IT- und Medienrecht

FRAND-Einwand im Falle einer mehrstufigen Wertschöpfungskette

Aktenzeichen  21 O 3891/19

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 54658
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG § 9, § 10 Abs. 1, § 139 Abs. 1 und 2, § 140b, § 141
EPÜ Art. 2 Abs. 2, Art. 54, Art. 64, Art. 87
AEUV Art. 101, Art. 102, Art. 104, Art. 267
BGB § 162, § 242, § 249, § 254, § 852
ZPO § 142, § 148, § 421, § 422, § 428, § 429

 

Leitsatz

1. Die nicht rechtzeitige Erklärung der Lizenzbereitschaft führt nicht automatisch zu einem Entfallen des FRAND-Einwandes; grundsätzlich muss es möglich sein, einzelne Defizite bei der Verhandlungsführung zu beseitigen, wobei es der Betrachtung des Einzelfalls und insbesondere der Gesamtumstände der Verhandlungshistorie bedarf. (Rn. 141) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erst während des fortgeschrittenen Stadiums eines gerichtlichen Verfahrens und insbesondere gleichsam in letzter Minute nachgeholte Verhandlungsschritte können eine zuvor belegte Verzögerungstaktik nicht widerlegen und die für einen erfolgreichen FRAND-Einwand notwendige Verhandlungsbereitschaft damit nicht begründen. (Rn. 138) (redaktioneller Leitsatz)
3. Als Verzögerungstaktik stellt es sich dar, wenn zwar formal Lizenzwilligkeit vorgegeben wird, die Partei sich aber in der Sache darauf beschränkt, einerseits Lizenzierungen des Lizenzgebers mit ihren Lieferanten zu Fordern und andererseits fortlaufend mitteilt, die von Lizenzgeberseite vorgelegten Angebote seien ungenügend oder schon gar nicht prüffähig; dieses Verhalten ist ersichtlich keine konstruktive Mitwirkung an Lizenzverhandlungen. (Rn. 148 – 156) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Patentinhaber ist nicht verpflichtet, die ihm als solche nicht im Detail bekannte Wertschöpfungskette auszuermitteln und jedem beteiligten Unternehmen einen Verletzerhinweis zukommen zu lassen. Insofern gilt, dass der Patentinhaber als Ausfluss des ihm zustehenden Eigentumsrechts berechtigt ist, den zu verklagenden Patentverletzer in einer mehrstufigen Wertschöpfungskette selbst auszusuchen. Diesem Patentverletzer gegenüber entstehen dann die aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Huawei/ZTE entwickelten Pflichten. (Rn. 190) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Nutzer standardessentieller Patente (hier: ein Automobilhersteller) kann seine eigene Lizenzbereitschaft nicht mit dem Verweis auf die Lizenzwilligkeit seiner Zulieferer begründen. (Rn. 169) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der Inhaber eines standardessentiellen Patentes handelt nicht rechtsmissbräuchlich oder diskriminierend, wenn er zunächst nur mit der Herstellerin des Endprodukts – und nicht auch gleichzeitig mit den betroffenen Zulieferern der Herstellerin – einen Lizenzvertrag anstrebt. (Rn. 173 – 185) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) seit dem 6. Juli 2011
a) Vorrichtungen, welche für ein asynchrones N-Kanal hybrides automatisches Wiederholungsanforderungsschema (HARQ-Schema) konfiguriert ist umfassend eine Medium Access Control-Schicht; und ein physikalisches Modul, welches dafür konfiguriert ist, eine Datenblocksequenz und entsprechende Datenblock-Sequenznummer für jeden Datenblock der Datenblocksequenz zu empfangen, wobei die Datenblock-Sequenznummern den Datenblöcken dergestalt zugewiesen sind, so dass die Nummerierung sich über alle Kanäle des N- Kanal HARQ-Schema erstreckt; und einen Decodierer, welcher dafür konfiguriert ist, jeden Datenblock der Datenblocksequenz zu decodieren und aus jedem decodierten Datenblock Pakete zu extrahieren, die in jedem Datenblock verkapselt sind; und wobei die Medium Access Control-Schicht dafür konfiguriert ist, separat für jeden der Datenblöcke in der Datenblocksequenz eine positive oder negative Empfangsbestätigung bereitzustellen, wobei keine positive oder negative Bestätigung die entsprechende Datenblock-Sequenznummer umfasst und jede positive oder negative Bestätigung nach einer vorgegebenen Verzögerungszeit zwischen dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden der positiven oder negativen Bestätigung für den Datenblock gesendet wird, und wobei die Medium Access Con- trol-Schicht weiter konfiguriert ist, die empfangenen Datenblock-Sequenznummern dafür zu nutzen, die empfangenen Datenblöcke zu resequenzieren und die Pakete, die in den empfangenen Datenblöcken eingeschlossen sind, sequenziert an eine höhere Schicht abzuliefern;
– Anspruch 21 –
in der Bundesrepublik Deutschland gebraucht, hergestellt, angeboten, in Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat,
b) anderen als zur Benutzung der Erfindung berechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland Vorrichtungen zur Benutzung der Erfindung im Inland angeboten oder geliefert hat, die geeignet sind zur Anwendung eines Verfahrens zur Nutzung eines asynchronen N-Kanal hybriden automatischen Wiederholungsanforderungsschemas (HARQ- Schema), welches das Folgende umfasst: Empfangen einer Datenblocksequenz und einer entsprechenden Datenblock-Sequenznummer für jeden Datenblock in der Datenblocksequenz, wobei die Datenblock-Sequenznummern den Datenblöcken dergestalt zugewiesen sind, so dass die Nummerierung sich über alle Kanäle des N- Kanal HARQ-Schema erstreckt; Decodieren jedes Datenblocks in der Datenblocksequenz und Extrahieren von Paketen, die in jedem Datenblock verkapselt sind, aus jedem decodierten Datenblock; Bereitstellen einer positiven oder negativen Empfangsbestätigung separat für jeden der Datenblöcke in der Datenblocksequenz, wobei keine positive oder negative Bestätigung die entsprechende Datenblock-Sequenznummer umfasst und jede positive oder negative Bestätigung nach einer vorgegebenen Verzögerungszeit zwischen dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden der positiven oder negativen Bestätigung für den Datenblock gesendet wird; und Verwendung der empfangenen Datenblock-Sequenznummern dafür, die empfangenen Datenblöcke zu resequenzieren und die Pakete, die in den empfangenen Datenblöcken eingeschlossen sind, sequenziert an eine höhere Schicht abzuliefern, und zwar unter Angabe
– der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
– der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
– der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
2. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 6. August 2011 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, – zeiten, -preisen und Typenbezeichnung sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
wobei die gesamten Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind;
3. bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist, die in dem Antrag zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen zu unterlassen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die
1. der Y. durch die zu Ziffer I.1 bezeichneten und in der Zeit vom 6. August 2011 bis zum 30. Dezember 2014 begangenen Handlungen entstanden sind oder noch entstehen werden;
2. der Klägerin durch die zu Ziffer I.1 bezeichneten und seit dem 31. Dezember 2014 begangenen Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Nebenintervenientinnen tragen die Kosten der Nebenintervention.
IV. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar jeweils gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung von
– 1.800.000,00 € für Ziff. I.1 (Auskunft) und I.2 (Rechnungslegung),
– 18.000.000,00 für Ziff. I.3 (Unterlassung)
– im Übrigen in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten patentrechtlichen Ansprüche zu.
A.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz.
I. Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß Art. 2 Abs. 2, Art. 64 EPÜ i.V. m. § 139 Abs. 1 S. 1 PatG i.V. m. § 9 S. 1 u. 2 Nr. 1 PatG ein Anspruch auf Unterlassung des Herstellens, Anbietens, Inverkehrbringens, Gebrauchens der angegriffenen Ausführungsformen oder des Einführens und Besitzens zu diesen Zwecken zu. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 21 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß, soweit sie den Standard HSDPA benutzen. Der Klägerin steht gegen die Beklagte außerdem gemäß Art. 2 Abs. 2, Art. 64 EPÜ i.V. m. § 139 Abs. 1 S. 1 PatG i.V. m. § 10 Abs. 1 PatG ein Unterlassungsanspruch zu, da die angegriffenen Ausführungsformen Anspruch 6 des Klagepatents mittelbar verletzen.
1. Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung bezieht sich auf die drahtlose Kommunikation, wie sie insbesondere von Systemen zur Verfügung gestellt wird, die im Standard 3GPP (Third Generation Partnership Project) Wideband Code Division Multiple Access (WCDMA) release 5, High Speed Downlink Packet Access (HSDPA) niedergelegt sind (vgl. Abs. [0001] des Klagepatents). Im Detail betrifft die Erfindung eine Modifikation des sog. hybrid automatic repeat request (HARQ), um die Übertragung von protocol data units (PDUs) zur radio link control layer (RLC-Schicht) in ordnungsgemäßer Reihenfolge (insequence delivery) zu gewährleisten (vgl. Abs. [0001] des Klagepatents).
2. Im Stand der Technik waren in der Hochgeschwindigkeitsübertragung HARQProzesse bzw. HARQ-Schemata bekannt, vgl. Abs. [0003] des Klagepatents:
[0003] In Wideband Code Division Multiple Access (WCDMA) based systems, high speed data transmission may be enabled by means of the socalled high speed downlink packet access (HSDPA) transmission, which may provide functions such as fast hybrid automatic repeat request (HARQ), adaptive coding and modulation (AMC), and fast cell selection (FCS). (…)
Diese wurden unter anderem benutzt, um eine möglichst fehlerfreie Übertragung von Daten über die verschiedenen Kanäle zu gewährleisten. So wurden etwa Datenblöcke auf der Transportkanalebene über den sog. High Speed Downlink Shared Channel (HS-DSCH) und auf der physikalischen Ebene über den sog. High Speed Physical Downlink Shared Channel (HS-PDSCH) übertragen, vgl. Abs. [0004] des Klagepatents:
[0004] At the present it is assumed that with HSDPA, each user equipment receiving data on a highspeed downlink shared channel (HSDSCH),which is a transport channel, i. e. a channel between the media access control (MAC) layer and the physical (PHY) layer, also allocates and uses anassociated dedicated channel (DCH). The dedicated channel may be mapped to a dedicated physical channel (DPCH) in the physical layer. The DPCHis typically divided into a dedicated physical data channel (DPDCH) and a dedicated physical control channel (DPCCH), both in the uplink and in thedownlink. Data such as power control commands, transport format information, and dedicated pilot symbols are transmitted on the DPCCH. Informationsuch as diversity feedback information may also be transmitted on DPCCH in the uplink. The HS-DSCH may be mapped to one or several high speedphysical downlink shared channels (HS-PDSCH) in the PHY layer.
Die im Stand der Technik bekannten Schichten stellt das Klagepatent in Fig. 1 wie folgt dar:
Ebenfalls war asynchrones HARQ bekannt. Hierbei beschreibt das Klagepatent das Problem, dass ein Empfang in ordnungsgemäßer Reihenfolge (insequence delivery) in einigen Fällen nicht garantiert werden kann, vgl. Abs. [0015] des Klagepatents:
[0015] Asynchronous HARQ requires that the HARQ process number be signaled in the downlink. If there are N = 6 subchannels (i. e. 6 HARQ processes), 3 bits are needed to signal the HARQ process number. In addition, at least one bit sequence number is needed per HARQ process(channel) to recover from errors in ACK/NACK. This implies that at least fourbit ‘sequence numbers’ are needed with asynchronous N-channel HARQ. Fourbit sequence numbers would not, however, guarantee insequence delivery of the packets (RLC-PDUs). The SAW protocol guarantees that within each HARQ process the data blocks are delivered in order. However, it is possible that a data block in one HARQ process goes through faster (with less retransmissions) than another (earlier) data block in another HARQ process. Furthermore, if a data block is totally missed in between (i. e. the UE does not know whether the lost block was intended for it or for some other UE), then the UE cannot continue to keep track of the correct order of the datablocks.
3. Das Klagepatent stellt sich vor diesem Hintergrund die Aufgabe, einen Empfang in ordnungsgemäßer Reihenfolge zu garantieren, vgl. Abs. [0016] des Klagepatents:
[0016] What is needed is an asynchronous N-channel HARQ scheme (i. e. an N-process HARQ scheme) with sequence numbers across the Nchannels (processes) where the sequence numbers are long enough to guarantee insequence delivery of packets (RLC-PDUs) to the RLC layer by theMAC-hs layer, but short enough so as not to significantly increase the signaling load.
4. Hierfür schlägt das Klagepatent im unabhängigen Anspruch 6 ein Verfahren bzw. im unabhängigen Anspruch 21 eine Vorrichtung vor, die nachfolgend entsprechend der Merkmalsgliederungen der Klägerin (Anlagen AR 5 und AR 11) in gegliederter Form wiedergegeben wird:
Anspruch 21
21. Eine Vorrichtung, welche für ein asynchrones N-Kanal hybrides automatisches Wiederholungsschema (HARQ-Schema) konfiguriert ist, umfassend
21.1 eine Medium Access Control-Schicht; und 21.2 ein physikalisches Modul, welches dafür konfiguriert ist, eine Datenblocksequenz und eine entsprechende Datenblocksequenznummer für jeden Datenblock der Datenblocksequenz zu empfangen,
21.2.1 wobei die Datenblock-Sequenznummern den Datenblöcken dergestalt zugewiesen sind, so dass die Nummerierung sich über alle Kanäle des N-Kanal HARQ-Schemas erstreckt; und 21.3 einen Decodierer, welcher dafür konfiguriert ist, jeden Datenblock der Datenblocksequenz zu decodieren und aus jedem decodierten Datenblock Pakete zu extrahieren, die in jedem Datenblock verkapselt sind; und 21.4 wobei die Medium Access Control-Schicht dafür konfiguriert ist, separat für jeden der Datenblöcke in der Datenblocksequenz eine positive oder negative Empfangsbestätigung bereitzustellen,
21.4.1 wobei keine positive oder negative Bestätigung die entsprechende Datenblock-Sequenznummer umfasst und 21.4.2 jede positive oder negative Bestätigung nach einer vorgegebenen Verzögerungszeit zwischen dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden der positiven oder negativen Bestätigung für den Datenblock gesendet wird, und 21.5 wobei die Medium Access Control-Schicht weiter konfiguriert ist, die empfangenen Datenblock-Sequenznummern dafür zu nutzen, die empfangenen Datenblöcke zu resequenzieren und die Pakete, die in den Datenblöcken eingeschlossen sind, sequenziert an eine höhere Schicht abzuliefern.
In der englischen Verfahrenssprache lautet der Anspruch:
21. An apparatus configured for an asynchronous N channel hybrid automatic repeat request (HARQ) scheme, the apparatus comprising:
21.1 a medium access control layer, and
21.2 a physical module configured to receive a sequence of data blocks and respective data block sequence number for each data block of the sequence of data blocks,
21.2.1 wherein the data block sequence numbers are assigned to the data blocks such that the numbering is across all channels of the N channel HARQ scheme; and
21.3 a decoder configured to decode each data block of the sequence of data blocks and extract from each decoded data block packets that are encapsulated within each data block;
21.4 wherein the medium access control layer is configured to provide a positive or negative acknowledgement of receipt separately for each of the data blocks in the sequence of data blocks,
21.4.1 wherein each positive or negative acknowledgement does not include the respective data block sequence numbers and
21.4.2 is transmitted after a predefined delay between receiving a data block and transmitting the positive or negative acknowledgement for the data block, and
21.5 wherein the medium access control layer is further configured to use the received data block sequence numbers to resequence the received data blocks and to deliver the packets encapsulated in the received data blocks insequence to a higher layer.
Anspruch 6
6. Ein Verfahren, welches ein asynchrones N-Kanal hybrides automati sches Wiederholungsanforderungsschema (HARQ-Schema) verwendet, umfassend:
6.1 Empfangen einer Datenblocksequenz und einer entsprechenden Datenblock-Sequenznummer für jeden Datenblick in der Datenblocksequenz,
6.1.1 wobei die Datenblock-Sequenznummern den Datenblöcken dergestalt zugewiesen sind, so dass die Nummerierung sich über alle Kanäle des N-Kanal HARQ-Schemas erstreckt; und
6.2 Decodieren jedes Datenblocks in der Datenblocksequenz und Extrahieren von Paketen, die in jedem Datenblock verkapselt sind, aus jedem decodierten Datenblock; und
6.3 Bereitstellen einer positiven oder negativen Empfangsbestätigung separat für jeden der Datenblöcke in der Datenblocksequenz,
6.3.1 wobei keine positive oder negative Bestätigung die entsprechende Datenblockl-Sequenznummer umfasst und
6.3.2 jede positive oder negative Bestätigung nach einer vorgegebenen Verzögerungszeit zwischen dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden der positiven oder negativen Bestätigung für den Datenblock gesendet wird, und
6.4 Nutzen der empfangenen Datenblock-Sequenznummern dafür, die empfangenen Datenblöcke zu resequenzieren und die Pakete, die in den empfangenen Datenblöcken eingeschlossen sind, sequenziert an eine höhere Schicht abzuliefern.
In der englischen Verfahrenssprache lautet der Anspruch:
6. A method using an asynchronous N channel hybrid automatic repeat re quest (HARQ) scheme, the method comprising:
6.1 receiving a sequence of data blocks and a respective data block sequence number for each data block in the sequence of data blocks,
6.1.1 wherein the datablock sequence numbers are assigned to the data blocks such that the numbering is across all channels of the N channel HARQ scheme;
6.2 decoding each data block in the sequence of data blocks and extracting from each decoded data block packets that are encapsulated within each datablock;
6.3 providing a positive or negative acknowledgement of receipt separately for each of the data blocks in the sequence of data blocks,
6.3.1 wherein each positive or negative acknowledgement does not include the respective data block sequence numbers and
6.3.2 is transmitted after a predefined delay between receiving a data block and transmitting the positive or negative acknowledgement for the data block; and
6.4 using the received data block sequence numbers to resequence the received data blocks and to deliver the packets encapsulated in the received datablocks insequence to a higher layer.
5. Zur Beurteilung, ob die angegriffenen Ausführungsformen die geltend gemach ten Ansprüche wortsinngemäß verletzen, ist der objektive Sinngehalt der Ansprüche im Wege einer funktionalen Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung des Patentanspruchs dient nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dazu, die technische Lehre zu erfassen, die aus fachmännischer Sicht – das heißt unter Berücksichtigung des Vorverständnisses, das sich aus dem Fachwissen und -können des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ergibt – mit dem Wortlaut des Anspruchs zum Ausdruck gebracht wird. Sie hat unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen zu erfolgen, die dazu dienen, die durch den Patentanspruch geschützte technische Lehre zu erläutern und typischerweise anhand eines oder mehrerer Ausführungsbeispiele zu verdeutlichen (vgl. etwa BGH GRUR 2010, 602 Rn. 20 – Gelenkanordnung).
Zwischen den Parteien steht die Auslegung folgender Merkmale zur Diskussion: a. Merkmal 21.3 – Decodierer Die Beklagte ist der Ansicht, unter Decodieren verstehe das Klagepatent de Wiederherstellung von lesbaren Daten aus dem auf der physikalischen Schicht übertragenen Datenstrom. Dem kann nicht gefolgt werden.
Der angesprochene Fachmann versteht den in Merkmal 21.3 genannten Decodierer dahingehend, dass er geeignet ist, Datenblöcke aus Datenblocksequenzen zu decodieren und aus jedem decodiertem Datenblock Pakete zu extrahieren, die in jedem Datenblock enthalten sind. Der Decodierer erfüllt demnach zwei Funktionen – Decodierung und Extraktion. Im Ergebnis stellt der Decodierer damit lesbare Daten wieder her.
Der Anspruchswortlaut enthält allerdings keine Beschränkung auf eine bestimmte Schicht. Es läge daher eine Auslegung unter den Wortlaut vor, wenn man den Decodierer nur der physikalischen Schicht zuordnen würde. Diese Beschränkung ist dem Anspruchswortlaut nicht zu entnehmen.
b. Merkmal 21.4.2 – vorgegebene Verzögerungszeit Hauptstreitpunkt zwischen den Parteien ist, wie das Merkmal nach einer vorgegebenen Verzögerungszeit zwischen dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden der positiven oder negativen Bestätigung auszulegen ist.
Die Beklagte ist der Ansicht, die vorgegebene Verzögerungszeit beziehe sich auf zwei eindeutig festgelegte Zeitpunkte, nämlich dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden von (N)ACK für diesen Datenblock.
Der angesprochene Fachmann legt dieses Merkmal dahingehend aus, dass der zeitliche Zusammenhang zwischen der Datenübertragung (im Downlink) und der Bestätigungsnachricht (im Uplink), sowohl dem Sender als auch dem Empfänger vorab bekannt ist – denn wie Merkmal 21.4.1 zeigt, soll die Bestätigungsnachricht keine Datenblocksequenznummer umfassen. Dem Fachmann ist daher klar, dass die Bestätigungsnachricht synchron versendet werden muss. Die Zuordnung muss daher aufgrund eines zeitlichen Zusammenhangs erfolgen.
Der Wortlaut sagt diesbezüglich, dass der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden der positiven oder negativen Bestätigung bestehen muss. Der angesprochene Fachmann wird dies allerdings nicht so eng verstehen, dass die Zuordnung nur über diesen zeitlichen Zusammenhang erfolgen kann. Ihm ist insbesondere klar, dass – wenn etwa alle Datenblöcke gleich lang sind – ein Zusammenhang zwischen Empfang des Datenblocks und dem Senden der Empfangsbestätigung auch gegeben ist, wenn die vorgegebene Verzögerungszeit tatsächlich ab Senden des Datenblocks gezählt wird. Da in dieser Gleichung alle Variablen bekannt sind (Senden des Datenblocks, Länge des Datenblocks, Empfang des Datenblocks), ist letztlich egal, ab wo die vorgegebene Verzögerungszeit gerechnet wird. Der Fachmann wird daher einen rein faktischen oder mittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Empfang des Datenblocks und Senden der positiven oder negativen Bestätigung auch als anspruchsgemäße Verwirklichung sehen.
Diese Auslegung sieht der angesprochene Fachmann etwa bestätigt in Abs. [0050] der Klagepatentschrift:
[0050] (…) Each block is acknowledged after a predefined delay and thus the sending terminal knows which block is being acknowledged (…).
c. Merkmal 21.5 – höhere Schicht
Die Beklagte ist der Ansicht, mit „höherer Schicht“ sei patentgemäß die die RLC-Schicht gemeint. Auch dem folgt die Kammer nicht.
Der angesprochene Fachmann legt Merkmal 21.5 dahingehend aus, dass Ablieferung an eine „höhere Schicht“ jede höhere Schicht meinen kann. Dem Fachmann ist insbesondere bekannt, dass es im Stand der Technik zahlreiche Schichtmodelle und Schichten gab. Der Fachmann reduziert damit den Wortlaut insbesondere nicht darauf, dass mit „höhere Schicht“ stets die RLC-Schicht gemeint ist.
Zwar zeigt die Klagepatentschrift in Abs. [0034] und Fig. 1, dass über der MAChs Schicht die RLC Schicht liegen kann. Die Klagepatentschrift stellt jedoch direkt in Abs. [0033] fest, dass Fig. 1 nur ein vereinfachtes Bild (simplified view) zeigt und dass mehrere Schichten, wie zum Beispiel die MAC-d Schicht weggelassen wurden.
II. Die von der Beklagten (jedenfalls zum Teil) in Deutschland hergestellten und bundesweit angeboten und vertriebenen angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagepatent, da sie den Standard HSDPA nutzen, und deshalb die Merkmale des Vorrichtungsanspruchs 21 unmittelbar wortsinngemäß verwirklichen bzw. die Merkmale des Verfahrensanspruchs 6 mittelbar.
1. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen Anspruch 21 unmittelbar wortsinngemäß, soweit sie vom Standard HSDPA Gebrauch machen.
a. Merkmal 21 ist verwirklicht. Die angegriffenen Ausführungsformen sind Vorrichtungen, die für ein asynchrones N-Kanal hybrides automatisches Wiederholungsschema (HARQ-Schema) konfiguriert sind. Dies wird bereits aus den von der Klägerin zitierten Spezifikationen des Standards ersichtlich:
11.6.2.1 HARQ Entity (…)
A number of parallel HARQ processes are used in the UE to support the HARQ entity. The number of HARQ processes is configured by upper layers:“
(Anlage K6 – Hervorhebungen durch das Gericht)
7. HARQ protocol The HARQ protocol is based on an asynchronous downlink and synchronous uplink scheme (…).
(Anlage K7 – Hervorhebungen durch das Gericht)
b. Die vom Standard insbesondere vorgesehene MAC-hs-Schicht ist auch eine Medium Access Control-Schicht im Sinne des Klagepatents. Merkmal 21.1 ist damit verwirklicht.
c. Auch Merkmal 21.2 ist verwirklicht, da die Benutzereinrichtung Daten von der Basisstation über ein physikalisches Modul empfängt. Dieses ist nach dem Standard so konfiguriert, dass es eine patentgemäße Datenblocksequenz und eine entsprechende Datenblock-Sequenznummer für jeden Datenblock der Datenblocksequenz empfängt.
Der Standard definiert eine Transmission Sequence Number (TSN) die einer merkmalsgemäßen Datenblock-Sequenznummer entspricht:
9.2.2 MAC PDU: Parameters of the MAC header (HS-DSCH)
Transmission Sequence Number (TSN): The TSN field provides an identifier for the transmission sequence number on the HSDSCH. The TSN field is used for reordering purposes to support insequence delivery to higher layers. The length of the TSN field is 6 bit.
(Anlage K6 – Hervorhebungen durch das Gericht)
Der Standard definiert außerdem MAChs PDUs (=Protocol Data Units), die anspruchsgemäße Datenblöcke darstellen:
4.2.3.3 MAChs entity – UE Side (…)
Reordering: The reordering entity reorders received MAChs PDUs according to the received TSN. MAChs PDUs with consecutive TSNs are delivered to the disassembly function upon reception. MAChs PDUs are not delivered to the disassembly function if MAChs PDUs with lower TSN are missing. There is one reordering entity for each Queue ID configured at the UE.
(Anlage K6 – Hervorhebungen durch das Gericht)
d. Auch Merkmal 21.2.1 ist verwirklicht. Insbesondere erstreckt sich nach dem Standard die Nummerierung „über alle Kanäle des N-Kanal HARQSchemas“.
Zwar sieht der Standard zusätzlich die Bildung sog. Queues vor, jedoch umfasst jede Queue ein N-Kanal HARQ-Schema. Im Übrigen sieht der Standard auch den Fall vor, dass nur eine Queue gebildet wird:
8.5.25 Actions related to HS_DSCH_RECEPTION variable (…)
1> at least for one of the RB’s mapped to HS-DSCH, there is at least one MAChs queue (including the IE „MAC-d PDU size Info“) configured for the concerning MAC-d flow;
(Anlage K22 – Hervorhebungen durch das Gericht)
Der Standard definiert HARQ-Entities (innerhalb einer Queue), die eine Vielzahl von HARQ-Prozessen enthalten, vgl. etwa Anlage K6:
11.6.2.1 HARTQ Entity (…)
A number of parallel HARQ processes are used in the UE to support the HARQ entity (…).
Die TSN wird gemäß dem Standard innerhalb einer HARQ-Entity einer Queue für die MAChs PDUs über alle HARQ-Prozesse hochgezählt – und damit den Datenblöcken dergestalt zugewiesen, dass sie sich „über alle Kanäle des N-Kanal HARQ-Schemas“ erstreckt, vgl. insbes. Anlage K6:
11.6.1.1 Scheduler (…)
– Determines the HARQ Entity and the queue to be serviced;
– Sets the TSN for new data blocks being transferred from the selected queue;
– set the TSN to value 0 for the first MAChs PDU transmitted for each Queue ID within an HS-DSCH;
– increment the TSN with one for each transmitted MAChs PDU on each Queue ID within an HS-DSCH.
(Hervorhebungen durch das Gericht)
e. Auch Merkmal 21.3 ist verwirklicht. Insbesondere enthält der Standard einen anspruchsgemäßen Decodierer.
Da der Decodierer nicht derart eng auszulegen ist, wie von der Beklagten vorgetragen, ist Merkmal 21.3 bereits durch die im Standard gezeigte disassembly entity verwirklicht. Diese disassembly entity decodiert die MAChs PDUs und extrahiert daraus die verkapselten MAChs SDUs / MAC-d PDUs:
4.2.3.3 MAChs entity – UE Side (…)
The disassembly entity is responsible for the disassembly of MAChs PDUs. When a MAChs PDU is disassembled the MAChs header is removed, the MAC-d PDUs are extracted and any present padding bits are removed. Then the MAC-d PDUs are delivered to higher layer.
(Anlage K6 – Hervorhebungen durch das Gericht)
Im Übrigen findet sich im Standard eine weitere anspruchsgemäße Decodierung auf der physikalischen Ebene (vgl. Anlage K7 – Abschn. 5.2.2.1 u. Fig. 5.2.2.1).
f. Auch Merkmal 21.4 ist verwirklicht; insbesondere versendet der Standard anspruchsgemäße positive bzw. negative Empfangsbestätigungen.
Die im Standard vorgesehenen ACK und NA(C)K-Nachrichten erfüllen dieses Merkmal:
11.6.2.2 HARQ process (…)
– generate a positive acknowledgement (ACK) of the data in this HARQ process. – else:
– generate a negative acknowledgement (NAK) of the data in this HARQ process;
(Anlage K6 – Hervorhebungen durch das Gericht)
g. Auch Merkmal 21.4.1 ist verwirklicht da die im Standard vorgesehene ACK/NA(C)K-Nachricht keine Datenblock-Sequenznummer umfasst.
So sieht der Standard eine Codierung mit „1“ für ein ACK und mit „0“ für ein NACK vor:
(Anlage K 8 – Abschn. 4.7.1.1)
h. Auch Merkmal 21.4.2 ist verwirklicht; insbesondere erfolgt die im Stan dard vorgesehene ACK/NACK-Nachricht nach einer „vorgegebenen Verzögerungszeit zwischen dem Empfang eines Datenblocks und dem Senden der positiven oder negativen Bestätigung“.
Dies wird bereits aus folgender Stelle des Standards ersichtlich:
11.6.2.2 HARQ process (…)
– schedule the generated positive or negative acknowledgement for transmission and the time of transmission relative to the reception of data in a HARQ process is configured by upper layer.
(Anlage K 6 – Hervorhebungen durch das Gericht)
Der Standard stellt also bereits fest, dass die ACK/NACK-Nachricht relativ zum Empfang der Daten versendet werden soll.
Dieser zeitliche Zusammenhang wird auch ersichtlich aus folgender Figur:
(Anlage K9)
Aus der Figur ist eine vorgegebene Verzögerungszeit zwischen dem Empfang des Datenblocks auf dem HS-PDSCH (Downlink) und dem Senden der Bestätigungsnachricht auf dem HS-DPCCH (Uplink) von 19.200 Chips ersichtlich.
Dass aus dieser Figur auch andere zeitliche Abhängigkeiten ersichtlich sind – wie die Beklagte vorträgt – ist nicht relevant. Für die merkmalsgemäße Verwirklichung ist allein entscheidend, dass zumindest auch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Empfang des Datenblocks und Senden der Bestätigungsnachricht besteht (vgl. oben zur Auslegung).
Die Argumente der Beklagten zur Nichtverletzung überzeugen daher nicht. Insbesondere überzeugt auch nicht der Vortrag, dass bei Versand eines kürzeren Datenpakets bei einer patentgemäßen Lösung die Bestätigungsnachricht früher abgesendet werden würde (vgl. S. 5 ff. der Quadruplik I (Technik) vom 22.07.2020). Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung selbst zugestanden hat, sind im Standard die Datenpakete stets gleich lang. Datenpakete, die zu kurz wären, werden mit „leeren Bits“ (padding bits) aufgefüllt, bis sie wieder die gleiche Länge haben. Auch padding bits gehören jedoch zum Datenpaket, so dass im Standard der vom Klagepatent geforderte zeitliche Zusammenhang stets gewährleistet ist.
i. Auch Merkmal 21.5 ist verwirklicht. So ist die MAC-Schicht nach dem Standard so konfiguriert, die empfangenen Datenblock-Sequenznummern dafür zu nutzen, die empfangenen Datenblöcke zu resequenzieren und die Pakete, die in den Datenblöcken eingeschlossen sind, sequenziert an eine höhere Schicht abzuliefern.
Dies folgt bereits aus der oben zitierten Stelle im Standard, wonach die MAC-d PDUs an eine höhere Schicht geliefert werden:
4.2.3.3 MAChs entity – UE Side (…)
Reordering: The reordering entity reorders received MAChs PDUs according to the received TSN. MAChs PDUs with consecutive TSNs are delivered to the disassembly function upon reception. MAChs PDUs are not delivered to the disassembly function if MAChs PDUs with lower TSN are missing. There is one reordering entity for each Queue ID configured at the UE.
Disassembly: The disassembly entity is responsible for the disassembly of MAChs PDUs. When a MAChs PDU is disassembled the MAChs header is removed, the MAC-d PDUs are extracted and any present padding bits are removed. Then the MAC-d PDUs are delivered to higher layer.
(Anlage K6 – Hervorhebungen durch das Gericht)
Soweit die Beklagte entgegenhält, dass eine (direkte) Weitergabe an die RLC-Schicht notwendig sei, würde dies eine Auslegung unter den Wortlaut bedeuten (vgl. oben).
2. Auch die mittelbare Verletzung des Anspruchs 6 ist gegeben, da der Standard ein Verfahren benutzt, das die Merkmale des Anspruchs 6 verwirklicht.
a. Es wird Merkmal 6.1.1 verwirklicht. Soweit die Beklagte dem entgegenhält, dass der Standard auch mehrere Queues enthalten kann, steht dies einer Verwirklichung nicht entgegen. Wie oben gezeigt umfasst jede Queue ein N-Kanal-HARQ-Schema (HARQ entity).
Zwar werden die TSNs standardgemäß nur innerhalb einer Queue hochgezählt (vgl. oben) – damit jedoch innerhalb eines N-Kanal-HARQSchemas über sämtliche N-Kanal-HARQ-Prozesse hinaus (vgl. oben). Auch bei mehreren Queues ist Merkmal 6.1.1 somit verwirklicht – womit es nicht darauf ankommt, wie häufig es der Fall ist, dass nur eine Queue gegeben ist. Eine Zählung über mehrere N-Kanal-HARQ-Schemata hinaus erfordert das Klagepatent nicht – dies würde die Forderung der Beklagten jedoch bedeuten, dass das Klagepatent eine Erstreckung der TSNs über alle Queues erfordern würde.
b. Auch Merkmal 6.3.2 wird verwirklicht. Insofern wird auf die obigen Ausführungen zu Merkmal 21.4.2 verwiesen.
c. Hinsichtlich der übrigen Merkmale von Anspruch 6 wird ebenfalls auf die obigen Ausführungen verwiesen.
d. Da damit der Standard das Verfahren des Anspruchs 6 immer verwirklicht, ist ein Schlechthinverbot zulässig. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwiefern eine Nutzung des Standards ohne das Verfahren des Anspruchs 6 denkbar sein soll.
3. Die Beklagte ist auch passivlegitimiert, insbesondere ist die Wiederholungsge fahr wegen der andauernden Verletzungshandlungen gegeben.
III. Die mit den weiteren Klageanträgen begehrte Auskunft, Rechnungslegung sowie Schadensersatzfeststellung stehen der Klägerin ebenfalls zu.
1. Die Beklagte ist der Klägerin aufgrund des zumindest fahrlässigen Handelns, von dem in Anbetracht der hohen Sorgfaltsanforderungen auszugehen ist, aus Art. 2 Abs. 2, Art. 64 EPÜ i.V. m. § 139 Abs. 2 PatG zum Schadensersatz verpflichtet. Da die Klägerin die zur Berechnung des Schadensersatzanspruches notwendigen Auskünfte noch nicht erhalten hat, war die beantragte Feststellung des Schadensersatzanspruches auszusprechen.
2. Der Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2, Art. 64 EPÜ i.V. m. § 140b PatG sowie aus Gewohnheitsrecht in Verbindung mit §§ 242, 259, 260 BGB, da die Klägerin nicht über die notwendigen Informationen verfügt, die Beklagten dagegen ohne Weiteres Auskunft erteilen können.
IV. Den Ansprüchen der Klägerin steht auch der Einwand der Erschöpfung nicht, auch nicht teilweise entgegen.
1. Der Vortrag der Nebenintervenientin …, LTEfähige Chips von ihrem Zulieferer Thales DIS erworbenen zu haben, die auf der Grundlage eines das Klagepatent umfassenden, nicht näher bekannten Kreuzlizenzvertrages zwischen der … als Rechtsvorgängerin der … (jetzt: …) und der Y. Technologies …lizenziert seien, ist nicht hinreichend substantiiert. Der Vortrag erschöpft sich in der bloßen Behauptung eines mutmaßlich existierenden Lizenzvertrages zu dem weder Reichweite, Gegenstand noch sonstige inhaltliche Details bekannt sind.
2. Soweit die Nebenintervenientin … beantragt, angesichts der bestehenden Beweisschwierigkeiten gegenüber der Klägerin sowie der Y. Technologies … anzuordnen, die zwischen dem Y.-Konzern und der … geschlossenen Lizenzvereinbarungen vorzulegen, in welchen die Patente des Y.-Konzerns lizenziert wurden, die für den UMTS- und den LTE-Standard essentiell sind bzw. für diese Standards als essentiell deklariert wurden, war dem Antrag nicht stattzugeben.
Eine rechtliche Grundlage für eine entsprechende Anordnung des Gerichts ergibt sich im vorliegenden Fall weder aus § 142 Abs. 1 ZPO noch aus §§ 421, 422, 428, 429 ZPO.
a. Eine Vorlage nach §§ 421, 422 ZPO kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Nebenintervenientin die insoweit vorausgesetzten, gegen die Klägerin bestehenden materiellrechtlichen Vorlageansprüche nicht substantiiert dargelegt hat. Die Nebenintervenientin begründet ihren Vorlageantrag ausschließlich mit der ihrerseits bestehenden Beweisnot, eine möglicherweise eingetretene Erschöpfung hinsichtlich der von dem Chiphersteller … bezogenen Chips nicht belegen zu können.
b. Eine Vorlage kommt aber auch gemäß §§ 142 Abs. 1, 428, 429 ZPO nicht in Betracht. Voraussetzung einer entsprechenden Vorlageanordnung ist, dass die Beweisbedürftigkeit und die Beweiseignung der vorzulegenden Unterlagen auf der Basis eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags dargelegt ist. Eine Urkundenvorlegung zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung ist dagegen nicht zulässig (BGH, NJW 2014, 3312, 3314; Seiler in Thomas/Putzo, 41. Aufl. 2020, § 142 ZPO, Rn. 1). Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen einer Vorlage im Ergebnis nicht gegeben, da nach dem Vortrag der Klägerin nicht einmal sicher ist, ob die behaupteten Unterlagen tatsächlich existieren. Die von der Nebenintervenientin … begehrte Anordnung wäre hier daher eine unzulässige Ausforschung.
Die Nebenintervenientin … trägt vor, bei der Firma … handele es sich um eine Abspaltung der Mobilfunksparte der … In einem Schreiben soll die Firma … ihren Kunden mitgeteilt haben, dass zwischen dem Y.-Konzern und der … Kreuzlizenzverträge bestünden, die die Produkte der ehemaligen …Sparte erfassen.
Dieser Vortrag genügt nicht, um auf dessen Grundlage im vorliegenden Verfahren eine Vorlageanordnung treffen zu können. Letztlich behauptet die Nebenintervenientin lediglich den Inhalt eines nicht näher konkretisierten Schreibens, das als Indiz für das mögliche Bestehen eines Lizenzvertrages zwischen zwei, am Rechtsstreit unbeteiligter Unternehmen benannt ist. Die Nebenintervenientin als insoweit darlegungsbelastete Partei hat nicht erklärt, warum der Vertrag nicht von ihrer Lieferantin beschafft werden kann. Dies aber unterstreicht, dass mit dem Vorlageantrag hier nicht bezweckt wird, eine existierende, der Nebenintervenientin lediglich nicht vorliegende Urkunde vorlegen zu lassen, sondern, dass es der Nebenintervenientin darum geht, die Existenz und den Inhalt eines möglicherweise bestehenden Lizenzvertrages zu verifizieren. Dies aber überschreitet nach Ansicht der Kammer letztlich die Grenzen zur unzulässigen Ausforschung.
B.
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf den Einwand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, Art. 102 AEUV, berufen. Die Klägerin ist zwar dem Grunde nach Inhaberin einer marktbeherrschenden Stellung und damit Normadressatin des Art. 102 AEUV (I.). Die Klägerin hat aber den Abschluss eines FRANDLizenzvertrages nicht missbräuchlich verweigert. Dabei kann sich die Beklagte weder auf einen eigenen (II.) noch auf einen abgeleiteten FRAND-Einwand ihrer Zulieferunternehmen berufen (III.). Die Kammer ist auf Grund der seitens der Parteien vorgetragenen Verhandlungshistorie einschließlich der beiderseitig vorgelegten Lizenzvertragsangebote vielmehr überzeugt, dass die Beklagte ihrerseits den Verhandlungsprozess bewusst verzögert hat und dementsprechend nicht bereit war, einen FRANDKonditionen entsprechenden Lizenzvertrag mit der Klägerin abzuschließen:
I. Die Klägerin hat in Bezug auf den LTE-Standard eine marktbeherrschende Stellung inne und ist daher Normadressatin des Art. 102 AEUV.
1. Eine markbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV liegt vor, wenn ein Unternehmen über eine wirtschaftliche Machtstellung verfügt, die es in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern und Kunden gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (grundlegend EuGH 13.02.1979, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461, Tz. 38; BGH, a.a.O., Rn. 55 m.w.N.; Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage, 2019, Art. 102 AEUV, Rn. 76 m.w.N.).
Zwar folgt eine solche marktbeherrschende Stellung nicht bereits aus der Eigenschaft der Patentinhaberschaft, mittels derer jeder Dritten von der Benutzung der technischen Lehre des (Klage-)Patents ausschlossen werden kann. Patente schließen dem Grunde nach nur einen Nachahmungs-, nicht aber den Produktwettbewerb an sich aus. Die dem Inhaber eines Immaterialgüterrechts zustehenden Ausschließlichkeitsrechte können daher allein die marktbeherrschende Stellung nicht begründen (st. Rspr. EuGH, GRUR Int. 1995, 490, 492, Rdnr. 46 – Magill; BGH, GRUR-RS 2020, 14872, Rn. 56 m.w.N. – FRANDEinwand).
Eine beherrschende Stellung ergibt sich im Allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen. Dabei kommt der Bestimmung des betroffenen Marktes wesentliche Bedeutung zu. Die Bestimmung eines relevanten Angebotsmarkts folgt grundsätzlich dem Bedarfsmarktkonzept. Danach umfasst der relevante Erzeugnis- oder Dienstleistungsmarkt alle Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Erzeugnissen oder Dienstleistungen nur in geringem Maße austauschbar sind. Ist durch eine Industrienorm oder durch ein anderes, von den Nachfragern wie eine Norm beachtetes Regelwerk (Defacto-Standard) eine standardisierte, durch Schutzrechte geschützte Gestaltung eines – aus der Sicht der Marktgegenseite nicht durch ein anderes Produkt substituierbaren – Produkts vorgegeben, bildet die Vergabe von Rechten, die potenzielle Anbieter dieses Produkts erst in die Lage versetzen, es auf den Markt zu bringen, regelmäßig einen eigenen, dem Produktmarkt vorgelagerten Markt (BGH, a.a.O., Rn. 57 m.w.N.).
Die Annahme eines solchen eigenständigen Lizenzmarkts bedarf damit zunächst der Feststellung, dass es sich um ein standardessentielles Patent handelt, also die Benutzung der patentgeschützten Lehre für die Umsetzung eines (von einer Standardisierungsorganisation normierten oder auf dem Markt durchgesetzten) Standards unerlässlich ist, so dass es in der Regel technisch nicht möglich ist, diese zu umgehen, ohne für den Produktmarkt wichtige Funktionen einzubüßen. Darüber hinaus ist Voraussetzung für einen eigenständigen Lizenzmarkt, dass die dem Patent und dem Standard entsprechende technische Lehre nicht durch eine andere technische Gestaltung des Produkts substituierbar ist (BGH, a.a.O., Rn. 58 m.w.N.; vgl. auch Europäische Kommission, Entscheidung vom 29.04.2014, C(2014) 2892 final, AT.39985 – MOTOROLA, Rn. 227/236).
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:
a. Bei dem Klagepatent handelt es sich um ein standardessentielles Patent (SEP). Wie unter Ziff. A. dargestellt, machen die mit der vorliegenden Klage angegriffenen LTEfähigen Kraftfahrzeuge der Beklagten als angegriffene Ausführungsformen notwendigerweise von der Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
b. Im Zusammenhang mit dem hier betreffend das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland – und damit einen wesentlichen Teil des Binnenmarkts – geltend gemachten Verbietungsrecht aus dem Klagepatent ist die Abgrenzung in Bezug auf den Lizenzvergabemarkt vorzunehmen: Anbieter ist der Patentinhaber, dem allein eine Lizenzvergabe am jeweiligen Patent möglich ist; Nachfrager ist der an der patentgeschützten Technik interessierte Anwender. Ein dem Lizenzvergabemarkt nachgeordneter Produktmarkt besteht für aufgrund des Patents lizenzpflichtige Waren und Dienstleistungen. Die Klägerin hat insofern nicht vorgetragen, dass es durch eine andere technische Gestaltung der von der Beklagten angebotenen Kraftfahrzeuge substituierbare realistische Alternativen zur Verwendung des LTE-Standards gäbe. Im Gegenteil betrifft das Klagepatent mit dem Aufbau von Verbindungen den Kernbereich der in einem Telekommunikationsstandard enthaltenden Technologien.
c. Außergewöhnliche Gründe, die die Marktbeherrschung der Klägerin als Inhaberin eines standardessentiellen Patents im vorliegenden Fall ausschließen könnten, sind nicht erkennbar.
II. Die Klage eines marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents, welcher sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, kann einen Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung darstellen, wenn und soweit sie geeignet ist, zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben. Missbräuchlich können danach Klageanträge sein, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten aus den Vertriebswegen oder auf Vernichtung gerichtet sind (EuGH, GRUR 2015, 764, 766, Rn. 54 – Huawei/ZTE; BGH, a. a.O., Rn. 68).
1. Für die Prüfung der Missbräuchlichkeit an sich gilt in rechtlicher Hinsicht folgen der Maßstab:
a. In einer – wie hier gegebenen – Situation, in der ein Patentverletzer die ge schützte technische Lösung bereits benutzt, die Streitparteien sich indes nicht über den Inhalt einer abzuschließenden Lizenz einigen können, muss für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit des Verhaltens des Patentinhabers eine umfassende Abwägung erfolgen, in der das Spannungsverhältnis zwischen dem aus verfassungs- und grundrechtlichen Erwägungen im Hinblick auf Rechte des geistigen Eigentums gebotenen, hohen Schutzniveau einerseits und dem Interesse der Standardnutzer am Zugang zu der geschützten Standardtechnologie andererseits in Ausgleich zu bringen ist.
Dabei besteht nicht nur ein Widerstreit zwischen entsprechenden privaten Interessen. Vielmehr ist hierbei auch das öffentliche Interesse maßgeblich zu beachten. Indes darf das öffentliche Interesse dabei nicht im Sinne einer bloßen Summe privater Interessen der an der Nutzung standardisierter Technologie interessierten Unternehmen dahingehend einschränkend Berücksichtigung finden, dass dieses per se und nur für einen möglichst ungehinderten Zugang zu Technologiestandards streitet. Vielmehr besteht, wie neben dem grundrechtlich verbürgten Eigentumsschutz gem. Art. 17 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta und dem rechtsstaatlich grundlegenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und Zugang zu den Gerichten insbesondere auch die der RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu Grunde liegenden Erwägungen zeigen (ABl. L 195/16, 02.06.2004), ein gleichermaßen erhebliches öffentliches Interesse daran, Rechte des geistigen Eigentums in ihrem Bestand zu schützen und eine effektive Durchsetzung zu gewährleisten. Daher darf die den Kern eines geistigen Eigentumsrechts maßgeblich bestimmende Ausschließlichkeitsbefugnis nicht ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, GRUR 2015, 764, 766, Rn. 59 – Huawei/ZTE). Dementsprechend betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung als spezifischen Gegenstand des Patentrechts das Recht des Patentinhabers, sich gegen jegliche Zuwiderhandlung zur Wehr setzen zu können (grundlegend: EuGH 15/74, Slg. 1974, 1147 Rn. 9 – Centrafarm/Sterling Drug).
Einschränkend ist indes insoweit dagegen die besondere Natur standardessentieller Patente insbesondere im Bereich der Telekommunikationsstandards zu berücksichtigen. Zwei wesentliche Besonderheiten sind hier zum Ersten die Kleinteiligkeit der entsprechenden Technologie und die damit einhergehende hohe Anzahl relevanter SEPs sowie zum Zweiten die Tatsache, dass Telekommunikationsstandards das Ergebnis branchenweiter und grenzüberschreitender Abstimmung sind, in deren Folge alternative Technologien ab dem Zeitpunkt der Festlegung eines Standards de facto vom Wettbewerb ausgeschlossen und alternative Lösungen mithin kaum mehr denkbar sind. Diese Besonderheiten rechtfertigen eine einschränkende Auslegung immaterialgüterrechtlicher Befugnisse unter folgendem Gesichtspunkt: Die grundlegende Rechtfertigung dafür, dem Erfinder für eine in Form eines Patents veröffentlichte technische Lehre ein Ausschließlichkeitsrecht zuzubilligen, liegt darin, dass dieser für seine erfinderische Leistung kompensiert und entlohnt werden soll, indem ihm für begrenzte Zeit das Recht zugesprochen wird, seine technische Lehre am Markt exklusiv umsetzen zu können. Nur so ist dem Erfinder ein hinreichender Anreiz gewährt, seine Lehre der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, da er in Folge der ihm zustehenden Exklusivität durch die praktische Umsetzung seiner Technologie am Markt einen Vorsprung vor seinen Wettbewerbern erarbeiten kann, der ihm eine leistungsgerechte Chance eröffnet, durch entsprechende Vermarktungsbemühungen die in die Entwicklung investierten Mühen zu kompensieren. Diese Ratio der Verschaffung eines wettbewerblichen Vorsprungs durch Gewährung eines Ausschließlichkeitsrechts kann jedoch bei standardessentiellen Patenten nur eingeschränkt Gültigkeit beanspruchen, mit der Folge, dass es dem SEPInhaber gegenüber letztlich gerechtfertigt erscheint, ihm – wie seitens des EuGH erfolgt – besondere Verhaltenspflichten aufzuerlegen. Grund ist, dass mit der Festlegung eines Telekommunikationsstandards gleichsam ein Vermarktungsautomatismus eintritt und die im Standard enthaltenen (Teil-)Technologien – anders als im Falle herkömmlicher Patente – ohne weiteres Zutun eines Patentinhabers im Kollektiv mit den weiteren standardisierten (Teil-)Technologien am Markt etabliert sind.
b. Vor dem Hintergrund der vorliegend entsprechend betroffenen, vielschichtigen Interessen hat der EuGH ein austariertes System wechselseitiger Verhaltensobliegenheiten aufgestellt. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass ein zwischen den Parteien auf faire, ausgewogene und zügige Weise erfolgter Verhandlungsprozess am besten geeignet ist, die kommerziellen Rahmenbedingungen zu definieren, die einen interessengerechten Ausgleich herzustellen geeignet sind (vgl. auch Patents Court [2017] EWHC 711 (Pat) Rn. 162 – Huawei/Unwired Planet: „FRAND as a process“). Eine Bestimmung der kommerziellen Details durch dritte Parteien kann und sollte daher nur ultima ratio sein.
In Konkretisierung dieser seitens des marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents bestehenden Pflichtenstellung hat der EuGH Kriterien definiert, bei deren Einhaltung – soweit diese nach den jeweiligen besonderen rechtlichen und tatsächlichen Umständen des konkreten Falls maßgeblich sind (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 Rn. 56, 70 – Huawei/ZTE) – ein Missbrauch ausscheidet. Die gerichtliche Geltendmachung patenrechtlicher Unterlassungs- und Rückrufansprüche stellt sich demzufolge nicht als missbräuchlich dar, wenn
– der SEP-Inhaber den Verletzer in einem ersten Schritt auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, unter Bezeichnung des fraglichen SEP und Angabe, auf welche Weise dieses verletzt sein soll, hinweist (Verletzungshinweis, vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 61 – Huawei/ZTE),
– der SEP-Inhaber dem Verletzer, nachdem dieser seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen (Lizenzierungsbitte), ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen unterbreitet (FRAND-Lizenzangebot) und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angibt (Informationspflichten; vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 63 – Huawei/ZTE),
– der Verletzer auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt reagiert und bei Nichtannahme des Angebots nicht innerhalb einer kurzen Frist schriftlich ein konkretes Gegenangebot macht, das FRAND-Bedingungen entspricht (FRAND-Gegenangebot; vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 65/66 – Huawei/ZTE), und
– der Verletzer, der das Patent vor Abschluss eines Lizenzvertrags (weiter-) benutzt, ab dem Zeitpunkt, zu dem der Patentinhaber sein Gegenangebot abgelehnt hat, keine angemessene Sicherheit leistet oder keine Abrechnung vorlegt, die auch vergangene Benutzungshandlungen umfasst (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 67 – Huawei/ZTE).
c. Damit statuiert der EuGH für den SEP-Inhaber verfahrensmäßige und inhaltli che Obliegenheiten (insbesondere in Form des geforderten Verletzungshinweises, der Vorlage eines FRAND-Lizenzangebots und damit verbundenen Informationspflichten), deren Bestand und Umfang von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Diese Obliegenheiten bestehen jedoch allein gegenüber dem Patentbenutzer, der „ernsthaft und nicht nur in Worten“ eine Lizenz erwerben will (OLG Karlsruhe, GRUR 2020, 166, 169, Rn. 94 – Datenpaketvereinbarung). Deshalb muss der Verletzer zur Bestätigung seiner Lizenzwilligkeit ohne Verzögerungstaktik seinerseits gewisse Obliegenheiten (Lizenzbereitschaftserklärung, FRAND-Gegenangebot sowie Sicherheitsleistung und Abrechnung) einhalten (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).
Der Einwand missbräuchlichen Verhaltens kann daher insbesondere nur unter der Voraussetzung Erfolg haben, dass auch derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte bereits auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, seinerseits bereit ist, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen zu nehmen und im Rahmen der Verhandlungen keine Verzögerungstaktik verfolgt (EuGH, a.a.O., Rn. 65 – Huawei/ZTE). Dafür spricht zunächst, dass die dem Urteil des EuGH zu Grunde liegende Erwägung, einen gerechten Interessensausgleich durch ein ausgewogenes Verhandlungsprozedere zu gewährleisten, bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht beide Parteien auf der Grundlage einer aufrichtigen Motivation, eine Einigung tatsächlich auch erzielen zu wollen, konstruktiv agieren. Zudem muss, worauf der BGH ausdrücklich hinweist, auch der marktmächtige Patentinhaber die Lizenznahme niemandem aufdrängen und hat hierfür auch keine rechtliche Handhabe, da zwar der potentielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrages verlangen kann, dem Patentinhaber umgekehrt aber ein solcher Anspruch nicht zusteht, er vielmehr darauf verwiesen ist, Ansprüche wegen einer Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der zwar die erfindungsgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (BGH, a.a.O., Rn. 70 mit Verweis auf EuGH GRUR, a.a.O., Rn. 54 – Huawei/ZTE; BGH, GRUR 2009, 694, 696, Rn. 27 – Orange-Book-Standard).
Gemessen an den an einen lizenzbereiten Patentverletzer zu stellenden Anforderungen (2.) war die Beklagte im vorliegenden Fall nicht lizenzbereit (3.). Nach Ansicht der Kammer liegt dabei vorliegend ein in besonderem Maße deutlicher Fall fehlender Lizenzbereitschaft vor, so dass auch angesichts der oben ausgeführten, auf Seiten der Standardnutzer zu berücksichtigenden Interessen kein Zweifel an der fehlenden Missbräuchlichkeit des Verhaltens seitens der Klägerin verbleibt. Die Erfüllung von FRAND-Verhaltenspflichten wären der Beklagten auch tatsächlich möglich und zumutbar gewesen (4.). Auf Seiten der Klägerin sind dagegen zumindest keine evidenten Verstöße gegen die vorliegend maßgeblichen FRAND-Verhandlungspflichten festzustellen (5.).
2. Das Erfordernis der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers setzt voraus, dass er zuvor vom Patentinhaber angemessen über den Umstand der Verletzung eines standardessentiellen Patents und die Möglichkeit der Lizenznahme in Kenntnis gesetzt wurde. Diese Verpflichtung des marktbeherrschenden Patentinhabers dient dem Verletzer dazu, für seine Benutzungshandlungen angemessene Bedingungen mit diesem aushandeln zu können. Daher genügt es nach dem ersten Hinweis zur Begründung weiterer Verpflichtungen des marktbeherrschenden Patentinhabers nicht, wenn der Verletzer sich daraufhin lediglich bereit zeigt, den Abschluss eines Lizenzvertrages zu erwägen oder in Verhandlungen darüber einzutreten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsschluss für ihn in Betracht komme. Vielmehr muss der Verletzer sich seinerseits klar und eindeutig bereit erklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet und konstruktiv an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, ohne dabei eine Verzögerungstaktik zu verfolgen (EuGH, GRUR 2015, 764, 767, Rn. 65 – Huawei/ZTE; BGH, GRUR-RS 2020, 14872, Rn. 72, 83 m.w.N. – FRAND-Einwand). Dazu muss der ein Patent verletzende Standardnutzer belegen, dass er – mit den Worten des OLG Karlsruhe – „ernsthaft und nicht nur in Worten“ bereit ist, eine Lizenz zu nehmen, und zwar zu – wie der BGH weiter formuliert „whatever terms are in fact FRAND“ (OLG Karlsruhe, a.a.O.; BGH, a.a.O., Rn. 83).
a. Bei der tatrichterlichen Feststellung des Bestehens einer Lizenzwilligkeit kann die Frage, ob und gegebenenfalls wann ein Gegenangebot erfolgt ist, ein wichtiges Indiz darstellen. Denn der Zeitpunkt der Lizenzbereitschaftserklärung bzw. der Abgabe eines FRANDgemäßen Gegenangebots ist bei der Frage, ob die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs missbräuchlich ist, von mitentscheidender Bedeutung (vgl. Axster/Osterrieth, in: Pfaff/Osterrieth, Lizenzverträge, 4. Auflage, 2018, A.
III. Rn. 357, 359; BGH, a.a.O., Rn. 87: „Im Übrigen darf der Patentinhaber, der das verletzte Patent und den maßgeblichen Standard genannt hat, erwarten, dass der Verletzer innerhalb kurzer Frist mitteilt, wenn ihm diese Angaben zur Identifizierung des Verletzungsvorwurfs nicht genügen. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – eine Vielzahl von Patenten und Standards genannt werden.“). Hierfür spricht auch die vorgenannte Rechtsprechung des EuGH, die verlangt, dass der Patentverletzer bei Ausschlagung des Angebots „innerhalb einer kurzen Frist“ ein FRANDgemäßes Gegenangebot macht (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 66). Der zeitliche Ablauf der Verhandlungen ist daher ein bei der Prüfung der Lizenzwilligkeit beachtenswerter Faktor. Ob und inwiefern eine nach Klageerhebung bzw. nach erstinstanzlicher Verurteilung erklärte Lizenzbereitschaft Auswirkungen auf die kartellrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Patentinhabers haben kann, hat der BGH bislang offengelassen (BGH, a.a.O., Rn. 97).
b. Wäre der Zeitpunkt der Abgabe der Lizenzbereitschaftserklärung sowie des Gegenangebots für die erfolgreiche Durchsetzung des FRAND-Einwandes jedoch unerheblich, bestünde keinerlei Motivation des Patentverletzers mehr, zeitnah zu einer Verletzungsanzeige in ernsthafte Vertragsverhandlungen einzutreten. Der Patentverletzer könnte die FRAND-Verhandlungen nur pro forma ohne echte Lizenzbereitschaft führen und abwarten, ob der Inhaber des standardessentiellen Patents den Willen und vor allem die finanziellen Mittel hat, dieses gerichtlich durchzusetzen. Im Prozess könnte er dann einer drohenden Verurteilung durch Ziehen der „Notbremse Gegenangebot“ zunächst entgehen. Obwohl sein bis dato erhobener FRAND-Einwand mangels Lizenzwilligkeit und/ oder Gegenangebot erkennbar aussichtlos war, könnte er ihn durch das Nachholen des Gegenangebots retten und der Gerichtsprozess würde in die Länge gezogen. Das vom EuGH aufgestellte Leitbild zügiger, ausgewogener und konstruktiver Lizenzverhandlungen zwischen den Parteien wäre damit aber nicht nur ausgehebelt, sondern zudem für den Beklagten sanktionslos. Im Interesse konstruktiver Herangehensweisen beider Parteien an Lizenzverhandlungen kann ein solches Verhalten nicht akzeptiert werden (vgl. LG München I, Urteil vom 30.09.2020, 21 O 13026/19; grundsätzlich für die Nachholbarkeit der wechselseitigen Pflichten im Prozess: OLG Karlsruhe GRUR 2020, 166, 172, Rn. 103 bis 116 – Datenpaketverarbeitung).
c. Dem wird man nicht entgegenhalten können, ein entsprechendes Verhalten des Patentinhabers würde dagegen ungerechtfertigterweise sanktionslos bleiben. So könne der Patentinhaber seinerseits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung an einem FRANDwidrigen Angebot festhalten und dann ein FRANDgemäßes Angebot zur Abwendung eines (teil) klageabweisenden Urteils unterbreiten. Daher sei auch für ihn jede Motivation, zuvor einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen vorzulegen bzw. abzuschließen, nicht gegeben. Dieser Einwand greift vorliegend nicht durch. Der Patentinhaber ist seinerseits gehalten, im eigenen Interesse an zielführenden Lizenzverhandlungen mitzuwirken. Jede Verzögerung führt dazu, dass die unberechtigte Benutzung seines standardessentiellen Patents länger andauert und die verfügbare Zeit für eine Lizenzierung bis zum Ablauf des Patents verkürzt wird. Schließlich läuft er Gefahr, unter Umständen durch ein zuvor abgegebenes FRANDgemäßes Gegenangebot des von Anfang an lizenzwilligen Patentverletzers seinen Unterlassungsanspruch zu verlieren und die entsprechenden Kosten tragen zu müssen. Vor diesem Hintergrund ist dem Zeitpunkt der Abgabe der unbedingten Lizenzbereitschaftserklärung zur Beurteilung der Frage, ob der Patentinhaber seine marktbeherrschende Stellung missbraucht und der Patentverletzer sich hierauf berufen kann, eine gewichtige Rolle beizumessen.
d. Diesem Ergebnis stehen auch die Hinweise der Münchener Patentstreitkammern zu FRAND-Sachverhalten nicht entgegen. Zwar können nach Auffassung der Münchener Patentstreitkammern einzelne, nach der Rechtsprechung des EuGH bestehende Defizite der Parteien bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beseitigt werden. Die Nachholung hat jedoch zunächst allein die prozessuale Folge, dass sie bei der Beurteilung des Sachverhalts von den Münchener Patentstreitkammern berücksichtigt und insoweit nicht als präkludiert angesehen werden.
Davon unabhängig ist gleichwohl die Beurteilung der materiellrechtlichen Situation. Denn die Möglichkeit zur Beseitigung einzelner Defizite soll nur der redlichen Partei zugutekommen, die entsprechend dem kartellrechtlich bedingten Leitbild zügig und redlich geführter Verhandlungen an der Aushandlung einer FRANDgemäßen Lizenz wahrhaftig interessiert ist und lediglich einzelne Defizite – gegebenenfalls nach einem entsprechenden Hinweis der Kammer – noch nicht beseitigt hat. Demnach erhält sich gegebenenfalls ein von Anfang an lizenzbereiter Patentverletzer, der stets konstruktiv an Lizenzverhandlungen mitgewirkt hat, durch ein FRANDgemäßes Gegenangebot noch während des Prozesses den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand. Denn das Gegenangebot wird vom Gericht im Lichte des gesamten Verhandlungsverlaufs betrachtet. Die Gesamtbetrachtung ist entscheidend für die Beurteilung, ob ein Patentverletzer tatsächlich lizenzbereit ist und sich um den erfolgreichen Abschluss eines Lizenzvertrages ernstlich bemüht.
Derjenige Patentverletzer aber, der unter Berücksichtigung der Verhandlungshistorie von Anfang an eine Verzögerungstaktik verfolgt hat, wird durch die Abgabe eines FRANDgemäßen Lizenzvertragsangebotes während des Prozesses nicht automatisch vom Saulus zum Paulus. Vielmehr muss der verzögernd agierende Patentverletzer damit rechnen, dass das Gericht bei Bewertung des Verhandlungsverlaufs feststellt, dass er von Anfang an nicht lizenzwillig war (vgl. Landgericht München I, Endurteil vom 10.09.2020, Az. 7 O 8818/19 sowie Endurteil vom 30.09.2020, Az. 21 O 13026/19). Diese Lizenzunwilligkeit kann er durch die Abgabe eines späten möglicherweise FRANDgemäßen Gegenangebots nicht mehr ungeschehen machen. Den Hinweisen zur Handhabung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes der Münchener Patentstreitkammern zu Folge können einzelne Defizite beseitigt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Beklagtenpartei alle Verhandlungsschritte auf einmal nachholen kann, da sonst das vom EuGH vorgegebene Verhandlungsregime, mit dem der Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen erreicht werden soll, konterkariert würde. Es entspricht nach Ansicht der Kammer daher gerade auch nicht dem im Lichte der EuGH-Rechtsprechung vorausgesetzten zügigen und redlichen Verhandlungsverhalten, das austarierte Pflichtenregime des EuGH als strikt konsekutiv abzuarbeitenden Fahrplan zu begreifen, bei dem sich eine Partei letztlich darauf ausruhen kann, dass die Gegenseite einen einzelnen vorgegebenen Pflichtenpunkt nach eigener Meinung noch nicht vollständig abgearbeitet hat, so dass ein eigenes weiteres Tätigwerden bereits im Ansatz nicht geboten ist. Das Vorliegen der Lizenzbereitschaft kann gerade nicht im Sinne einer solchen, formalistischen Momentaufnahme beantwortet werden. Vielmehr sind die Voraussetzungen der Lizenzbereitschaft und das Nicht-Verfolgen einer Verzögerungstaktik zwei Seiten derselben Medaille, die es im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Umstände, wie sie nach tatrichterlicher Würdigung zum Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung feststehen, zu würdigen sind.
e. Dies führt aber letztlich zu dem Ergebnis, dass eine einmal erfolgte Verzöge rungstaktik nicht ohne weiteres ungeschehen gemacht werden kann. Dieses Ergebnis steht nicht nur in Einklang mit dem vom Gerichtshof der Europäischen Union postulierten Ziel sachorientierter Lizenzverhandlungen, sondern kann zudem zwanglos in das juristische Gesamtgefüge eingeordnet werden:
aa. Dass während des fortgeschrittenen Stadiums eines gerichtlichen Verfahrens und insbesondere gleichsam in letzter Minute nachgeholte Verhandlungsschritte eine zuvor belegte Verzögerungstaktik nicht widerlegen und die für einen erfolgreichen FRAND-Einwand notwendige Verhandlungsbereitschaft damit nicht begründen können, wird durch den Rechtsgedanken des § 162 Abs. 2 BGB bestätigt. Wird demzufolge der Eintritt einer Bedingung von der Partei, zu deren Vorteil er gereicht, wider Treu und Glauben herbeigeführt, so gilt der Eintritt der Bedingung als nicht erfolgt. Dem kann der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, dass nicht derjenige einen Nutzen aus einer für ihn günstigen Rechtsfolge ziehen können soll, der diese Rechtsfolge in treuwidriger Weise herbeigeführt hat (Bork, in: Staudinger, BGB, 2020, § 162 Rn. 2, 14; Westermann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, 2018, § 162 BGB, Rn. 18; Hau/Poseck/Rövekamp, in: BeckOK BGB, 55. Edition, Stand: 01.08.2020, § 162 BGB, Rn. 10). In Fallkonstellationen wie der vorliegenden bedeutet dies, dass der infolge treuwidrig verzögerter Lizenzvertragsverhandlungen herbeigeführte FRAND-Einwand als solcher letztlich nicht dem Patentverletzer zu Gute kommen und somit auch nicht zum Ausschluss des Unterlassungsanspruches führen kann. Nichts anderes ergibt sich aus § 242 BGB (vgl. Grüneberg, in: Palandt, 79. Auflage, 2020, § 242 Rn. 48 m.w.N.).
bb. Demgegenüber kann nicht auf eine Vergleichbarkeit mit Einreden, wie etwa der Verjährungsrede abgestellt werden, um eine unbedingte Nachholbarkeit einer Lizenzbereitschaft und /oder eines Gegenangebots zu begründen. Denn im Gegensatz zur Einrede der Verjährung, deren Voraussetzungen objektiv und unveränderlich vor Klagerhebung feststehen, hängt die Nachholbarkeit gebotener Verhandlungsschritte von dem in ihrem eigenen Ermessen stehenden Verhalten der Parteien ab. Während der Kläger beim Verjährungseinwand zwar auch nicht notwendigerweise weiß, ob der Beklagte diese erheben wird, kann er sich aber selbst Klarheit darüber verschaffen, ob dessen Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Bei einer Zulassung der unbedingten Nachholbarkeit von Lizenzbereitschaft und/oder Gegenangebot, könnte sich der Beklagte diese Voraussetzungen noch während des Prozesses selbst schaffen. Dies wäre zwar für den redlichen Patentinhaber, der ein FRANDgemäßes Angebot vorgelegt hat, unschädlich, da die Folge des FRANDgemäßen Gegenangebots lediglich ist, dass sein FRANDgemäßes Angebot vom Gericht ebenso bewertet und der FRAND-Einwand daher verworfen wird. Es führte aber aufgrund der dann notwendigen Prüfung von Gegenangebot und Angebot zu einer aus Sicht des Klägers ungerechtfertigten Verzögerung des Rechtsstreits. Die Verzögerungstaktik des Beklagten würde perpetuiert und er stünde unverdientermaßen besser als ein redlicher Standardnutzer, der nach Eingang der Verletzungsanzeige umgehend konstruktiv am Abschluss eines Lizenzvertrages mitgearbeitet hat (insoweit auch Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage, 2020, Seite 706, Rn. 420, der aber im Ergebnis eine Vergleichbarkeit mit der Verjährungseinrede sieht).
f. Selbstredend können starre Fristen für den Zeitpunkt einer Lizenzbereitschafts erklärung sowie eines Gegenangebots nicht bestimmt werden. Stets ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die Erklärung der Lizenzbereitschaft bzw. die Abgabe des Gegenangebots so zeitnah erfolgen, dass aus objektiver Sicht von einer unbedingten Lizenzbereitschaft jenseits taktischer Erwägungen ausgegangen werden kann. Dass der Patentverletzer allerdings gehalten ist, so schnell wie möglich ein Gegenangebot abzugeben, folgt auch aus der bereits zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. GRUR 2015, 764, 767, Rn. 66 – Huawei/ZTE: „innerhalb einer kurzen Frist“). Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Standardbenutzer das Patent ohne Berechtigung nutzt. Er macht etwas, was ihm von der Rechtsordnung nicht erlaubt ist. Kommt der Patentinhaber auf ihn zu und teilt ihm mit, dass er das Patent seiner Ansicht nach verletzt, ist er dazu angehalten, so schnell als möglich den rechtswidrigen Zustand durch Abschluss eines FRANDgemäßen Lizenzvertrages abzustellen und dementsprechend zielgerichtet an Lizenzvertragsverhandlungen zum zeitnahen Abschluss eines Lizenzvertrages zu „whatever terms are in fact FRAND“ (BGH, GRUR-RS 2020, 14872, Rn. 83 – FRAND-Einwand) mitzuwirken.
Dabei ist die Kammer ausdrücklich nicht der Auffassung, dass die nicht rechtzeitige Erklärung der Lizenzbereitschaft automatisch zu einem Entfallen des FRAND-Einwandes führt. Grundsätzlich muss es auch hier möglich sein, einzelne Defizite bei der Verhandlungsführung zu beseitigen. Auch hier bedarf es der Betrachtung des Einzelfalls und dabei insbesondere der Gesamtumstände der Verhandlungshistorie.
3. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen erweist sich das Verhal ten der Beklagten nach den nachfolgend gewürdigten Gesamtumständen des vorliegenden Falles als Verzögerungstaktik. Entscheidend sind hierbei die folgenden Umstände:
a. Die Klägerin hat ihrerseits zunächst den von dem EuGH vor Klageerhebung geforderten Verletzerhinweis an die Beklagte gesandt.
Die Klägerin informierte die Beklagten zunächst mit E-Mail vom 21.06.2016, die sodann mit E-Mail vom 09.11.2016, die ein erstes Lizenzangebot enthielt, und vom 07.12.2016 weiter konkretisiert wurde, inhaltlich ausreichend über die vorgeworfene Patentverletzung unter Bezeichnung des Klagepatents und mit der Angabe, auf welche Weise dieses verletzt sein soll (zum gleichen Ergebnis kommt das LG Mannheim im Parallelverfahren, Urteil vom 18.08.2020, Az. 2 O 34/19, S. 48 ff. – Anlage K-KAR 56) .
Die Klägerin übermittelte der Beklagten am 21.06.2016 eine Liste ihrer als standardessentiell deklarierten Patente einschließlich des Klagepatents und wies auf die Verletzung u.a. des LTE-Standards durch die Beklagte hin. Soweit die Klägerin am 21.06.2016 noch keinen technischen Bezug zwischen dem Klagepatent und den konkret einschlägigen Passagen der Standarddokumentation aufzeigte (was nachfolgend am 27.02.2019 mit der Übersendung eines Claim Charts zum Klagepatent erfolgte), ist dies unschädlich. Denn der Verletzungshinweis muss gerade noch keine abschließende Bewertung des Verletzungsvorwurfs ermöglichen. Einer Konkretisierung des Verletzungsvorwurfs im Hinblick auf den betroffenen Abschnitt im Standard bedarf es daher grundsätzlich nicht (vgl. BGH Urt. v. 05.05.2020, KZR 36/17 Rn. 87- FRAND-Einwand). Die angegriffene Ausführungsform ist spätestens in der konkretisierenden E-Mail vom 07.12.2016 hinreichend benannt. Darin führt die Klägerin u.a. aus, dass ihr Verletzungsvorwurf an die Implementierung u.a. des LTE-Standards in den Pkws der Beklagten mit eingebauter Konnektivität anknüpft. Unerheblich ist, dass die Klägerin dabei nicht die konkreten Fahrzeugkomponenten der Beklagten wie z.B. die TCU benannte, die die LTE-Fähigkeit erzeugen. Denn diese Komponenten werden von der Beklagten erworben und zum Endprodukt zusammengefügt, so dass kein Informationsdefizit auf Seiten der Beklagten besteht.
Insgesamt versetzte die Klägerin damit die Beklagte spätestens am 07.12.2016 in die Lage, die Verletzung des Klagepatents ggf. mit weiterer u.a. sachverständiger Hilfe zu überprüfen. Konkrete Anhaltspunkte, dass die Beklagte dazu nicht in der Lage war, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich dazu nichts aus der nachfolgenden Korrespondenz der Parteien. Diese betrifft ausweislich der Mail vom 14.12.2016 bereits weitergehenden Austausch und Informationsanfragen zur FRAND-Gemäßheit des ersten Lizenzangebots.
Indem sie über den Verletzerhinweis hinaus sogleich ein konkretes Lizenzangebot vorgelegt hat, griff die Klägerin ihrem nach der Rechtsprechung des EuGH bestehenden Pflichtenprogramm sogar voraus. Ob die Klägerin hiermit zugleich ihrer Erläuterungs- und Begründungspflichten im Hinblick auf das Lizenzangebot genügt hat, kann hier offenbleiben, da sich die Klägerin zunächst bereits insoweit überobligatorisch verhalten hat, als sie, ohne dem EuGH zu Folge zu diesem Zeitpunkt bereits dazu verpflichtet zu sein, überhaupt ein Lizenzangebot unterbreitet hat.
b. Demgegenüber hat sich die Beklagte nicht ausreichend lizenzwillig gezeigt (auch insoweit kommt das LG Mannheim im Parallelverfahren zum gleichen Ergebnis, Urteil vom 18.08.2020, Az. 2 O 34/19, S. 50 ff. – Anlage K-KAR 56).
Zwar erklärte die Beklagte wiederholt, willens zu sein, eine Lizenz zu FRANDKonditionen zu vereinbaren, konzentrierte sie sich im weiteren Verlauf der Verhandlungen aber darauf, zu betonen, dass es in der Automobilindustrie der übliche und effizientere Weg wäre, die Lizenzierung auf der Zulieferebene vorzunehmen.
aa. Bereits mit E-Mail vom 14.12.2016 (B-KAR 7) teilte die Beklagte mit, dass es der effizienteste Weg sei, wenn die Zulieferer – anstelle der Beklagten – Lizenznehmer würden:
„Neither the claim charts nor your email contain a sufficient explanation for your refusal to provide licenses to B.’s suppliers. As stated earlier, the most efficient way to license your patents would be licensing the source, eliminating the need to identify and license the companies selling the end product, especially if the supplied products already incorporate the respective standards. So far, you have not shown that this is not the case here. [Hervorhebung (Fettdruck) durch die Kammer]“
Soweit die Beklagte fortfuhr, dass sie bereit sei, eine Lizenz zu FRANDBedingungen zu nehmen, schränkte sie diese Aussage wiederum dahingehend ein, dass es angesichts der fehlenden Informationen unter anderem zur bevorzugten Lizenzierung der Zulieferer für ein Treffen zu früh sei. Dass die Erklärung der Beklagten nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (s. BGH aaO Rn. 95 – FRAND-Einwand) als Verweis auf ihre Zulieferer zu verstehen war, zeigt sich auch daran, dass die Klägerin dies berücksichtigte und der Beklagten am 05.05.2017 das „Tier 1-Lizenzmodell“ vorstellte, bei dem die Tier 1- Zulieferer Vertragspartner des angebotenen Lizenzvertrags werden sollten (AR 17). Auf das Tier 1-Lizenzmodell reagierte die Beklagte mit einem Rückzug aus den Lizenzverhandlungen. Sie teilte der Klägerin mit, dass sie eine Teilnahme an den Lizenzverhandlungen für unnötig halte und sie ihre Zulieferer angewiesen habe, einen Lizenzvertrag abzuschließen (E-Mail vom 21.06.2017, B-KAR 8; E-Mail vom 31.01.2018, B-KAR 9). In der E-Mail vom 31.01.2018 heißt es etwa:
„… With regard to your email of January 26, 2018, we would like to confirm first that X. has not changed its view that X. does not need to participate in the negotiations and the final contract between its suppliers and Y. as long as this contract ensures that the suppliers can offer and supply their products ‚free of third party rights‘ to X.. We are not aware of having communicated anything differently to our suppliers when we instructed them to obtain a license from you.“
Angesichts dessen genügt es auch nicht, wenn die Beklagte in der E-Mail vom 31.01.2018 zugleich versichert, dass sie bereit sei, eine Lizenz zu FRANDBedingungen zu nehmen. Eine solche generelle Behauptung, die unterdessen durch andere Ausführungen in derselben E-Mail konterkariert wird, ist auch vor dem Hintergrund der mehrmonatigen Abwesenheit von den Verhandlungen, die noch bis Februar 2019 fortdauerte, ersichtlich unzureichend (wie hier LG Mannheim GRUR-RS 2020, 20358).
Nach dem Verletzungshinweis genügt es zur Begründung weiterer Verpflichtungen des marktbeherrschenden Patentinhabers nicht, wenn der Verletzer sich lediglich bereit zeigt, den Abschluss eines Lizenzvertrags zu erwägen oder in Verhandlungen darüber einzutreten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsschluss für ihn in Betracht komme. Vielmehr muss der Verletzer sich nach neuerer BGH-Rechtsprechung seinerseits klar und eindeutig bereit erklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge konstruktiv und zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken (BGH Urt. v. 05.05.2020, KZR 36/17 Rn. 83 – FRAND-Einwand; High Court von England und Wales, Urt. v. 05.04.2017, [2017] EWHC 711 (Rat) Rn. 708 – Unwired Planet v Huawei: „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND“; a.A. es genüge eine formlose und pauschale Erklärung noch Vorinstanz OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.03.2017, I-15 U 66/15, Rn. 152, GRUR 2017, 1219 – Mobiles Kommunikationssystem). Insbesondere eine bedingte Lizenzbereitschaftserklärung ist unzureichend (BGH, Urt. v. 05.05.2020, KZR 36/17 Rn. 96 – FRAND-Einwand).
Mit dem Verweis auf die Zulieferer erklärt die Beklagte keine in ihrer Person unbedingte FRAND-Lizenzbereitschaft. Insbesondere erfüllt sie damit nicht die Vorgabe des BGH, bereit zu sein, eine Lizenz zu akzeptieren „on whatever terms are in fact FRAND“. Im Gegenteil belegt die Beklagte damit gerade die ihrerseits fehlende Bereitschaft, eine Lizenz in ihrer Person zu nehmen. Dabei berücksichtigt die Beklagte insbesondere nicht hinreichend, dass sie im Rahmen einer mehrstufigen Verletzerkette selbständig Gebrauch von der patentgeschützten technischen Lehre der Klägerin macht und sich insoweit selbst für die von ihr begangene Patentverletzung verantworten muss. Mit ihren Zulieferern möglicherweise geschlossene Garantie- und Freistellungsklauseln, wonach Produkte frei von Rechten Dritter eingekauft werden, mögen schuldrechtliche Gewährleistungsansprüche zur Folge haben. Der Patentinhaberin kann die Beklagte diese schuldrechtlichen Vereinbarungen dagegen nicht entgegenhalten.
bb. Auch auf das weitere Lizenzangebot der Klägerin vom 27. Februar 2019 hin änderte sich das Verhalten der Beklagten nicht. Vielmehr zeigte sich bis zur Klageeinreichung weiter, dass die Beklagte nicht bereit war, zielgerichtet und konstruktiv an Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken zu wollen, ohne dabei eine Verzögerungstaktik zu verfolgen. Mit E-Mail vom 19.03.2019 ließ die Beklagte die Klägerin wissen, zur Prüfung des Lizenzangebots der Klägerin mangels der erforderlichen Informationen nicht in der Lage zu sein. Zugleich konzentrierte sich die Beklagte erneut darauf, auf die Lizenzierung auf Zulieferebene hinzuwirken, wozu die Klägerin rechtlich verpflichtet sei.
Insgesamt lässt sich die Verhandlungsstrategie der Beklagten zwischen 2016 und Frühjahr 2019 (über drei Jahre lang!) dahin zusammenfassen, zwar formal Lizenzwilligkeit vorzugeben, sich in der Sache aber darauf zu beschränken, einerseits Lizenzierungen zwischen der Klägerin und den Lieferanten der Beklagten zu Fordern und der Klägerin andererseits fortlaufend mitzuteilen, die von ihr vorgelegten Angebote seien ungenügend oder schon gar nicht prüffähig. Dieses Verhalten ist ersichtlich keine konstruktive Mitwirkung an Lizenzverhandlungen. cc. Ein Gegenangebot seitens der Beklagten erfolgte schließlich erst am 09.05.2020, also fast vier Jahre nach dem Verletzerhinweis. Auch dieses Gegenangebot mit anschließender Rechnungslegung und Sicherheitsleistung entkräftet die seitens der Beklagten bestehende Lizenzunwilligkeit nicht und kann den FRAND-Einwand daher letztlich nicht begründen, denn das von der Beklagten vorgelegte Gegenangebot ist inhaltlich evident nicht FRAND (wie hier LG Mannheim im Parallelverfahren, Urteil vom 18.08.2020, Az. 2 O 34/19, S. 53 ff. – Anlage K-KAR 56). Das Gegenangebot bestätigt die Lizenzunwilligkeit sogar.
Die angebotenen Beträge sind offensichtlich zu niedrig bemessen. Für eine entsprechende Inhaltskontrolle genügt aus Sicht der Kammer ein Evidenzmaßstab, da die Prüfung auf der Verhaltensebene wie ausgeführt ergeben hat, dass die Beklagte vorliegend in besonderem Maße offensichtlich nicht lizenzbereit war. Dazu kommt, dass sich ein Patentnutzer, der wie im vorliegenden Verfahren erst sehr spät, im weit fortgeschrittenen Verhandlungs- und Verfahrensstadium überhaupt ein Gegenangebot vorlegt, sich umso zielstrebiger und ernsthafter mit seinem Angebot auf den Patentinhaber zubewegen müsste, um Lizenzbereitschaft zu belegen und damit der ihm obliegenden Darlegungslast gerecht zu werden. Für die Beschränkung auf eine Evidenzkontrolle spricht aber auch ganz grundsätzlich, dass dem durch den EuGH entwickelten, austarierten System wechselseitiger Verhaltensobliegenheiten zu Folge eine Bestimmung der kommerziellen Details eines FRAND-Lizenzvertrages primär im Verhandlungswege zwischen den Parteien und eine gerichtliche Lizenzbemessung daher nur als ultima ratio erfolgen soll.
(1) Ziel der Prüfung der seitens der Beklagten angebotenen Lizenzgebühren ist, festzustellen, ob die Lizenzgebühren in einem angemessenen Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert der Rechte des geistigen Eigentums der Klägerin stehen. Dabei ist im Ausgangspunkt davon auszugehen, dass es keinen als solchen feststehenden, für sich genommen einzig richtigen FRAND-Lizenzvertrag und keine als solche einzig richtige FRAND-Lizenzgebühr gibt. Dies folgt nicht zuletzt schon daraus, dass verschiedene Berechnungsmethoden dem Grunde nach zur Bestimmung von FRAND-Gebühren in Betracht kommen (vgl. EU Kommission, Horizontalleitlinien, Rn. 289, ABl. C-11/1, 14.01.2011).
(2) Die Klägerin hat der Beklagten am 27.02.2019 Lizenzraten angeboten, die identisch mit den Lizenzraten sind, zu denen der Wettbewerber XYZ der Beklagten, ebenfalls ein großer Automobilhersteller, am 21.03.2019 mit der Klägerin abgeschlossen hat.
Der ursprüngliche Lizenzvertrag mit XYZ (Anlage K-KAR 36) sah zunächst eine Laufzeit bis zum 19. September 2019 vor. Er wurde am 18. September 2019 bis mindestens zum 31. Januar 2020 verlängert (vgl. Anlage K-KAR 37, Ziffer 2). XYZ hat den verlängerten Lizenzvertrag zum Ablauf des 31. Januar 2020 gekündigt.
Dieser Lizenzvertragsschluss und insbesondere auch dessen Verlängerung bestätigt aus Sicht der Kammer die FRAND-Konformität des Lizenzangebots der Klägerin.
Soweit die Beklagte dem entgegenhält, der Vertrag stehe nicht mehr in Kraft, sei nur für eine kurze Laufzeit, ohne Verpflichtung zur Zahlung von Lizenzgebühren für die Vergangenheit und außerdem in einer Drucksituation abgeschlossen worden, greift dieser Argumentation nicht durch:
– In Rechtsprechung und Literatur ist unbestritten, dass die Androhung von Rechten und Rechtsbehelfen, welche die Rechtsordnung für die Wahrnehmung der Interessen des Drohenden zur Verfügung stellt, zum Beispiel die Klageerhebung erlaubt uns sozialadäquat ist (vgl. etwa BGH NJW 2005, 2766; Mansel in: Jauernig, BGB, 17. Auflage 2018, § 123 Rn. 15 m.w.N.). Insofern ist auch die Androhung einer Patentverletzungsklage gegenüber einem weltweit tätigen Konzern der Automobilindustrie ein zulässiges Geschäftsgebaren; eine „Drucksituation“ oder gar Zwangslage, derzufolge dieser Vertrag nicht zum Zwecke der Vergleichbarkeit und FRAND-Gemäßheit des hiesigen Angebotes der Klägerin herangezogen werden könnte, ergibt sich daraus nicht, zumal davon ausgegangen werden muss, dass ein Unternehmen wie XYZ sich nicht zu einem Vertragsschluss mit völlig marktfremdem Inhalt drängen lässt.
– Die Verlängerung des Lizenzvertrages am 18.09.2019 zeigt im Übrigen, dass sich der Vertragspartner offensichtlich auch ein halbes Jahr später und damit nach reiflicher Bedenkzeit immer noch sicher war, das richtige zu tun – also zu marktgerechten Preisen abzuschließen.
– Auch die kurze Laufzeit des Vertrags und dessen spätere Kündigung stellen aus Sicht der Kammer kein Indiz dafür dar, dass das Vertragsangebot nicht FRAND war.
– Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Vertrag keine Verpflichtung zur Zahlung von Lizenzgebühren für die Vergangenheit enthält, da es für die hier vorzunehmende Beurteilung der FRAND-Gemäßheit des Angebots allein um die Frage der Angemessenheit eines Angebots für die Zukunft geht.
(3) Demgegenüber entspricht das von der Beklagten vorgelegte Gegenangebot schon auf Grundlage der hier gebotenen Evidenzprüfung nicht FRANDGrundsätzen. Der beklagtenseits als Bezugsgröße gewählte durchschnittliche Einkaufspreis von TCUs spiegelt nicht angemessen den Nutzen der Erfindungsbenutzung im Fahrzeug als dem verkaufsfähigen Endprodukt wider. In der Folge liegen die angebotenen Lizenzsätze erheblich unter den von der Klägerin geforderten und im Wettbewerb auch durchsetzbaren Lizenzraten; die beklagtenseits angebotenen Lizenzsätze bewegen sich zwischen gerade einmal …% und …% der von der Klägerin mit XYZ vereinbarten Sätze.
Die im Gegenangebot vorgesehene Lizenzgebühr verwendet als Bezugsgröße den durchschnittlichen Einkaufspreis von TCUs (… €), obwohl die Beklagte dieses Bauteil im Ersatzteilgeschäft unstreitig zum Mehrfachen des Einkaufspreises (… €) veräußert. Die gewählte Bezugsgröße verhindert, dass die Klägerin angemessen am Nutzen der Technologie im verkaufsfähigen Endprodukt – hier: Herstellen von Konnektivität – beteiligt wird. Allerdings ist ein Lizenzgeber grundsätzlich am wirtschaftlichen Nutzen der Technologie im verkaufsfähigen Endprodukt auf der letzten Stufe der Wertschöpfungskette zu beteiligen (so auch LG Mannheim, Urteil vom 18.08.2020, Az. 2 O 34/19, S. 54 m.w.N. – Anlage K-KAR 56). Die Rechte des Patentinhabers aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 9, 10 PatG erstrecken sich auf Benutzungen der patentierten Erfindung, was z.B. umfasst, ein Erzeugnis, das Gegenstand eines Patents ist, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen. Dem entspricht es, wenn die Lizenzgebühr für die Benutzung der patentierten Erfindung auf die letzte Stufe der Wertschöpfungskette bezogen ist. Denn die Erfindungsbenutzung vermittelt die Chance zu einem darauf aufbauenden wirtschaftlichen Gewinn mit dem verkaufsfähigen Endprodukt. Die Beteiligung des Lizenzgebers an dem Erfindungsnutzen im verkaufsfähigen Endprodukt steht somit mit der Leitlinie der EU-Kommission im Einklang, wonach die Lizenzbedingungen eindeutig mit dem wirtschaftlichen Wert der patentierten Technologie in Zusammenhang stehen müssen, ohne dass Elemente berücksichtigt werden, die auf die Entscheidung zurückzuführen sind, die Technologie in den Standard aufzunehmen, oder die den Markterfolg des Produkts, der nichts mit der patentierten Technologie zu tun hat, betreffen (EU-Kommission, Mitteilung v. 29.11.2017, COM(2017) 712 final, S. 8).
Die Unangemessenheit des Gegenangebots wird zusätzlich dadurch bestätigt, dass es in der Automobilindustrie mit dem C-Poollizenzmodell Vorlagen gibt, die sich auf die letzte Stufe der Wertschöpfungskette beziehen und damit eine Teilhabe am Nutzen der Konnektivität im verkaufsfähigen Endprodukt in der Automobilindustrie gewährleisten. Dabei wählt das C-Poollizenzmodell von den durchschnittlichen Lizenzwerten aus dem Mobilfunkbereich ausgeht; die Lizenzberechnung erfolgt hier auf der Grundlage eines Durchschnittsverkaufspreises für Mobiltelefone von 225 – 250 USD, womit eine Bezugsgröße gewählt wird, die deutlich unter dem Ersatzteilpreis der Beklagten für eine TCU liegt.
dd. Auch das Gegenangebot der Beklagten vom 10.06.2020 (AR-KAR 42) vermag die Lizenzwilligkeit der Beklagten nicht zu begründen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dieses weit nach Klageerhebung unterbreitete Gegenangebot unter dem Gesichtspunkt der Lizenzwilligkeit noch rechtzeitig war bzw. nachgeholt werden konnte. Es handelt sich um kein konkretes Gegenangebot, da es eine Drittbestimmung vorsieht, so dass die Klägerin ihren Unterlassungsanspruch erst durchsetzen kann, wenn eine solche Bestimmung erfolgt ist; dies ermöglicht der Beklagten – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstadium – erneut, das Verfahren in die Länge zu ziehen.
4. Insgesamt lässt sich auf Seiten der Klägerin kein evident FRAND-Grundsätzen widersprechendes Verhandlungsverhalten feststellen, das angesichts der evident fehlenden Lizenzwilligkeit auf Seiten der Beklagten die Missbräuchlichkeit der auf Unterlassung und Rückruf gerichteten Patentverletzungsklage begründen könnte. Wie bereits ausgeführt, übersandte die Klägerin der Beklagten bereits 2016 neben dem Verletzungshinweis sogleich ein konkretes Lizenzangebot. Für die Klägerin spricht überdies, dass sie die Beklagte nicht sofort auf Unterlassung in Anspruch genommen hat, sondern zunächst nur eine Klage mit Anträgen auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht, Auskunft und Rechnungslegung erhob. Eine Erweiterung der Klage auf Unterlassung erfolgte erst am 13.06.2019, nachdem auch bis dato kein nennenswerter Fortschritt im Rahmen des Verhandlungsverlaufs erzielt werden konnte.
III. Die Beklagte kann sich auch nicht auf einen abgeleiteten FRAND-Einwand der dem vorliegenden Rechtsstreit beigetretenen Zulieferunternehmen berufen. Keinen Erfolg haben dementsprechend auch die Anträge der Nebenintervenientinnen, die Klage jeweils insofern abzuweisen, als sie Fahrzeuge betrifft, die von den Nebenintervenientinnen gelieferte Komponenten beinhalten.
Insbesondere kann die Beklagte ihre Lizenzbereitschaft nicht mit dem Verweis auf die Lizenzwilligkeit ihrer Zulieferer begründen.
a. Dabei schließt die Kammer nicht aus, dass eine Lizenzwilligkeit der Beklagten dem Grunde nach auch dann bejaht werden kann, wenn sie der Klägerin mit ihrer Lizenzbereitschaftserklärung zugleich den Wunsch nach einer auf Zulieferebene vorzunehmenden Lizenzierung mitteilt. Allerdings kann eine Lizenzbereitschaft in diesem Fall nur dann als unbedingt und nicht als Ausdruck einer Verzögerungstaktik angesehen werden, wenn die Beklagte der Klägerin zugleich umfassend und schriftlich offenlegt, welche Komponenten in ihren Fahrzeugen verbaut sind, die für die LTE-Fähigkeit der von ihr angebotenen Fahrzeuge relevant sind und von welchen Zulieferunternehmen sie diese Komponenten jeweils bezieht. Eine entsprechende Informations- und Offenlegungsobliegenheit ist vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass die Klägerin ihrerseits keinen Einblick in die technologisch und einkaufspolitisch bedingte bautechnische Konstruktion der Fahrzeuge der Beklagten hat. Legt die Klägerin daher entsprechende Informationen nicht offen, ist der Verweis auf eine Lizenzierung auf Zulieferebene als Ausdruck widersprüchlichen Verhaltens zu bewerten, so dass die zugleich behauptete Lizenzbereitschaft unter dem Gesichtspunkt des Gebots von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB außer Betracht zu bleiben hat.
Soweit sich die Beklagte über ihre Informations- und Offenlegungsobliegenheit hinaus aktiv um die Ausarbeitung eines Lizenzregimes auf Zulieferebene bemüht, befreit sie dies nicht davon, selbst weiter zügig und zielstrebig über den Abschluss eines eigenen Lizenzvertrages zu verhandeln. Die Beklagte ist Patentverletzerin und nutzt ein ihr nicht zustehendes, fremdes Recht ohne Erlaubnis des Rechteinhabers. Jedoch kann die Beklagte nach Ansicht der Kammer darauf bestehen, dass in dem von ihr abgeschlossenen Lizenzvertrag eine Klausel aufgenommen wird, auf deren Grundlage sichergestellt ist, dass keine Doppelzahlungen für bereits auf Zulieferebene lizenzierte Komponenten zu zahlen sind. Würde sich ein Patentinhaber der Aufnahme einer entsprechenden Klausel widersetzen, wäre dies Ausdruck eines seinerseits nicht FRANDkonformen Verhaltens mit der Folge, dass der Einwand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Erfolg haben könnte, soweit sich der Patentverletzer als lizenzbereit im Sinne der oben dargestellten Grundsätze erweist.
b. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen indes offensichtlich nicht er füllt. Die Beklagte hat bis zur Klage nicht umfassend offengelegt, von welchen Zulieferern sie die Bauteile bezogen hat, die für die LTE-Fähigkeit ihrer Fahrzeuge relevant sind. Dies gilt etwa für die Nebenintervenientinnen … Zur Überzeugung der Kammer steht bei Würdigung des Verhandlungsverhaltens der Beklagten fest, dass diese mit dem vermeintlichen Bemühen um eine Lizenzierung auf Zulieferebene ausschließlich eine Verzögerung des Abschlusses eines eigenen Lizenzvertrages beabsichtigt hat. Ein ernsthaftes, dem Leitbild des EuGH entsprechendes zügiges, ausgewogenes und konstruktives Hinwirken auf eine Lizenzierung und damit einhergehende Legalisierung ihres rechtsverletzenden Verhaltens kann dem schlechterdings nicht entnommen werden.
2. Unabhängig davon handelt die Klägerin nicht rechtsmissbräuchlich oder diskri minierend, wenn sie zunächst nur mit der Beklagten als Herstellerin des Endprodukts einen Lizenzvertrag anstrebt.
Im Grundsatz ist es dem Patentinhaber überlassen, auszuwählen, auf welcher Vertriebsstufe er sein Schutzrecht durchsetzt (vgl. etwa BGHZ 160, 67 – Standard-Spundfass; betr. Vergabe von Lizenzen an Hersteller oder Vertriebsunternehmen: OLG Karlsruhe, Bes. v. 23.04.2015, 6 U 44/15 Rn. 18 – Mobiltelefone; LG Düsseldorf, Urt. v. 31.03.2016, 4a O 126/14 Rn. 310 – juris; vgl. zum Urheberrecht BGH, Urt. v. 14.05.2009, I ZR 98/06 Rn. 61 (juris) – Tripp-Trapp-Stuhl; vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Teil E Rn. 487).
a. Dabei muss die grundsätzliche Frage, ob eine Lizenzierung auf allen Ebenen einer mehrstufigen Wertschöpfungskette zu erfolgen hat (sog. „License to All“- Ansatz), oder ob es genügt, sicherzustellen, dass jedes Unternehmen in der Wertschöpfungskette die für die Herstellung der fraglichen Produkte nötigen Rechte bekommt (sog. „Access to All“-Ansatz) hier nicht entschieden werden (für den „Access to All“-Ansatz ausführlich bereits Landgericht München I, Endurteil vom 10.09.2020, Az. 7 O 8818/19). Denn jedenfalls in der wie vorliegenden Konstellation eines Prozessrechtsverhältnisses zwischen der Klägerin als SEP-Inhaber und der Beklagten als Endproduktehersteller genügt es, wenn nach der Zielrichtung der Klägerin Zulieferer nicht vom Markt ausgeschlossen, sondern ihnen die zur Nutzung des fraglichen Technologiestandards notwendigen Rechte zugänglich gemacht werden. In rechtlicher Hinsicht ist insoweit der in den Horizontalleitlinien der Europäischen Kommission näher erläuterte, kartellrechtliche Hintergrund der FRAND-Verpflichtung zu bedenken. Demzufolge ist entscheidend, dass über die FRAND-Selbstverpflichtungserklärung Zugang zu der patentgeschützten Norm gewährleistet wird. Zugang zu einer patentgeschützten Norm wird aber immer bereits dann sichergestellt, wenn ein Endgerätehersteller eine Lizenz erhält, die ihm zugleich sogenannte „Have made“- Rechte einräumt, auf deren Grundlage er im Wege der Auftragsfertigung patentgemäße Produkte von seinen Zulieferern herstellen lassen kann. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Der seitens der Klägerin am 27.02.2019 der Beklagten angebotene Lizenzvertrag räumte dieser in Art. 2.2 ausdrücklich das Recht ein, patentgemäße Produkte von Dritten herstellen zu lassen. Der Klägerin kann daher im vorliegenden Fall nicht vorgeworfen werden, dritte Unternehmen von der Nutzung ihrer Patente ausgeschlossen zu haben, da über die Einräumung der „Have made“-Rechte Zugang gewährt worden wäre.
Davon unabhängig zu beurteilen ist die Frage, ob ein Zulieferer gegebenenfalls eigenständige Ansprüche auf die Erteilung einer Lizenz gegen die Klägerin hat, die dieser ggf. in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren geltend machen kann. Soweit die Nebenintervenientin H1. T. Deutschland GmbH vor dem Landgericht Düsseldorf (Az. 4c O 17/19) eine Widerklage erhoben hat, ist festzustellen, dass eine solche von einem Nebenintervenienten nicht zulässig erhoben werden kann (siehe etwa Dressler in BeckOK-ZPO, Stand: 01.09.2020, § 69 Rn. 10). Folglich kann diese Widerklage hier auch nicht vorgreiflich sein. Dem im Hinblick auf diese Widerklage gestellten Aussetzungsantrag war daher nicht zu entsprechen.
Eingewandt werden kann auch nicht, dass die Beklagte so möglicherweise zur Unterlassung der Herstellung der angegriffenen Ausführungsformen verpflichtet wird, die sie sofort wieder herstellen dürfte, wenn die Klägerin einer mutmaßlichen Lizenzerteilungspflicht gegenüber den Zulieferern der Beklagten entsprechen und diesen die Herstellung patentgemäßer Bauteile erlauben würde. Dieser auf § 242 BGB gestützte „dolo agit“-Einwand erscheint der Kammer in der vorliegenden Konstellation schon deswegen nicht durchgreifend, weil anderenfalls hinsichtlich jedes einzelnen Zulieferers die mögliche Erschöpfungswirkung einer hypothetisch geschlossenen Lizenz geprüft werden müsste. Insbesondere aber steht der Berücksichtigung einer solchen hypothetischen Erschöpfung das Recht des Patentinhabers entgegen, sich frei zu entscheiden, gegen welchen Verletzer in einer mehrstufigen Wertschöpfungskette er prozessual vorgeht. Dieses Wahlrecht folgt aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentumsrecht des Patentinhabers und spiegelt die Natur eines Patents als Ausschließlichkeitsrecht wider. Dieser Natur als Ausschließlichkeitsrecht entspricht es, jeden Dritten, der das Patent ohne Zustimmung des Patentinhabers verletzt, von der Nutzung ausschließen zu können und zu entscheiden, auf welcher Vertriebsstufe er sein Schutzrecht durchsetzt.
b. Der Umstand, dass es auf dem Markt für die Entwicklung und Herstellung von Fahrzeugen allgemein üblich ist, dass die Zulieferer Lizenzen nehmen, zwingt die Klägerin mangels Wettbewerbsverhältnis nicht zu einer entsprechenden Handhabung. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass andere Automobilhersteller wie … bereits C-Poollizenzverträge abgeschlossen und Konnektivitätskomponenten lizensiert haben.
c. Der weitere Einwand der Beklagten, dass es in der Automobilindustrie üblich sei, Lizenzen auf der Zulieferebene zu erteilen, so dass die Automobilhersteller Zulieferprodukte üblicherweise frei von Rechten Dritter erwerben, kann die Missbräuchlichkeit der von der Klägerin zunächst angestrebten Lizenzierung auf der Ebene des Endprodukteherstellers ebenfalls nicht begründen.
aa. Dass die Beklagte Zulieferprodukte vermeintlich frei von Rechten Dritter erwirbt, ist eine Folge eines bilateral im Verhältnis zu ihren Zulieferern geschlossenen Vertrages. Ein entsprechend schuldrechtlich vereinbarter Vertrag mit einem Zulieferer kann aber nicht zu Lasten der Klägerin als an dem Zuliefervertrag nicht beteiligter Dritter deren Rechtsposition schmälern. Vielmehr ist es eine Frage der zwischen der Klägerin und ihren Zulieferern bestehenden Gewährleistungsansprüche, wenn die Zulieferer eine Rechtssicherheit versprechen, die sie mangels eigener Lizenzierung letztlich nicht einzuhalten in der Lage sind.
bb. Die in der Automobilindustrie herrschende Üblichkeit beschränkt dieses Wahlrecht nicht. Die von der Beklagten bevorzugte Lizenzierungspraxis auf Ebene der Zulieferunternehmen mag durchaus den bisherigen Gewohnheiten und Gepflogenheiten zumindest in der deutschen Automobilbranche und dem klassischen Geschäftsmodell der Beklagten entsprochen haben. Dass ein Unternehmen wie die Beklagte infolge der wie hier von der Klägerin beantragten Verurteilung ihre Gewohnheit der Lizenzierung auf Zulieferebene (teilweise) aufgeben müsste, gibt aber für sich genommen keinen Anlass, in dem von der Klägerin verfolgten Klageziel einen missbrauchsbegründenden Umstand zu sehen. Vielmehr resultiert die Notwendigkeit einer persönlichen Lizenzierung auf Herstellerebene aus dem eigenen marktwirtschaftlichen Interessen der Beklagten dienenden Erschließen neuer Märkte und Kundengruppen, indem zusätzliche, dem Absatzerfolg dienende Technologien in dem Produkt Kraftfahrzeug verbaut werden. Eine mit einer entsprechenden Produktfortentwicklung einhergehende Notwendigkeit, Geschäftsüblichkeiten aufzugeben, ist letztlich keine kartellrechtlich relevante, sondern eine dem dynamischen Wettbewerbsgeschehen geschuldete und damit letztlich hinzunehmende Konsequenz.
cc. Das Argument der Nebenintervenientinnen, wonach die Klägerin ihnen gegenüber missbräuchlich den Abschluss eines Lizenzvertrages verweigere, verfängt weiter auch aus dem Grund nicht, weil die an den marktbeherrschenden Inhaber standardessentieller Patente gestellten Sonderanforderungen ausdrücklich nur für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung oder Rückruf gegen angebliche Patentverletzer gelten (EuGH, C-170/13, Tz. 59 – Huawei/ZTE). Vorliegend geht die Klägerin gerichtlich aber nur gegen die Beklagte als Endgeräteherstellerin vor. Dieser gegenüber ist das von dem EuGH aufgestellte Pflichtenprogramm daher einzuhalten, während es gegenüber den Nebenintervenientinnen bei den allgemeinen kartellrechtlichen Grundsätzen der Ausübung geistiger Eigentumsrechte bleibt. Die Nebenintervenientinnen können daher den von ihnen vorgebrachten Missbrauchseinwand schon im Ansatz nicht damit begründen, dass ihnen gegenüber kein Verletzerhinweis erfolgt sei. Gerade bei mehrstufigen Wertschöpfungsketten ist es für eine dritte Partei weder möglich noch zumutbar, selbst die maßgeblichen Produkte und entsprechenden Zulieferunternehmen in Erfahrung zu bringen.
d. Die dagegen geäußerte Sorge der Nebenintervenientinnen, rechtlos gestellt zu werden, ist nach Ansicht der Kammer unbegründet. Würde ein Patentinhaber – anders als die Klägerin – in einem von ihr avisierten Lizenzvertrag keine „Have made“-Rechte anbieten, würde kein rechtssicherer Zugang zu der standardisierten Technik gewährt. Das Verhalten eines Patentinhabers wäre in einem solchen Fall missbräuchlich. Indes wäre es der Beklagten auf der Basis des von der Klägerin angebotenen Lizenzmodells einschließlich der sogenannten „Have made“-Rechte ohne weiteres möglich, LTEstandardkonforme Zulieferteile im Weg sogenannter verlängerter Werkbank-Konstellationen von ihren Zulieferern herstellen zu lassen und diesen so rechtssicheren Zugang zu der (seitens der Beklagten von der Klägerin lizenzierten) Technologie zu gewähren. Dabei ist nach der Überzeugung der Kammer auch kein Grund für die Besorgnis unzumutbarer Rechtsunsicherheit erkennbar. Insoweit verfängt auch das Argument nicht, wonach „Have made“-Rechte keinen hinreichenden Ersatz für eine eigene Lizenz darstellen. Das Argument ist aus Sicht eines Zulieferunternehmens insoweit nachvollziehbar, als eine eigene Lizenz zweifellos ein Mehr an wettbewerblichem Verhaltensspielraum ermöglicht. Dieses unternehmerisch verständliche Interesse bildet vorliegend aber nicht den rechtlich relevanten Maßstab.
Im vorliegenden Zusammenhang ist allein entscheidend, dass hinreichender Zugang zu einem Technologiestandard im Verhältnis zwischen der Klägerin als Patentinhaberin und der Beklagten als Herstellerin patentverletzender Endgeräte gewährt wird.
Dazu kommt, dass Kooperationen auf Basis von „Have made“-Rechten verbreitet und üblich sind. Gegen das Argument der Nebenintervenientinnen, mangels eigener Lizenz geradezu rechtlos gestellt zu werden spricht insoweit auch, dass mit der nach wie vor Gültigkeit beanspruchenden Bekanntmachung der Europäischen Kommission vom 18. Dezember 1978 über die Beurteilung von Zulieferverträgen nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Amts.-Bl. Nr. C 1/2 vom 3. Januar 1979), eine kartellrechtliche Regelung bereitsteht, auf deren Grundlage die Beklagte mit der nötigen Rechtssicherheit die Belieferung mit standardkonformen Produkten durch ihre Zulieferer auf der Grundlage eines (künftig) von ihr abgeschlossenen Lizenzvertrags sicherstellen könnte. Insbesondere aus Ziffer 2 dieser Bekanntmachung ergibt sich, dass die Lizenzierung des Endgeräteherstellers verbunden mit Vertragsgestaltungen zur Bereitstellung einer verlängerten Werkbank durch die Zulieferer im Licht des Art. 101 AEUV (ehemals Art. 85 EGV) selbst dann nicht zu beanstanden ist, wenn es um singulärproprietäre Befugnisse eines Endgeräteherstellers geht. Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Produktion patentbenutzender Zulieferteile ohne direkte Lizenzierung auf der Zulieferebene wird insoweit als eine dem Grunde nach selbstverständlich mögliche vertragliche Gestaltung vorausgesetzt.
3. Schließlich scheitert ein abgeleiteter Lizenzeinwand vorliegend auch daran, dass keine der Nebenintervenientinnen die Voraussetzungen einer ihnen gegenüber erfolgten, kartellrechtswidrigen Lizenzverweigerung schlüssig dargelegt haben. Dabei kann als rechtlich relevanter Maßstab nicht das Urteil des EuGH in Sachen Huawei/ZTE (GRUR 2015, 764) Anwendung finden. Grund ist, dass der Maßstab des vorbezeichneten EuGH-Urteils ausschließlich im Verhältnis eines marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents zu einem verklagten Patentverletzer gilt. Dies folgt bereits aus Leitsatz 1 des Urteils, wonach die Frage zur Entscheidung stand, unter welchen Voraussetzungen ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV anzunehmen ist, wenn ein Inhaber eines standardessentiellen Patents eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt. Auch die Schlussanträge des Generalanwalts verdeutlichen dies, indem der an den Europäischen Gerichtshof gerichtete Prüfungsauftrag wie folgt formuliert wird (Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 20.11.2014, Rs. C-170/13, Rn. 40):
„Der Gerichtshof soll feststellen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Patentverletzungsklage eines SEPInhabers, der sich zur Erteilung von Lizenzen zu FRANDBedingungen verpflichtet hat, einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt.“
Ein solchermaßen verstandener Anwendungsbereich fügt sich auch in die Ratio der Urteilsgründe. Mit den durch den Europäischen Gerichtshof definierten wechselseitigen Verhandlungsobliegenheiten soll sichergestellt werden, dass die Definition dessen, was als FRANDkonforme Vertragsbedingungen anzusehen ist, durch ausgewogene, beiderseits zielstrebig verfolgte Verhandlungen diskutiert und festgelegt wird. Dabei sollte insbesondere die durch eine Patentverletzungsklage entstehende Drucksituation adressiert und durch beiderseitige Verhandlungspflichten ein Gegengewicht geschaffen werden. Einer entsprechenden Drucksituation waren und sind keine der dem vorliegenden Rechtsstreit beigetretenen Nebenintervenientinnen ausgesetzt. Eine Patentverletzungsklage ist ihnen gegenüber schlicht nicht erhoben worden. Damit bleibt es aber den Nebenintervenientinnen gegenüber bei den allgemeinen Grundsätzen zur Lizenzverweigerung.
Nach allgemeinen kartellrechtlichen Grundsätzen ist die Lizenzverweigerung aber nur dann missbräuchlich, wenn diese für Ziele eingesetzt wird, die dem System unverfälschten Wettbewerbs offensichtlich widersprechen oder wenn sich die Lizenzverweigerung für neue Wettbewerber als absolutes Marktzugangshindernis auswirkt (Jung in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 70. EL 2020, Art. 102 AEUV, Rn. 244 m. w. N.). Nach diesem Maßstab kommt aber ein missbräuchliches Verhalten gegenüber den Nebenintervenientinnen im vorliegenden Fall schon deswegen nicht in Betracht, weil – wie ausgeführt – die Klägerin der Beklagten gerade ein Lizenzangebot vorgelegt hat, in dem sogenannte „Have made“-Rechte eingeräumt wurden, die es der Beklagten erlauben, für sie gefertigte Produkte herzustellen. Der Zugang zur Technologie der Klägerin wird mit diesem Verhalten daher gerade nicht verhindert.
Dem BGH zu Folge setzt eine missbräuchliche Lizenzverweigerung durch den marktbeherrschenden Inhaber eines standardessentiellen Patents zudem voraus, dass zunächst der Lizenzsucher ein annahmefähiges Angebot zu Vertragsbedingungen gemacht haben muss, welches der Patentinhaber nicht ablehnen kann, ohne den Lizenzsucher damit gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln oder ihn unbillig zu behindern (BGH, GRUR 2009, 694, 696, Rn. 30 – Orange Book). Hieran fehlt es vorliegend. Auch daher kommt es auf die im Einzelnen von den Nebenintervenientinnen vorgetragenen Umstände zu den jeweils bilateral mit der Klägerin geführten Verhandlungen nicht weiter an.
Zuletzt kann auch nicht mit Erfolg gerügt werden, dass gegenüber den Zulieferern kein Verletzerhinweis erfolgt ist. Ein Patentinhaber ist nicht verpflichtet, die ihm als solche nicht im Detail bekannte Wertschöpfungskette auszuermitteln und jedem beteiligten Unternehmen einen Verletzerhinweis zukommen zu lassen. Insofern gilt, dass der Patentinhaber als Ausfluss des ihm zustehenden Eigentumsrechts berechtigt ist, den zu verklagenden Patentverletzer in einer mehrstufigen Wertschöpfungskette selbst auszusuchen. Diesem Patentverletzer gegenüber entstehen dann die aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Huawei/ZTE entwickelten Pflichten.
V. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht verjährt. Da die Beklagte durch vorbezeichnete Patentverletzungen etwas erlangt hat, gilt gem. Art. 64 EPÜ, § 141 S. 2 PatG, § 852 BGB die 10-jährige Verjährungsfrist.
C.
Der Rechtsstreit ist nicht nach § 148 ZPO im Hinblick auf die Nichtigkeitsklagen gegen das Klagepatent bzw. im Hinblick auf den Vorlageantrag auszusetzen.
I. 1. Hierbei kann zunächst offenbleiben, ob der Aussetzungsmaßstab entsprechend des Vortrags der Beklagten vorliegend herabgesetzt ist, da die Klägerin die streitgegenständlichen Ansprüche 21 und 6 des Klagepatents beschränkt hat. Denn die Kammer hat auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten keine vernünftigen Zweifel, dass die beschränkten Ansprüche, deren Verletzung vorliegend geltend gemacht wird, der erhobenen Nichtigkeitsklage standhalten werden.
Für einen herabgesetzten Aussetzungsmaßstab mag – wie von der Beklagten vorgetragen – sprechen, dass der ursprüngliche Erteilungsakt nicht über den jetzt geltend gemachten Anspruchssatz entschieden hat (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschl. V. 02.01.2019, Az. 6 W 69/18).
Gegen einen herabgesetzten Aussetzungsmaßstab spricht jedoch, dass vorliegend die nachträgliche Beschränkung nicht innerhalb eines Rechtsbestandsverfahrens erfolgt ist. Die Klägerin hat diese nicht durchgeführt, um einem – etwa aufgrund eines Hinweises im Rechtsbestandsverfahren – möglicherweise erfolgreichen Angriff zu entgehen. Vielmehr hat die Klägerin die Beschränkung nach ihrem Vortrag vorgenommen, um den Anspruchswortlaut im Hinblick auf den Standard zu schärfen.
2. Die Kammer erachtet die geltend gemachten Ansprüche 21 und 6 gegenüber der D2 als neu, da die D2 keinen relevanten Stand der Technik nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ darstellt. Das Klagepatent nimmt die Priorität der NK6 wirksam in Anspruch.
a. Das Klagepatent nimmt die Priorität der NK6 in formeller Hinsicht wirksam in Anspruch. Die Kammer hatte insoweit eine Prognoseentscheidung zu treffen, wie die formelle Inanspruchnahme im Bestandsverfahren durch das dortige Gericht beurteilt werden wird.
aa. Ursprünglicher Anmelder der NK6 und damit Inhaber des Prioritätsrechts war Herr F. Die Klägerin beruft sich zum Erhalt des Prioritätsrechts von Herrn F insbesondere auf die Übertragungserklärung in Anlage K 23.
bb. Das Prioritätsrecht wurde durch die Erklärung in Anlage K 23 formell wirksam übertragen. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass die Übertragungserklärung nur die Nachanmeldung 10/102,528 ausdrücklich bezeichnet und nicht das Prioritätsdokument D2:
For value received, I, F, (…) hereby sell, assign and transfer, to Y. (…) the entire right, title and interest, for all countries in and to certain inventions relating to improvements in a Hybrid Automatic Repeat Request (HARQ) Scheme with in-Sequence Deliver of Packets, which is described in an application for Letters Patent of the United States, Serial No. 10/102,528 filed March 19, 2002, and all the rights and privileges under any and all Letters Patent that may be granted therefor.
Allerdings ist die Übertragung ausdrücklich nicht auf die Nachanmeldung beschränkt, sondern will ausweislich des Wortlauts bestimmte Erfindungen – bezogen auf Verbesserungen eines HARQ-Schemas, die in der Nachanmeldung beschrieben sind – übertragen. Da die Erfindung der Nachanmeldung – und des deckungsgleichen Klagepatents – mit dem Prioritätsdokument D2 übereinstimmen (dazu sogleich), wurde mit der Erklärung auch die Voranmeldung übertragen.
cc. Soweit die Beklagte vorträgt, die Erklärung enthalte nur eine Ermächtigung, vom Prioritätsrecht Gebrauch zu machen, was aber nach dem EPÜ nicht genüge, kann auch dies nicht überzeugen.
Zwar mag es sein, dass ein Prioritätsrecht zu übertragen ist und nicht im Wege einer Vollmacht oder Ermächtigung genutzt werden kann. Insoweit ist die Erklärung nicht eindeutig auf Übertragung gerichtet:
I authorize and empower the said assignee, its successors, assigns and legal representatives or nominees, to invoke and claim for any application for patent or other form of protection for said inventions filed by it or them, the benefit of the right of priority provided by (…)
Jedoch ist die Erklärung nach ihrem gesamten Wortlaut und dem Sinn und Zweck mit Blick auf den Empfängerhorizont auszulegen. Der Übertragende wollte ersichtlich, dass Folgeanmeldungen vom Prioritätsrecht Gebrauch machen können. Daher lag es ihm daran, dies wirksam zu erklären. Eine Übertragung der Erfindung ohne das Prioritätsrecht war ersichtlich nicht gewollt. Daher wurde auch hierüber wirksam eine Erklärung abgegeben.
b. Das Klagepatent nimmt die Priorität der NK6 auch in materieller Hinsicht wirksam in Anspruch. Bei Anmeldung eines europäischen Patents kann das Prioritätsrecht einer vorangegangenen Anmeldung nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen. Das ist vorliegend der Fall.
aa. Beide Anmeldungen betreffen dieselbe Erfindung, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGH GRUR 2002, 146 – Luftverteiler; BGH GRUR 2008, 597 – Betonstraßenfertiger). Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muss folglich im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muss sich um dieselbe Erfindung handeln (EPA GBK, GRUR Int. 2002, 80; BGH GRUR 2004, 133, 135 – Elektronische Funktionseinheit). Dabei ist die Offenbarung des Gegenstands der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.
bb. Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Prinzipien der Neuheitsprüfung (BGH GRUR 2004, 133 – Elektronische Funktionseinheit). Danach ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen „unmittelbar und eindeutig“ (BGH GRUR aaO. – Luftverteiler; BGH GRUR 2010, 910 – Fälschungssicheres Dokument BGH GRUR 2012, 1133 Rn. 31 – UVunempfindliche Druckplatte) als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (BGH GRUR 2002, 49 -Drehmomentübertragungseinrichtung; BGH GRUR 2010, 599 – Formteil). Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt (BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin). Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der prioritätsbeanspruchenden Patentanmeldung (BGH GRUR aaO. – Elektronische Funktionseinheit).
cc. Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken (BGH GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal).
dd. Danach kann die Klägerin die Priorität der NK6 in Anspruch nehmen:
(1.) Zuzugeben ist der Beklagten, dass nach der Offenbarung des Klagepatents das physikalische Modul so konfiguriert sein muss, dass die Datenblocksequenznummern sowohl „inband“ als auch „outband“ empfangen werden können. Dies wird bereits aus den abhängigen Unteransprüchen deutlich, die in Anspruch 22 einen Empfang „inband“ und in Anspruch 23 einen Empfang „outband“ separat beanspruchen. Danach sind vom Wortlaut des allgemeinen übergeordneten Anspruchs 21 beide Empfangsarten umfasst.
(2.) Allerdings kann der Beklagten nicht gefolgt werden, soweit sie vorträgt, die Prioritätsschrift NK6 offenbare lediglich den Empfang der Datenblock-Sequenznummern „outband“ bei Verwendung eines asynchronen HARQ-Schemas.
Die Beklagte beschränkt insoweit den Offenbarungsgehalt der Prioritätsschrift unzulässig auf die Verwendung des „Soft Combinings“. Das „Soft Combining“ ist jedoch weder Teil der geltend gemachten Ansprüche des Klagepatents noch notwendiger Teil der in der Prioritätsschrift offenbarten Erfindung.
Die Prioritätsschrift offenbart die Nutzung des „Soft Combinings“ vielmehr in gewisser Weise als bevorzugte Ausführungsform, ohne ihren Umfang auf eine Nutzung nur mit „Soft Combining“ zu beschränken. Dies wird an mehreren Stellen der Prioritätsschrift deutlich:
Bereits bei der Problemschilderung beschreibt die Prioritätsschrift als zu lösendes Problem lediglich, dass bekannte synchrone und asynchrone N-Channel HARQ-Schemata nicht garantieren können, dass Datenpakete von der MAC-hs-Schicht an die RLC-Schicht in der richtigen Reihenfolge weitergegeben werden:
(…) the so called synchronous or asynchronous N-chanelle HARQ schemes cannot guarantee insequence delivery of RLC-PDUs from MAChs (…).
(NK6, Invention Report, S. 1)
Als Lösung stellt die Prioritätsschrift vor, dass Datenblocksequenznummern über alle HARQ-Prozesse vergeben werden sollen:
The proposed solution ist to add HARQ sequence numbers to MAChs blocks (…) before dividing them into N channels. Since this numbering is acroos the all HARQ processes and not separate for each HARQ process, it can be used for resequencing oft he MAChs blocks (and thus also ressequencing oft he RLC-PDUs).
(NK6, Invention Report, S. 2)
In der Folge nennt die Prioritätsschrift an dieser Stelle zwar, dass die Sequenznummern „outband“ übersendet werden würden:
This sequence number would be sent outband using the HSDPA shared control channel.
(NK6, Invention Report, S. 2)
Die Prioritätsschrift macht aber an anderer Stelle deutlich, dass die Übersendung nicht auf „outband“ beschränkt ist, sondern auch „inband“ erfolgen kann – wenn auch mit der Folge, dass dann eine andere Lösung für das „Soft Combining“ gefunden werden muss:
The block number could even be sent inband with the data, i. e. with the same CRC (error detection as the data). However, in this case the block number could not be used for soft combining and some form of synchronous transmission scheme (e.g., fully or partially synchronous N-channel SAW) is required. Essential here is that the blocks are numbered and the block number is sent somehow with the data in the downlink. This enables reordering of the blocks.
(NK6, Invention Report, S. 7)
Die in der Prioritätsschrift NK6 unmittelbar und eindeutig offenbarte Erfindung ist damit die Nummerierung der Datenblocksequenznummern über alle HARQ-Prozesse – wie sie auch in den geltend gemachten Ansprüchen des Klagepatents offenbart ist. Eine Beschränkung auf den Versand „outband“ bei Verwendung eines asynchronen HARQ-Schemas kann der Prioritätsschrift dagegen nicht entnommen werden, da diese nicht auf die Verwendung des „Soft Combining“ beschränkt ist.
Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken (BGH aaO. – Kommunikationskanal, vgl. oben).
Insoweit können auch die weiter von der Beklagten vorgebrachten Argumente nicht überzeugen. Insbesondere ergibt sich etwa nicht aus der Ergänzung des letzten Halbsatzes in der Anmeldung des Klagepatents in Abs. [0048], wonach beispielsweise die Übertragung von HARQ-Prozessnummern für das optionale „Soft Combining“ genutzt werden können, etwas anderes. Dieser mag zwar in der Prioritätsschrift NK6 noch nicht enthalten gewesen sein, erfüllt jedoch im Ergebnis nur eine klarstellende Funktion.
3. Die Kammer erachtet die geltend gemachten Ansprüche 21 und 6 auch gegen über der D1 als neu.
a. Hierfür spricht bereits, dass die D1 genau den Stand der Technik dar stellt, von dem sich die gegenständliche Erfindung abgrenzt. Entsprechend nennt die Prioritätsschrift NK6 die Druckschrift D1 als „Prior Art Solution“:
How was the problem solved earlier? (…)
Ericsson has proposed to use an asynchronous selective repeat scheme to solve the problem (see 3GPP TSG RAN WG2 contribution Tdoc R2-010961). (…) (NK6, Invention Report, S. 1)
Es vermag nicht zu überzeugen, dass die Prioritätsschrift ein Dokument nennt, das die gleiche Lösung beinhalten soll. Entsprechend benennt die Prioritätsschrift auch Unterschiede:
They propose to use sequence numbers without N-Channel concept and use the sequence numbers also in the acknowledgment (a status message).
(NK6, Invention Report, S. 1)
b. Im Übrigen offenbart die D1 im von der Beklagten genannten Abschnitt 3.2 „Asynchronous N-channel stop and wait“ bereits nicht Merkmal 21.2 und insbesondere nicht Merkmal 21.2.1 der Ansprüche des Klagepatents. Die D1 sieht vor, dass die Kanäle mittels einer Kanalsequenznummer identifiziert werden. Sie sieht gerade keine anspruchsgemäße Datenblocksequenznummer vor.
Entsprechend beschreibt die D1 auch das Problem, dass bei einem Fehler alle folgenden Datenblöcke nicht mehr zugeordnet werden können:
The signalling of the channel number is in an ideal case sufficient to provide in sequence delivery to the RLC layer. However, a single nack→ack misinterpretation in the transmitter will cause all subsequent data blocks to be delivered outof sequence.
(D1 – S. 2)
Außerdem offenbart die D1 nicht die Merkmale 21.4.1 und 21.4.2, da in Abschnitt 2 nicht gelehrt wird, dass die ACK/NACK-Nachrichten ohne Sequenznummer synchron gesendet werden sollen.
Gleiches gilt für das in Abschnitt 3.3 der D1 genannte „Asynchronous Selective Repeat“ Schema, das ebenfalls explizit eine Übertragung der Sequenznummer in der ACK/NACK-Nachricht erfordert (D1 – S. 2 unten).
4. Die geltend gemachten Ansprüche 21 und 6 erweisen sich auch gegenüber der D3 als neu und erfinderisch.
Die D3 liegt bereits weiter von den vorgenannten Dokumenten weg, da sie keine Details enthält. Sie schildert auf S. 17 unten und S. 18 insbesondere das bekannte Problem der „outofsequence Delivery“, ohne jedoch eine konkrete Lösung zu erläutern.
Entsprechend lehrt die D3 weder Merkmal 21.2.1 noch die Merkmale 21.4.1 bzw. 21.4.2.
Der D3 kann bereits keine anspruchsgemäße Datenblocksequenznummerierung entnommen werden. Der Hinweis der Beklagten, diese „lese der Fachmann mit“, kann insoweit nicht überzeugen – die D3 zeigt ja gerade das Problem auf, ohne eine Lösung zu benennen. Sie führt insoweit nur allgemein aus:
Insequence delivery can be achieved either in the HARQ protocol or through modifications oft he RLC protocol; but this needs to be considered in the protocol design.
(D3, S. 18 oben).
Gleiches gilt für die synchrone Übermittlung der ACK/NACK-Nachrichten. Hier trägt die Beklagte auch im Ergebnis keine Neuheitsschädlichkeit vor, sondern beruft sich auf mangelnde erfinderische Tätigkeit. Einen entsprechenden Vortrag, warum die entsprechende Verwendung nach dem Stand der Technik naheliegend gewesen sein soll, bleibt die Beklagte jedoch im Ergebnis schuldig. Ein Naheliegen ist nicht ersichtlich.
5. Die geltend gemachten Ansprüche 21 und 6 erweisen sich auch gegenüber der BP8 als neu.
Die BP8 kann insoweit gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ bereits nur zur Neuheitsprüfung herangezogen werden, nicht jedoch zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.
Die BP8 ist von den vorgenannten Schriften noch weiter weg, da sie ausweislich des Wortlauts bereits kein asynchrones N-Kanal HARQ-Schema lehrt. Insoweit sind bereits die Merkmale 21 nicht offenbart, da die BP8 keine mehreren HARQKanäle lehrt.
D.
Die Kammer setzt den Rechtsstreit gleichfalls nicht entsprechend § 148 ZPO aus, um das vom Bundeskartellamt angeregte Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 2 AEUV durchzuführen. Dieser Ermessensentscheidung der Kammer liegen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die Kammer ist als erstinstanzliches Gericht nicht letzte Instanz und bereits aus diesen Gründen grundsätzlich zur Vorlage von Auslegungsfragen an den Gerichtshof der Europäischen Union berechtigt, aber nicht verpflichtet. Den tatrichterlichen Feststellungen zufolge liegt ein evidenter Fall erheblicher Lizenzunwilligkeit vor, so dass in der Sache auf Grund der seitens der Beklagten verfolgten Verzögerungstaktik nach den aus Sicht der Kammer klaren Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs eine kartellrechtswidrige Lizenzverweigerung seitens der Klägerin hier nicht erfolgt ist. Die Zulieferer können sich zudem wie ausgeführt vorliegend nicht auf den Lizenzeinwand berufen.
2. Überdies ist bei der gebotenen Interessenabwägung dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents bereits grundsätzlich eine Vorrangstellung einzuräumen. Denn ansonsten würde für die Dauer der Aussetzung der Schutz des Klagepatents vor rechtswidrigen Patentverletzungen praktisch aufgehoben werden.
3. Schließlich hat die Kammer im Rahmen des von ihr ausgeübten Ermessens auch berücksichtigt, dass die Klägerin, wie die Verhandlungshistorie (Anlage B-KAR 18) zeigt, grundsätzlich bereit ist, über ein Lizenzregime auf Zulieferebene zu verhandeln und gegebenenfalls auch Zulieferer der Beklagten zu lizenzieren.
Nach alledem sieht die Kammer im vorliegenden Fall keine dahingehenden europarechtlichen Bedenken, die bereits eine Aussetzung des Verfahrens in erster Instanz mit entsprechender Vorlage an den Europäischen Gerichtshof rechtfertigen könnten. E.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
Die Höhe der Sicherheitsleistung ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
1. Die Sicherheitsleistung ist grundsätzlich so zu bemessen, dass alle Schäden der Beklagten, die dieser durch die Vollstreckung des später aufgehobenen oder abzuändernden Urteils entstehen können, abgedeckt sind (Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 709 ZPO Rn. 3). Der Höhe nach ist der drohende Vollstreckungsschaden gemäß § 108 ZPO durch das Gericht nach freiem Ermessen zu schätzen. Dabei legt die Kammer der Bemessung der Höhe der Vollstreckungssicherheit die Erwägung zu Grunde, dass für die Berechnung des nach § 717 Abs. 2 ZPO erstattungsfähigen Schadens auf die §§ 249 ff. BGB abgestellt werden muss (Ulrici in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 38. Edition, 01.09.2020, § 717 ZPO, Rn. 15 m. w. N.). Zu ersetzen ist damit der sämtliche Schaden, der adäquatkausal durch die Vollstreckung entstanden ist (Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 717 Rn. 10). Zugleich finden aber auch die Grundsätze des Mitverschuldens gemäß § 254 BGB Anwendung (vgl. Ulrici in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 38. Edition, 01.09.2020, § 717 ZPO, Rn. 15 m. w. N.). Daher ist nach Auffassung der Kammer auch eine Schadensminderungspflicht der Beklagten im Rahmen der Bemessung des Vollstreckungsschadens und damit bei der Bestimmung der von der Klägerin zu leistenden Prozesskostensicherheit zu berücksichtigen.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Unmittelbare Folge der Vollstreckung des vorliegenden Urteils wäre, dass die Beklagte die Herstellung sämtlicher LTEfähiger Kraftfahrzeuge einzustellen hätte. Damit würde ihr ein unmittelbarer Vollstreckungsschaden in Höhe des der Beklagten entgangenen Gewinns bezogen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entstehen. Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Beklagten über die Erfüllung des Urteilstenors hinaus auch die Möglichkeit zur Verfügung steht, die ausgeurteilten Rechtspflichten dadurch zu erfüllen, dass sie den aktuellen rechtswidrigen Zustand der Nutzung des Klagepatents der Klägerin durch Abschluss des zuletzt angebotenen Lizenzvertrages beseitigt oder einen Lizenzvertrag mit C abschließt. Ein entsprechender Vertrag könnte unter den Vorbehalt der rechtskräftigen Verurteilung gestellt werden, wogegen sich auch die Klägerin nach Ansicht der Kammer in der Vollstreckung nicht widersetzen könnte.
Ein solches Vorgehen entspräche letztlich der aus § 254 BGB resultierenden, allgemeinen Schadensminderungspflicht. Angesichts des signifikant höheren Schadensszenarios im Falle der Unterlassung der Herstellung von Kraftfahrzeugen geht die Kammer auch mit Blick auf die der Beklagten als börsennotiertes Unternehmen obliegenden Pflichten davon aus, dass der Weg über den Abschluss eines Lizenzvertrages nicht nur rechtlich geboten, sondern auch wirtschaftlich realistisch ist.
2. Der Höhe nach ist der drohende Vollstreckungsschaden mit … EUR zu bewerten.
Zur Berechnung des drohenden Vollstreckungsschadens hat die Kammer den klägerseits für 4G-fähige Ausführungsformen geltend gemachten Lizenzsatz mit der Anzahl der Jahre der Mindestlaufzeit des von der Klägerin am 27.02.2020 vorgelegten Lizenzvertragsangebotes sowie der Anzahl von Fahrzeugen multipliziert, welche die Beklagte jährlich in der Bundesrepublik Deutschland herstellt. Dabei berücksichtigt die Kammer die zentrale Bedeutung Deutschlands als Produktionsstandort der Beklagten und die Tatsache, dass eine Vollstreckung auf der Grundlage des vorliegenden Urteils nur in Deutschland erfolgen kann.
Die geht dabei von folgenden Produktionszahlen in Deutschland für das Jahr 2018 aus: … Pkw; ca. … Vans sowie ca. … Nutzfahrzeuge. Zu Gunsten der Beklagten und unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses an einer Absicherung des vollständigen Vollstreckungsschadens hat die Kammer dabei den für 4G-fähige Fahrzeuge maßgeblichen Lizenzsatz aus dem Lizenzangebot zu Grunde gelegt und keinen Abzug für Fahrzeuge vorgenommen, die nur 3G- oder 2G-Funktionalitäten oder weder 4G-, 3G- noch 2G-Funktionalitäten verbauen. Dies trägt zugleich der Erwägung Rechnung, dass die vorliegende lizenzanaloge Schadensbetrachtung in die Zukunft gerichtet und insofern davon auszugehen ist, dass zunehmend mehr Fahrzeuge mit Telekommunikationsfunktionalitäten ausgestattet werden.
Demnach hat die Kammer die Sicherheitsleistung wie folgt berechnet: … Fahrzeuge * 5 Jahre Mindestvertragslaufzeit * … EUR = 17.148.750,00 €. Diesen Betrag hat die Kammer für die Zwecke der Bemessung der Sicherheitsleistung auf den Betrag von 18.000.000,00 € aufgerundet.
3. Für die Zwangsvollstreckung des Auskunftsanspruchs hält die Kammer eine Sicherheitsleistung von 1.800.000,00 € für ausreichend (1/10 der obigen Sicherheitsleistung).
4. Vorsorglich hat die Kammer die Sicherheitsleistung für den Kostenausspruch im Übrigen auf 110% des vollstreckbaren Betrags festgesetzt.
5. Der Vollstreckungsschutzantrag der Beklagten nach § 712 ZPO wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat keinen „nicht zu ersetzenden Nachteil“ dargetan.


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