IT- und Medienrecht

Keine Schadensersatzansprüche bei im April 2016 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem Fahrzeug (hier: Audi A4 Avant 2.0 TDI)

Aktenzeichen  21 U 6951/19

Datum:
30.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4671
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
WpHG § 15

 

Leitsatz

1. Erwirbt der Käufer im April 2016 einen gebrauchten Audi, nachdem er den Verkäufer auf den Dieselskandal angesprochen und von diesem die Antwort erhalten hatte, dass „nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird“, kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass ihm die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Dieselskandal letztlich egal war. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen einem ursprünglich sittenwidrigen Verhalten der Herstellerin und dem späteren Erwerb des Gebrauchtwagens durch einen Käufer ist dann nicht mehr gegeben, wenn – wie hier – die Herstellerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs ausreichende Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Schadenseintritts getroffen hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch ein (eventueller) Vorsatz der Beklagten ist entfallen, nachdem diese in einer Mitteilung vom 2. Oktober 2015 die Presse über die Dieselproblematik informiert und eine in zahlreichen Medien erwähnte Internetwebseite geschaltet hatte, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals: OLG Frankfurt BeckRS 2019, 27981; OLG Saarbrücken, BeckRS 2019, 20813; OLG Stuttgart, BeckRS 2019, 21326; BeckRS 2019, 29977; OLG Köln, BeckRS 2019, 13405; OLG München, BeckRS 2020, 4669; 2019, 40404; OLG Braunschweig, BeckRS 2017, 147936; OLG Schleswig-Holstein, BeckRS 2019, 33012; OLG Koblenz, BeckRS 2019, 36722; BeckRS 2019, 32689; anders OLG Hamm, BeckRS 2019, 20495; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 280. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

71 O 2126/18 2019-11-08 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.11.2019, Az. 71 O 2126/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Entscheidung des Landgerichts ist zutreffend und hält den Berufungsangriffen des Klägers stand. Dem Kläger steht gegen die Beklagte bei der vorliegenden Fallkonstellation kein Schadensersatzanspruch zu. Die vom Kläger begehrte Rückabwicklung des Kaufvertrages kommt hier nicht in Betracht.
Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Kausalität (2.). Es kommt daher nicht entscheidungserheblich auf die zu den sog. Fällen „Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals“ ergangene Vielzahl an obergerichtlichen Entscheidungen an, wobei sich der Senat auch grundsätzlich der überwiegenden Anzahl der Oberlandesgerichte anschließt, die in diesen Fallkonstellationen Ansprüche verneinen (3.), so u.a. OLG Frankfurt, Urteil vom 06.11.2019, Az. 13 U 156/19; OLG Saarbrücken, Urteil vom 28.08.2019, Az. 2 U 94/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.08.2019, 9 U 9/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019, Az. 10 U 199/19; OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019, Az. 24 U 5/19; OLG Dresden, Urteil vom 24.07.2019, Az. 9 U 2067/18; OLG Celle, Urteil vom 29.04.2019, Az. 7 U 159/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 02.11.2017, Az. 7 U 69/17; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.11.2019, Az. 1 U 32/19; OLG Koblenz, Urteil vom 25.10.2019, Az. 3 U 948/19.
Zwar haben einige Oberlandesgerichte Schadensersatzklagen von Käufern gegen Hersteller stattgegeben, die ihre Fahrzeuge nach dem Herbst 2015 erworben haben (OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019, Az. 13 U 149/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2019, Az. 7 U 85/19; OLG Oldenburg, Urteil vom 16.01.2020, Az. 14 U 166/19; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 11.02.2020, Az. 3 U 89/19). In allen Fällen konnten sich die befassten Gerichte allerdings von der Kausalität der – als sittenwidrig qualifizierten – Täuschungshandlung für den geltend gemachten Schaden auf der Basis der dortigen klägerischen Angaben überzeugen. Demgegenüber ist vorliegend aufgrund der individuellen Aussagen des Klägers bei seiner Anhörung eine Kausalität zu verneinen. Dementsprechend ist mangels Divergenz zu anderer obergerichtlicher Rechtsprechung kein Anlass für eine Revisionszulassung.
Im Einzelnen:
1. Vertragliche Ansprüche zwischen den Parteien bestehen unstreitig nicht.
2. Ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB scheitert an der fehlenden Kausalität. Aus der Anhörung des Klägers ergibt sich, dass dem Kläger die Betroffenheit des Fahrzeugs vom Dieselskandal zumindest egal war. Der Kläger wusste unstreitig vom Dieselskandal und hat sogar den Verkäufer danach befragt. Darauf hat der Verkäufer geantwortet, dass „nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird“. Der Senat geht zwar nicht so weit wie das Landgericht, das aus dieser Äußerung geschlossen hat, dass der Kläger von der individuellen Betroffenheit des von ihm erworbenen Fahrzeugs positiv wusste. Das Gespräch belegt aber auf jeden Fall, dass der Kläger das Fahrzeug gekauft hat, obwohl ihm klar war, dass es vom Dieselskandal betroffen sein kann und dass er – wie der Verkäufer – etwaige daraus resultierende Nachteile nicht als so gravierend angesehen hat, als dass es ihn vom dem Erwerb des Wagens abgehalten hätte. Ein anderer Schluss, als dass ihm die Betroffenheit letztlich egal war, kann daraus nicht gezogen werden. Hinzu kommt, dass der Kläger bei seiner Anhörung angegeben hat, er fühle sich durch die Einrichtung von Fahrverbotszonen geschädigt. Die Fahrverbotszonen werden aber nicht wegen des „Dieselskandals“ eingerichtet. Insgesamt kann damit nicht davon ausgegangen werden, dass für den Kläger die Betroffenheit des Fahrzeugs vom Abgasskandal beim Kaufentschluss Relevanz hatte, er mithin täuschungsbedingt eine ungewollte Verpflichtung in Höhe des Kaufpreises eingegangen wäre. Soweit der Kläger im Nachhinein gegebenenfalls festgestellt hat, dass die allgemeinen Folgen des „Dieselskandals“ weit reichender sind, als vorher gedacht (z.B. allgemeiner Rückgang des Restwertes von Dieselfahrzeugen), handelt es sich um einen unerheblichen Motivirrtum bzw. nachträgliche Kaufreue. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass durch die Veröffentlichungen des Kraftfahrtbundesamtes noch im Jahr 2015 die behördliche Vorgehensweise in Bezug auf betroffene Fahrzeuge bekannt gegeben war, nämlich dass bei den Fahrzeugen in Abstimmung mit der Behörde ein Update durchgeführt werden muss. Die Forderung der Klagepartei, nur bei konkreter individueller Aufklärung des einzelnen Käufers über Verfügbarkeit und Wirkung des Software-Updates scheide eine Haftung der Beklagten aus, teilt der Senat nicht, sie ergibt sich – soweit ersichtlich – in dieser Allgemeinheit auch nicht aus Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte.
3. Abgesehen davon sieht der Senat auch keinen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Eintritt eines etwaigen Schadens beim Kläger, auch kann zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Erwerbs des Fahrzeugs, hier im April 2016, ein entsprechender Schädigungsvorsatz bei der Beklagten nicht (mehr) angenommen werden kann.
a. Es kann dahinstehen, ob der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist oder nicht, denn die Beklagte hatte jedenfalls im Zeitpunkt, als die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug erworben hat, ausreichende Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Schadenseintritts getroffen. Der Vortrag der Beklagten zu Veröffentlichungen und Hinweise seit Herbst 2015 wurden von der Klagepartei im Wesentlichen nicht bestritten, sie zieht daraus lediglich andere Schlussfolgerungen. Unstreitig (und gerichtsbekannt) hat die V. AG als Konzernmutter der Beklagten am 22. September 2015 eine an den Kapitalmarkt gerichtete ad hoc Mitteilung herausgegeben, in der sie über die Dieselproblematik informierte und mitteilte, dass „die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden“ sei. Nachdem diese Ad-hoc-Mitteilung gemäß § 15 WpHG vom 22. September 2015 nicht von der Beklagten stammte, sondern von der Konzernmutter und sich an den Kapitalmarkt und nicht die allgemeine Öffentlichkeit richtete, dürfte sie noch nicht genügen, um die – unterstellte – Zurechenbarkeit und den – ebenfalls unterstellten – Vorsatz bei der Beklagten entfallen zu lassen. Hinzu kommt aber eine unmittelbar anschließende Information der Öffentlichkeit durch die Beklagte selbst: Sie hat zudem in einer Mitteilung vom 2. Oktober 2015 die Presse über die Dieselproblematik informiert und eine in zahlreichen Medien erwähnte Internetwebseite geschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die Thematik Gegenstand einer sehr intensiven Berichterstattung in nahezu allen Zeitungen sowie Fernsehsendern und Onlinemedien in Deutschland, z.B. Bild, Spiegelonline, Süddeutsche, Welt etc (Berufungserwiderung vom 13.02.2020, S. 9 ff = Bl. 211 ff d.A.). Die Berichterstattung erfolgte zwar überwiegend unter dem Stichwort „VW-Abgasskandal“, es wurde aber regelmäßig auch über die Betroffenheit der im Konzern hergestellten Fahrzeuge berichtet und auch über die Abfragemöglichkeit für Audi-Fahrzeuge. Auch die Händler und Vertriebspartner wurden von der Beklagten informiert. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, dass sie im Februar 2016 die Halter informiert habe, was allerdings vom Kläger wohl bestritten (“ist nicht geschehen“) wurde. Angesichts des Erwerbszeitpunktes (April 2016) hätte den Kläger allerdings auch ein Anschreiben der Beklagten im Februar/März 2016 nicht erreichen können, da er damals noch gar nicht Halter des Wagens war.
Die Beklagte hat damit zur Überzeugung des Senats, unabhängig von den bestrittenen Anschreiben an die Halter, ausreichende Maßnahmen getroffen, um die weiteren Auswirkungen ihres – unterstellt – sittenwidrigen Verhaltens einzudämmen. Soweit die Klagepartei meint, die Erklärungen der Beklagten seien zu beschwichtigend gewesen, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Vielmehr ist der Zurechnungszusammenhang in Bezug auf Schäden wegen nach Bekanntwerden der Diesel-Thematik verkaufter Fahrzeuge auf diese Weise unterbrochen worden, vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019, Az. 10 U 199/19 und OLG Celle, Urteil vom 29.04.2019, Az. 7 U 159/19 (die allerdings die Sittenwidrigkeit von vornherein entfallen lassen).
b. Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrages sieht der Senat auch keinen Schädigungsvorsatz der Beklagten, weil im Hinblick auf die Offenlegung der maßgeblichen Aspekte der Manipulation durch die Pressemitteilungen und die Informationen an die Halter von betroffenen Fahrzeugen nicht (mehr) davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte die Schädigung der Klagepartei in ihren Willen aufgenommen, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.
4. Angesichts der Ausführungen zu 2. kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB nicht in Betracht, ohne dass es auf die übrigen Anspruchsvoraussetzungen ankäme.
5. Ein Schadensersatzanspruch besteht auch nicht wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach §§ 6, 27 EG-FGV, weil § 27 EG-FGV schon kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Insoweit folgt der Senat dem Oberlandesgericht Braunschweig in seiner Entscheidung vom 19.02.2019, 7 U 134/17.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es für die Entscheidung nicht auf die oben aufgeführten zusprechenden Urteile von Oberlandesgerichten zur Haftung der Beklagten bei Fahrzeugkauf nach Bekanntwerden des „Dieselskandals“ ankommt. Bei sämtlichen zusprechenden Entscheidungen war im Einzelfall die Kausalität bejaht worden. Diese ist Voraussetzung für eine Haftung und im vorliegenden Fall – wie dargelegt – aufgrund der individuellen Angaben des Klägers nicht gegeben. Für eine Zulassung der Revision besteht daher kein Anlass.


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