, ist die verwirklichte fahrlässige Tötung in 6 Fällen als sehr schwere Dienstpflichtverletzung einzustufen, die für sich genommen bereits eine Aberkennung des Ruhegehalts gemäß Art. 13 BayDG rechtfertigt.
Erschwerend ist zudem zu berücksichtigen, dass der Beklagte sich außerdem der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen in 18 tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat. Auch hat der Beklagte schuldhaft gegen seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Diensterfüllung verstoßen (§ 34 Satz 1 BeamtStG) sowie gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG).
Diese Dienstpflichtverletzungen sind aufgrund der Einheit des Dienstvergehens bei der Maßnahmenbemessung zu berücksichtigen. In der Gesamtschau ist das Dienstvergehen des Beklagten als so schwer einzustufen, dass eine Aberkennung des Ruhegehalts angemessen und erforderlich ist.
Die weiteren, nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG zu berücksichtigenden Bemessungsaspekte führen nicht dazu, dass von der Höchstmaßnahme abgesehen werden kann.
Anerkannte Milderungsgründe wie das Handeln in psychischer Ausnahmesituation oder das Handeln in einer überwundenen negativen Lebensphase sind vorliegend ebenso wenig erkennbar wie das Vorliegen sonstiger Milderungsgründe.
Zu Gunsten des Beklagten können seine ansonsten beanstandungslose Dienstzeit sowie die Tatsache berücksichtigt werden, dass er weder disziplinarisch noch strafrechtlich bislang vorbelastet gewesen ist. Diese Tatsachen haben aber ein nicht derartiges Gewicht, dass von einer Aberkennung des Ruhegehalts abgesehen werden kann. Weitere zugunsten des Beklagten zu berücksichtigende Umstände liegen nicht vor. So kann angesichts der langen Amtszeit des Beklagten vom 1. Mai 1996 – 30. April 2014 eine „zeitlich limitierte Tätigkeit“ des Beklagten als ehrenamtlicher erster Bürgermeister nicht zu Gunsten des Beklagten berücksichtigt werden. Auch ist nicht ersichtlich, inwieweit der Unfall des Beklagten im Mai 2013 mit anschließender Rehabilitation bis August 2013 sich angesichts der langen Amtszeit des Beklagten zu Gunsten des Beklagten auswirken könnte. Auch nach seiner Rückkehr im August 2013 ist der Beklagte noch bis Ende April 2014, also über 8 Monate, erster Bürgermeister der Gemeinde S. gewesen.
Die Aberkennung des Ruhegehalts muss vorliegend dem auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen geltenden Verhältnismäßigkeitsgebot genügen. Die Entfernung eines aktiven Beamten aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarische Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung auch die Zwecke der Generalprävention, der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2017 – 16a D 15.1484 – juris R. 92).
Der Beklagte ist während seiner langen Amtszeit in keiner Weise seiner Pflicht nachgekommen, durch Information des Landratsamtes … über die baurechtswidrigen Zustände auf dem Anwesen S. Nr. 2 bzw. durch Durchführung einer Feuerbeschau zu verhindern, dass ein Brand auf dem „Pfarrerbauernhof“ katastrophale Folgen hat. Hierdurch hat der Beklagte fahrlässig den Tod von 6 Menschen sowie die teils erhebliche Körperverletzung von 18 Menschen verursacht. Durch dieses Versagen im Kernbereich seiner Pflichten ist das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört. Bei einem aktiven Beamten würde die Entfernung aus dem Dienst die angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen darstellen. Für Ruhestandsbeamte gilt insoweit nichts anderes. Ihnen sei bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen das Ruhegehalt abzuerkennen (BayVGH, U.v. 28.6.2017 a.a.O. Rn. 92). Dies folgt aus Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG. Im vorliegenden Fall ist die Aberkennung des Ruhegehalts – insbesondere auch im Hinblick auf die Zwecke der Generalprävention sowie der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes – erforderlich und geboten.
Es wird nicht verkannt, dass die straf- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen des Unterlassens der ihm obliegenden Tätigkeiten für den Beklagten eine Belastung darstellen. Diese Konsequenzen sind ihm jedoch als vorhersehbare Folgen der von ihm begangenen Pflichtverletzungen zuzurechnen.
Nach nochmaliger Abwägung aller Umstände kann von der Höchstmaßnahme nicht abgesehen werden; es ist daher angemessen, dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.


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