IT- und Medienrecht

Anspruch auf Schadensersatz nach Rückabwicklung eines Kaufs eines Kfz mit Dieselmotor des Typs ES 189

Aktenzeichen  21 O 9/18

Datum:
11.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 44679
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 823 Abs. 2
StGB § 25 Abs. 1, § 263 Abs. 1
ZPO § 138 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Der Verkauf eines Fahrzeugs durch den hinsichtlich der Abgasproblematik des Dieselmotors des Typs EA 189 unwissenden Verkäufer stellt einen von der Herstellerin des Motors als mittelbare Täterin gegenüber dem Käufer begangenen Betrug dar. (Rn. 11) (red. LS Dirk Büch)
2 Die Beeinflussung einer Motorsoftware einer ganzen Motorenreihe erscheint ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Kenntnis und Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der Motorherstellerin aus der oberen Betriebshierarchie, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, ausgeschlossen. (Rn. 11) (red. LS Dirk Büch)
3 Eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km ist für einen Diesel-Pkw angemessen.  (Rn. 12) (red. LS Dirk Büch)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.493,94 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 19.12.2017 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pkw VW Tiguan 2,0 TDI mit der Fahrgestellnummer …
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich seit dem 19.12.2017 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 19.12.2017 zu zahlen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 32 % und die Beklagte 68 % zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
6. Der Streitwert wird auf 31.450,01 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, § 263 Abs. 1, § 25 Abs. 1 zweite Alternative StGB dahingehend zu, dass die Klagepartei so zu stellen ist als hätte sie den Pkw nicht gekauft. Unter Anrechnung eines Nutzungsvorteils in Höhe von 9.956,07 € verbleibt bei Herausgabe des Pkw ein Zahlungsanspruch in Höhe von 21.493,94 € nebst Zinsen (1.). Daneben hat die Beklagte die für die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen zu zahlen (2.). Soweit höhere Beträge und Zinsen begehrt worden sind, war die Klage im Übrigen abzuweisen.
1. Der Verkauf des Fahrzeugs durch den hinsichtlich der vorbezeichneten Abgasproblematik unwissenden Verkäufer stellt einen von der Beklagten als mittelbare Täterin gegenüber der Klagepartei begangenen Betrug dar. Der streitgegenständliche Pkw wies bereits bei Abschluss des Kaufvertrags und Übergabe an die Klagepartei einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Eine Sache ist danach frei von Mängeln, wenn eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, sie sich aber für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Das ist vorliegend nicht der Fall. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert (vgl. Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, Az.: 2 O 72/16, Rn. 21 bis 25 nach juris m.w.N.). Insoweit ist auch ein schwerwiegender Mangel gegeben, da der Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und Grenzwerten bei Fahrzeugemissionen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung, eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Beklagte war nach § 13 StGB als Herstellerin verpflichtet, über dessen Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben potenzielle Käufer des Fahrzeugs zu unterrichten. Das ist nicht geschehen. Hierdurch wurde bei der Klagepartei ein Irrtum (über die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben und der hieraus resultierenden Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs) erregt. Sie hat durch den Erwerb des Fahrzeugs über ihr Vermögen verfügt und aufgrund des dem Fahrzeug anhaftenden Mangels einen Schaden erlitten. Die auf dem Verhalten der Beklagten beruhende Täuschung der Klagepartei und der hierauf beruhende Irrtum war für die Vermögensverfügung der Klagepartei und den ihr hierdurch entstandenen Schaden auch ursächlich. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird ein redlicher Käufer eines Fahrzeugs, das die gesetzlichen Normen und Vorgaben nicht einhält und dadurch mangelbehaftet ist, nicht erwerben bzw. lediglich zu einem am bloßen Materialwert orientierten Kaufpreis. Im Umfang des bei der Klagepartei eingetretenen Schadens sind unmittelbar und stoffgleich die Beklagte bereichert worden, Sie hat für das an die Klagepartei veräußerte Fahrzeug mehr als den bloßen Materialwert erhalten (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, Az.: 9 O 6119/16). Die Beklagte hat vorsätzlich gehandelt, um ihre eigenen Einnahmen zu steigern. Die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte unter serienmäßiger Verwendung einer dafür konzipierten Software für den vorgesehenen Rollenprüfstand zur Herbeiführung unterschiedlicher Einstellungen für Prüfstand und normalen Straßenverkehr stellt eine systematisch für eine Vielzahl von Fällen angelegte verdeckte Vorgehensweise dar, die von vornherein auf eine Täuschung der Kunden bzw. Käufer der betroffenen Fahrzeuge gerichtet ist (im Ergebnis ebenso LG München I, Urteil vom 14.04.2016, 23 O 23033/15, Ziffer I. 1. sowie Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, 2 O 72/16, Rn. 37 und 38). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte als juristische Person nach § 31 BGB für Vorstand, Mitglieder des Vorstands und verfassungsmäßig berufene Vertreter einzustehen. Bei Gesamtvertretung genügt insoweit das Verschulden eines Vertreters. Zudem ist § 31 BGB auf andere Organe, wie die Mitgliederversammlung oder den Aufsichtsrat, entsprechend anzuwenden (vgl. Palandt, BGB, 77. Aufl., § 31, Rn. 5). Bereits nach den vorliegend unstreitigen Begleitumständen ist davon auszugehen, dass eine Einstandspflicht der Beklagten nach diesen Grundsätzen gegeben ist. Die Beeinflussung einer Motorsoftware einer ganzen Motorenreihe speziell für den Prüfstand stellt eine wesentliche unternehmerische Weichenstellung mit erheblicher Reichweite für den Produktionsablauf dar, deren Umsetzung einen erheblichen Eingriff in den Produktionsablauf darstellt und die Implementierung entsprechender interner Strukturen, insbesondere für die Entwicklung und Eingliederung der Software in den Produktionsablauf, erfordert. Diese Umsetzung erscheint ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Kenntnis und Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der Beklagten aus der oberen Betriebshierarchie, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, ausgeschlossen. Daher ist es insoweit auch nicht ausreichend, wenn beklagtenseits lediglich die von der Klagepartei vorgetragene Kenntnis und Mitwirkung einzelner Personen aus dem Vorstandsbereich der Beklagten bestritten wird. Der Beklagten müssen aufgrund des Zeitablaufs von über zwei Jahren seit Bekanntwerden des Abgasskandals einerseits und der intern nachvollziehbaren grundlegenden organisatorischen Eingriffe in den Produktionsablauf in diesem Zusammenhang andererseits detaillierte Kenntnisse zum konkreten Geschehensablauf vorliegen, so dass es ihr möglich und zumutbar ist, diesen vollumfänglich darzulegen. Das hat sie aber nicht getan. Damit liegt insoweit kein ausreichendes Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO vor, so dass im Ergebnis vom Vorliegen der subjektiven Betrugsmerkmale bei zur Vertretung der Beklagten berufenen Organen nach § 31 BGB auszugehen ist (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, 9 O 6119/16, Ziffer I.7.). Damit ist die Beklagte der Klagepartei gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (durch den Betrug bedingter Abschluss des Kaufvertrags) bestehen würde. Wegen des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots ist der Wert des Vorteils, den die Klagepartei durch die Nutzung des Pkw erlangt hat, vom Kaufpreis abzuziehen.
Die Höhe der anzurechnenden Nutzungen errechnet sich in richterlicher Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) aus der Formel Kaufpreis × gefahrene km / (Gesamtlaufleistung – Laufleistung bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger). Eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km erscheint für gewöhnlich genutzte Diesel-Pkw angemessen, da sie bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 km einer Nutzung von zwölfeinhalb Jahren entspricht. Eine längere Nutzungsdauer setzt erfahrungsgemäß über den eingesetzten Kaufpreis hinaus erhebliche Aufwendungen für Verschleißteile und Reparaturen hinaus, so dass bei erhöhter Laufleistung auch mit höheren Aufwendungen als nur dem Kaufpreis gerechnet werden müsste.
Damit errechnet sich ein Betrag von 9.956,07 Euro für die von der Klagepartei gezogenen Nutzungen (= 31,450,01 € × 79.142 km bei Augenschein / 250.000 km). Von dem Kaufpreis in Höhe von 31.450,01 Euro bleiben nach Abzug von 9.956,07 Euro noch 21.493,94 Euro. Diese Forderung ist mit dem gesetzlichen Zinssatz mit Ablehnung des Schadensersatzes zu verzinsen (§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1 BGB).
2. Der deliktische Schadensersatzanspruch umfasst auch die zur Schadensabwendung erforderlichen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt, a.a.O., § 249 Rn. 56 und 57). Auf Grundlage der zuzusprechenden Forderung bemisst sich der Gegenstandswert aus der Stufe bis 22.000 €, was eine 1,0 Gebühr in Höhe von 742,00 € zur Folge hat. In Anbetracht dessen, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, erscheint der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr ausreichend und angemessen. Dies sind 964,60 €. Zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale sind es netto insgesamt 984,60 €. Mit 19 % Umsatzsteuer hieraus (187,07 €) errechnen sich außergerichtliche Kosten in Höhe von 1.171,67 €.
Dem Ersatzanspruch steht nicht entgegen, dass die Zahlung bestritten und von der Klagepartei nicht unter Beweis gestellt worden ist. Der Schaden der Klagepartei ist nämlich bereits durch die Eingehung der entsprechenden Verbindlichkeit gegenüber den Klägervertretern entstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.
Der Streitwert folgt der Angabe in der Klageschrift und entspricht dem gezahlten Kaufpreis.


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