IT- und Medienrecht

Abgasskandal: Schadensersatzpflicht eines Motorenherstellers auch bei Einbau des Motors in den Pkw eines anderen Herstellers

Aktenzeichen  15 U 4735/19

Datum:
26.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28272
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 199 Abs. 3 Nr. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 249, § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1, § 291, § 826, § 849
ZPO § 287

 

Leitsatz

1. Ein Motorenhersteller haftet auch dann für einen in den Verkehr gebrachten Motor, wenn dieser von einem anderen Automobilhersteller in einen Pkw eingebaut und verkauft wird. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer, ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln. Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Die Gesamtlaufleistung eines Audi A3 Diesel kann auf 300.000 Kilometer geschätzt werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Frage des Beginns der Verjährung gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB kan in besonderen Konstellationen nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf den tatsächlichen Erhalt des Fahrzeugs abzustellen sein, mit dem sich dann die im Vertrag angelegte Schadensmöglichkeit realisiert hat. (Rn. 28 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 O 9602/18 2019-07-23 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23.7.2019, Az. 20 O 9602/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 24.734,24 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.8.2018 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Audi A3 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …14 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des PKW Audi A3 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …14 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 Euro zu bezahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.8.2018.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanzen haben der Kläger 49% und die Beklagte 51% zu tragen, von den Kosten im Berufungsverfahren tragen der Kläger 7%, die Beklagte 93%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 26.653,93 € festgesetzt, wobei auf die Berufung des Klägers ein Betrag in Höhe von 6.511,76 € und auf die Berufung der Beklagten ein Betrag in Höhe von 20.142,17 € entfällt.

Gründe

I.
Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Pkw, in den ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe „EA 189“ eingebaut ist.
Am 14.06.2008 kaufte die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw für 35.336,65 €. Dieser hat die Einstufung in Abgasnorm Euro 4. Sie erhielt den Pkw am 02.08.2008 und bezahlte zu diesem Zeitpunkt auch die Rechnung vom 01.08.2008.
Mit Schreiben vom 01.06.2017 forderte die Klagepartei die Beklagte erfolglos zur Erstattung des Kaufpreises unter Fristsetzung bis zum 29.6.2017 auf und bot Zug um Zug die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an; eine Nutzungsentschädigung ließ sich die Klägerin in diesem Schreiben nicht abziehen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.
Ergänzend stellt der Senat fest, dass die Laufleistung des streitgegenständlichen Pkw am 8.7.2020 90.019 km betrug.
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 23.07.2019 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 20.142,17 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.06.2017 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Pkw zu zahlen und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Pkw in Annahmeverzug befindet. Weiter hat es die Beklagte verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.06.2017 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Beide Seiten haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Die Klagepartei beantragt,
das am 23.07.2019 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 20 O 9602/18, teilweise zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 6.511,76 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
das am 23.07.2019 verkündete Urteil des Landgerichts München I, 20 O 9602/18, im Umfang der Beschwerde der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Beide Parteien haben jeweils die Zurückweisung der Berufung der anderen Seite beantragt.
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2020 (Bl. 684/686 d.A.).
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber überwiegend unbegründet, da das Landgericht in der Hauptsache zutreffend geurteilt hat. Die zulässige Berufung des Klägers hat im tenorierten Umfang Erfolg.
1. Die Beklagte haftet der Klagepartei aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB. Die Klagepartei kann von der Beklagten auf dieser Grundlage die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen. Zur Begründung wird auf die Urteile des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, vom 30.07.2020, VI ZR 367/19 und vom 30.07.2020, VI ZR 397/19 Bezug genommen.
Zwar handelt es sich vorliegend nicht um einen Pkw, der von der Beklagten selbst hergestellt wurde. Die Beklagte haftet jedoch als Herstellerin des Motors, der in dem Fahrzeug der Marke Audi eingebaut worden und damit willentlich von der Beklagten in den Verkehr gebracht worden war.
2. Die Beklagte hat gem. §§ 249 ff. BGB der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.
Die Klagepartei kann den von ihr aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen. Sie muss sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 64-77).
Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer, ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (BGH, Urteil vom 17.05.1995, VIII ZR 70/97, NJW 1995, 2159, 2161). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Dieser betrug 35.336,65 Euro. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Der Senat schätzt gemäß § 287 ZPO die Gesamtlaufleistung eines Audi A3 Diesel auf 300.000 Kilometer. Nach den nicht bestrittenen Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2020 betrug der Km-Stand bei Kauf 10 Km. Die gefahrenen Kilometer belaufen sich daher auf 90.009 km. Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 10.602,41 Euro (= 35.336,65 Euro x 90.009 km: 299.990 km (300.000 km – 10 km). Damit verbleibt ein ersatzfähiger Betrag von 24.734,24 Euro (= 35.336,65 Euro – 10.602,41 Euro).
Die Höhe der Nutzungsentschädigung ist auch nicht wegen des hohen Alters des Fahrzeugs und der dazu vergleichsweisen geringen Laufleistung zu korrigieren. Die Beklagte muss den Geschädigten so nehmen, wie er ist. So wie bei einem Vielfahrer der Nutzungsersatz den Rückzahlungsanspruch aufzehren kann (Konstellation bei BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19), muss es die Beklagte auch hinnehmen, dass ein Wenigfahrer das Fahrzeug kaum nutzt oder das Fahrzeug still gelegt wird.
2. Der Klagepartei steht lediglich ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung seit Rechtshängigkeit (§ 291 BGB) zu. Darüber hinaus bestehen keine Ansprüche auf Zinsen.
a. Ein Zinsanspruch nach § 849 BGB besteht nicht. Der Senat macht sich die Ausführungen des BGH in den Urteilen vom 30.07.2020 (Az. VI ZR 354/19 und 397/19) zu eigen.
b. Die Voraussetzungen des § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB sind nicht gegeben, weil die Klagepartei bis zur Klageeinreichung die ihr obliegende Gegenleistung nicht ordnungsgemäß angeboten hat (vgl. unten Ziffer 4.).
c. Die Beklagte hat aber Prozesszinsen gem. §§ 291 i.V.m. 288 Abs. 1 BGB zu bezahlen. Die Zustellung der Klage ist am 30.8.2018 erfolgt, so dass Prozesszinsen ab dem 31.8.2018 zu zahlen sind.
3. Die Klagepartei hat Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.08.2018.
a. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, wonach die Klagepartei bzw. der von ihr beauftragte Rechtsanwalt ein außergerichtliches Tätigwerden als von vornherein sinnlos und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geeignet ansehen musste. Auch wenn die – unzutreffende – Rechtsauffassung der Beklagten hinsichtlich ihrer Schadensersatzpflicht aus der Presseberichterstattung bekannt sein mochte, schloss das nicht aus, dass auch ohne Einschaltung der Gerichte eine vergleichsweise Einigung möglich war.
b. Für den Gegenstandswert bzgl. der vorgerichtlichen Tätigkeit ist der Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Klägervertreters maßgeblich. Mit Klageschrift vom 05.07.2018 hat der Kläger einen Abzug einer Nutzungsentschädigung von nicht mehr als 12.114,76 € beantragt. Ausgehend von einem Gegenstandswert bis zu 25.000,00 € besteht ein Gebührenanspruch (incl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer; auf Basis einer 1,3 Geschäftsgebühr) in Höhe von 1.242,84 €. Es ist nur eine 1,3 Gebühr angemessen, da es sich um ein typisiertes Standard-Anschreiben handelt und der Fall der Klägerin keine tatsächlichen oder rechtlichen Besonderheiten aufweist.
Der Zinsanspruch war mangels Verzug erst seit der Rechtshängigkeit der Klage, also ab dem 31.8.2018 zuzusprechen (siehe BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 86).
4. Der Feststellungsantrag ist ebenfalls begründet. Die Beklagte befindet sich in Annahmeverzug (§ 293 ff. BGB). Dies folgt zwar nicht aufgrund des Schreibens vom 1.6.2017, da in diesem noch keine Bereitschaft bestand, sich eine Nutzungsentschädigung auf den Kaufpreis anrechnen zu lassen. Allerdings ergibt sich diese Bereitschaft aus der Klage vom 5.7.2018, so dass darin ein zur Begründung des Annahmeverzugs auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot gegeben ist.
5. Die Klage ist nicht gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB verjährt. Zwar ist zutreffend, dass die Bestellung des PKW seitens der Beklagten am 14.6.2008 angenommen worden war (vgl. Anlage K 1). Allerdings kann in der hier gegebenen besonderen Konstellation im bloßen Vertragsschluss noch nicht der eigentliche Schadenseintritt gesehen werden, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher festgestanden hat, welches Fahrzeug die Klägerseite konkret ausgeliefert erhält und ob dieses dann auch die streitgegenständliche Abschaltvorrichtung tatsächlich enthält. Insbesondere ist von der Beklagtenseite nichts in dem Sinne vorgetragen, dass im Jahr 2008 jedes bestellte Fahrzeug ausnahmslos einen Motor mit der unzulässigen Abschaltvorrichtung enthalten sollte. Die Fahrzeugauslieferung erfolgte erst am 2.8.2008.
Daher ist vorliegend für die Frage des Beginns der Verjährung gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB nicht auf den Vertragsschluss abzustellen, sondern auf den tatsächlichen Erhalt des Fahrzeugs, mit dem sich dann die im Vertrag angelegte Schadensmöglichkeit realisiert hat.
Ausgehend vom 2.8.2008 war im Zeitpunkt der Klageerhebung (vom 11.7.2018) die Verjährung noch nicht eingetreten und konnte gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt werden.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus 92 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO, §§ 39, 47, 48 GKG.
Verkündet am 26.08.2020


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