IT- und Medienrecht

Kein Beweisverwertungsverbot bei Einsatz eines sogenannten Whistleblowers für den Patentverletzungsnachweis im Prozess

Aktenzeichen  7 O 16124/17

Datum:
11.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2018, 1052
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG § 10 Abs. 1, § 11 Nr. 3, § 143 Abs. 1
EPÜ Art. 64, Art. 69
ZPO § 92 Abs. 1, § 420, § 708 Nr. 6, § 711, § 938

 

Leitsatz

1 Ist der Nachweis einer Patentverletzung ohne den Einsatz eines sog. Whistleblowers faktisch unmöglich, so steht einer prozessualen Würdigung selbst dann kein Beweisverwertungsverbot entgegen, wenn der Einsatz als solcher einen zivilrechtlichen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der potentiellen Patentverletzrin darstellt.  (Rn. 55 und 56) (redaktioneller Leitsatz)
2 Liefert eine mittelbare Patentverletzerin das konkrete Mittel zur Anspruchsverwirklichung an Krankenhäuser,  die mit ihr in einem dauerhaften Belieferungsverhältnis stehen und ein Interesse haben, günstige Alternativpräparate zu hochpreisigen Medikamenten zu erhalten, so kann es geboten erscheinen, das Unterlassungsgebot hinsichtlich der mittelbaren Verletzung im Urteilstenor mit der Auflage zu verbinden, dass die Abnehmer eine eigene strafbewährte Unterlassungserklärung abgeben müssen, die eine Vertragsstrafezahlung an die Patentinhaberin bei verletzendem Einsatz des Mittels vorsieht (vgl. BGH BeckRS 2007, 08389). (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagtenpartei wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem Vorstand der Beklagten zu vollziehen ist, untersagt, eine pharmazeutische Lösung, umfassend
– Levosimendan als Wirkstoff,
– ein pharmazeutisch verträgliches organisches Lösungsmittel, welches Ethanol umfasst,
– eine stabilitätsverbessernde Menge einer pharmazeutisch verträglichen organischen Essigsäure mit einem pKa-Wert von 4,75, und
– ein die Wasserlöslichkeit verbesserndes Mittel, welche geeignet ist zur Zubereitung einer wässrigen Lösung zur intravenösen Infusion, umfassend Levosimendan oder ein Salz davon als Wirkstoff, wobei der pH-Wert der Lösung weniger als 5 beträgt, und einen Löslichkeitsverbesserer, Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder zuliefern, ohne im Fall des Anbietens im Angebot ausdrücklich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass die pharmazeutische Lösung nicht ohne Zustimmung der Orion Corporation als Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patentes EP 1 210 085 B1 zur Herstellung einer wässrigen Lösung zur intravenösen Infusion, die mit den vorstehend bezeichneten Merkmalen ausgestattet ist, verwendet werden darf;
im Falle der Lieferung den Abnehmern unter Auferlegung einer an die Orion Corporation als Patentinhaberin zu zahlenden Vertragsstrafe von EUR 5.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung, mindestens jedoch EUR 1.500,00 pro geliefertem Präparat, die schriftliche Verpflichtung aufzuerlegen, die pharmazeutische Lösung nicht ohne Zustimmung der Orion Corporation als Patentinhaberin des deutschen Teils des europäischen Patentes EP 1 210 085 B1 zur Herstellung einer wässrigen Lösung zur intravenösen Infusion zu verwenden, die mit den vorstehend bezeichneten Merkmalen ausgestattet ist;
II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klagepartei zu 2/3 und die Beklagtenpartei zu 1/3.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Hinsichtlich der Ziffer I. gegen das Leisten einer Sicherheit von 150.000 Euro. Die Klagepartei darf die Vollstreckung durch die Beklagtenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagtenpartei zuvor Sicherheit in Höhe des aufgrund des Urteiles vollstreckbaren Betrages leistet.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und im Hinblick auf die mittelbare Verletzung des Patentanspruchs 1 begründet. Hinsichtlich der unmittelbaren Verletzung des Patentanspruchs 6 war der Antrag als unbegründet zurückzuweisen.
I. Zulässigkeit
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I folgt aus § 143 Abs. 1 PatG, weil eine Patentstreitsache vorliegt. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung und dem Sitz der beklagten Partei.
II. Verfügungsanspruch
Es wurde glaubhaft gemacht, dass ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 10 Absatz 1, 139 Absatz 1 PatG vorliegt. Es besteht Wiederholungsgefahr hinsichtlich einer mittelbaren Verletzung des Patentanspruchs 1. Eine äquivalente Verletzung des Patentanspruchs 6 konnte die Klagepartei allerdings nicht glaubhaft machen.
Durch die Lieferung der angegriffenen Ausführungsform macht die Beklagtenpartei von Anspruch 1 mittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Das einzig streitige Merkmal 1 b ist erfüllt, weil die bestimmungsgemäß hergestellte wässrige Lösung einen pH-Wert von 3,9 hat. Eine äquivalente Verletzung des Anspruchs 6 liegt hingegen nicht vor. Das Merkmal 6 c ist nicht erfüllt. Die von der beklagten Partei verwendete Essigsäure hat einen pKa-Wert von 4,75, der nicht mehr im äquivalenten Schutzbereich des Patents liegt.
1. Das Verfügungspatent
a. Das Verfügungspatent EP 1 210 085 B1 betrifft Levosimendanlösungen zur pharmazeutischen Verwendung und insbesondere zur intravenösen Verabreichung, zum Beispiel als Infusions- oder Injektionslösungen [0001]. Im Stand der Technik ist der Wirkstoff Levosimendan bekannt, bei dem es sich um das (-)-Enantiomer von [4-(1,4,5,6-Tetrahydro-4-methyl-6-oxo-3-pyridazinyl) phenyl]hydrazono]propandinitril handelt. Es handelt sich um ein hoch wirksames Mittel bei der Behandlung von Herzinsuffizienz [0002]. Diese Verwendung, die Vorteile der hämodynamischen Wirkungen von Levosimendan sowie die Vorzüge einer Anwendung durch z.B. parenterale Verabreichung sind bekannt [0003,0004].
b. Die Kammer definiert den Fachmann entsprechend dem Vortrag der Klagepartei als Team aus einem Chemiker, einem Pharmazeuten und einem Arzt. Der Vortrag der beklagten Partei, die den Fachmann als Pharmazeuten mit chemischen Kenntnissen definiert haben, möchte, greift zu kurz, weil für die erfindungsgemäße Lösung insbesondere auch die Verträglichkeit beim Patienten, mithin die klinische Erfahrung eines Arztes von Bedeutung ist.
c. Im Stand der Technik warf die Herstellung von Levosimendanlösungen – insbesondere für die intravenöse Verabreichung – eine Reihe von Problemen auf. Unter anderem ist Levosimendan empfindlich gegenüber chemischen und physikalischen Einflüssen. Es war schlecht zu lagern und ist leicht aus wässrigen Lösungen herausgefallen. Gerade das Ausfallen aus intravenösen Lösungen ist äußerst gefährlich, weil teilchenförmiges Material die Blutgefäße verstopfen kann. Deshalb bestand ein Bedarf an besseren wässrigen Formulierungen von Levosimendan, die bei längerer Lagerung chemisch und physikalisch stabil sind und sich zur intravenösen Verabreichung eignen [0005].
d. Ausgehend von diesem Stand der Technik stellt sich das Patent die Aufgabe, eine Levosimendanlösung zur pharmazeutischen Verwendung und insbesondere zur intravenösen Verabreichung zur Verfügung zu stellen, die eine bessere Stabilität hat, so dass sie länger gelagert werden kann und sich besonders als Infusions- oder Injektionslösung oder als Infusionskonzentrat eignet.
e. Diese Aufgabe löst das Patent mit den hier geltend gemachten Patentansprüchen 1 und 6.
Beide Parteien haben unterschiedliche Merkmalsgliederungen vorgelegt, ohne dass es für das Verfahren erhebliche Unterschiede gibt. Das Gericht folgt der von der Klagepartei vorgelegten Gliederung, welche wie folgt lautet:
1. Aqueous intravenous infusion solution comprising
a) levosimendan or a salt thereof as an active ingredient,
b) the pH-value of the solution being lower than 5, preferably about 4.5 or lower,
c) and optionally a solubility enhancing agent.
6. A pharmaceutical solution comprising
a) levosimendan or a pharmaceutical acceptable salt thereof as an active ingre dient,
b) pharmaceutical acceptable organic solvent comprising ethanol,
c) a stability enhancing amount of a pharmaceutically acceptable organic acid having pKa in the range of from 2 to 4, and optionally
d) a water-solubility enhancing agent.
In deutscher Übersetzung lauten diese Merkmale:
1. Wässrige Lösung zur intravenösen Infusion, umfassend
a) Levosimendan oder ein Salz davon als Wirkstoff,
b) wobei der pH-Wert der Lösung weniger als 5, vorzugsweise etwa 4,5 oder weniger beträgt,
c) und gegebenenfalls einen Löslichkeitsverbesserer.
6. Pharmazeutische Lösung, umfassend
a) Levosimendan oder ein Salz davon als Wirkstoff,
b) ein pharmazeutisch verträgliches organisches Lösungsmittel, welches Ethanol umfasst,
c) eine stabilitätsverbessernde Menge einer pharmazeutisch verträglichen orga nischen Säure mit einem pKa im Bereich von 2 bis 4,
d) und gegebenenfalls ein die Wasserlöslichkeit verbesserndes Mittel.
2. Auslegung des Patents
a. Der Schutzbereich eines Europäischen Patents wird nach Art. 69 EPÜ durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung heranzuziehen. Hierbei ist funktionsorientiert und aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns auszulegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Patentschrift ihr eigenes Lexikon bilden kann. Durch in den Patentanspruch aufgenommene Zahlen- und Maßangaben wird der Schutzgegenstand des Patents mitbestimmt und damit auch begrenzt. Wie jeder Bestandteil eines Patents sind Zahlen- und Maßangaben jedoch grundsätzlich der Auslegung fähig (BGH, Urteil vom 12.03.2002, X ZR 168/00 – Schneidmesser).
b. Unter Anwendung dieser Grundsätze wird der Fachmann das Patent so verstehen, dass sich Anspruch 1 mit der zur unmittelbaren medizinischen Anwendung verwendbaren wässrigen Lösung beschäftigt. Durch den niedrigen, also sauren, pH Wert von weniger als 5 wird die Haltbarkeit und Stabilität dieser wässrigen Lösung sichergestellt [0012]. Dies kann erreicht werden durch die Verwendung von pharmazeutisch verträglichen organischen Säuren mit einem pKa im Bereich von 2 bis etwa 4. Beispielsweise 2-Hydroxyalkansäuren, wie Zitronensäure, Milchsäure, Weinsäure oder Äpfelsäure. Diese Säuren sind mit einem Puffersystem auf den benannten pH Wert einzustellen.
Anspruch 6 beschreibt hingegen ein Konzentrat, welches vor Gebrauch mit einem wässrigen Träger zu verdünnen ist. Dieses Konzentrat soll nach Merkmal 6 c mit einer pharmazeutisch verträglichen Säure in einem pKa im Bereich von 2 bis 4 gefertigt werden. Nach [0023] umfasst die pharmazeutisch verträgliche organische Säure vorzugsweise eine 2-Hydroxyalkansäure. Solche Säuren umfassen Zitronensäure, Milchsäure, Weinsäure und Äpfelsäure, wobei Zitronensäure ganz besonders bevorzugt ist.
Entgegen den Ausführungen der Klagepartei ist keine technische Toleranz zu dem in Anspruch 6 angegebenen Zahlenbereich von 2 bis 4 pKa im Bereich des Wortsinn zuzuschlagen. Ein solches Verständnis lässt sich bereits der Beschreibung nicht entnehmen. Der pKa Wert wird an zwei Stellen thematisiert, im Hinblick auf die wässrige Lösung nach Anspruch 1 in Absatz 4. Dort lautet es: „Bevorzugte saure Verbindungen umfassen pharmazeutisch verträgliche organische Säuren mit einem pKa im Bereich von 2 bis etwa 4.“ In Absatz 21 wird jedoch im Hinblick auf das Konzentrat gem. Anspruch 6 von „organischen Säuren mit einem pKa im Bereich von 2 bis 4“ gesprochen. Aus diesem Unterschied muss der Fachmann schlussfolgern, dass der pKa-Wertbereich im Anspruch 6 genauer einzuhalten ist, als derjenige zur Herstellung einer Injektionslösung gem. Anspruch 1.
Weiter weiß der Fachmann, dass geeignete organische Säuren einen individuellen und konstanten pKa-Wert aufweisen. Durch die Bereichsangabe hat der Anspruch daher aus dem Bereich bekannter und pharmazeutisch geeigneter organischer Säuren (vgl. Tabelle gem. Schriftsatz der Klagepartei vom 21.12.2017, S. 3) diejenigen ausgewählt, deren konstanter pKa-Wert zwischen 2 und 4 liegt. Bei diesen handelt es sich zum einen um die in [0023] bevorzugten 2-Hydroxyalkansäuren. Es kommen aber auch andere organische Säuren mit entsprechenden pKa-Werten, wie etwa Malonsäure (pKa 2,83), in Betracht. Hieraus schlussfolgert der Fachmann, dass kein technischer Toleranzbereich vorzusehen ist, denn es gibt keine schwankenden pKa-Werte. Der pKa-Wert ist eine Naturkonstante. Die nächstliegende organische Säure mit einem pKa-Wert über 4 wäre z.B. die Bernsteinsäure mit einem pKa-Wert von 4,16 oder die Glutarsäure mit einem pKa von 4,32.
2. Mittelbare Patentverletzung des Anspruchs 1 Mit der Lieferung des Produkts „Levosimendan 2,5 mg/ml“ an die K. Stadtklinik in Bad Tölz hat die Beklagtenpartei das Streitpatent mittelbar verletzt, § 10 PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ.
Gemäß § 10 Abs. 1 PatG hat das Patent die Wirkung, dass es jedem Dritten verboten ist, ohne Zustimmung des Patentinhabers im Geltungsbereich dieses Gesetzes anderen als zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder es aufgrund der Umstände offensichtlich ist, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Die Vorschrift formuliert damit einen Gefährdungstatbestand, der auf in der Sphäre des Abnehmers liegende Umstände zurückgreift und dem anbietenden Dritten zurechnet. Sie ermöglicht damit die Durchsetzung des Patents bereits im Vorfeld einer drohenden unmittelbaren Patentverletzung.
Vorliegend stellt die Lieferung des Produkts „Levosimendan 2,5 mg/ml“ eine mittelbare Verletzung des Anspruchs 1 dar. Insbesondere ist das einzige zwischen den Parteien streitige Merkmal 1 c „wobei der pH-Wert der Lösung weniger als 5, vorzugsweise etw 4,5 oder weniger beträgt“, erfüllt. Denn der Belieferte wird dieses Produkt entsprechend den Benutzungsangaben des Produkts „Simdax“ mischen und dann in der fertigen Lösung einen pH Wert von 3,5 erhalten.
Die Klagepartei hat dies glaubhaft gemacht durch Vorlage einer eidesstattlicher Versicherung des Arztes Dr. Z. (AST 11).
Soweit die beklagte Partei auf die Fachinformation zu dem von ihr gefertigten Produkt „Levosimendan 2,5 mg/ml“ verweist, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Zum einen ist die beklagte Partei dem Vortrag der Klagepartei, dass die Fachinformationen weder in November 2016, noch im August 2017 mitgeliefert worden sei, nicht entgegengetreten. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Fachinformation in der Klinik in Bad Tölz nicht vorlag. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die zur Verwendung berufenen Ärzte vor der Anwendung eine Fachinformation bei der Beklagtenpartei hätten anfordern müssen.
Bereits aus dem Bestellbogen für das im August 2017 gelieferte Medikament (Anlagen der Beklagtenpartei – AST 2) ergibt sich, dass die beklagte Partei bei einer Bestellung von „Levosimendan (Simdax)“ das streitgegenständliche Präparat liefert. Bereits dadurch ist offensichtlich, dass es sich um ein Austauschpräparat handelt. Vor diesem Hintergrund kann auch dahinstehen, ob die beklagte Partei tatsächlich – wie von der Klagepartei behauptet und von der beklagten Partei nicht substantiiert bestritten – die Fachinformation erst anlässlich des vorliegenden Verfahrens angefertigt hat. Ein Original der Fachinformation wurde – trotz Hinweises in der Verfügung vom 20.12.2017 – nicht vorgelegt (§ 420 ZPO).
3. Äquivalente Verletzung des Anspruchs 6
Der Anspruch 6 wird durch das Produkt „Levosimendan 2,5 mg/ml“ nicht verletzt. Die Klagepartei geht bereits nicht von einer wortsinngemäßen Verletzung aus. Die von der beklagten Partei verwendete Essigsäure (CH3COOH) hat eine Säurekonstante (pKa Wert) von 4,75 (vgl. auch Anlage AST 10). Damit liegt sie außerhalb des in Merkmal 6 c benannten Bereichs eines pKa Werts von 2 bis 4. Entgegen des Vortrags der Klagepartei gibt es zudem aus den genannten Gründen keinen Toleranzbereich. Ein pKa-Wert von 4,75 liegt aber auch außerhalb eines möglichen Äquivalenzbereichs.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, z.B. im Urteil vom 13.01.2015, X ZR 81/13 – Kochgefäß, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein, damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zu Grunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot des Art. 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen. Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquivalent zu erkennen vermag und damit an dem Gebot des Art. 1 des Auslegungsprotokolls ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden.
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist es der Klagepartei vorliegend nicht gelungen, eine äquivalente Patentverletzung glaubhaft zu machen. Zumindest die dritte Frage, also ob der Fachmann bei der Anwendung des Austauschmittels am Sinngehalt des Patentanspruchs orientiert gehandelt hat, muss verneint werden.
Auch bei einer unterstellten Gleichwirkung und einem unterstellten Naheliegen ist die Verwendung von Essigsäure jedenfalls nicht am Patentanspruch orientiert. Entgegen den Ausführungen der Klagepartei kann das Merkmal 6c nicht so verstanden werden, dass die Angabe „pKa 2 bis 4“ unter Einbeziehung eines technischen Toleranzbereichs bedeutet „pKa 1,50 bis 4,49“. Ein solches Verständnis lässt sich der Beschreibung aus den benannten Gründen nicht entnehmen. Insofern ist bereits der Ausgangspunkt der Klagepartei für die Äquivalenzbetrachtung, dass nämlich der pKa von Essigsäure mit 4,75 so dicht an der wortsinngemäß beanspruchten Obergrenze (4,49) plus technische Toleranz sei, dass es nur ein kleiner Schritt sei, um Essigsäure als Austauschmittel zu finden, fehlerhaft.
Zum anderen kann aus den in der Beschreibung erörterten Tests mit unterschiedlichen pH-Werten nichts für die pKa-Werte des Anspruchs 6 abgeleitet werden. Denn aus der Gesamtschau folgt, dass der pH Wert der Lösung für das Konzentrat des Anspruchs 6 keine Bedeutung hat. Maßgeblich ist die Säurekonstante, also der pKa Wert. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die Säure in der später herzustellenden wässrigen Lösung einen pH Wert herbeiführt, der zum einen pharmazeutisch verträglich ist, zum anderen aber auch die Haltbarkeit und Stabilität des Konzentrats und der wässrigen Lösung sicherstellt.
Weiter wird der Fachmann auch aus den mathematischen Gegebenheiten, die sich aus der Definition des pKa-Wertes als negativer dekadischer Logarithmus der Säurekonstante ergeben, nicht den Schluss auf einen über den pKa-Wert 4 hinausgehenden Äquivalenzbereich ziehen, sondern im Gegenteil diese Bereichsangabe sehr ernst nehmen. Die Vertreter der Klagepartei haben im Termin durch Vorlage der Anlage AST 40 verdeutlicht, dass in einer grafischen Darstellung der Dissoziationskonstante für den pKa -Bereich 2,0 bis 4,0 der Abstand zwischen den ganzzahligen Inkrementen, also zwischen 10-2 und 10-3 (entspricht pKa 2,0 und 3,0), zwischen 10-3 und 10-4 und zwischen 10-4 und 10-5 nach oben hin exponentiell abnimmt. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Fachmann über den pKa-Wert 4 hinaus irgendeinen Bereich als gleichwirkend in Betracht ziehe würde. Allenfalls kann hieraus abgeleitet werden, dass der Fachmann die Wertgrenze besonders genau nimmt, zumal ihm in der Beschreibung mitgeteilt wird, dass die Kontrolle des Säuregehalts erfindungswesentlich ist [21] und es sich dabei um den Kern der Erfindung handelt und er – nach dem unwidersprochenen Vortrag der beklagten Partei – ferner weiß, dass die Säurestärke bei einem pKa-Wert von 4,75 (Essigsäure) im Vergleich zu einer Säure mit einem pKa-Wert von 4,0 nur 18% beträgt. Im Vergleich zu einer Säure mit einem pKa-Wert von 4,49 hätte Essigsäure eine Säurestärke von 56%.
Schließlich weisen die beiden organischen Säuren Bernsteinsäure mit 4,16 und die Glutarsäure mit 4.32 pKa-Werte auf, die noch vor dem pKa-Wert von Essigsäure mit 4,75 liegen. Mithin kann der Abstand zwischen dem pKa-Wert der Essigsäure mit 4,75 und der beanspruchten Wertgrenze von 4 pKa nicht als gering eingeschätzt werden.
Vor diesem Hintergrund kann die Verwendung von Essigsäure nicht mehr als am Patentanspruch orientiert angesehen werden. Der Anmelder hat sich durch die Zahlenangabe 2 bis 4 im Merkmal 6 und durch die eindeutigen Erläuterungen in der Beschreibung auf bestimmte, durch ihre unveränderlichen pKa-Werte gekennzeichnete organische Säuren festgelegt. Wenn nunmehr die beklagte Partei das Merkmal 6c durch eine organische Säure ersetzt, die einen erheblich höheren pKa Wert hat so ist dies nicht mehr am Patentanspruch 6 orientiert.
4. Wiederholungsgefahr
Ob die für einen provozierten Testkauf entwickelten Grundsätze für die im August 2017 ausgelieferte Lieferung von „Levosimendan 2,5 mg/ml“ Anwendung finden – und die Bestellung vom August 2017 bei der Beurteilung einer Wiederholungsgefahr unberücksichtigt bleiben muss – kann dahin gestellt bleiben. Denn es handelte sich um die zweite – nicht bestrittene – Lieferung des gleichen Produkts. Insofern liegt zumindest eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der im November 2016 gelieferten Probe vor.
5. Beweisverwertungsverbot
Im vorliegenden Fall kommt kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der im August 2017 von Dr. Z. an die Klagepartei gelieferten Probe von „Levosimendan 2,5 mg/ml“ in Betracht. Nach herrschender Meinung (siehe Prütting, MüKo ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287, Rn. 67) kommt die Annahme eines Verwertungsverbotes in zivilrechtlichen Verfahren nur ausnahmsweise in Betracht. Insbesondere, wenn der Schutzzweck der verletzten Norm dies erfordere, nämlich wo ein rechtswidriger Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Grundpositionen des Einzelnen vorliegt (insbesondere Eingriffe in die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht). Dies muss insbesondere bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen gelten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden.
Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die äußeren Umstände mögen zwar dafür sprechen, dass die Bestellung von Dr. Z. vom 01.08.2017 von der Klagepartei initiiert worden sind. Insbesondere die Tatsache, dass das Labor C. – nach Angaben der Klagepartei – bereits im Juli 2017 kontaktiert wurde, ob eine entsprechende Probe analysieren werden könne und die Bestellung unmittelbar zeitlich folgte. Dies rechtfertigt es aber – unter Verwendung der genannten Anforderungen – nicht, von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen. Es mag bei der Beklagtenpartei allenfalls ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen, der aber hinter der Tatsache zurücktritt, dass es der Klagepartei ohne den Einsatz eines Whistleblowers faktisch unmöglich wäre, Patentverletzungen nachzuweisen. Wie in diesem Verfahren deutlich zu Tage getreten, wäre es für die Klagepartei ansonsten nicht möglich die Medikamente zu untersuchen, die die beklagte Partei an mit ihr verbundene Krankenhäuser ausliefert. Insgesamt ist kein rechtlicher Gesichtspunkt ersichtlich, der einer Verwertung der durch einen Whistleblower gewonnenen Proben entgegensteht.
III. Verfügungsgrund
Es liegt ein Verfügungsgrund hinsichtlich der geltend gemachten mittelbaren Verletzung des Anspruchs 1 vor. Der Antrag wurde innerhalb der im Zuständigkeitsgebiet des Oberlandesgerichts München geltende Monatsfrist eingereicht. Die Klagepartei hat glaubhaft gemacht, dass sie die Messergebnisse der C. am 11.10.2017 mitgeteilt bekommen hat. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 09.11.2017 bei Gericht eingegangen. Damit wurde die Monatsfrist eingehalten.
Entgegen der Ansicht der beklagten Partei ist nicht auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen. Vor allem war die Klagepartei berechtigt, erst eine Analyse der Inhaltsstoffe des streitgegenständlichen Medikaments einzuholen. Sie war nicht verpflichtet, sich allein auf die Angaben auf den Ampullen mit dem Produkt „Levosimendan 2,5 mg/ml“ zu verlassen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es möglich wäre, den pH Wert allein anhand der Angaben auf dem Etikett zu errechnen, bzw. dass die Klagepartei die angegebenen Inhaltsstoffe hätte nachmischen können, um sie einer Analyse zuzuführen. Dies ist aber insofern unbeachtlich, weil ein derart ermitteltes Ergebnis vielfältigen Angriffen ausgesetzt gewesen wäre. Der Patentinhaber ist in derartigen Fällen nicht gehalten, den unsichereren Weg sogleich zu bestreiten.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Erwägung, dass die Klagepartei vor der Beauftragung des Analyselabors C. zu langsam hantiert habe. Es erscheint dem Gericht zwar nicht ersichtlich, dass allein das Erfordernis des Aufrechterhaltens einer Kühlkette eine Verzögerung von zwei Wochen rechtfertigt. Letztlich ist aber maßgeblich, dass die Monatsfrist erst ab Kenntnis von Tat und Täter, mithin also ab Erhalt der Laborergebnisse zu laufen begonnen hat. Entgegen den Ausführungen der beklagten Partei kann auch nicht auf den im Gutachten (AST 15) genannten 02.10.2017 abgestellt werden. Zu diesem Tag hat das Labor den pH Wert ermittelt. Nicht gesagt ist damit aber, dass die Klagepartei den Wert auch zu diesem Termin mitgeteilt bekommen hat.
Anders zu beurteilen ist die Dringlichkeit hinsichtlich der geltend gemachten äquivalenten Verletzung des Anspruchs 6. Insofern hätte die Klagepartei bereits ab Kenntnis der Beschriftung des Medikaments im November 2016 tätig werden können. Die Verletzungsdiskussion der Klagepartei wird allein mit den Angaben auf der Ampulle geführt. Es ist entgegen den Ausführungen der Klagepartei nicht ersichtlich, dass es ein Risiko gegeben hat, dass die beklagte Partei zur Verdeckung einer mutmaßlichen Patentverletzung falsche Angaben auf ein Medikament schreibt. Die fehlende Dringlichkeit kann aber dahinstehen, weil aus den genannten Gründen bereits nicht vom Vorliegen eines Verfügungsanspruchs im Hinblick auf eine äquivalente Verletzung des Anspruchs 6 ausgegangen werden kann.
IV. Tenorierung
Dem Unterlassungsgebot hinsichtlich der mittelbaren Verletzung des Anspruchs 1 war mit der Auflage, dass die Abnehmer eine strafbewährte Unterlassungserklärung abgeben müssen, zusätzliches Gewicht zu verleihen.
Nach BGH, Urteil vom 09.01.2007, X ZR 173/02 – Haubenstretchautomat, kommt die Verpflichtung, Abnehmern strafbewährte Unterlassungserklärungen aufzuerlegen nur in Betracht, wenn ein Warnhinweis nach den konkreten Umständen des Einzelfalles unzureichend ist. Dies ist vorliegend der Fall, weil die beklagte Partei an Krankenhäuser liefert, die mit ihr in einem dauerhaften Belieferungsverhältnis stehen und ein Interesse haben, günstige Alternativpräparate zu hochpreisigen Medikamenten zu erhalten. In dieser Konstellation haben die Belieferten kein Interesse, etwaige Verstöße an Rechteinhaber mitzuteilen. Als Folge ist es für die Klagepartei – wie sich auch im vorliegenden Fall gezeigt hat – nur schwer möglich zu überprüfen, wie und mit welchen Informationen das Produkt „Levosimendan 2,5 mg/ml“ geliefert wird. Letztlich ist es ihr auch im vorliegenden Fall nur durch den Einsatz eines Whistleblowers gelungen, eine Probe des streitgegenständlichen Produkts zu bekommen.
Gegen diesen Whistleblower wurde durch dessen Arbeitgeber, der von der beklagten Partei belieferten K. Stadtklinik in Bad Tölz, bereits eine Anzeige wegen Diebstahls erhoben (Anlage der beklagten Partei – AST 4). Fälschlicherweise wurde in dieser Anzeige verschwiegen, dass kein verabreichungsfähiges Medikament, sondern nur die übriggebliebenen Reste, die ohnehin nicht mehr verwendet werden durften, weitergegeben wurden. Das Gericht verkennt nicht, dass die Anzeige nicht von der beklagten Partei erstattet wurde, bewertet aber in Zusammenschau die vorliegenden Umstände so, dass bei den Belieferten der Anreiz, ein kostengünstiges Ersatzpräparat zu verwenden, um das über 1.000 Euro teurere Originalpräparat zu substituieren, als eher hoch und die Rechtstreue als eher niedrig einzuschätzen ist. Ein schlichter Warnhinweis erscheint vor diesem Hintergrund nicht ausreichend, eine spätere Patentverletzung auszuschließen. Bei Abwägung aller Umstände kommt daher die gewählte Tenorierung als einzige Möglichkeit in Betracht, um zukünftige Verletzungen des Anspruchs 1 effektiv abzuwehren.
V. Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO. Nach den übereinstimmenden Angaben beider Parteien, denen die Kammer folgt, sind die Ansprüche aus Patentanspruch 6 mit 2/3 und solche aus Patentanspruch 1 mit 1/3 zu bewerten.
Die Entscheidung hinsichtlich der Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckbarkeit der Ziffer I. des Tenors auf § 938 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung orientiert sich am Streitwert. Hinsichtlich der Erstattung der Verfahrenskosten der Beklagtenpartei beruht die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.


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