IT- und Medienrecht

Beteiligung der Gemeinde mit einem Eigenbetrieb am Wettbewerb um das kommunale Wegenetz zur leitungsgebundenen Energieversorgung: Erforderlichkeit der vollständigen Trennung der Vergabestelle von dem Eigenbetrieb; Anforderungen an die Organisationsstruktur – Stadt Bargteheide

Aktenzeichen  EnZR 43/20

Datum:
12.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:121021UENZR43.20.0
Normen:
§ 19 Abs 2 Nr 1 GWB
§ 46 EnWG
Spruchkörper:
Kartellsenat

Leitsatz

Stadt Bargteheide
1. Beteiligt sich die Gemeinde mit einem Eigenbetrieb oder einer Eigengesellschaft am Wettbewerb um das kommunale Wegenetz zur leitungsgebundenen Energieversorgung, ist es erforderlich, die als Vergabestelle tätige Einheit der Gemeindeverwaltung personell und organisatorisch vollständig von dem Eigenbetrieb oder der Eigengesellschaft zu trennen.
2. Eine solche vollständige Trennung erfordert eine Organisationsstruktur, die sicherstellt, dass ein Informationsaustausch zwischen den für die Vergabestelle und den für den Eigenbetrieb oder die Eigengesellschaft handelnden Personen nur innerhalb des hierfür vorgesehenen Vergabeverfahrens für das Wegerecht erfolgt, so dass bereits durch strukturelle Maßnahmen – und damit nach dem äußeren Erscheinungsbild – die Bevorzugung des Eigenbetriebs oder der Eigengesellschaft und damit der “böse Schein” mangelnder Objektivität der Vergabestelle vermieden wird.

Verfahrensgang

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 18. Mai 2020, Az: 16 U 66/19 Kart, Urteilvorgehend LG Kiel, 21. Juni 2019, Az: 14 HKO 56/18 Kart, Urteil

Tenor

I. Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden – unter Zurückweisung der Revisionen der Beklagten – das Urteil des Kartellsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 18. Mai 2020 teilweise aufgehoben und das Urteil der Kammer für Handelssachen I des Landgerichts Kiel vom 21. Juni 2019 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Gegenüber der Beklagten zu 1 wird festgestellt, dass
a) der am 3. Mai 2018 zwischen den Beklagten abgeschlossene Wegenutzungsvertrag nach § 46 Abs. 2 EnWG für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem Elektrizitätsversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören, unwirksam ist;
b) der am 3. Mai 2018 zwischen den Beklagten abgeschlossene Wegenutzungsvertrag nach § 46 Abs. 2 EnWG für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem Gasversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören, unwirksam ist.
2. Die Beklagte zu 1 wird verpflichtet, das Verfahren zur Vergabe der Wegenutzungsverträge im Sinne der Ziffer 1 neu durchzuführen.
3. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin 41.841,31 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. August 2018 zu zahlen.
4. Gegenüber der Beklagten zu 2 wird festgestellt, dass dieser gegen die Klägerin keine Ansprüche auf Übereignung der für den Betrieb des Stromnetzes und auf Übertragung der für den Betrieb des Gasnetzes im Gemeindegebiet erforderlichen Versorgungsanlagen zustehen.
II. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Instanzen tragen die Beklagte zu 1 zu 80 % und die Beklagte zu 2 zu 20 %. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagten jeweils selbst.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin ist aufgrund von Konzessionen der Stadt Bargteheide (Beklagte zu 1) Eigentümerin der Wegenetze für die Strom- und Gasversorgung in deren Gemeindegebiet. Die Konzessionsverträge liefen Ende 2014 aus.
2
An einem ersten Verfahren zur Neuvergabe der Wegenutzungsverträge beteiligten sich die Klägerin sowie die Beklagte zu 2, welche unter der Bezeichnung “Stadtwerke Bargteheide GmbH” (fortan auch: Stadtwerke) von der Beklagten zu 1 errichtet wurde. Geschäftsführer der Beklagten zu 2 war T., der Kämmerer der Beklagten zu 1. Nachdem der Beklagten zu 1 die beabsichtigte Konzessionsvergabe an die Stadtwerke in einer von der Klägerin beantragten einstweiligen Verfügung untersagt worden war, leitete sie ein neues Vergabeverfahren ein.
3
Der Erste Verfahrensbrief vom 7. Oktober 2015 enthielt die Auswahlkriterien, Entwürfe der Konzessionsverträge und eine Beschreibung der Verfahren. Die Schreiben waren von S. unterzeichnet, dem Büroleiter der Bürgermeisterin der Beklagten zu 1. Sie enthielten die Aufforderung, erste indikative Angebote an die Stadt, zu Händen von G., zu übermitteln. G. war nach dem Verwaltungsgliederungsplan der Erstbeklagten mit der Aufgabe “Neues Kommunales Rechnungswesen” der Abteilung Finanzen und Gebäudewirtschaft zugeordnet, deren Leiter der Kämmerer T. war. T. wiederum unterstand nach dem Organigramm der Beklagten zu 1 unmittelbar dem Büroleiter S. Im Zweiten Verfahrensbrief vom 17. November 2015 änderte die Beklagte zu 1 die Bewertungsmethode.
4
Mit dem Dritten Verfahrensbrief vom 3. März 2016 forderte die Beklagte zu 1 die Bewerber zur Abgabe rechtsverbindlicher Angebote auf. Die Beklagte zu 2 und die Klägerin gaben ihre Angebote fristgemäß ab. Bei der Auswertung durch die späteren Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 erhielt das Angebot der Beklagten zu 2 für das Stromnetz 966 Punkte und das der Klägerin 905 Punkte. Beim Gasnetz ergaben sich 973 Punkte für die Beklagte zu 2 und 892 Punkte für die Klägerin. Nach Beratung des Haupt- und Sozialausschusses beschloss die Stadtvertretung am 8. Dezember 2016, die beiden Konzessionen an die Beklagte zu 2 zu vergeben.
5
Auf Antrag der Klägerin untersagte das Landgericht mit einstweiliger Verfügung vom 15. Februar 2017 der Beklagten zu 1 die Umsetzung der Vergabeentscheidung. Mit Urteil vom 29. September 2017 hob das Landgericht diese Verfügung auf und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Die dagegen eingelegte Berufung wurde mit Urteil des Berufungsgerichts vom 16. April 2018 zurückgewiesen. Am 3. Mai 2018 schlossen die Beklagten miteinander die Konzessionsverträge für das Strom- und das Gasnetz der Gemeinde.
6
Die Klägerin begehrt gegenüber beiden Beklagten die Feststellung, dass diese Verträge unwirksam seien, sowie gegenüber der Beklagten zu 2, dass sie die Übertragung der Netze nicht verlangen könne (Anträge 1 und 6). Weitere gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Anträge sind für den Fall der gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit der Konzessionsverträge gegenüber der Beklagten zu 1 gestellt. Unter anderem begehrt die Klägerin mit dem Antrag 2, der von der weiteren Bedingung abhängig ist, dass die Unwirksamkeit mit einem Verstoß gegen das Neutralitätsgebot begründet wird, der Beklagten zu 1 aufzugeben, ein neues Vergabeverfahren nicht ohne eine personelle und organisatorische Trennung zwischen der verfahrensleitenden Stelle und der Beklagten zu 2 durchzuführen. Für den Fall des Erfolgs eines der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Anträge verlangt die Klägerin im Wege der Zahlungsklage von der Beklagten zu 1 Erstattung der Prozesskosten des zweiten einstweiligen Verfügungsverfahrens.
7
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht gegenüber beiden Beklagten festgestellt, dass der zwischen den Beklagten abgeschlossene Wegenutzungsvertrag betreffend das Elektrizitätsversorgungsnetz unwirksam ist. Gegenüber der Beklagten zu 2 hat es festgestellt, dass ihr gegen die Klägerin kein Anspruch auf Übereignung der für den Betrieb des Stromnetzes im Gemeindegebiet erforderlichen Versorgungsanlagen zusteht. Die geltend gemachten Prozesskosten nebst Zinsen hat das Berufungsgericht zum Teil zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Hiergegen richten sich die vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen der Parteien, mit denen sie ihre Berufungsanträge weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe

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Die – zulässige – Revision der Klägerin hat Erfolg und führt, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil erkannt hat, zur Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des landgerichtlichen Urteils. Die zulässige Revision der Beklagten ist zurückzuweisen.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die das Verfahren und die Ausgestaltung der Vergabekriterien betreffenden Rügen der Klägerin griffen sämtlich nicht durch. Ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot könne nicht festgestellt werden. Es bedürfe weder der Aufklärung, ob G. tatsächlich weisungs- und disziplinarrechtlich allein S. unterstellt gewesen sei, noch dazu, wie die Beklagte die bestrittene Weitergabe von Vorgängen “von Hand zu Hand” verfügt und umgesetzt habe. G. könne man schon nicht für die Vergabestelle halten, diese Aufgabe sei förmlich von S. wahrgenommen worden. Die inhaltliche Bearbeitung sei durch die beratende Anwaltskanzlei erfolgt. Konkrete Anhaltspunkte, dass in diese Kommunikation der Klägerin mit der Vergabestelle andere Personen als die Bürgermeisterin und S. sowie die beiden Rechtsanwälte einbezogen worden seien, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es seien auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass T. mit dem Vergabeverfahren in irgendeiner Weise befasst gewesen sei.
12
Die Beklagte zu 1 habe die Auswahlkriterien weder unrichtig bestimmt noch gewichtet. Ihre Beurteilungsentscheidungen seien jedoch nicht durchgehend nachvollziehbar und plausibel, wobei sich die Bewertungsdefizite im Ergebnis nur im Bereich Strom entscheidend ausgewirkt hätten. Die Rechtskraft der Kostengrundentscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren stehe dem auf Erstattung der Prozesskosten gerichteten Schadensersatzanspruch nicht entgegen.
13
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision der Klägerin nicht stand.
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1. Mit Erfolg wendet sich die Klägerin gegen die Abweisung des auf Feststellung der Nichtigkeit des Wegenutzungsvertrags über das Gasversorgungsnetz gerichteten Antrags gegen die Beklagte zu 1 (Antrag 1b).
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a) Der Antrag ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig.
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aa) Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass die Klägerin nicht Partei des Wegenutzungsvertrages ist.
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(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Feststellungsantrag auch auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen der beklagten Partei und einem Dritten gerichtet sein, wenn dieses zugleich für die Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander von Bedeutung ist und der Kläger an der alsbaldigen Klärung ein berechtigtes Interesse hat (BGH, Urteile vom 25. Februar 1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 125 f.; vom 2. Juli 2007 – II ZR 111/05, NJW 2008, 69 Rn. 22; und vom 11. Juli 2012 – IV ZR 164/11, NJW 2012, 3647 Rn. 24). Ausreichend ist, wenn der Kläger in seiner Rechtssphäre von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses wenigstens mittelbar betroffen ist (BGH, NJW 2012, 3647 Rn. 24 mwN; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 256 Rn. 33 mwN).
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(2) Da ausgeschlossen ist, dass die Beklagte zu 1 während der Laufzeit der Konzessionsverträge mit weiteren Bewerbern entsprechende Verträge abschließt (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – KZR 66/12, BGHZ 199, 289 Rn. 105 – Stromnetz Berkenthin), kommt der Nichtigkeit des Wegenutzungsvertrages für die von der Klägerin erstrebte Vergabe der jeweiligen Konzession an sie entscheidende Bedeutung zu. Eine mit dem Abschluss der Verträge mit der Beklagten zu 2 verbundene Diskriminierung oder unbillige Behinderung der Klägerin könnte nur durch die Nichtigkeit eben dieser Verträge beseitigt werden. Ein (unterstellt) fehlerhaft abgeschlossener Konzessionsvertrag stellt eine fortdauernde Behinderung der Klägerin dar (BGHZ 199, 289 Rn. 105, 108 – Stromnetz Berkenthin).
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bb) Gegenüber der Beklagten zu 1 fehlt es auch nicht an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen rechtlichen Interesse an einer alsbaldigen Feststellung der Unwirksamkeit des Wegenutzungsvertrags.
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(1) Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. Juni 1977 – VIII ZR 5/76, BGHZ 69, 144, 147; vom 9. Juni 1983 – III ZR 74/82, NJW 1984, 1118; und vom 13. Januar 2010 – VIII ZR 351/08, NJW 2010, 1877 Rn. 12 mwN). Das ist hier der Fall. Die Beklagte zu 1 steht auf dem Standpunkt, dass die Vergabeverfahren durch den Abschluss der Wegenutzungsverträge beendet worden seien. Demgegenüber vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Wegenutzungsverträge unwirksam seien mit der Folge, dass entweder die Vergabeverfahren neu durchzuführen oder die Konzessionen an die Klägerin zu vergeben seien.
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(2) Das Feststellungsinteresse kann auch nicht mit der Erwägung verneint werden, die Klägerin könne jeden für sie in Betracht kommenden Anspruch (auf Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens oder Fortsetzung des Vergabeverfahrens, auf Erteilung der Konzession oder auf Schadensersatz) mit der Leistungsklage verfolgen.
22
(a) Zwar fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit der Klage auf Leistung erreichen kann (BGH, NJW 1984, 1118, 1119; Urteile vom 6. März 2001 – KZR 37/99, BGHZ 147, 81, 84 – Kabel-Hausverteileranlagen; und vom 12. Juni 2018 – KZR 56/16, WuW 2018, 405 Rn. 15 – Grauzementkartell II).
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(b) Die Erhebung einer Leistungsklage wegen eines fehlerhaften Verfahrens zur Vergabe einer Wegekonzession ist jedoch regelmäßig – wie auch hier – mit Unsicherheiten verbunden. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung steht in der Regel nicht fest, welche Rechtsfolge sich aus einem Fehler bei der Vergabe der Konzession für ein Strom- oder Gasnetz ergibt. Vielmehr hängt es von den Umständen des Einzelfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ab, ob ein Anspruch auf Erteilung der Konzession besteht oder eine Aufhebung oder Rückversetzung des Vergabeverfahrens in ein früheres Stadium notwendig ist (BGH, Urteil vom 9. März 2021 – KZR 55/19, NZKart 2021, 509 Rn. 39, 44 – Gasnetz Berlin). Bei der Bestimmung der Rechtsfolge eines Verfahrensfehlers kann insbesondere ins Gewicht fallen, dass ein überwiegender Anteil der vorgesehenen Konzessionslaufzeit bereits verstrichen ist, ohne dass es zu einer gesetzlich vorgeschriebenen wettbewerblichen Neuvergabe gekommen ist (BGH, NZKart 2021, 509 Rn. 62 – Gasnetz Berlin). Die Rechtsfolge des Verfahrensfehlers kann damit auch von der Dauer des Prozesses abhängen.
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(c) Für die Zulässigkeit der Feststellungsklage spricht im Übrigen auch der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. BGH, Urteile vom 9. Juni 1983 – III ZR 74/82, NJW 1984, 1118, 1119; und vom 6. März 2001 – KZR 37/99, BGHZ 147, 81, 84 – Kabel-Hausverteileranlagen). Im Fall der Abweisung der Klage ist die Rechtslage zwischen den Parteien endgültig geklärt. Aber auch bei einem Erfolg der Klage kommt dem Feststellungsausspruch Bedeutung zu. Gegenüber öffentlichen Körperschaften oder Anstalten ist trotz möglicher Leistungsklage in der Regel ein Feststellungsinteresse anzunehmen, weil von ihnen zu erwarten ist, dass sie sich schon einem Feststellungsurteil beugen werden (BGH, Urteil vom 9. Juni 1983 – III ZR 74/82, NJW 1984, 1118, 1119).
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cc) Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, die Klägerin habe ein wegen des rechtskräftig abgeschlossenen Eilverfahrens notwendiges besonderes rechtliches Interesse nicht dargelegt.
26
(1) Im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsschutzziele (Sicherung durch vorläufige Regelung im einstweiligen Verfügungsverfahren gegenüber endgültiger Regelung im Hauptsacheverfahren), die unterschiedliche Prüfungsintensität (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO – Glaubhaftmachung im einstweiligen Verfügungsverfahren gegenüber voller Beweisführung im Hauptsacheverfahren) und Wirkungen sind einstweiliges Verfügungsverfahren und Hauptsacheverfahren nebeneinander zulässig. Der Gegner hat aus diesem Grund die Möglichkeit, das Hauptsacheverfahren zu erzwingen (§§ 926, 936 ZPO).
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(2) Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob sich aus § 47 Abs. 5 Satz 2 EnWG in der seit dem 3. Februar 2017 geltenden Fassung ergibt, dass eine Überprüfung der von dem Bewerber um das Wegenutzungsrecht erhobenen Rügen ausschließlich im einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgen kann und ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren ausgeschlossen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. August 2019 – 6 U 109/18 Kart, juris Rn. 99; KG, EnWZ 2019, 76 Rn. 25). Die Vorschrift findet hier noch keine Anwendung.
28
(a) Gemäß § 118 Abs. 23 EnWG nF ist § 47 EnWG nF auf Verfahren zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zur leitungsgebundenen Energieversorgung, in denen am 3. Februar 2017 von der Gemeinde bereits Auswahlkriterien samt Gewichtung im Sinne des § 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG bekannt gegeben wurden, mit der Maßgabe anwendbar, dass die in § 47 Abs. 2 Satz 1 bis 3 EnWG genannten Fristen mit Zugang einer Aufforderung zur Rüge beim jeweiligen Unternehmen beginnen.
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(b) Es kann dahinstehen, ob die Rügeobliegenheit nach § 47 EnWG nur für noch nicht abgeschlossene Verfahren über die Vergabe des Wegerechts gilt (so Wegner in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, § 118 EnWG Rn. 70). Da die gesetzliche Rügeobliegenheit in den von der Regelung erfassten Übergangsfällen erst entsteht, wenn die nach § 118 Abs. 3 EnWG erforderliche Rügeaufforderung dem Bieter zugeht (Wegner aaO), ergab sich für die Klägerin auch bei Anwendung der Regelung keine gesetzliche Rügeobliegenheit. Es fehlt an einer Aufforderung zur Rüge gemäß § 47 Abs. 2 EnWG nF durch die beklagte Stadt, welche naturgemäß erst nach dem Inkrafttreten der Neuregelung erfolgen konnte (vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 18/8184 S. 24). Dass die Beklagte zu 1 die Klägerin zu einer entsprechenden Rüge aufgefordert hat, ist vom Berufungsgericht weder festgestellt noch ergeben sich Anhaltspunkte dafür. Eine Rügeobliegenheit ergab sich für die Klägerin damit lediglich aus der Rechtsprechung des Senats, wonach der Bieter schon vor Inkrafttreten des § 47 Abs. 2 EnWG gehalten war, eine erkennbare Rechtsverletzung im Verfahren zur Vergabe der Wegenutzungsverträge zu rügen und gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. Urteil vom 28. Januar 2020 – EnZR 116/18, WuW 2020, 331 Rn. 44 – Stromnetz Steinbach).
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(c) Da sich eine Rügeobliegenheit der Klägerin damit nicht aus § 47 Abs. 2 EnWG ergab, findet auch § 47 Abs. 5 EnWG nF als letzte Stufe des Präklusionsregimes des § 47 EnWG nF (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/8184, S. 17) keine Anwendung. Die Regelung bezieht sich lediglich auf solche Rechtsverletzungen, die dem Rügeregime nach § 47 Abs. 2, Abs. 4 EnWG nF unterfallen, nicht dagegen auf die nach alter Rechtslage bestehenden Rügeobliegenheiten.
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b) Der auf Feststellung der Nichtigkeit des Wegenutzungsvertrages für das Gasnetz gerichtete Antrag ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch begründet.
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aa) Ein Wegenutzungsvertrag zwischen einer Gemeinde und einem Energieversorgungsunternehmen ist nach § 134 BGB nichtig, wenn die Konzessionsvergabe den aus § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 46 Abs. 1 EnWG abzuleitenden Anforderungen nicht genügt und damit eine unbillige Behinderung derjenigen Bewerber vorliegt, deren Chancen auf die Konzession dadurch beeinträchtigt worden sind (vgl. BGHZ 199, 289 Rn. 54 ff. und 101 ff. – Stromnetz Berkenthin; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – KZR 65/12, WuW 2014, 401, 413 [juris Rn. 50 ff.] – Stromnetz Heiligenhafen; Beschluss vom 3. Juni 2014 – EnVR 10/13, WuW/E DE-R 4322 Rn. 53 – Stromnetz Homberg; Urteil vom 18. November 2014 – EnZR 33/13, EnWZ 2015, 125 Rn. 19 – Stromnetz Schierke).
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bb) Bei der Vergabeentscheidung haben die Gemeinden das Diskriminierungsverbot des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und des § 46 Abs. 1 EnWG zu beachten (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – KZR 66/12, BGHZ 199, 289 Rn. 17 – Stromnetz Berkenthin).
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(1) Daraus folgt das Gebot der organisatorischen und personellen Trennung von Vergabestelle und Bewerber. Dies soll sicherstellen, dass die Gemeinde – insbesondere in den Fällen, in denen durch eine gleichzeitige Stellung als Vergabestelle und Bieter ein Interessenkonflikt besteht – gegenüber allen Bewerbern um das Wegenutzungsrecht die gebotene Neutralität wahrt und zudem die gebotene diskriminierungsfreie Vergabeentscheidung gewährleistet ist (BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – EnZR 99/18, RdE 2020, 358 Rn. 33, 43 – Gasnetz Leipzig; NZKart 2021, 509 Rn. 48 – Gasnetz Berlin).
35
(a) Beteiligt sich die Gemeinde mit einem Eigenbetrieb oder – wie hier – einer Eigengesellschaft am Wettbewerb um das Wegenetz, kann die Trennung erfolgen, indem die Gemeinde die Vergabestelle einer personell und organisatorisch vollständig vom Eigenbetrieb oder der Eigengesellschaft getrennten Einheit der Gemeindeverwaltung zuweist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2016 – KZB 46/15, WuW 2017, 200 Rn. 40 – Landesbetrieb Berlin Energie; BGH, RdE 2020, 358 Rn. 43 – Gasnetz Leipzig). Eine solche vollständige Trennung erfordert eine Organisationsstruktur, die sicherstellt, dass ein Informationsaustausch zwischen den für die Vergabestelle und den für den Eigenbetrieb oder die Eigengesellschaft handelnden Personen nur innerhalb des hierfür vorgesehenen Vergabeverfahrens für das Wegerecht erfolgt, so dass bereits durch strukturelle Maßnahmen – also nach dem äußeren Erscheinungsbild – die Bevorzugung des Eigenbetriebs oder der Eigengesellschaft und der “böse Schein” mangelnder Objektivität (vgl. BVerfGE 148, 69 Rn. 70) der Vergabestelle vermieden wird. Anders als im Fall eines Gemeinderats, der lediglich an einem abschließenden Beschluss des Gemeinderats über die Neuvergabe des Wegerechts mitwirkt (vgl. BGH, RdE 2020, 358 Rn. 45 – Gasnetz Leipzig), besteht bei einer fehlenden formalen Trennung in dem – der abschließenden Beschlussfassung vorgelagerten – Verfahren, insbesondere bei der Bestimmung und Ausgestaltung der Vergabekriterien, die Möglichkeit, dass die Bewerbung des Eigenbetriebs durch die Vergabestelle bevorzugt wird. Bereits dies stellt eine Benachteiligung der übrigen Bewerber dar (vgl. BGH, RdE 2020, 358 Rn. 45 – Gasnetz Leipzig; NZKart 2021, 509 Rn. 51 – Gasnetz Berlin). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es insoweit nicht erforderlich, eine konkrete Doppelbefassung von Mitarbeitern des Eigenbetriebs oder der Vergabestelle nachzuweisen (vgl. BGH, NZKart 2021, 509 Rn. 51 – Gasnetz Berlin). Ein solcher Nachweis ist wegen der fehlenden formalen Trennung und dem dadurch generell eröffneten, intransparenten Informationsaustausch regelmäßig nicht möglich. Für die Annahme eines Verstoßes gegen das Trennungsgebot genügt deshalb die strukturelle Beeinträchtigung des Wettbewerbs um das Wegenetz, die sich daraus ergibt, dass in der personellen Aufgabenverteilung Interessenkonflikte angelegt sind, die die Neutralität der Vergabestelle gefährden können. Es muss schon durch eine geeignete Organisationsstruktur ausgeschlossen werden, dass die Mitarbeiter in Loyalitäts- und Interessenkonflikte geraten und zum “Diener zweier Herren” werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es daher nicht darauf an, dass insbesondere in kleineren Gemeinden – wie hier – niemals auszuschließende vielfältige berufliche und persönliche Beziehungen bestehen können.
36
(b) Der Verstoß gegen das Trennungsgebot führt bereits dann zu einer unbilligen Behinderung von Mitbewerbern, wenn nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass sich dieser auf das Vergabeverfahren und die sich daraus ergebende Rangfolge der Bieter ausgewirkt hat, wenn also nicht feststeht, dass sich auch ohne den Verfahrensfehler dieselbe Rangfolge ergeben hätte (vgl. BGH, RdE 2020, 358 Rn. 33, 43 – Gasnetz Leipzig; BGH, NZKart 2021, 509 Rn. 52 – Gasnetz Berlin).
37
(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat es die beklagte Stadt an der gebotenen vollständigen organisatorischen und personellen Trennung zwischen den Stadtwerken und der Vergabestelle fehlen lassen. In der Aufgabenverteilung waren Interessenkonflikte angelegt, die aus Sicht der Bewerber objektiv die Befürchtung rechtfertigten, dass die gebotene Neutralität der Vergabestelle nicht bestanden hat.
38
(a) Eine vollständige Trennung war bereits auf der Leitungsebene von verfahrensleitender Stelle und Stadtwerken nicht gewährleistet. Die Leitung des Vergabeverfahrens oblag S., dem Büroleiter der Bürgermeisterin der Beklagten zu 1. Ausweislich der Verfahrensbriefe war verfahrensleitende Stelle die Finanz- und Liegenschaftsabteilung. Nach dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Organigramm der Beklagten zu 1 (Anlage K 7), das die Klägerin unter Verweis auf ihren vorinstanzlichen Vortrag zum Gegenstand ihres Revisionsvorbringens gemacht hat, und dessen Richtigkeit die Beklagten nicht bestritten haben, unterstand T., der Kämmerer der Gemeinde und Geschäftsführer der beklagten Stadtwerke, unmittelbar dem S.
39
Regelungen, um einen Wissenstransfer zwischen den Stadtwerken in Person von T. und der Vergabestelle in Person von S. sowie einen Interessenkonflikt zu verhindern, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, entsprechender Vortrag wird von den Beklagten im Revisionsverfahren nicht aufgezeigt.
40
Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, sie hätten ihrer sekundären Darlegungslast genügt, indem sie vorgetragen hätten, T. habe an den Sitzungen der Stadtvertretung oder ihrer Ausschüsse, in denen über das Auswahlverfahren gesprochen worden sei, nicht teilgenommen. Die fehlende Sitzungsteilnahme vermag die gebotene personelle und organisatorische Trennung nicht zu begründen (vgl. BGH, NZKart 2021, 509 Rn. 54 – Gasnetz Berlin).
41
(b) An einer vollständigen Trennung zwischen Eigengesellschaft und Vergabestelle hat es die beklagte Stadt auch deshalb fehlen lassen, weil G. einerseits auf Seiten der Vergabestelle am Verfahren zur Vergabe der Wegerechte mitgewirkt hat, andererseits jedoch jedenfalls ab Januar 2015 der Abteilung Finanzen und Gebäudewirtschaft zugeordnet war, deren Leiter T. gleichzeitig Geschäftsführer der beklagten Stadtwerke war.
42
G. war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sowohl S. als auch – in Bezug auf andere Aufgaben – T. zugeordnet. Die Angebote in den Vergabeverfahren sollten zu Händen von G. übermittelt werden, die in den Verfahrensbriefen als Auskunftsperson mit Durchwahl und E-Mailadresse genannt war. Unerheblich ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, dass G. weder mit Leitungsaufgaben betraut war noch eine Befugnis zu Letztentscheidungen besaß; auch kommt es nicht darauf an, dass sie – wie die Beklagten geltend machen – Vorgänge, die das Verfahren zur Vergabe der Wegerechte betreffen, “von Hand zu Hand” an S. zu übermitteln hatte und ihm weisungsmäßig und disziplinarisch unterstellt war. Maßgeblich ist vielmehr, dass G. einerseits mit Tätigkeiten der Vergabestelle betraut war und nach dem äußeren Erscheinungsbild damit zu rechnen war, dass sie Zugang zu das Vergabeverfahren betreffenden Informationen hatte, andererseits in Bezug auf einen anderen Aufgabenbereich aber T. unterstand, dem Geschäftsführer der sich um die Konzessionen bewerbenden Stadtwerke. Das begründet einen Verstoß gegen das Gebot der vollständigen personellen und organisatorischen Trennung. Mit dieser Zusammenarbeit ist ein Interessenkonflikt bei G. angelegt und besteht nach dem äußeren Erscheinungsbild die Gefahr eines Wissenstransfers zwischen G., S. und T.
43
(3) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es bei Verletzung des Trennungsgebots nicht erforderlich, eine konkrete Doppelbefassung nachzuweisen (vgl. Rn. 35). Der Verstoß gegen das Trennungsgebot führt bereits dann zu einer unbilligen Behinderung von Mitbewerbern, wenn nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass er sich auf das Vergabeverfahren und die sich daraus ergebende Rangfolge der Bieter ausgewirkt haben kann, wenn also nicht feststeht, dass sich auch ohne den Verfahrensfehler dieselbe Rangfolge ergeben hätte (vgl. Rn. 36). So verhält es sich hier.
44
Dass die beiden Bewerber im Einzelnen recht unterschiedliche Angebote abgegeben haben, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Indiz dafür, dass eine wechselseitige Beeinflussung von Vergabestelle und Bieter nicht stattgefunden haben kann. Ebenso wenig kann eine Auswirkung des Verstoßes gegen das Trennungsgebot mit der Begründung zweifelsfrei ausgeschlossen werden, die inhaltliche Bearbeitung – insbesondere in rechtlicher Hinsicht – sei durch die beratende Anwaltskanzlei erfolgt. Denn auch dies vermag einen Informationsaustausch zwischen Vergabestelle und Eigengesellschaft außerhalb des hierfür vorgesehenen Verfahrens über die Vergabe des Wegerechts nicht auszuschließen.
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2. Die Revision der Klägerin rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht über den Antrag 2 sowohl im Hinblick auf das Elektrizitätsversorgungsnetz als auch im Hinblick auf das Gasversorgungsnetz nicht entschieden und die Beklagte zu 1 nicht zur Neudurchführung der Vergabeverfahren verpflichtet hat.
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a) Da dem gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Feststellungsantrag 1 mit der Begründung stattzugeben ist, dass die Beklagte zu 1 das Neutralitätsgebot missachtet hat (vgl. hinsichtlich des Gasversorgungsnetzes Rn. 14), sind die Bedingungen, von denen der Antrag 2 abhängig ist, erfüllt. Dies gilt nicht nur, soweit sich der Antrag auf das Gasversorgungsnetz bezieht, sondern auch im Hinblick auf das Elektrizitätsversorgungsnetz. Wegen des Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der das Elektrizitätsversorgungsnetz betreffende Wegenutzungsvertrag unwirksam ist.
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b) Der Antrag ist zulässig.
48
aa) Die eventuelle Anspruchshäufung ist zulässig. Der Kläger kann die einzelnen denselben Lebenssachverhalt betreffenden Ansprüche (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2017 – II ZR 187/15, juris Rn. 12) in der Weise miteinander verbinden, dass über bestimmte Anträge nur unter einer bestimmten Bedingung entschieden werden soll. Zulässig ist auch ein Antrag unter der Bedingung, dass das Gericht einen vorrangig gestellten Antrag und/oder eine dafür entscheidungserhebliche Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beurteilt (BGH, Urteil vom 10. November 1983 – VII ZR 72/83, NJW 1984, 1240, 1241; BAG, NJW 2016, 2054 Rn. 13, 23; BeckOK ZPO/Bacher, 42. Ed., ZPO § 260 Rn. 6.1).
49
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, weil sie Fehler in dem neu durchzuführenden Verfahren zur Vergabe der Wegerechte einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen könnte. Der Antrag betrifft lediglich die Frage, ob die Beklagte zu 1 zur erneuten Durchführung der Vergabeverfahren verpflichtet ist. Die in den Antrag aufgenommene Verpflichtung zur Einhaltung des Trennungsgebots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts stellt dagegen ein Begründungselement dar, das im Tenor keine eigenen Rechtswirkungen entfalten soll und deshalb nicht Gegenstand der Verurteilung ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – KZR 47/14, WRP 2017, 563 Rn. 46 – VBL-Gegenwert II). Im Falle eines Erfolgs der Klage bedarf es deshalb insoweit keiner Wiedergabe im Tenor.
50
cc) Da die Begründungselemente nicht Gegenstand der Verurteilung sind, führen die von den Beklagten geltend gemachten Bedenken gegen deren Bestimmtheit nicht zur Unbestimmtheit des Antrags.
51
c) Der Antrag ist auch nach § 33 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB begründet. Allerdings folgt aus § 33 Abs. 1 Satz 1 GWB grundsätzlich lediglich ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch und kein Anspruch auf Vornahme bestimmter Handlungen. Jedoch ist eine auf ein positives Tun gerichtete Verurteilung möglich, wenn das kartellrechtswidrige Verhalten nicht auf andere Weise vermieden werden kann (BGH, Urteil vom 8. November 2005 – KZR 21/04, WuW/E DE-R 1724 Rn. 15 – Hinweis auf konkurrierende Schilderpräger). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Bei einem – wie hier – gewichtigen Verstoß gegen das Trennungsgebot ist grundsätzlich die vollständige Aufhebung des Vergabeverfahrens erforderlich, um die Einhaltung der Grundsätze der Diskriminierungsfreiheit und Transparenz so gut wie möglich zu gewährleisten. Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn der Neutralitätsverstoß nachweislich von vornherein keine Auswirkungen gehabt hat oder seine Auswirkungen durch andere Maßnahmen beseitigt wurden oder zu beseitigen sind (BGH, NZKart 2021, 509 Rn. 55 – Gasnetz Berlin). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Der festgestellte Verstoß gegen das Neutralitätsgebot bezog sich auf alle Verfahrensabschnitte, so dass insbesondere eine Teilwiederholung des Verfahrens nicht in Betracht kommt.
52
3. Da der Senat keine Entscheidung über die Rechtsfragen getroffen hat, von denen die Anträge 3 und 4 abhängen, ist über diese Anträge nicht zu entscheiden.
53
4. Die Klägerin beanstandet weiter mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den mit Antrag 5 gegen die Beklagte zu 1 geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der im einstweiligen Verfügungsverfahren entstandenen Kosten nur zugesprochen hat, soweit sie das Elektrizitätsversorgungsnetz betreffen.
54
a) Der Antrag ist zulässig. Ihm steht die Rechtskraft der prozessualen Kostenentscheidung im Verfügungsverfahren nicht entgegen.
55
aa) Es ist anerkannt, dass eine prozessuale Kostenentscheidung nicht erschöpfend ist, sondern Raum lässt für ergänzende sachlich-rechtliche Ansprüche auf Kostenerstattung, etwa aus Vertrag, wegen Verzuges oder aus unerlaubter Handlung (BGH, Urteile vom 18. Mai 1966 – I ZR 73/64, BGHZ 45, 251, 256/257; vom 19. Oktober 1994 – I ZR 187/92, GRUR 1995, 169, 170 – Kosten des Verfügungsverfahrens bei Antragsrücknahme; und vom 18. April 2013 – III ZR 156/12, BGHZ 197, 147, Rn. 16). Je nach Sachlage kann ein ergänzender sachlich-rechtlicher Anspruch neben die prozessuale Kostenregelung treten; er kann der prozessualen Regelung sogar entgegengerichtet sein, sofern zusätzliche Umstände hinzukommen, die bei der prozessualen Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden konnten. Bleibt hingegen der Sachverhalt, der zu einer abschließenden prozessualen Kostenentscheidung geführt hat, unverändert, ist es nicht möglich, nunmehr den gleichen Sachverhalt erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen materiell-rechtlich entgegengesetzt zu beurteilen. Dies dient dazu, Unterschiede zwischen auf gleichem Sachverhalt beruhenden Entscheidungen über den materiell-rechtlichen Anspruch einerseits und den prozessualen Kostenerstattungsanspruch andererseits zu vermeiden (BGH, NJW 2013, 2201 Rn. 16; vgl. BGHZ 45, 251, 257; GRUR 1995, 169, 170). Eine Durchbrechung der Rechtskraft kommt daher nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die spätere Klage auf außerhalb des Streitgegenstands der ersten Klage liegende Umstände gestützt wird, wie zum Beispiel Sittenwidrigkeit im Sinne von § 826 BGB oder Prozessbetrug oder wenn die gesetzliche Regelung ihrerseits Korrekturmöglichkeiten vorsieht (vgl. BGH, GRUR 1995, 169, 170; NJW 2013, 2201 Rn. 16; Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., vor § 91 Rn. 24). So verhält es sich im Streitfall nicht, weil – wie das Berufungsgericht nicht verkennt – der Streitgegenstand dem vorangegangenen Verfügungsverfahren entspricht.
56
bb) Im Bereich der Amtshaftung ist jedoch anerkannt, dass die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels, das der Betroffene ergriffen hat, um einen Schaden aus der Amtspflichtverletzung abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB), grundsätzlich zu dem ihm zu ersetzenden Schaden gehören. Dies beruht auf dem Gedanken, dass es im Hinblick auf § 839 Abs. 3 BGB dem Geschädigten auch bei einer nicht eindeutigen Rechtslage zugemutet wird, einer Belastung im Wege des Primärrechtsschutzes entgegenzuwirken, will er nicht mögliche Schadensersatzansprüche verlieren (BGH, Urteil vom 11. September 2008 – III ZR 212/07, BGHZ 178, 51 Rn. 8). Diese Erwägungen gelten gleichermaßen, wenn der Kläger wegen einer drohenden Rügepräklusion um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen muss. So verhält es sich hier. Wegen der ihr sonst drohenden Rügeprä-klusion (vgl. BGHZ 199, 289 Rn. 108 – Stromnetz Berkenthin, WuW 2020, 331 Rn. 29 – Stromnetz Steinbach, näher Rn. 29) musste die Klägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen, um den Abschluss der Wegenutzungsverträge zu verhindern.
57
b) Der Antrag ist nach § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB in der zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung (vgl. BGHZ 199, 289 Rn. 69 – Stromnetz Berkenthin) und noch bis zum 18. Juni 2017 geltenden Fassung i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB auch begründet. Die Beklagte zu 1 hat zumindest fahrlässig gehandelt. Dies ergibt sich aus dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt. Da keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, kann der Senat die Frage des Verschuldens selbst beurteilen. Dass Gemeinden, auch wenn sie die Nutzung ihrer öffentlichen Verkehrswege zum Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen wollen, das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG zu beachten haben, musste den Beklagten aufgrund spätestens im Jahr 2014 veröffentlichter Rechtsprechung des Senats (BGH, WuW 2014, 401, 405 [juris Rn. 16, 31] – Stromnetz Heiligenhafen) bekannt sein. Insbesondere ergibt sich aus der zitierten Entscheidung, dass aus dem Diskriminierungsverbot die Verpflichtung zur Transparenz folgt und dass durch diese sichergestellt werden soll, dass ein fairer, unverfälschter Wettbewerb eröffnet wird und überprüft werden kann, ob das Verbot eingehalten worden ist (BGH, WuW 2014, 401, 405 [juris Rn. 45] – Stromnetz Heiligenhafen). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum kommt nicht in Betracht. Ein Rechtsirrtum ist nur dann entschuldigt, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1986 – KZR 36/85, WuW/E BGH 2341, 2345 f. – Taxizentrale Essen). Solche Umstände sind nicht ersichtlich. Entsprechender Vortrag wird von den Beklagten im Revisionsverfahren nicht aufgezeigt.
58
5. Die Revision der Klägerin hat auch Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht den gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Antrag auf Feststellung abgewiesen hat, dass kein Anspruch auf Übertragung der für den Betrieb des Gasnetzes erforderlichen Versorgungsanlagen besteht (Antrag 6b). Wegen der festgestellten Nichtigkeit des Wegenutzungsvertrags besteht kein Anspruch der Beklagten zu 2 auf Überlassung der Versorgungsanlagen. Voraussetzung des Überlassungsanspruchs aus § 46 Absatz 2 Satz 2 EnWG ist, dass die Übertragung des Netzbetriebs auf den neuen Konzessionär rechtswirksam ist (BGHZ 199, 289 Rn. 62 – Stromnetz Berkenthin).
59
Die im ersten Halbsatz des Antrags enthaltene Feststellung der Unwirksamkeit des Wegenutzungsvertrages stellt lediglich ein Begründungselement dar, das im Tenor keine eigenen Rechtswirkungen entfalten soll und deshalb nicht Gegenstand der Verurteilung ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – KZR 47/14, WRP 2017, 563 Rn. 46 – VBL-Gegenwert II und Rn. 49).
60
III. Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
61
1. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht auf den gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Antrag 1 a) festgestellt, dass der Wegenutzungsvertrag hinsichtlich des Elektrizitätsversorgungsnetzes unwirksam ist. Aus den unter II. 1. a) (Rn. 15 bis Rn. 30) genannten Gründen ist dieser Antrag zulässig. Der Antrag ist auch begründet. Dies folgt bereits aus dem Verstoß gegen das Neutralitätsgebot (vgl. II. 1. b) Rn. 32 bis Rn. 44). Auf die vom Berufungsgericht beanstandeten weiteren Mängel des Verfahrens kommt es danach nicht mehr an.
62
2. Wegen der Nichtigkeit des Wegenutzungsvertrags hat das Berufungsgericht zu Recht festgestellt, dass der Beklagten zu 2 kein Übereignungsanspruch für das Stromnetz zusteht.
63
3. Die Beklagten rügen ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht dem gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Antrag auf Erstattung der im einstweiligen Verfügungsverfahren entstandenen Kosten hinsichtlich der auf das Elektrizitätsversorgungsnetz entfallenden Kosten stattgegeben hat. Insoweit gelten die Ausführungen hinsichtlich der auf das Gasversorgungsnetz entfallenden Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens entsprechend (Rn. 54 ff.).
64
IV. Das Urteil des Berufungsgerichts ist mithin, soweit es zu Lasten der Klägerin entschieden hat, aufzuheben (§ 562 ZPO). Da weitere Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.
65
V. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 100, 91, 92 Abs. 2 ZPO.
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