IT- und Medienrecht

Keine Account-Sperre ohne Anhörung

Aktenzeichen  18 U 6997/20 Pre

Datum:
14.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 53369
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB §§ 280, 305
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zum grundsätzlich bestehenden vertraglichen Anspruch des Nutzers eines sozialen Netzwerks gegen dessen Anbieter auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Beitragslöschung bei Fehlen einer Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, wonach sich der Anbieter verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neuentscheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20 und BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 192/20).
2. Ohne Umsetzung der vom BGH verlangten Änderung der Nutzungsbedingungen und Beachtung der verfahrensrechtlichen Erfordernisse besteht – abgesehen von Ausnahmen wie etwa einem strafbaren Inhalt des Beitrags oder Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Dritten – keine Berechtigung des Anbieters eines sozialen Netzwerks zur Löschung und Sperrung auf Basis des Nutzervertrags. Die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung liegen insofern nicht vor.
3. Der Anbieter eines sozialen Netzwerks muss ungeachtet des Erfordernisses, oftmals schnell entscheiden zu müssen, Verfahrensrechte der Nutzer beachten. Bis zur Änderung seiner Nutzungsbedingungen und der Beachtung der verfahrensrechtlichen Erfordernisse ist es ihm zuzumuten, auf weitergehende Lösch- und Sperrbefugnisse zu verzichten.

Verfahrensgang

8 O 2259/19 2020-11-20 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München II vom 20.11.2020, Az. 8 O 2259/19, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin für das Einstellen des nachfolgend gezeigten Bildes auf www.f..com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn dies geschieht wie am 11.03.2019.
Für den Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angedroht, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin für das Einstellen des nachfolgenden Textes auf www.f..com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn dies geschieht wie am 03.09.2019.
Für den Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angedroht, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Rechtsanwaltskosten a) für die außergerichtliche Tätigkeit bezogen auf den am 11.03.2019 gelöschten Beitrag in Höhe von 650,34 € und b) für die außergerichtliche Tätigkeit bezogen auf den am 03.09.2019 gelöschten Beitrag in Höhe von 650,34 € jeweils durch Zahlung an die Kanzlei R. freizustellen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Daten der Klägerin dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den am 03.09.2019 gelöschten Beitrag aus dem Datensatz der Beklagten gelöscht wird und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 70% und die Beklagte 30%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar,
a) in Ziffer 1 und 2 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 4.000 €,
b) in Ziffer 4 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000 €,
c) im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet.
Da die Beklagte mit der Löschung der Beiträge der Klägerin vom 11.03.2019 und 03.09.2019 und der anschließenden Sperrung des klägerischen Nutzerkontos gegen ihre Vertragspflichten verstoßen hat, steht der Klägerin ein Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu. Ferner kann sie anteilige Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 € für jeden Beitrag und Berichtigung des sie betreffenden Datensatzes der Beklagten im Hinblick auf den am 03.09.2019 gelöschten Beitrag verlangen.
Soweit die Klägerin darüber hinaus Datenberichtigung im Hinblick auf den am 11.03.2019 gelöschten Beitrag sowie Feststellung der Rechtswidrigkeit der Löschung der Beiträge und der Kontosperrungen, Freischaltung des am 11.03.2019 gelöschten Beitrags, Auskunftserteilung, Schadensersatz und Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten begehrt, hat das Landgericht die Klage hingegen zu Recht abgewiesen. Insoweit war daher auch die Berufung zurückzuweisen.
1. Das Landgericht hat die – auch im Berufungsverfahren von Amts wegen zu prüfende (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2002 – III ZR 102/02, NJW 2003, 426, juris Rn. 9) – internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Ergebnis zutreffend bejaht.
Diese folgt aus Art. 17 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) (vgl. auch BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 24). Danach kann die Klägerin als Verbraucherin, die die Plattform der Beklagten privat und nicht beruflich oder gewerblich nutzt, gegen die Beklagte, die ihre gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet hat, vor dem Gericht ihres Wohnsitzes und damit vor dem Landgericht München II Klage erheben.
2. Zutreffend hat das Landgericht die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entfernung der Beiträge vom 11.03.2019 und 03.09.2019 und der Sperrungen des Nutzerkontos gerichteten Anträge (Berufungsanträge Ziff. 2 und 4) bereits als unzulässig angesehen, weil der Klägerin das erforderliche Feststellungsinteresse fehlt (§ 256 Abs. 1 ZPO).
Gegenstand einer Feststellungsklage kann grundsätzlich nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses sein. Ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich aus der Feststellung noch Rechtsfolgen für die Gegenwart und die Zukunft ergeben können, wenn also an der Feststellung des vergangenen Rechtsverhältnisses ein gegenwärtiges Interesse besteht (BGH, Urteil vom 17.06.2016 – V ZR 272/15, NJW-RR 2016, 1404, juris Rn. 13 m.w.N.; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 256 Rn. 3a). Da sich die vorliegenden Feststellungsanträge jeweils auf Maßnahmen beziehen, die unstreitig in der Vergangenheit liegen und beendet sind, hängt die Zulässigkeit des Antrags davon ab, ob die Klägerin noch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass die Beklagte die Beiträge nicht entfernen und Sperrungen ihres Kontos nicht vornehmen durfte. Davon kann auf Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht ausgegangen werden.
a) Mit der Behauptung, dass die Beklagte bei künftigen Verstößen gegen ihre Gemeinschaftsstandards frühere Sperren berücksichtige und die gespeicherten Verstöße Auswirkungen auf die Länge und Dauer künftiger Sperren bzw. das Ausmaß der Sanktionen im Wiederholungsfalle hätten, lässt sich ein gegenwärtiges Feststellungsinteresse nicht begründen. Denn die Feststellung der Rechtswidrigkeit der einzelnen Sperrungen hätte noch nicht zur Folge, dass der die jeweilige Sperrung betreffende Vermerk aus dem Datensatz der Beklagten entfernt oder auch nur korrigiert würde. Einen hierauf gerichteten Leistungsanspruch hat die Klägerin auch hilfsweise geltend gemacht. Ist der Klägerin aber eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar, so ist im Interesse der endgültigen Klärung der Streitfrage in einem Prozess das erforderliche Feststellungsinteresse regelmäßig zu verneinen (vgl. Zöller/Greger a.a.O. § 256 Rn. 7a m.w.N.; vgl. auch Senat, Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, MDR 2020, 552, juris Rn. 88, und Urteil vom 18.02.2020 – 18 U 3465/19 Pre, juris Rn. 62). Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entfernung der beiden Beiträge, da der Klägerin insoweit eine Unterlassungsklage möglich ist und hier auch erhoben wurde.
b) Die Klägerin kann ein Feststellungsinteresse nicht mit ihrem Rehabilitierungsbedürfnis oder ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz begründen, denn die Rechtswidrigkeit der Entfernung der Beiträge und Sperrung des Nutzerkontos ist Voraussetzung der mit der Klage ebenfalls geltend gemachten Wiederherstellungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche und in diesem Zusammenhang ohnehin inzident zu prüfen. Durch eine Bekanntgabe einer diese Ansprüche zusprechenden Entscheidung könnten mögliche Beeinträchtigungen des Ansehens der Klägerin ebenso leicht behoben werden wie durch die Bekanntgabe eines Feststellungsurteils.
c) Anders als die Klägerin meint, könnte das beantragte Feststellungsurteil auch keine „verbindliche Klarheit“ darüber schaffen, dass eine zukünftige Sperre durch die Beklagte nicht wegen Vertragsverstößen der Klägerin durch Beiträge in Betracht komme, soweit diese keinen Straftatbestand erfüllten (vgl. S. 80 der Klageschrift; Bl. 80 d.A.). Mit einem solchen Urteil würde mit Rechtskraft nach § 322 ZPO und damit „verbindlich“ nur über die Frage entschieden, ob die konkreten streitgegenständlichen Äußerungen in dem konkreten streitgegenständlichen Kontext die Beklagte zur Sperrung des Profils der Klägerin berechtigen. Auf die Begründung des festgestellten Rechtsverhältnisses würde sich die Rechtskraft nicht erstrecken (vgl. Zöller/Vollkommer a.a.O., § 322 Rn. 6/8).
3. Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung der Beiträge vom 11.03.2019 und 03.09.2019 bei deren erneuter Einstellung gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu (Berufungsanträge Ziff. 5 und 6). Die gestellten Unterlassungsanträge sind allerdings noch um einen ausdrücklichen Kontextbezug zu ergänzen („wenn dies geschieht wie am 11.03.2019 bzw. am 03.09.2019“).
a) Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche sind nach deutschem Recht zu beurteilen. Aufgrund der Rechtswahlklausel in Nr. 4.4 der Nutzungsbedingungen der Beklagten (Anlage K 1) unterliegt der zwischen den Parteien geschlossene Nutzungsvertrag nach Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) dem deutschen Recht. Dessen Anwendbarkeit ergäbe sich im Übrigen auch ohne Rechtswahl der Parteien aus Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO, weil ein Verbrauchervertrag vorliegt (vgl. auch BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 26).
b) Die Beklagte hat – wie sich auch aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 in zwei vergleichbaren Parallelverfahren ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179 und BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 192/20, ZUM-RD 2021, 612) – durch die Entfernung der Beiträge der Klägerin und die Sperrung des klägerischen Nutzerkontos gegen ihre Vertragspflichten aus dem zwischen den Parteien bestehenden Nutzungsvertrag verstoßen.
aa) Die Beklagte war nicht gemäß Nr. 3.2 und Nr. 1 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil II Nr. 9 der Gemeinschaftsstandards in der Fassung vom 19. April 2018 (Anlagen K 1 und K 3) zur Löschung der Beiträge und Sperrung des Nutzerkontos der Klägerin berechtigt. Denn der dort vorgesehene Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
(1) In Übereinstimmung mit den vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist zunächst festzuhalten, dass die aktualisierten Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards der Beklagten (Anlagen K 1 und K 3) – bei denen es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB handelt – wirksam in das Vertragsverhältnis der Parteien einbezogen wurden (§ 305 Abs. 2 BGB).
Die Klägerin hat ihr Einverständnis mit den aktualisierten Geschäftsbedingungen erklärt und das an sie gerichtete Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags angenommen, indem sie nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung vom 16.09.2019 (dort S. 15; Bl. 126 d.A.) am 01.05.2018 den geänderten Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards, die ihr im Rahmen eines sog. Pop-up-Fensters zur Kenntnis gebracht wurden, durch Anklicken der entsprechenden Schaltfläche ausdrücklich zugestimmt hat.
Auf diese Konstellation findet entgegen der Ansicht der Klägerin weder § 308 Nr. 5 BGB Anwendung noch ist ihre Einverständniserklärung gemäß § 138 Abs. 1 BGB als unwirksam anzusehen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinen Entscheidungen vom 29.07.2021 (vgl. etwa BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 31 ff.) wird Bezug genommen. Für die vorliegend in Streit stehenden Regelungen zum „Bullying“ gilt dabei in gleicher Weise wie für die im Rahmen des Rechtsstreits vor dem Bundesgerichtshofs streitigen Regelungen zur „Hassrede“, dass die Neufassung („Bullying“) von der vorherigen Fassung („Mobbing und Belästigung“) nicht zum Nachteil der Nutzer abweicht. Auch insoweit werden lediglich die Sanktionsmöglichkeiten (zum Vorteil der Nutzer) an einen objektiven Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen statt an die subjektive Einschätzung der Beklagten geknüpft sowie nähere Erläuterungen zur Einstufung eines Verhaltens als „Bullying“ gegeben.
(2) Die in das Vertragsverhältnis der Parteien einbezogenen Klauseln in Nr. 3.2 und Nr. 1 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil II Nr. 9 der Gemeinschaftsstandards halten indessen einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB nicht stand. Der darin enthaltene Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil ein verbindliches Verfahren zur Anhörung des betroffenen Nutzers fehlt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 51 ff.).
Die nach dem Bundesgerichtshof erforderliche Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechte und Interessen der Parteien sowie der einzubeziehenden Drittinteressen ergibt, dass die Beklagte als Anbieterin eines sozialen Netzwerks zwar grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver, überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. In diesem Rahmen darf sie sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Maßnahmen zu ergreifen, die eine Entfernung einzelner Beiträge und die Sperrung des Netzwerkzugangs einschließen (vgl. BGH a.a.O., Leitsatz 2 und Rn. 78). Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (vgl. BGH a.a.O., Leitsatz 3 und Rn. 85, 87 f.).
Diesen verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen die Nutzungsbedingungen der Beklagten nicht. Ein verbindliches Verfahren, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können, ist dort nicht vorgesehen (vgl. BGH a.a.O., Rn. 93). Vielmehr räumt sich die Beklagte in Nr. 3.2 ihrer Nutzungsbedingungen einen weiten, im Einzelnen nicht nachvollziehbaren und sie im Ergebnis nahezu von jeglicher Anhörungsverpflichtung freistellenden Beurteilungsspielraum ein, die Nutzer über die Entfernung von Inhalten zu informieren oder nicht (vgl. BGH a.a.O., Rn. 94). Ebenso wenig wird den Nutzern in den Nutzungsbedingungen eine hinreichende Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt oder eine Verpflichtung der Beklagten statuiert, die Nutzer von sich aus über ergriffene Maßnahmen zu unterrichten, diese gegenüber den Nutzern zu begründen und ihnen die Gelegenheit zur Stellungnahme mit anschließender Neubescheidung einzuräumen (vgl. BGH a.a.O., Rn. 95 f.).
bb) Die Beklagte war vorliegend auch nicht deshalb zur Entfernung der Beiträge berechtigt, weil sie einen strafbaren Inhalt enthielten. Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Die Beklagte selbst macht im Hinblick auf die beiden Beiträge nach Prüfung nicht einmal mehr einen Verstoß gegen ihre Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards geltend.
cc) Der im Schriftsatz vom 10.11.2021 (Bl. 520/546 d.A.) vertretenen Ansicht der Beklagten, wonach es an einem vertragswidrigen Verhalten ihrerseits fehle, sie zur Entfernung der beiden Beiträge und Sperrung des klägerischen Profils auf Basis des Nutzervertrags – jedenfalls im Wege ergänzender Vertragsauslegung – berechtigt gewesen sei und sich Gegenteiliges auch nicht aus den jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergebe, kann nicht gefolgt werden.
(1) Die vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 sind eindeutig. Danach sind die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen der Beklagten gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil ein verbindliches Verfahren zur Anhörung des betroffenen Nutzers fehlt. Eine vertragliche Grundlage für die Löschung der Beiträge und die Sperrung des klägerischen Nutzerprofils ist mithin nicht vorhanden. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht lückenhaft.
Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung – in dem von der Beklagten gewünschten Sinne – nicht vor. Die ersatzlose Streichung der Klausel führt vorliegend nicht dazu, dass keine angemessene, den beiderseitigen Interessen Rechnung tragende Lösung mehr vorhanden wäre. Weder wird das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Nutzers verschoben (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.1997 – IX ZR 289/96, BGHZ 137, 153, Rn. 11) noch führt die Streichung für die Beklagte zu einem unzumutbaren Ergebnis im Sinne einer grundlegenden Störung des Vertragsgleichgewichts (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2002 – V ZR 26/01, NJW-RR 2002, 1136, Rn. 10; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 306 Rn. 13):
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Entscheidungen vom 29.07.2021 zu Recht ausgeführt, dass die derzeitige Ausgestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht interessengerecht ist und es die Beklagte ist, die dem Nutzer durch die Entfernung seines Inhalts und ggf. weitere beschränkende Maßnahmen die Erbringung vertraglich geschuldeter Leistungen verweigert und hierdurch in die – über § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB in die Nutzungsverträge einstrahlende – geschützte Grundrechtsposition des Nutzers eingreift (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 96). Die Beklagte hat die laut Bundesgerichtshof erforderlichen prozeduralen Voraussetzungen – wie sie selbst einräumt (vgl. Bl. 534 d.A.) – nicht einmal in der Praxis eingehalten. Maßgeblich ins Gewicht fällt außerdem, dass das Recht der Beklagten zur Löschung strafbarer Inhalte und zur Vermeidung einer Störerhaftung auch bei einer Streichung der Klausel in jedem Falle unberührt bleibt.
Zusammenfassend ist es der Beklagten daher zuzumuten, bis zur Änderung ihrer Nutzungsbedingungen und Beachtung der verfahrensrechtlichen Erfordernisse auf weitergehende Lösch- und Sperrbefugnisse zu verzichten. Die Beklagte muss ungeachtet des Erfordernisses, oftmals schnell entscheiden zu müssen, das auch der Bundesgerichtshof hinreichend berücksichtigt hat, Verfahrensrechte der Nutzer beachten.
(2) Im Hinblick auf den weiteren Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 10.11.2021 ist festzuhalten, dass eine Unterlassung der erneuten Löschung eines Beitrags nebst Sperrung des Nutzerprofils stets in Bezug auf den konkreten Kontext zu prüfen und auszusprechen ist. Ein Unterlassungsgebot bezieht sich daher immer nur auf kerngleiche Verstöße. Dies hindert aber den Ausspruch eines entsprechenden Unterlassungsgebots – anders als es die Beklagte anzudeuten versucht – nicht.
Soweit die Beklagte eine vorherige Anhörung bei einem identischen Beitrag im selben Äußerungskontext wegen des vorliegend durchgeführten Gerichtsverfahrens nicht mehr für erforderlich hält, kann dem nicht gefolgt werden. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich die Festlegung eines verbindlichen Verfahrens in den Geschäftsbedingungen der Beklagten für erforderlich erachtet (vgl. BGH a.a.O., Rn. 93). Eine Anhörung nur im Einzelfall oder im Rahmen eines Gerichtsverfahrens genügt insoweit nicht. Im Übrigen könnte sich die Frage der vorherigen Anhörung nur dann stellen, wenn die Beklagte erneut einen kerngleichen Beitrag der Klägerin löschen möchte. Auch in diesem Fall wäre aber die gebotene Anhörung der Klägerin geeignet, eventuelle Missverständnisse über die Zulässigkeit des Beitrags schnell und unkompliziert aufzuklären.
Die gestellten Unterlassungsanträge sind allerdings um einen ausdrücklichen Kontextbezug zu ergänzen, da der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung jeweils nur im konkreten Kontext zusteht. So sind bei dem Berufungsantrag Ziff. 5 die Worte anzufügen „wenn dies geschieht wie am 11.03.2019“ und bei dem Berufungsantrag Ziff. 6 „wenn dies geschieht wie am 03.09.2019“. Während es sich dabei im Rahmen des zuerst genannten Antrags nur um eine Klarstellung handelt, tritt diese Formulierung bei dem zuletzt genannten Antrag als „Minus“ an die Stelle der klägerseits gewählten allgemeinen Umschreibung des Kontexts („wenn sich dieser auf eine Diskussion mit einer anderen Nutzerin und hierbei negativen Äußerungen der Klägerin gegenüber bezieht“), die zu weit gefasst ist.
c) Bei der Verletzung von Vertragspflichten kann sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus § 280 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch ergeben (vgl. BGH a.a.O., Rn. 102 m.w.N.).
Dies ist im Hinblick auf den ersten Beitrag vom 11.03.2019 ohne Weiteres anzunehmen, da die Vertragsverletzung im Rahmen des fortbestehenden Vertragsverhältnisses infolge der endgültigen Löschung des Beitrags noch andauert.
Ein Unterlassungsanspruch ist aber auch im Hinblick auf den zweiten, zwischenzeitlich wiederhergestellten Beitrag vom 03.09.2019 gegeben. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass der zu Unrecht entfernte Beitrag erst nach fast fünf Monaten von der Beklagten und damit weit nach Ablauf der nach §§ 3, 3b NetzDG vorgesehenen Prüfungs- und Entscheidungsfristen wieder eingestellt wurde, obwohl die Beklagte ihrem Vortrag zufolge auf die Beschwerde der von der Äußerung betroffenen Nutzerin hin tätig geworden ist.
d) Aus den bereits begangenen Pflichtverletzungen der Beklagten folgt zugleich eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (vgl. BGH a.a.O., Rn. 103 m.w.N.). Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, mit der die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr widerlegt werden könnte, wurde für beide Beiträge nicht abgegeben. Allein mit der Freischaltung des zweiten Beitrags ist auch keine Anerkennung seitens der Beklagten dahin verbunden, dass ihr ein Anspruch auf Entfernung nicht zugestanden habe, zumal sie weiterhin auf ein ihr zustehendes Recht auf vorübergehende Entfernung im Rahmen einer Einzelfallprüfung verweist, ohne auf die übermäßig lange Dauer der Prüfung im vorliegenden Fall einzugehen.
4. Die Klägerin kann von der Beklagten ferner Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils 650,34 € für das Tätigwerden bezogen auf die beiden Beiträge (Berufungsantrag Ziff. 10) verlangen.
Mit den vorgerichtlichen Schreiben gemäß Anlage K 13 und Anlage K 24 wurde u.a. die Aufhebung der Sperre, Datenberichtigung, Freischaltung des jeweiligen Beitrags und Unterlassung der erneuten Sperrung gefordert, so dass sich ein Gegenstandswert der erfolgversprechenden anwaltlichen Tätigkeit bezogen auf jeden Beitrag zum damaligen Zeitpunkt in Höhe von 6.750 € errechnet (Einzelstreitwerte von 2.500 € + 1.250 + 500 € + 2.500 €). Auf dieser Grundlage errechnen sich erstattungsfähige vorgerichtliche Kosten in Höhe von jeweils 650,34 €.
5. Der Klägerin steht gegen die Beklagte außerdem ein Anspruch auf Datenberichtigung bezogen auf den am 03.09.2019 gelöschten Beitrag (Berufungsantrag Ziff. 12) zu. Ein Anspruch auf Datenberichtigung hinsichtlich des am 11.03.2019 gelöschten Beitrags (Berufungsantrag Ziff. 11) besteht dagegen nicht.
a) Aus der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 26.11.2021 (Bl. 569/577) vorgelegten Liste „Deine Verstöße“ ergibt sich, dass in den von der Beklagten verwalteten Datensätzen betreffend die Klägerin noch der Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten durch den am 03.09.2019 gelöschten Beitrag vermerkt ist. Hierauf richtet sich auch der entsprechende Datenberichtigungsantrag gemäß Berufungsantrag Ziff. 12, mit dem die Klägerin Löschung des Vorliegens eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen aus dem Datensatz der Beklagten bezogen auf den am 03.09.2019 gelöschten Beitrag in Verbindung mit einer Rücksetzung des Zählers der Verstöße verlangt. Der Hinweis der Beklagten auf den rein informativen Charakter der Liste vermag nichts daran zu ändern, dass durch diese die fortdauernde Speicherung des Verstoßes in den Datensätzen der Beklagten anschaulich belegt wird.
b) Anders verhält es sich hingegen bei dem am 11.03.2019 gelöschten Beitrag (Berufungsantrag Ziff. 11). Hier bestehen keinerlei Belege oder Anhaltspunkte mehr dafür, dass dieser Verstoß noch in den Datensätzen der Beklagten vorhanden wäre. Vielmehr ist die endgültige Löschung des Beitrags – wie nachstehend unter Ziff. 6 lit. b noch näher ausgeführt wird – durch die Beklagte hinreichend dargelegt und mit den Anlagen B 122a und B 122b auch belegt worden. Die von der Klägerin vorgelegte Liste „Deine Verstöße“ weist einen Verstoß ebenfalls nicht mehr aus und bestätigt insoweit das Vorbringen der Beklagten.
c) Soweit die Klägerin in der Sitzung vom 14.12.2021 Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf den Schriftsatz der Beklagten vom 06.12.2021 beantragt und den darin enthaltenen Vortrag mit Nichtwissen bestritten hatte (vgl. Bl. 589 d.A.), war eine Schriftsatzfrist nicht mehr zu gewähren. Denn zum einen wiederholt die Beklagte darin im Wesentlichen nur ihre bereits im Schriftsatz vom 10.11.2021 enthaltene Behauptung zur fehlenden Erfassung und Zählung der streitgegenständlichen Beiträge als Verstöße gegen die Gemeinschaftsstandards, zu der die Klägerin bereits zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme hatte und auf die sie insbesondere mit Schriftsatz vom 26.11.2021 unter Verweis auf die vorgenannte Liste „Deine Verstöße“ nochmals eingegangen ist. Zum anderen hat das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 06.12.2021 nicht dazu geführt, dass nunmehr eine andere Entscheidung zu treffen gewesen wäre.
6. Einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Freischaltung des am 11.03.2019 gelöschten Beitrags (Berufungsantrag Ziff. 3) gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB hat das Landgericht zu Recht verneint.
a) Die Wiederherstellung des Beitrags ist infolge der endgültigen Löschung durch die Beklagte unmöglich geworden, so dass der hierauf gerichtete Anspruch der Klägerin erloschen ist (§ 275 Abs. 1 BGB).
b) Die Beklagte hat die endgültige und dauerhafte Löschung des Beitrags zur Überzeugung des Landgerichts und auch des Senats im Einzelnen dargelegt und mit den Anlagen B 122a und B 122b hinreichend belegt. Die Klägerin hat den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten weder hinreichend bestritten noch die vorgelegten Nachweise durch konkreten, hierauf bezogenen Vortrag erschüttert. Auch in der Berufungsbegründung vom 18.02.2021 (S. 49 f.; Bl. 424 f.) beschränkt sich die Klägerin lediglich auf Mutmaßungen, wonach davon ausgegangen werden müsse, dass der gelöschte Beitrag zumindest aus Sicherheitskopien oder auf andere Art und Weise, z.B. durch die einzelne Suche und Verfolgung von bekannten und zu ermittelnden Backups der Plattform F. wiederhergestellt werden könne. Greifbare Anhaltspunkte hierfür legt sie weder dar noch sind diese ersichtlich. Auch in der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 26.11.2021 vorgelegten Liste „Deine Verstöße“ findet sich kein Hinweis mehr auf diesen Beitrag bzw. dessen Löschung, so dass dies ebenfalls für eine endgültige und umfassende Löschung spricht.
7. Zu Recht hat das Landgericht der Klägerin auch einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auskunft darüber versagt, ob die streitgegenständlichen Sperren durch ein beauftragtes Unternehmen und gegebenenfalls durch welches erfolgt sind (Berufungsantrag Ziff. 7).
a) Aus dem Nutzungsvertrag in Verbindung mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten lässt sich ein derartiger Auskunftsanspruch nicht ableiten.
b) Ein Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) besteht nicht, weil die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt hat, dass ihr Ansprüche gegen etwaige Dritte, die von der Beklagten mit der Vornahme der Sperrungen beauftragt worden waren, zustehen könnten.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Auskunftsanspruch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gegeben, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGH, Urteil vom 1.8.2013 – VII ZR 268/11, NJW 2014, 155, juris Rn. 20 m.w.N.). Besteht zwischen den Parteien ein Vertrag, reicht es aus, dass für den Leistungsanspruch oder die Einwendung, die mit Hilfe der Auskunft geltend gemacht werden soll, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht (Grüneberg/Grüneberg a.a.O., § 260 Rn. 6 m.w.N.). Bei gesetzlichen Ansprüchen muss dagegen – sofern es sich nicht um bestimmte erbrechtliche Ansprüche handelt – dargetan werden, dass der Anspruch, dessen Durchsetzung die Auskunft dienen soll, dem Grunde nach besteht; es genügt grundsätzlich nicht, dass die Anspruchsvoraussetzungen wahrscheinlich gemacht werden (st. Rspr., vgl. BGHZ 74, 379, 381; BGH, Urteil vom 14.7.1987 – IX ZR 57/86, NJW-RR 1987, 1296; Grüneberg/Grüneberg a.a.O.).
bb) Wegen einer von der Beklagten veranlassten Sperrung ihres Profils können der Klägerin ausschließlich Ansprüche gegen die Beklagte zustehen, weil rechtliche Grundlage aller denkbaren Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche der zwischen den Parteien bestehende Nutzungsvertrag ist. Dritte haften der Klägerin wegen des relativen Charakters des Schuldverhältnisses weder auf Erfüllung noch auf Schadensersatz. Die Beklagte müsste sich vielmehr ein etwaiges Verschulden der von ihr mit der Vornahme der Sperrung beauftragten Personen nach § 278 BGB zurechnen lassen, weil diese in Bezug auf die ihr obliegende Pflicht, Rücksicht auf die Rechte und Interessen der Klägerin zu nehmen, ihre Erfüllungsgehilfen sind.
cc) In einer im Auftrag der Beklagten vorgenommenen Sperrung des Profils durch Dritte kann auch keine Verletzung der Klägerin in absoluten Rechten im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, etwa in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) oder in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gesehen werden. Die Klägerin verkennt, dass ihr die Möglichkeit, ihre Meinung auf der von der Beklagten betriebenen Plattform zu äußern und zu verbreiten, nicht per se, sondern nur aufgrund des mit der Beklagten geschlossenen Nutzungsvertrags eröffnet ist. Die geschützten Grundrechtspositionen des Nutzers strahlen in das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ein, verwandeln die vertraglichen Ansprüche der Klägerin auf Nutzung der von der Beklagten bereit gestellten Leistungen aber nicht in absolut geschützte Rechte, die von jedermann zu respektieren sind und deren Verletzung deliktische Schadensersatzansprüche auslösen kann.
8. Der Klägerin steht auch kein Anspruch gegen die Beklagte auf Auskunft darüber zu, ob sie Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonstige Vorschläge der Bundesregierung oder nachgeordneter Dienststellen in Bezug auf die Löschung von Beiträgen oder die Sperrung von Nutzern erhalten hat (Berufungsantrag Ziff. 8).
a) Eine Anspruchsgrundlage für dieses Auskunftsbegehren ist nicht ersichtlich. Einem Anspruch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht ungeachtet aller übrigen Voraussetzungen bereits der Umstand entgegen, dass Ansprüche der Klägerin gegen die Bundesregierung und dieser nachgeordnete Stellen im Zusammenhang mit der Löschung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos, deren Vorbereitung die verlangte Auskunft dienen könnte, aus Rechtsgründen von vornherein ausgeschlossen sind. Wie oben dargelegt, finden sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche der Klägerin im Zusammenhang mit der Löschung eines von ihr auf F. eingestellten Beitrags oder einer von der Beklagten gegen sie verhängten Sperrung ihre Rechtsgrundlage ausschließlich in dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis und richten sich deshalb gegen die Beklagte als ihre Vertragspartnerin.
b) Für Weisungen der Bundesregierung oder sonstiger Bundesbehörden an die Beklagte fehlt es im Übrigen an einer Rechtsgrundlage. Selbst wenn die Beklagte mit den streitgegenständlichen Löschungen und Sperrungen rechtswidrigen Weisungen der Bundesregierung nachgekommen wäre, wofür die Klägerin keinerlei belastbare Tatsachen vorträgt, würde dies nichts daran ändern, dass für diese Maßnahmen und deren Folgen der Klägerin gegenüber allein die Beklagte verantwortlich wäre. Dies gilt erst recht, wenn die Beklagte unverbindlichen Hinweisen, Ratschlägen oder sonstigen Vorschlägen nachgekommen sein sollte.
c) Die Klägerin legt in ihrer Berufungsbegründung auch nicht dar, dass Anhaltspunkte für eine Einflussnahme der Bundesregierung auf Sperrungen oder Löschungen durch die Beklagte bestehen, die über die aus den Anlagen K 7 bis K 12 ersichtlichen politischen Meinungsäußerungen und das Einbringen des Gesetzentwurfs zum NetzDG hinausgehen.
Dieses Gesetz, in dem die Klägerin die Grundlage für das Vorgehen der Beklagten zu sehen scheint, ist keine Weisung der Bundesregierung oder einer nachgeordneten Behörde, sondern ein formelles Gesetz, das vom Bundestag beschlossen wurde und veröffentlicht ist; einer Auskunft der Beklagten darüber bedarf die Klägerin nicht.
9. Ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.000 € (Berufungsantrag Ziff. 9) besteht nicht.
a) Die Klägerin hat – auch nach Hinweis des Senats mit Beschluss vom 14.10.2021 (vgl. Bl. 517 d.A.) – nicht angegeben bzw. näher aufgeschlüsselt, inwieweit sie den Ersatz eines materiellen oder eines immateriellen Schadens begehrt, so dass es mangels Konkretisierung des Klagegrundes bereits an einer hinreichenden Bestimmtheit ihres Antrags fehlt.
Im Übrigen wäre nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, MDR 2020, juris Rn. 198 ff.; Urteil vom 18.02.2020 – 18 U 3465/19 Pre, juris Rn. 98 ff.; Urteil vom 08.12.2020 – 5493/19 Pre, GRUR 2021, 1099, juris Rn. 89 ff.) aber auch inhaltlich ein Anspruch nicht gegeben:
b) Ein Schadensersatzanspruch, sei es aus § 280 Abs. 1 oder §§ 823 ff. i.V.m. § 249 ff. BGB, scheitert – ungeachtet aller übrigen Voraussetzungen – daran, dass die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt hat, dass ihr ein materieller Schaden in Höhe des geltend gemachten Betrages entstanden ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Entstehung des Schadens und dessen Höhe trifft bei sämtlichen Haftungstatbeständen den Geschädigten (vgl. Grüneberg/Grüneberg a.a.O., § 280 Rn. 34 und Grüneberg/Sprau a.a.O., § 823 Rn. 80 f.).
Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt der zeitweiligen Einschränkung ihrer privaten Kommunikationsmöglichkeiten auf „F.“ und dem Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten – auch wenn ein solcher Verlust eingetreten sein sollte – für sich genommen kein Vermögenswert zu. Die Einschränkung des „Kontakts nach außen“ kann allenfalls im Rahmen des von § 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (vgl. hierzu Grüneberg/Sprau a.a.O. § 823 Rn. 137 ff.) einen Vermögensschaden begründen. Wegen eines immateriellen Schadens kann gemäß § 253 Abs. 1 BGB Entschädigung in Geld nur in den gesetzlich bestimmten Fällen gefordert werden.
c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruchs aus § 253 Abs. 2 BGB liegen offensichtlich nicht vor. Die Klägerin ist nicht in einem der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter verletzt worden. Auf andere Rechtsgüter und absolute Rechte ist die Vorschrift nicht entsprechend anwendbar (Grüneberg/Grüneberg a.a.O. § 253 Rn. 11).
d) Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) zu.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründet die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Kollision mit der Meinungs- bzw. Pressefreiheit einen Anspruch auf Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessenschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12, NJW 2014, 2029, Rn. 38).
aa) Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die geschützten Grundrechtspositionen des Nutzers über § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB in die Nutzungsverträge einstrahlen, kann diese Rechtsprechung nicht ohne Weiteres auf Pflichtverletzungen im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses übertragen werden. Denn eine pflichtwidrige Einschränkung von Kommunikationsmöglichkeiten, die der Klägerin ohnehin nur aufgrund des mit der Beklagten geschlossenen Nutzungsvertrages zur Verfügung stehen, beeinträchtigt sie – wie dargelegt – bereits nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
bb) Unabhängig davon würde es auch an den weiteren Voraussetzungen für die Zubilligung einer Geldentschädigung, wonach es sich um eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung handeln muss und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann, fehlen. Die Funktionseinschränkungen waren jeweils zeitlich befristet; auch während der Sperrfristen konnte die Klägerin uneingeschränkt fremde Inhalte zur Kenntnis nehmen. Sie konnte während dieser Zeit lediglich keine Beiträge auf F. veröffentlichen, war aber nicht daran gehindert, ihre Meinung auf andere Weise kundzutun. Darüber hinaus sind die der Klägerin infolge der Vertragspflichtverletzungen grundsätzlich zustehenden Ansprüche auf Unterlassung, Folgenbeseitigung und Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution hier als ausreichend anzusehen.
e) Ansprüche der Klägerin auf eine fiktive Lizenzgebühr kommen ebenfalls nicht in Betracht.
Die Klägerin hat mit Abschluss des Nutzungsvertrages die Einwilligung zur umfassenden Nutzung ihrer Beiträge und Daten erteilt, ohne einen Vorbehalt für den Fall vorübergehender Sperrung ihres Nutzerkontos zu erklären.
Die der Beklagten von ihren Nutzern gemäß Nr. 3.3 der Nutzungsbedingungen eingeräumte Lizenz an den eingestellten Inhalten stellt zwar die „Gegenleistung“ für die Inanspruchnahme der F.-Dienste dar. Daraus folgt aber noch nicht, dass es sich bei dem Nutzungsvertrag um einen gegenseitigen Vertrag im Sinne von §§ 320 ff. BGB handelt. Dagegen spricht insbesondere, dass dem Nutzer gemäß Nr. 3.3 der Nutzungsbedingungen die von ihm eingestellten Inhalte „gehören“ und er die Lizenz jederzeit durch Löschen der Inhalte oder des Kontos beenden kann. Darüber hinaus lässt sich den vertraglichen Vereinbarungen nicht entnehmen, dass die Beklagte während einer Sperrung des Nutzers an der Nutzung der ihr eingeräumten Lizenz gehindert wäre. Die Lizenz lässt sich nämlich auch als Gegenleistung für die vor der Sperrung erfolgte Zurverfügungstellung der F.-Dienste begreifen, zumal neue Inhalte während der Sperre nicht hinzukommen können. Im Übrigen erscheint eine Quantifizierung von Leistung und Gegenleistung wegen der Natur des unentgeltlichen Nutzungsvertrages gar nicht möglich.
f) Schließlich scheidet auch ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO aus.
Nach dieser Vorschrift hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen. Die Verarbeitung der Daten der Klägerin durch die Beklagte verstieß aber nicht gegen die DS-GVO, denn sie beruhte auf der vorab erteilten Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen der Beklagten im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO und auf Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO.
Im Übrigen gilt auch hier, dass ersatzfähig als Schaden alle Nachteile sind, die der Geschädigte an seinem Vermögen oder an sonst rechtlich geschützten Gütern erleidet (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 19). Ein solch immaterieller Schaden, der hier allenfalls an eine – ggf. auch weniger schwerwiegende – Verletzung des Persönlichkeitsrechts anknüpfen könnte (vgl. hierzu Becker in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Art. 82 DSGVO Rn. 4c; Wybitul, Immaterieller Schadensersatz wegen Datenschutzverstößen, NJW 2019, 3265, 3267), liegt jedoch wie dargelegt nicht vor. Die bloße Sperrung des klägerischen Nutzerkontos begründet einen solchen Schaden nicht.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch die Fortbildung des Rechts oder die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Senat wendet die höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegend auf den konkreten Streitfall an. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.12.2021 (Bl. 588 d.A.) darauf hingewiesen hat, dass zur Frage des Schadensersatzes mittlerweile eine Revision beim Bundesgerichtshof (III ZR 165/21; OLG Frankfurt a.M.) anhängig sei, wurde weder das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurts vorgelegt oder dessen Aktenzeichen mitgeteilt noch angegeben, wie das Oberlandesgericht Frankfurt in dieser Frage entschieden hat und weshalb die Revision zugelassen wurde. Auch auf entsprechende Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2021 hin verbunden mit einer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zur Ermöglichung der telefonischen Nachfrage erfolgte hierzu seitens des Klägervertreters kein weitergehender Vortrag, so dass eine Divergenz nicht angenommen werden kann.


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