IT- und Medienrecht

Disziplinarrecht, Polizeibeamter (BesGr. A 13), Dozent am Fortbildungsinstitut der Bayerischen, Polizei, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Verpflichtung zur Verfassungstreue, Vertreten reichsbürgertypischer Ansichten, Meinungsfreiheit

Aktenzeichen  16a D 19.1155

Datum:
10.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41421
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 11
BayDG Art. 14 Abs. 2 S. 1
GG Art. 33 Abs. 5
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 19L DK 18.1180 2019-04-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.      
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) erkannt. Da der Beklagte in den Ruhestand getreten ist, bevor die Entscheidung über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unanfechtbar geworden ist, gilt die Entscheidung als Aberkennung des Ruhegehalts (Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BayDG).
Die Verpflichtung auf die Verfassung und ihre fundamentalen Prinzipien gehört zu den tragenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums (1.). Der Beklage hat diese Verfassungstreuepflicht verletzt und damit ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen begangen (2.). Er ist daher aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (3.).
1. Beamte sind zur Verfassungstreue verpflichtet.
1.1 Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse und die damit verbundenen Eingriffsrechte des Staates sind durch Art. 33 Abs. 4 GG einem Personenkreis vorbehalten, dessen Rechtsstellung in besonderer Weise Gewähr für Verlässlichkeit und Rechtsstaatlichkeit bietet. Beamte realisieren die Machtstellung des Staates, sie haben als „Repräsentanten der Rechtsstaatsidee“ dem ganzen Volk zu dienen und ihre Aufgaben im Interesse des Wohls der Allgemeinheit unparteiisch und gerecht zu erfüllen. Beamte stehen daher in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Aufgrund dieser Treuepflicht gehört es jedenfalls zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG, dass sich der Beamte zu der Verfassungsordnung, auf die er vereidigt ist, bekennt und für sie eintritt (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 15 m.w.N.). Diese Verpflichtung betrifft das gesamte Verhalten des Beamten, § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG.
Der Beamte, der „sozusagen als Staat Befehle geben kann“, muss sich mit den Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung ohne innere Distanz identifizieren. Damit ist nicht eine Verpflichtung gemeint, sich die Ziele oder eine bestimmte Politik der jeweiligen Regierung zu eigen zu machen. Gefordert ist aber die Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dem der Beamte dienen soll, mit der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates zu identifizieren und für sie einzutreten. Dies schließt nicht aus, an Erscheinungen dieses Staates Kritik zu üben und für Änderungen der bestehenden Verhältnisse mit den verfassungsrechtlich vorgesehenen Mitteln einzutreten, solange in diesem Gewand nicht eben dieser Staat und seine verfassungsmäßige Grundlage in Frage gestellt werden. An einer „unkritischen“ Beamtenschaft können Staat und Gesellschaft kein Interesse haben. Unverzichtbar ist aber, dass der Beamte den Staat und die geltende verfassungsrechtliche Ordnung bejaht, sie als schützenswert anerkennt und aktiv für die eintritt. Der Staat ist darauf angewiesen, dass seine Beamten für ihn einstehen und Partei für ihn ergreifen. Die Grundentscheidung des Grundgesetzes zur Konstituierung einer wehrhaften Demokratie lässt es nicht zu, dass Beamte im Staatsdienst tätig werden, die die freiheitliche demokratische Grundordnung, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen und bekämpfen. Diesen Personen fehlt die Eignung für die Ausübung eines öffentlichen Amtes. Ihnen kann von den Bürgern nicht das zur Wahrnehmung des öffentlichen Amtes berufserforderliche Vertrauen entgegengebracht werden.
1.2 Sind solche Personen bereits zu Beamten ernannt, können sie im Wege des Disziplinarverfahrens aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden.
Disziplinarmaßnahmen setzen allerdings ein konkretes Dienstvergehen voraus. Dieses besteht nicht bereits in der „mangelnden Gewähr“ dafür, dass der Beamte jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten werde, sondern erst in der nachgewiesenen Verletzung jener Amtspflicht. Das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, reichen für die Annahme einer Verletzung der dem Beamten auferlegten Treuepflicht grundsätzlich nicht aus. Ein Dienstvergehen besteht erst, wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 17.11.2017 a.a.O. Rn. 16 – 21 m.w.N.).
Eine derartige Verletzung der Verfassungstreuepflicht liegt aber nicht erst dann vor, wenn der Beamte ein Verhalten zeigt, das auf die wirksame Verbreitung eines verfassungsfeindlichen Standpunktes oder auf die Teilnahme am politischen Meinungskampf gerichtet ist. Das in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (BVerfG, B.v. 6.5.2008 – 2 BvR 337/08 – juris Rn. 31) geforderte „mehr“ als das „bloße“ Haben und Mitteilen ist nicht erst bei einem offensiven Werben erreicht. Zwischen dem „bloßen“ Haben und der Mitteilung einer Überzeugung und dem planmäßigen werbenden Agieren oder Agitieren liegen differenzierungsfähige und erhebliche Abstufungen. Sanktioniert wird nicht die innere Haltung und Gesinnung des Beamten, sondern sein Handeln nach außen, wofür ein Auftreten im Kreise Gleichgesinnter ausreicht (BayVGH, U.v. 16.1.2019 – 16a D 15.2672 – juris Rn. 26).
2. Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte in schwerwiegender Weise seine Verfassungstreuepflicht verletzt.
Der Beklagte vertritt und teilt jedenfalls in wesentlichen Aspekten das Gedankengut der Reichsbürger-Ideologie; seine Ansichten sind kongruent mit sogenannten reichsbürgertypischen Denkansätzen, auch wenn er selbst bestreitet, Mitglied der sog. Reichsbürger zu sein (zur fehlenden Verfassungstreue bei sog. Reichsbürgern, vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2021 – 16a D 19.989 – juris Rn. 60 m.w.N.). Er legt typische Verhaltensweisen der Reichsbürgerszene an den Tag, die aus unterschiedlichen Motiven und mit differierenden Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ – Staatsfeinde, Geschäftemacher, Verschwörungstheoretiker, Stand: Dezember 2018, S. 6; dies aufgreifend: BVerwG, B.v. 20.12.2019 – 2 WDB 5.19 – juris Rn. 11).
Der Umstand, dass der Beklagte aus seiner Nähe zur Reichsbürger-Ideologie Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gezogen hat, wird durch die nachfolgenden Sachverhalte der Disziplinarklage, die (noch) Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, deutlich:
2.1 Er adressierte mit Schreiben vom 29. Juli 2014 das Amtsgericht Traunstein in einem familiengerichtlichen Verfahren mit „Firma: Amtsgericht Traunstein“ und fügte als Anlage einen Auszug aus einem Unternehmensverzeichnis (UPIK-Datensatz) bei, mit dem diese Behauptung belegt werden sollte. Er wies „das Angebot“ zurück, ohne dass ihm ein solches unterbreitet worden war, und legte das Originalschreiben des Amtsgerichts vom 24. Juli 2014 bei, in dem es um eine familiengerichtliche Genehmigung und die mündelsichere Anlage des Erbteils seines minderjährigen Sohnes ging. Dieser Sachverhalt ist durch das dem Senat vorliegende Schreiben des Beklagten erwiesen.
In einem Telefonat mit der Rechtspflegerin H… am 4. August 2014 äußerte sich der Beklagte in der angesprochenen familiengerichtlichen Angelegenheit sinngemäß dahingehend, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Aktiengesellschaft und § 15 GVG wohl aufgehoben sei. Die Konsequenzen daraus könne sich jeder vorstellen. Auch dieser Sachverhalt ist zur Überzeugung des Senats erwiesen. Die Äußerungen des Beklagten gegenüber der Rechtspflegerin sind durch deren unmittelbar nach dem Telefonat verfasste Telefonnotiz belegt. Auch wenn die Zeugin die Aussagen des Beklagten vor der Disziplinarbehörde nicht wörtlich wiedergeben konnte, waren ihr die inhaltliche Tendenz und seine Berufung auf seine Tätigkeit bei der Polizei in Erinnerung geblieben. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Angaben der Zeugin glaubwürdig sind (vgl. zu Zeugenaussagen im behördlichen Verfahren und deren Verwertung im gerichtlichen Verfahren: BVerwG, B.v. 17.6.2021 – 2 B 56.20 – juris Rn. 25). Die von der Zeugin beschriebenen Aussagen korrespondieren im Übrigen mit dem vom Beklagten verfassten Schreiben vom 29. Juli 2014 und werden durch seine Einlassungen in der Gesprächsrunde „Fragen bei Zoll & Polizei“ bestätigt, wo er noch deutlich erbost über diese Angelegenheit berichtet. Neben der Infragestellung der Bundesrepublik Deutschland greift der Beklagte hier ein weiteres Versatzstück der Reichsbürger-Ideologie auf, nämlich, dass es wegen der Aufhebung des § 15 Abs. 1 GVG („Die Gerichte sind Staatsgerichte“) durch Art. 1 Nr. I. 13. des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 keine staatlichen Gerichte mehr geben soll. Diese Ansicht ist indes unzutreffend (BT-Drs. 1/530 S. 6; vgl. Meyer in von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Aufl. 2021, Art. 92 Rn. 46).
2.2 Am 11. August 2015 nahm der Beklagte an einer Gesprächsrunde mit dem Thema „Fragen bei Zoll & Polizei“ teil, die moderiert von … C…, auf bewusst.tv veröffentlicht wurde und inzwischen mehr als 60.000mal bei YouTube abgerufen worden ist. Der Sachverhalt ist durch die Videoaufnahme erwiesen.
Insgesamt bedient sich der Beklagte bei dieser Gesprächsrunde aus dem Baukasten der zahlreichen im Umlauf befindlichen (Falsch-)Behauptungen und Verschwörungstheorien der Reichsbürger. Wortgleiche Formulierungen und die vom Beklagten verwendeten Schlagwörter finden sich auf verschiedenen reichsideologischen Internetpräsenzen. Er lässt Zweifel an der Handlungsbefugnis der deutschen Staatsorgane aufkommen und delegitimiert die Bundesrepublik Deutschland und ihre freiheitliche demokratische Grundordnung. Er bestreitet die Existenz, Souveränität und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland. Mit Geschichts- und Gebietsrevisionismus greift er einschlägige Argumentationsmuster der Reichsbürger-Ideologie auf:
– Der Geltungsbereich des Ordnungswidrigkeitengesetzes, der Straf- und der Zivilprozessordnung sei mit dem Zweiten Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2614) aufgehoben worden sei. Damit seien diese Gesetze nicht mehr gültig bzw. das Ordnungswidrigkeitengesetz gelte allenfalls noch in Luftfahrzeugen und Schiffen.
– Ein nur ausgefertigter Haftbefehl sei nicht rechtens.
– Das Bundesverfassungsgericht (U.v. 25.7.2012 – 2 BvE 9/11 u.a. – juris) habe das Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt und zwar rückwirkend ab 1956, weshalb seitdem Gesetze nicht mehr wirksam erlassen hätten werden können. Tatsächlich ging es in dem Urteil nur um die jüngste und noch nicht angewandte Fassung des Bundeswahlgesetzes. Die Entscheidung hat weder Einfluss auf vorgegangene noch folgende Wahlen.
– Nennung der Stichwörter „Admirality law“ und „Haager Landkriegsordnung“ und der damit – unausgesprochen gebliebenen – Behauptung, Deutschland sei immer noch von den Alliierten besetzt und befinde sich weiterhin im Kriegszustand.
– Ein nicht näher reflektiertes Fortbestehen des „Deutschen Reichs“.
– Der 4+2-Vertrag könne wegen (nicht näher genannter) geheimer „bilateraler Abkommen“ nicht zur Begründung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland herangezogen werden.
– Die SHAEF-Gesetze seien nach wie vor gültig. Richter seien nicht wirksam bestellt, sofern sie darauf nicht vereidigt seien.
– Infragestellung der Gültigkeit des Grundgesetzes.
Daneben gibt auch das perfide Verständnis des § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen) einen deutlichen Hinweis auf die Geisteshaltung des Beklagten. Dem Absatz 3 Nr. 1 (Ausnahme der Strafbarkeit, sofern es sich um eine politische Partei handelt, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat) liegt das sog. Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 2 GG) zugrunde und nicht – wie der Beklagte in der Gesprächsrunde zu suggeriert versucht – die Absicht der Parteien, sich einer Strafbarkeit zu entziehen. Daneben erwähnt der Beklagte einen Ausweis des „Deutschen Reichs“, fragt sich, was dazu im Personalausweis steht und spricht von einem Zusammenbruch des Kartenhauses, wenn die Leute über die wahre Rechtslage aufgeklärt würden. Ein Tag „X“ wird verschwörerisch angedeutet.
Auch wenn der Beklagte einen Großteil seiner haltlosen Aussagen als Frage oder „Ich habe da was gehört“ formuliert, wird allein aufgrund des Tonfalls und der Mimik des Beklagten deutlich, dass er keine (kritischen) Fragen stellen, sondern sich eindeutig – und zwar mit dem notwendigen Sendungsbewusstsein – positionieren will und sich das „Geschwurbel“ der Reichsbürger-Szene zu Eigen gemacht hat. Dieser persönliche Eindruck, den sich der Senat beim Ansehen des Videos machen konnte, wird durch das Persönlichkeitsbild vom 26. Januar 2017, das für den Beklagten im behördlichen Disziplinarverfahren erstellt worden ist, bestätigt. Dort wird die hohe Diskussionsfreude des Beklagten hervorgehoben und der Umstand betont, dass er zumeist keine Behauptungen aufstellt, sondern eine These als Frage formuliert in den Raum stellt. Es entspricht also offensichtlich der Persönlichkeitsstruktur des Beklagte sich nicht unmittelbar zu positionieren. Er agiert und agitiert bewusst, ohne sich an einer einzigen Stelle während der mehr als einstündigen Gesprächsrunde von der Reichsbürger-Ideologie abzugrenzen. Der Beklagte hat in der Sendung große Gesprächsanteile, beteiligt sich an Verschwörungstheorien, bezieht meist nicht persönlich Stellung, sondern versteckt sich hinter sog. „Expertenmeinungen“ und fordert die Zuschauer auf, sich eine eigene Meinung zu bilden. Im Hinblick auf die Berufungsbegründung ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte auch nicht deutlich gemacht hat, dass man sich rechtskonform verhalten müsse, sondern lediglich geäußert hatte, seine Ausbildung sei an Recht und Gesetz orientiert gewesen. Mit Recht und Gesetz sind seine Äußerungen während der Gesprächsrunde jedoch nicht ansatzweise zu vereinbaren. Bedenklich ist seine Aussage, es sei seine Pflicht nachzufragen, wenn „durch gewisse Strukturen genau diese freiheitliche demokratische Grundordnung irgendwo in Gefahr gerät“. Auch in der Berufungsbegründung ist davon die Rede, der Beklagte sehe „im bestehenden System“ eine Gefahr für die Verfassung und freiheitliche demokratische Grundordnung. Dies kann nur in dem Sinne verstanden werden, dass das bestehende Staats- und Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland vom Beklagten abgelehnt und als nicht verfassungsgemäß angesehen wird. Eine derartige Aussage kann bei Beamten jedweder Qualifikationsebene nicht toleriert werden.
2.3 Der Beklagte hat sich weiter in einem vom 1. bis 5. Februar 2016 am BPFI Ainring stattfindenden Seminar während seines Parts zum Konfliktmanagement dahin geäußert, die Staatsform der Bundesrepublik Deutschland sei nichtig, Frau M. sei keine Bundeskanzlerin, Polizeikontrollen würden willkürlich durchgeführt und die Bundesrepublik Deutschland existiere nicht. Auch dieser Sachverhalt ist zur Überzeugung des Senats erwiesen.
Die Aussagen des Beklagten beim Seminar Konfliktmanagement sind mit der schriftlichen Stellungnahme des Zeugen L… im Disziplinarverfahren (5.12.2016) zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Der Zeuge hat die Äußerungen des Beklagten zweifelsfrei als Versatzstücke der Reichsbürger-Ideologie verstanden. Dass der genaue Wortlaut bzw. die genaue Formulierung der Äußerungen des Beklagten durch die Zeugen nicht mehr erinnert wird, sondern nur noch der wesentliche Aussagegehalt, ist schon angesichts des zeitlichen Abstands von mehr drei Jahren zwischen dem Geschehen und dem Zeitpunkt der Zeugenvernehmung vor dem Verwaltungsgericht nachvollziehbar, stellt aber die Überzeugungskraft der Zeugenaussage, die sich auf einer Linie mit den schriftlichen Zeugenangaben im behördlichen Disziplinarverfahren befindet, nicht in Frage. Der Beklagte hat die Glaubwürdigkeit des Zeugen im Berufungsverfahren nicht substantiiert in Zweifel ziehen können. Der Einwand, das Seminar sei von den anderen Teilnehmern durchaus positiv evaluiert worden und kein anderer habe sich über Äußerungen des Beklagten beschwert, hat keinen Bezug zur Zeugenaussage und versucht lediglich den Zeugen zu diskreditieren bzw. in die Ecke eines nicht ernst zu nehmenden „Nörglers“ zu stellen. Die vom Beklagten vermisste „wortwörtliche“ Wiedergabe seiner Äußerungen ist für die Überzeugungsbildung des Gerichts ohne Belang. Die die angeschuldigten Äußerungen sind in hinreichender Weise sinngemäß und zeitnah protokolliert bzw. aufgezeichnet worden.
2.4 Nur wenige Tage später (11.2.2016) unterschied der Beklagte bei einer Veranstaltung der „Heimatgemeinde Chiemgau“ – einer Gruppierung der Reichsbürgerszene in Bayern (siehe Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz, „Reichsbürger“ „Selbstverwalter“ – Harmlose Spinner oder gefährliche Extremisten? Informationen zur „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“) – zwischen Menschen und Personen und bediente sich mit den Fragen „Gilt das Grundgesetz überhaupt?“ und „Sind die Richter am ‚Bundesverfassungsgerichtshof‘ wirklich frei und unabhängig?“ ein weiteres Mal der Reichsbürger-Ideologie.
Seine Äußerungen beim Treffen der „Heimatgemeinde Chiemgau“ sind durch die Aussage des damals anwesenden Journalisten E… belegt. Der Zeuge hat die Aussagen des Beklagten während des Treffens der „Heimatgemeinde Chiemgau“ mitgeschrieben und damit unmittelbar dokumentiert (Bl. 192 f. der DA). Diese Mitschrift stimmt mit den Aussagen des Zeugen in der Niederschrift vom 15. Dezember 2016 (Bl. 185 ff. der DA) im Wesentlichen überein. Einer wörtlichen Wiedergabe der Aussagen des Beklagten bedarf es nicht (s.o.).
2.5 Als Reaktion auf die Berichterstattung ließ der Beklagte am 22. Oktober 2016 einen „Letter of Confirmation and Acceptance“ an den Journalisten E… durch einen Gerichtsvollzieher zustellen. Er sei durch ihn wiederholt entehrt worden und akzeptiere die Entehrungen für einen bestimmten Betrag, der für den Einzelfall festgelegt werden müsse. Die „Vertragsbedingungen“ seien dabei „privat und vertraulich“ und würden durch die Einbeziehung Dritter verletzt. Für diesen Fall würde eine Zahlung von 125.000 USD anfallen. Dem bei Reichsbürgern typischen Verhalten entsprechen dabei die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch eine Privatperson und das Verlangen einer hohen Vertragsstrafe. Dieses Verhalten steht fest aufgrund der in der Disziplinarakte befindlichen Kopie des Briefes. Dessen Entwurf wurde überdies bei … … K…, einer ebenfalls der Reichsbürgerszene zuzuordnenden Person, aufgefunden und polizeilich beschlagnahmt.
2.6 Die anlässlich der Hausdurchsuchung bei … … K… aufgefundenen Urkunden sind der Reichsbürger-Szene zuzuordnen. Es handelt sich u.a. um eine sog. Lebenderklärung vom 29. Juli 2016, ein selbstentworfenes Fantasiedokument, mit dem der Verfasser „unter Eid“ bekundet, immer noch am Leben zu sein, „dass er körperlich, geistig, sowie seelisch auf diesem Planeten, genannt Erde, anwesend ist, dass er körperlich, geistig und seelisch gesund ist und dass er bis zu diesem Tag weder auf hoher See, noch sonst irgendwo im Universum verschollen ist“. Weiter findet sich dort ein „Security-Agreement“ vom 20. Juli 2016: Der Beklagte überträgt sich selbst im Rahmen eines Insichgeschäfts das gesamte Eigentum und sämtliche Rechte. Der „Geber“ wird als „juristische Person, dem Strohmann, der Rechtsperson“ bezeichnet, der „Nehmer“ ist der aus Fleisch und Blut lebendige Mensch, der Nachname ist hierbei in eckige Klammer gesetzt und mit dem Warenzeichen TM®© versehen.
2.7 Sämtliche Sachverhalte belegen die Verfassungsuntreue des Beklagten. Die Gesamtschau der vorgeworfenen Handlungen und des sich hieraus ergebenden Persönlichkeitsbilds des Beklagten lassen eindeutig erkennen, dass er die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und staatliche Organisationen nicht anerkennt.
Dieser Pflichtenverstoß ist innerdienstlicher Art. Ein Verstoß gegen die politische Treuepflicht, die als beamtenrechtliche Kernpflicht schon wegen ihrer Unteilbarkeit nicht auf den dienstlichen Raum beschränkt ist, sondern auch das außerdienstliche Verhalten des Beamten betrifft, ist also wegen ihrer Dienstbezogenheit stets als Vergehen innerhalb des Dienstes zu werten (BayVGH, U.v. 28.7.2021 – 16a D 19.989 – juris Rn. 78). Demnach spielt es keine Rolle, ob die pflichtwidrige Handlung am Dienstort und während der Dienstzeit oder – wie im vorliegenden Fall – außerhalb geschehen ist. Die besonderen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG für die Qualifizierung eines außerhalb des Dienstes gezeigten Verhaltens als Dienstvergehen müssen nicht vorliegen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 29.10.1981 – 1 D 50.80 – juris Rn. 56).
Dieses Verhalten ist entgegen der Rechtsauffassung in der Berufungsbegründung nicht durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG bzw. Art. 10 EMRK gedeckt. Das Dienstvergehen des Beklagten ist so erheblich und auch in Anbetracht der Meinungsäußerungsfreiheit so schwerwiegend, dass die Dienstentfernung in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich ist (Hermann/Sandkuhl, Bundesdisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 2. Aufl. 2021, § 10 Rn. 926). Die in der Bejahung der Pflichtverletzung liegende Einschränkung der Meinungsfreiheit steht in einem angemessenen Verhältnis zur bezweckten Gewährleistung der Verfassungstreue des Beamten (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2017 a.a.O. Rn. 31).
3. Der Beklagte ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
Nach der Schwere des von ihm begangenen Dienstvergehens und dem Persönlichkeitsbild des Beklagten sowie im Hinblick auf den durch die Verletzung der Verfassungstreuepflicht eingetretenen Vertrauensverlust kann als angemessene Disziplinarmaßnahme nur auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses lassen es nicht zu, Personen mit der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt zu betrauen, die nicht verfassungstreu sind (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 91).
Wegen der Schwere des in der Verletzung der Verfassungstreuepflicht liegenden Dienstvergehens können auch die für den Beklagten sprechenden Umstände nicht im Rahmen der im Disziplinarrecht im jeweiligen Einzelfall anzustellenden Gesamtabwägung durchschlagen und ihn vor der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bewahren.
3.1 Anerkannte oder in ihrem Gewicht vergleichbare Milderungsgründe, die im Ergebnis zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme führen könnten, vermag der Senat vorliegend nicht ansatzweise zu erkennen. Der Umstand, dass der Beklagte disziplinarisch nicht vorbelastet ist und ihm jedenfalls bis Mitte 2015 ein hervorragendes Persönlichkeitsbild bescheinigt wird (vgl. Persönlichkeitsbild vom 26.1.2017), stellt normale Dienstpflichterfüllung dar und ist für sich nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens bei einem Beamten, der das in ihn gesetzte Vertrauen von Grund auf erschüttert hat, derart abzumildern, dass von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte (BayVGH, U.v. 28.7.2021 – 16a D 19.989 – juris Rn. 92 m.w.N.). Der Beklagte unterließ seine Aktivitäten auch nach Belehrungen durch seinen Vorgesetzten nicht. Er hielt vielmehr seinen Vortrag bei der sog. „Heimatgemeinde Chiemgau“. Im Persönlichkeitsbild vom 26. Januar 2017 ist davon die Rede, dass der Beklagte im persönlichen Gespräch zu seinen eigenständigen Aktivitäten unbelehrbar sei, von sich überzeugt sei und sich als „Opfer“ sehe. Er habe ein eingefahrenes Verhalten gezeigt, verbreite Verschwörungstheorien und habe kein Empfinden, dass er mit seinem Verhalten dem Dienstherrn, dem Ansehen der Polizei und dem Vertrauen der Bürger in ihre Polizei in hohem Maße geschadet habe. Der Beklagte handele ohne Rücksicht auf die Wirkungen seines Tuns, sei verantwortungslos und von Sendungsbewusstsein getrieben. Von einer Abkehr von der Reichsbürger-Ideologie, wie in der Berufungsbegründung ohne weiteren Nachweis behauptet wird, kann nicht die Rede sein. Hat der Beklagte doch selbst nach Einleitung des Disziplinarverfahrens am 19. Februar 2016 den „Letter of Confirmation and Acceptance“ an den Journalisten E… verfasst und damit den Straftatbestand der versuchten Nötigung erfüllt, sowie die unter 2.5 genannten „Urkunden“ erstellen lassen.
3.2 Dass der Beklage zwischenzeitlich (mit Ablauf des Monats Oktober 2019) in den Ruhestand versetzt wurde und nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit steht, führt ebenfalls nicht zu einem mildernden Umstand (BayVGH, U.v. 28.7.2021 a.a.O. juris Rn. 94). Da sich der Zweck einer Disziplinarmaßnahme nicht darin erschöpft, den Beamten zu mahnen, sich künftig pflichtgemäß zu verhalten, sondern auch der Integrität des Berufsbeamtentums dient, rechtfertigt die Pensionierung des Beamten es nicht, allein wegen der möglicherweise fehlenden Wiederholungsgefahr von einer Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen. Vielmehr ist die Aufrechterhaltung der Integrität des Berufsbeamtentums als Zweck der Disziplinarmaßnahmen auch dort legitim, wo es sich um Maßnahmen gegen Ruhestandsbeamte handelt. Dabei sind neben der Pflichtenmahnung auch die Gesichtspunkte der Generalprävention und der Gleichbehandlung der Ruhestandsbeamten mit den aktiven Beamten von Bedeutung. In Anbetracht dessen, dass das Beamtenverhältnis in der Regel auf Lebenszeit begründet ist, wird ein Beamter durch seinen Eintritt in den Ruhestand nicht zu einer außerhalb der Beamtenschaft stehenden Person und muss auch als Ruhestandsbeamter für Dienstvergehen einstehen, die er während des aktiven Beamtenverhältnisses begangen hat.
3.3 Die Disziplinarmaßnahme entspricht schließlich auch dem aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) folgenden Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Beklagte hat ein besonders schweres Fehlverhalten gezeigt. Er hat die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstört. Seine Entfernung aus dem Dienst ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Der Senat verkennt nicht, dass der Beklagte durch die Aberkennung des Ruhegehalts existentiell betroffen sein kann. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht jedoch auf den schuldhaften Pflichtverletzungen durch den Beklagten und ist ihm als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Folge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen (BayVGH, U.v. 28.7.2021 – 16a D 19.989 – juris Rn. 96). Der Beklagte ist in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI).
Nach Abwägung aller Umstände ist deshalb nach Überzeugung des Senats die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. Aberkennung des Ruhegehalts angemessen und geboten. Die Berufung des Beklagten war daher zurückzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG, Art. 3 BayDG i.V.m. § 116 Abs. 1 VwGO).


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