IT- und Medienrecht

Klage auf Rücknahme eines rechtswidrigen Wassergebührenbescheides

Aktenzeichen  B 4 K 16.197

Datum:
23.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG BayKAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b), Abs. 2
AO AO § 130 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen, rechtswidrigen Gebührenbescheids kommt nur in Betracht, wenn seine Aufrechterhaltung schlechterdings unerträglich wäre oder ein Beharren auf der Bestandskraft als ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erschiene (Verweis auf BayVGH BeckRS 2015, 55246). (redaktioneller Leitsatz)
2 Anderenfalls hat der Adressat des rechtswidrigen Bescheids (hier: falscher Gebührenschuldner) Anspruch darauf, dass die Behörde über seinen Rücknahmeantrag ermessensfehlerfrei entscheidet. Im Fall eines Ermessensausfall ist eine Heilung durch Nachholung von Ermessenserwägungen gemäß § 114 S. 2 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht möglich (Verweis auf BayVGH BeckRS 2013, 48042). (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei der Anwendung des § 130 Abs. 1 AO auf die Rücknahme rechtswidriger bestandskräftiger Gebührenbescheide ist zwar zunächst davon auszugehen, dass die materielle Gerechtigkeit grundsätzlich im gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahren gegen den Ausgangsbescheid zu verwirklichen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Belange des Bescheidadressaten außer Betracht bleiben dürfen (Verweis auf BayVGH BeckRS 2012, 51967). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25.04.2015 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 11.03.2015 auf Rücknahme der streitgegenständlichen Wassergebührenbescheide (betreffend den Zähler Nr. B) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet, soweit die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der aufgrund der Ablesung des Zählers Nr. B erlassenen Wassergebührenbescheide für die Abrechnungszeiträume 2009 bis einschließlich 2014 beantragt wird. Der Hilfsantrag auf Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Entscheidung über den Rücknahmeantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hat hingegen Erfolg.
Soweit die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts – hier die Ablehnung der Rücknahme der streitgegenständlichen Gebührenbescheide mit Bescheid vom 25.04.2015 – rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung des Beklagten aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Der Bescheid vom 25.04.2015 ist rechtswidrig und verletzt dadurch die Klägerin in ihren Rechten, weil der Beklagte in der unzutreffenden Annahme, der Rücknahmetatbestand des Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b), Abs. 2 KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 AO sei nicht erfüllt, kein Ermessen ausgeübt hat (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Sache ist aber nicht spruchreif, weil kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b), Abs. 2 KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
a) Die aufgrund der Ablesung des Zählers Nr. B erlassenen Wassergebührenbescheide für die Abrechnungszeiträume 2009 bis einschließlich 2014 sind zweifelsfrei rechtswidrig, weil die Klägerin nicht der richtige Gebührenschuldner ist. Gemäß § 12 Satz 1 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS-WAS) des Beklagten vom 09.11.1998 ist Gebührenschuldner, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Gebührenschuld Eigentümer des Grundstücks oder ähnlich zur Nutzung des Grundstücks dinglich berechtigt ist. Gemäß § 12 Satz 2 BGS-WAS ist Gebührenschuldner auch der Inhaber eines auf dem Grundstück befindlichen Betriebes. Insoweit ist unstreitig, dass an dem Grundstück K-Straße z, auf dem sich der Wasserzähler Nr. B befindet, kein Eigentum oder dingliches Nutzungsrecht der Klägerin besteht und sich auf diesem Grundstück auch kein Betrieb der Klägerin befindet.
b) Nachdem gemäß § 130 Abs. 1 AO die Rücknahme im Ermessen der Behörde steht („kann“), kommt ein Anspruch der Klägerin auf Rücknahme der rechtswidrigen Gebührenbescheide nur in Betracht, wenn die Rücknahme die einzig rechtmäßige Entscheidung ist, also ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Dies wäre nur dann gegeben, wenn die Aufrechterhaltung der bestandskräftigen Gebührenbescheide schlechterdings unerträglich wäre oder ein Beharren auf der Bestandskraft der Bescheide als ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erschiene (BayVGH, Beschluss vom 15.09.2015 – 20 ZB 15.1573 – juris Rn. 4).
Beides liegt hier nicht vor. Ursächlich für die Inanspruchnahme des falschen Gebührenschuldners war die – rechtswidrige – Praxis des Beklagten, betriebliche Wasserzähler – möglicherweise aufgrund der Bestimmung des § 12 Satz 2 BGS-WAS – unabhängig von ihrem konkreten Standort unter einer Verbrauchsstelle zu führen. Zwar erscheint die Vorgehensweise des Beklagten sehr gewagt, einen Wasserzähler, der bislang unter der Verbrauchsstelle B-Straße y geführt wurde, ohne Überprüfung seines tatsächlichen Standorts der Verbrauchsstelle B-Straße x nur deshalb zuzuordnen, weil angenommen wurde, es handele sich um einen betrieblichen Wasserzähler und der neue Eigentümer des Grundstücks B-Straße x sei nunmehr der für diesen Wasserzähler verantwortliche Betriebsinhaber. Jedoch muss sich die Klägerin entgegenhalten lassen, dass es ihr ohne weiteres möglich gewesen wäre, den Sachverhalt durch fristgemäße Widerspruchseinlegung oder Klageerhebung aufzuklären. Die Geltendmachung ihres Einwandes, der abgelesene und abgerechnete Zähler Nr. B befinde sich nicht auf ihrem Grundstück, ist in den Akten erstmals in Form der E-Mail vom 18.02.2015 dokumentiert. Das Antwortschreiben des Beklagten vom 02.03.2015 geht inhaltlich zwar am Thema vorbei, indem ausgeführt wird, die Klägerin habe am 18.02.2015 angezeigt, nicht der Eigentümer des Objektes B-Straße x/Lager zu sein, während die relevante Frage nach dem Standort des gegenüber der Klägerin abgerechneten Wasserzählers keine Erwähnung findet. Im Ergebnis werden aber unter dem unzutreffenden Begriff „Eigentumswechsel“ die richtigen Konsequenzen gezogen, indem ab 01.01.2015 der richtige Gebührenschuldner herangezogen wird. Das hätte die Klägerin in einem Rechtsbehelfsverfahren schon früher erreichen können. Bei dieser Sachlage erscheint weder die Aufrechterhaltung der Gebührenbescheide schlechterdings unerträglich noch ein Beharren auf ihrer Bestandskraft als ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben.
c) Die Klägerin hat jedoch einen Anspruch gegenüber dem Beklagten, über ihren Antrag auf Rücknahme der rechtswidrigen Gebührenbescheide ermessensfehlerfrei zu entscheiden. Das hat dieser bisher nicht getan, weil er aufgrund der unzutreffenden Annahme, die Gebührenbescheide seien rechtmäßig, zu einer Ermessensausübung gar nicht gekommen ist. Damit liegt ein Ermessensausfall vor, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht durch die Nachholung von Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO hätte geheilt werden können. Diese Regelung gestattet es bereits nach ihrem Wortlaut der Verwaltungsbehörde nur, die im Rahmen ihrer Entscheidung angestellten Ermessenserwägungen zu ergänzen, nicht jedoch, im gerichtlichen Verfahren erstmals solche Erwägungen anzustellen und damit eine unterbliebene Ermessensentscheidung insgesamt nachzuholen (BayVGH, Urteil vom 18.02.2013 – 10 B 10.1028, juris Rn. 30 m. w. N.).
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 b) KAG in Verbindung mit § 5 AO hat der Beklagte sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zweck der Ermessensermächtigung in § 130 Abs. 1 AO ist es, zwischen der materiellen Gerechtigkeit einerseits und dem durch die Bestandskraft eingetretenen Rechtsfrieden andererseits eine Abwägung zu treffen. Bei der Anwendung des § 130 Abs. 1 AO auf die Rücknahme rechtswidriger bestandskräftiger Gebührenbescheide ist zwar zunächst davon auszugehen, dass die materielle Gerechtigkeit grundsätzlich im gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahren gegen den Ausgangsbescheid zu verwirklichen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Belange der Klägerin außer Betracht bleiben dürfen (BayVGH, Beschluss vom 21.05.2012 – 20 B 12.251 – juris Rn. 17).
Gemessen daran wird der Beklagte insbesondere abzuwägen haben, dass einerseits Anlass bzw. Ursache für die rechtswidrige Inanspruchnahme der Klägerin keine unzutreffenden Angaben ihrerseits waren – die Klägerin hat nie behauptet, Eigentümerin des Grundstücks K-Straße z mit dem Wasserzähler Nr. B zu sein -, sondern seine eigene rechtswidrige Verwaltungspraxis, nicht jeden Wasserzähler unter seiner tatsächlichen Verbrauchsstelle zu führen, andererseits aber die Klägerin es unterlassen hat, durch rechtzeitige Widerspruchseinlegung bzw. Klageerhebung eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts herbeizuführen. Ferner wird der Beklagte zu berücksichtigen haben, dass für einen Teil der streitgegenständlichen Abrechnungszeiträume die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen, im Falle der Rücknahme der rechtswidrigen Gebührenbescheide die Inanspruchnahme des richtigen Gebührenschuldners also noch möglich ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klägerin mit ihrem Hauptantrag unterliegt, mit ihrem Hilfsantrag hingegen obsiegt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.


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