IT- und Medienrecht

Einstellung der Zwangsvollstreckung

Aktenzeichen  M 10 E 20.1589

Datum:
26.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14416
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
VwZVG Art. 19, Art. 22, Art. 23

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.992,52 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Vollstreckung von Wasser- und Abwassergebühren durch die Antragsgegnerin.
Die Antragsteller sind ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts Altötting vom … Februar 2020 Miterben nach Herrn …, der am … September 2019 verstorben ist. Der Erblasser war Eigentümer des Anwesens …gasse 21 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Für dieses Anwesen setzte die Antragsgegnerin gegenüber dem Verstorbenen bereits mit Bescheid vom 18. Juli 2019, zugestellt an dessen rechtliche Betreuerin, für den Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 Wasser- und Abwassergebühren in Höhe von insgesamt 67.319,81 EUR fest. Abzüglich bereits geleisteter Vorauszahlungen waren 67.178,81 EUR zu begleichen. Die Festsetzung beruhte auf einem Wasserverbrauch und Abwasseraufkommen von jeweils 24.859 m³, welche beim Ausbau des Wasserzählers am 1. Juli 2019 festgestellt worden waren.
Mit Schreiben vom 11. September 2019 mahnte die Antragsgegnerin die Zahlung der ausstehenden Forderung zuzüglich Säumniszuschlägen und Mahngebühren über insgesamt 67.880,31 EUR gegenüber der Betreuerin des Verstorbenen an. Am 12. September 2019 wurde seitens des Verstorbenen auf das Konto der Antragsgegnerin ein Teilbetrag von 20.000 EUR geleistet. Mit Schreiben vom 16. September 2019 bestätigte die Betreuerin des Verstorbenen gegenüber der Antragsgegnerin, den Bescheid vom 18. Juli 2019 sowie die Mahnung vom 11. September 2019 erhalten zu haben. Im Hinblick auf die noch ausstehende Forderung beantragte sie eine Stundung. Daraufhin wurde mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. Oktober 2019 der noch offene Betrag von 47.880,31 EUR bis zum 16. Dezember 2019 gestundet. Mit Bescheid vom 25. Februar 2020 nahm die Antragsgegnerin die Stundung jedoch mit Wirkung ab dem gleichen Tag wieder zurück.
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 3. März 2020 wurde die Antragstellerin zu 1 als Vertretungs- und Empfangsbevollmächtigte der Erbengemeinschaft aufgefordert, den noch offenen Betrag bis spätestens 13. März 2020 zu überweisen.
Hiergegen legte der zwischenzeitlich bestellte Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller mit Schreiben vom 18. März 2020 – ebenso wie gegen die Rücknahme der Stundung – „Einspruch“ ein. Ferner stellte er den Antrag, den Ausgangbescheid vom 18. Juli 2019 wegen Rechtswidrigkeit zurückzunehmen. Es handle sich um einen völlig atypisch hohen Verbrauch für einen Einpersonenhaushalt. Zudem wurde nochmals Stundung beantragt. Mit Schreiben vom 27. März 2020 teilte die Antragsgegnerin dem Bevollmächtigten mit, dass ein atypisch hoher Verbrauch nicht erkennbar sei, da der Verstorbene seit 1. Juli 2010 keine Ablesekarten zur Feststellung des konkreten Verbrauchs mehr zurückgesandt habe. Ein „Widerruf nach Art. 49 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz“ werde abgelehnt.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller führte hierzu mit Schreiben von 1. April 2020 ergänzend zur Atypik des Verbrauchs aus und stellte nochmals einen Antrag auf Aufhebung des bestandskräftigen, aber rechtswidrigen Gebührenbescheids.
Mit weiterer Mahnung vom 2. April 2020 wurde der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller aufgefordert, die rückständige Forderung in Höhe von insgesamt 47.880,31 EUR innerhalb von 7 Tagen nach Zugang der Mahnung zu bezahlen, um Vollstreckungsmaßnahmen zu vermeiden.
Mit Schreiben vom 7. April 2020 bat die Antragsgegnerin den Bevollmächtigten der Antragsteller bezugnehmend auf sein am 3. April 2020 eingegangenes Schreiben vom 1. April 2020 nochmals zur Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen, den offenen Betrag bis 14. April 2020 zu bezahlen.
Die Antragsteller haben mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 8. April 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am 9. April 2020, Klage erhoben (Az. M 10 K 20.1575). Die Klage ist zum einen auf Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 18. Juli 2019, soweit darin eine den Betrag von 35.000 EUR übersteigende Gebühr festgesetzt worden ist, und zum anderen auf Feststellung gerichtet, dass die Antragsteller der Antragsgegnerin lediglich noch 15.000 EUR schulden. Zudem wird beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung zu beschließen:
Die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 18. Juli 2019 in der Fassung des durch erfolgte Zahlung von 20.000 EUR geminderten Betrags gemäß Abrechnungsschreiben vom 7. April 2020 wird eingestellt.
Zur Begründung wird ausgeführt: Der Antrag auf Aufhebung des Gebührenbescheids vom 18. Juli 2019 sei von der Antragsgegnerin zu Unrecht abgelehnt worden. Die Antragsteller hätten einen Anspruch auf Aufhebung, da es sich für einen Einpersonenhaushalt um einen atypisch hohen Verbrauch handle. Die Betreuerin habe zusammen mit dem Verstorbenen im Anwesen des Verstorbenen „im Dezember 2019“ (angesichts des Todeszeitpunkts des Verstorbenen gemeint wohl: Dezember 2018) festgestellt, dass im Gebäude an einer Stelle fontänenartig Wasser ausgetreten sei, der Boden und auch die Wände vom Wasser durchtränkt gewesen seien. Nur ein kleiner Teil des austretenden Wassers sei überhaupt in die Kanalisation gelangt. Angesichts dessen sei jedenfalls die Festsetzung der Abwassergebühren, die entsprechend der entnommenen Wassermenge – ohne Berücksichtigung des Umstands, dass ein großer Teil des entnommenen Wassers nicht in die Kanalisation geflossen sei – berechnet worden seien, rechtswidrig. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin insbesondere deswegen ein Mitverschulden, da sie die Wasserleitungen nicht ordnungsgemäß überwacht und daher auf den Wasseraustritt nicht reagiert habe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird vorgetragen, ein Anordnungsgrund sei weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich. Zudem fehle es an einem Anordnungsanspruch. Der streitgegenständliche Gebührenbescheid sei bestandskräftig. Ein Anspruch auf Aufhebung bestehe nicht. Abgesehen davon, dass die Aufhebung des Bescheids im Ermessen der Antragsgegnerin liege, sei der Gebührenbescheid nicht rechtswidrig. Für die Berechnung der Wassergebühren sei allein die Menge des entnommenen Wassers maßgeblich. Sofern es hinter der Übergabestelle zu einem Rohrbruch komme, liege dies alleine in der Sphäre des Grundstückseigentümers. Der Vorwurf des Mitverschuldens der Antragsgegnerin entbehre jeglicher Grundlage. Auch die Abwassergebühren seien nicht zu beanstanden. Die Antragsteller hätten einen Verbrauch oder eine Zurückbehaltung des entnommenen Wassers auf dem Grundstück und damit den Nichteintritt in die Kanalisation nicht nachgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 10 K 20.1575, Bezug genommen.
II.
1. Nach dem explizit gestellten Antrag soll die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verpflichtet werden, die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 18. Juli 2019 wegen Gebührenforderungen in Höhe von 47.880,31 EUR einzustellen.
Dieser Antrag hat in der Sache schon deswegen keinen Erfolg, da damit eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wird.
Das Gericht kann nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur im Hauptsacheprozess erreichen könnte. Grundsätzlich ausgeschlossen, da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar, ist es daher, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66a).
Vorliegend ist von einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache auszugehen, da die Einstellung der Vollstreckung aus dem Bescheid vom 18. Juli 2019 uneingeschränkt und damit endgültig begehrt wird. Es wird nicht lediglich die Aussetzung der Vollstreckung oder die vorläufige Einstellung der Vollstreckung erstrebt.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre vorliegend nur ausnahmsweise möglich, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig wäre, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen würde (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 123 Rn. 14). Dies ist vorliegend allerdings nicht der Fall. Den Antragstellern ist es hier zuzumuten, bei der Antragsgegnerin den (ohnehin bereits gestellten) Antrag auf (vorläufige) Stundung der Gebühren weiter zu verfolgen.
2. Als Minus zum gestellten Antrag kann der Antrag jedoch nach gerichtlichem Ermessen gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) dahingehend verstanden werden, dass die vorläufige Einstellung der Vollstreckung aus dem Bescheid vom 18. Juli 2019 (bis zur Entscheidung in der Hauptsache) begehrt wird.
Denn nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO ist es in das freie Ermessen des Gerichts gestellt, welche Anordnungen es zur Erreichung des Zwecks, d.h. zur Sicherung/Regelung des Rechts im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO trifft. Die Bindung des Gerichts an den Antrag ist daher gelockert. Der Anordnungsgrund, die erforderliche Sicherung/Regelung des Rechts, ist die gesetzliche Leitlinie für das gerichtliche Ermessen. Das Gericht kann gegenüber dem Recht ein Minus oder ein Aliud bestimmen (vgl. zum Ganzen: Happ, a.a.O., Rn. 64).
Der grundsätzlichen Einordnung als Antrag nach § 123 VwGO steht auch nicht § 123 Abs. 5 VwGO entgegen, nach dem die Vorschrift des § 80 Abs. 5 VwGO vorrangig ist. Ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hier nicht einschlägig, da in der Hauptsache eine Anfechtungsklage gegen die Mahnung vom 2. April 2020 nicht statthaft ist. Eine Mahnung stellt keinen Verwaltungsakt, sondern eine bloße Mitteilung dar, die nicht auf das Setzen einer Rechtsfolge gerichtet ist und dadurch den Adressaten auch nicht gesondert beschwert (BFH, B.v. 21.8.2000 – VII B 46/00 – BeckRS 2000, 25005106; BayVGH, B.v. 2.8.2017 – 20 C 17.1130 – BeckRS 2017, 124601). Die Ankündigung weist den Schuldner noch einmal auf den Ernst der Situation hin und gibt ihm letztmalig die Gelegenheit, zur Abwendung der Vollstreckung freiwillig die Rückstände zu begleichen (vgl. BFH, a.a.O.).
Der so verstandene Antrag gemäß § 123 VwGO auf vorläufige Einstellung der Vollstreckung bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
a) Der Antrag dürfte bereits unzulässig sein, weil die Antragsteller zwar einen Anordnungsanspruch, nicht aber einen Anordnungsgrund behauptet haben (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 1 ZPO; vgl. zu diesem Erfordernis: Happ, a.a.O., Rn. 44). Eine besondere Dringlichkeit für eine Regelung durch das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung wird in der Antragsschrift nicht geltend (geschweige denn glaubhaft) gemacht.
Eine besondere Dringlichkeit ist wohl auch nicht aus den Umständen abzuleiten. Zwar könnte eine solche anzunehmen sein, wenn man im konkreten Fall vom Beginn der Vollstreckung ausginge, da die Antragsgegnerin zuletzt mit Mahnung vom 2. April 2020 sowie mit Schreiben vom 7. April 2020 die Antragsteller unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert hat.
Dagegen spricht aber, dass die Mahnung lediglich der Vorbereitung der Vollstreckung dient, diese aber noch nicht einleitet (BVerwG, U.v. 12.5.1992 – 1 C 3/89 – NVwZ-RR 1993, 662 (663) u.a. zur Mahnung nach § 259 Abgabenordnung – AO; BFH, a.a.O.; BayVGH, B.v. 20.10.1992 – 23 CS 92.1607 – BayVBl 1993, 600; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, VwZG, 11. Aufl. 2017, § 3 VwVG Rn. 8). Dies dürfte der Annahme der Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegenstehen. Letztlich kann diese (Zulässigkeits-)Frage jedoch offenbleiben, da ein Antrag auf vorläufige Einstellung der Vollstreckung jedenfalls unbegründet ist.
b) Ein Antrag auf vorläufige Einstellung der Vollstreckung ist unbegründet, da die Antragsteller einen nach § 123 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung) oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen.
Nach summarischer Prüfung haben die Antragsteller keinen Anspruch auf vorläufige Einstellung der Vollstreckung aus dem Bescheid vom 18. Juli 2019; die Vollstreckungsvoraussetzungen sind im konkreten Fall gegeben.
aa) Die allgemeinen Voraussetzungen der Vollstreckung nach Art. 18 ff. Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) sind erfüllt.
Der Bescheid vom 18. Juli 2019 ist ein grundsätzlich vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt im Sinne von Art. 18 Abs. 1 VwZVG, da er zur Leistung von Geld verpflichtet. Er ist auch vollstreckbar, da er nach Aktenlage und dem Vortrag der Parteien nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angefochten werden kann (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG). Jedenfalls hätte ein förmlicher Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid keine aufschiebende Wirkung (Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG), da es sich um einen Fall der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO handelt. Der Verstorbene bzw. die Antragsteller haben die Verpflichtung auch nicht rechtzeitig erfüllt, Art. 19 Abs. 2 VwZVG.
bb) Die besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gemäß Art. 23 VwZVG sind gegeben.
Zwar ist der Bescheid vom 18. Juli 2019 nicht nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG zugestellt worden. Aber die Zustellung eines schriftlichen Bescheids über öffentliche Abgaben kann nach Art. 17 Abs. 1 VwZVG, der über Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwZVG Anwendung findet, dadurch ersetzt werden, dass der Bescheid dem Empfänger durch einfachen Brief verschlossen zugesandt wird. Dies ist hier nach Aktenlage erfolgt, wenn auch mangels Aktenvermerks der Antragsgegnerin über den Tag der Aufgabe zur Post (vgl. Art. 17 Abs. 4 Satz 1 VwZVG) der konkrete Bekanntgabezeitpunkt nicht gemäß Art. 17 Abs. 2 VwZVG nachweisbar ist. Dies ist vorliegend jedoch unschädlich, da es nach Sinn und Zweck des grundsätzlichen Zustellungserfordernisses in Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG als Voraussetzung für die Vollstreckung entscheidend (und ausreichend) ist, dass seitens der abgabenerhebenden Gemeinde nachgewiesen werden kann, dass der Abgabenpflichtige von seiner Zahlungsverpflichtung Kenntnis erlangt hat. Dies ist hier jedenfalls deswegen der Fall, da die Betreuerin des Verstorbenen der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16. September 2019 mitgeteilt hat, dass ihr der Bescheid vom 18. Juli 2019 zugegangen sei.
Die Gebührenforderungen sind nach Rücknahme der Stundung mit Wirkung zum 25. Februar 2020 auch fällig (Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG) und eine Mahnung mit ausreichender Fristsetzung ist erfolgt (Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG). Diesbezüglich sind Mängel auch nicht geltend gemacht.
cc) Gründe gemäß Art. 22 VwZVG, die Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen, sind im konkreten Fall nicht einschlägig.
(1) Insbesondere greift Art. 22 Nr. 2 VwZVG, nach dem Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen sind, wenn der zu vollstreckende Verwaltungsakt rechtskräftig aufgehoben wird, nicht ein.
Zwar machen die Antragsteller geltend, dass sie einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 18. Juli 2019 hätten. Aber eine rechtskräftige Aufhebung dieses Bescheids liegt im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts nicht vor. Selbst wenn das Gericht im vorliegenden Eilverfahren feststellen würde, dass ein solcher Aufhebungsanspruch bestünde, wäre diese Entscheidung jedenfalls nicht rechtskräftig. Daher kann an dieser Stelle offenbleiben, ob die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids nach § 130 AO i.V.m. Art. 10 Nr. 1, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b Kommunalabgabengesetz (KAG) vorliegen.
(2) Auch ist die aus dem Bescheid vom 18. Juli 2019 resultierende Zahlungsverpflichtung des Verstorbenen nicht gemäß Art. 22 Nr. 3 VwZVG offensichtlich durch dessen Tod erloschen. Die Antragsteller sind als Miterben vielmehr im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in diese Schuld eingetreten, da öffentlich-rechtliche Geldschulden des Erblassers grundsätzlich ohne Weiteres im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben übergehen (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 11.3.1971 – II C 36/68 – BVerwGE 37, 314; Riedel in Müller-Engels, BeckOGK, Stand: 1.5.2020, § 1922 BGB Rn. 741). Eine Ausnahme, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, greift im konkreten Fall nicht ein, da die Pflicht zur Zahlung von Wasser- und Abwassergebühren für ein Anwesen keine Geldschuld ist, die höchstpersönlicher Natur ist, auf einer höchstpersönlichen Verpflichtung beruht oder als höchstpersönliche Sanktion zu verstehen ist (vgl. zu diesen Ausnahmen: Riedel, a.a.O.).
dd) Der Einwand der Antragsteller, der Bescheid vom 18. Juli 2019 sei rechtswidrig, ist nach Art. 21 VwZVG im Rahmen der Vollstreckung nicht beachtlich, da es sich um eine Einwendung gegen den zu vollstreckenden Anspruch, die nicht nachträglich entstanden ist, handelt.
ee) Die im Jahr 2019 fällig gewordenen Forderungen sind auch offensichtlich nicht verjährt (§ 228 AO i.V.m. Art. 10 Nr. 1, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a KAG).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5, 1.7.1 und 3.1 (entsprechend) des Streitwertkatalogs.


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