IT- und Medienrecht

merkantiler Minderwert, arglistige Täuschung, Geschäftsgebühr, Rückabwicklung des Kaufvertrags

Aktenzeichen  63 O 2222/18

Datum:
20.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 58651
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 445

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.863,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.02.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Audi A3 Ambition Sportback 2,0 l TDI mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 27.11.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.11.2018 zu bezahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 49% und die Beklagte 51% zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 29.722,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 19.863,51 € Zugum-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus § 826 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV. Weiter besteht ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf Zahlung von Verzugszinsen auf die Hauptforderung sowie auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe. Der Annahmeverzug war festzustellen. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzuweisen.
I.
Der klägerische Anspruch ergibt sich aus § 826 BGB. Die Beklagte hat der Klagepartei in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
1. Die Handlung, durch die die Beklagte die Klagepartei geschädigt hat, war das Inverkehrbringen – unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung – von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte.
Wie mittlerweile allgemein bekannt ist, waren die Fahrzeuge aus dem VW-Konzern, damit auch das streitgegenständliche Fahrzeug der Klagepartei, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet. Obwohl die Hersteller teilweise bereits das Vorliegen eines Mangels bestreiten und die Abschaltvorrichtungen teilweise als „Motorenschutzmaßnahmen“ etc. beschönigen, ist an der Unzulässigkeit der installierten Einrichtungen spätestens seit dem am 15.10.2015 vom KBA gegenüber der VW AG angeordneten Rückrufaktion (abzurufen unter https://www.kba.de/DE/Presse/Archiv/VW/vw_inhalt.html?nn=1633522) der betroffenen Fahrzeuge mit EA 189-Motoren nicht mehr an der Unzulässigkeit der verbauten Einrichtungen zu zweifeln.
2. Die schädigende Handlung ist der Beklagten als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Einbau des betroffenen Motors EA 189 zuzurechnen, auch wenn dieser Motor nicht von ihr selbst, sondern von ihrem Mutterkonzern VW federführend entwickelt wurde.
Jeder Hersteller hat bei von ihm gefertigten Neufahrzeugen die Verpflichtung nur solche Bauteile zu verwenden, die in ihrer Konstruktion, Fertigung und Montage geeignet sind, dass das Fahrzeug dann sämtlichen gesetzlich vorgegebenen Betriebsbedingungen entspricht (vgl. Auch Art. 5 I VO (EG) Nr. 715/2007 bezogen auf die Bauteile, die das Emissionsverhalten betreffen). Vorsätzliche Manipulationen einzelner Bauteile, die eine „Abschalteinrichtung“ platzieren, die auch nicht von den ausdrücklich normierten Ausnahmetatbeständen der gesetzlichen Vorgaben gedeckt sind, muss sich der Hersteller auch dann über § 831 BGB i.V.m. § 31 BGB zurechnen lassen, wenn er sich – wie hier – konzernintern absprachegemäß serienmäßig Bauteile vom Mutterkonzern zum Einbau liefern lässt. Anderenfalls würde die Beklagte sich als Hersteller jeglicher Haftung für das von ihr produzierte Fahrzeug entziehen können, weil sie das betreffende Bauteil nicht hergestellt hat, und der Mutterkonzern mit der Begründung, dass sie zwar den Motor, aber nicht das betreffende Fahrzeug hergestellt und in den Verkehr gebracht hat. Dieser absurde Zirkelschluss würde zu dem untragbaren Ergebnis führen, dass alleine durch die Aufgabenverteilung innerhalb eines Konzerns auf verschiedene Mutter- und Tochtergesellschaften letztlich niemand mehr für deliktische Handlungen im Zusammenhang mit der Herstellung und Inverkehrbringung mangelhafter Delikte haften müsste.
Hinzu kommt, dass die Volkswagen AG und ihre Tochtergesellschaften personell eng miteinander verflochten waren und sind. Es ist gerichtsbekannt, dass viele Personen auf Führungspositionen zwischen Konzernmutter und Tochtergesellschaften hin- und herwechseln. So war beispielsweise Herr H. in den Jahren 2002 bis 2007 Motorentwicklungschef bei der Beklagten, Chef der Motorenentwicklung bei der Volkswagen AG und zugleich Vorstand bei Porsche. Es erscheint vor diesem Hintergrund vollkommen lebensfremd, dass Verantwortliche der Beklagten in so wichtige Entscheidungen wie unzulässige Abschalteinrichtungen nicht einbezogen wurden.
Die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten bzw. ihres Mutterkonzerns haben zunächst die unzulässige Software aufgespielt und in Kenntnis der Tatsache, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Typenzulassung wegen des Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007/EG gemäß Art. 10 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007/EG nicht vorliegen, vorsätzlich eine falsche Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV für das Fahrzeug ausgestellt. Die damit einhergehende Täuschungshandlung ist nach Überzeugung der Kammer auch nur vorsätzlich denkbar, weil die Beklagte als etablierte Fahrzeugherstellerin sowie Herstellerin des Motors die Kenntnis der Programmierung ihrer eigenen Fahrzeuge sowie der für sie einschlägigen Rechtsnormen unterstellt werden kann. Jedenfalls liegt insofern aufgrund der substanziierten Darlegung der Klagepartei eine sekundäre Darlegungslast bei der Beklagten, welcher die Beklagte nicht genügt hat.
Eine Zurechnung der jeweiligen Handlungen auch verschiedener Mitarbeiter an die Beklagte erfolgt über eine entsprechende Anwendung von § 831 BGB sowie § 31 BGB. Dabei muss im Rahmen der Rechtsprechung zur Repräsentantenhaftung auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet werden, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diese Personen satzungsgemäß oder (nur) im Rechtsverkehr die juristische Person vertreten, da letztere nicht selbst darüber entscheiden soll (durch die eigene Satzung), für welche Personen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will (vgl. BGH III ZR 296/11).
Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt ist für die Kammer jedoch nicht anzuzweifeln, da insoweit ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar ist.
3. Die Beklagte hat der Klagepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt.
Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen, so dass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte, § 291 ZPO. Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss ebenso davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die in den Fahrzeugen verbauten EA 189-Motoren hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten sowie die Käufer von betroffenen Gebrauchtwagen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
4. Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten. Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit (siehe zum Ganzen statt vieler LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az. 3 O 139/16, VuR 2017, 111).
5. Der Klagepartei ist nach Überzeugung der Kammer durch die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag ein Schaden entstanden, der einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs auslöst gemäß §§ 249 ff. BGB.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also die Ausstellung der unrichtigen Bescheinigung, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber, wie die Klagepartei hier, infolge des dem Hersteller zur Last liegenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte der Hersteller keine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung erteilt und stattdessen offengelegt, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge gerade keinem genehmigten Typ entsprechen, hätte deren Erwerber davon abgesehen, diese Fahrzeuge zu kaufen. Von der Übereinstimmungsbescheinigung ist der Motor und damit einer der wertvollsten und elementarsten Bestandteile eines Kraftfahrzeugs betroffen. Die hier in Rede stehenden Daten haben Einfluss auf die Schadstoffklasseneingruppierung und die Zulassung dieses Fahrzeugs. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Daten der Übereinstimmungsbescheinigung auf die Kaufentscheidung des Käufers Einfluss hatten, ohne dass es darauf ankommt, ob er im Ankaufsgespräch konkret äußerte, ein besonders schadstoffarmes Fahrzeug oder ein Fahrzeug mit einer bestimmten Art der Zulassung erwerben zu wollen. Es spielt keine Rolle, welches konkrete Motiv für den einzelnen Erwerber bestimmend gewesen wäre. Ein Teil der Käufer mag besonderen Wert darauf gelegt haben, im Interesse des Umweltschutzes ein Fahrzeug zu nutzen, das die geltenden Grenzwerte für Abgasemissionen einhält, ein anderer Teil nicht. Es ist nach der Lebenserfahrung jedenfalls davon auszugehen, dass der Käufer ein Fahrzeug erwerben wollte, welches den gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Vorschriften entsprach. Nach Überzeugung der Kammer lässt sich keinem der Erwerber unterstellen, ihm wäre gleichgültig gewesen, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß produziert und in den Verkehr gebracht worden ist oder nicht. Die Investition in ein neues Fahrzeug war deshalb aus Sicht der Erwerber jedenfalls zweckwidrig, selbst wenn man unterstellt, dass das haftungsträchtige Verhalten zu keinerlei in Geld zu bemessender Einbuße bei den Fahrzeugerwerbern geführt hat.
Dennoch hat die Kammer eine Parteivernehmung der Klägerin zu dieser Frage durchgeführt.
Die Klägerin gab dabei überzeugend an, dass es ihr neben Marke, Design und Preis auch auf den Schadstoffausstoß der Fahrzeuge und insbesondere darauf ankam, dass das Fahrzeug die geltenden Abgasnormen erfüllt. Sie habe dabei keine Schadstoffwerte verglichen, sondern sich im Autohaus informiert und den Angaben des Verkäufers vertraut, dass die geltenden Normen, hier die Grenzwerte der Euro 5-Norm, eingehalten werden. Sie habe sich vom Verkäufer davon überzeugen lassen, dass auch ein Diesel ein umweltfreundliches Fahrzeug sein kann. Der Umstand, dass sie sich für die 140 PS-Ausführung entschieden hat, steht für sie dazu nicht im Widerspruch. Diesbezüglich sei es ihr darauf angekommen, dass sie auf ihrem Arbeitsweg andere Fahrzeuge zügig und somit relativ gefahrlos überholen kann.
Die Kammer hat keine Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage.
Auf die Frage, ob nach dem Software-Update der manipulierte Zustand beseitigt wurde, so dass das Fahrzeug nunmehr der ursprünglich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung entspricht, kommt es nicht an, weil die Bindung an den nicht erwartungsgerechten Vertrag als Schaden bereits entstanden ist und fortdauert und durch das Update nicht beseitigt werden kann.
Nach Ansicht der Kammer liegt hierin auch kein allgemeiner Vermögensschutz, der im Deliktsrecht ja gerade nicht gelten soll. Vielmehr wird konkret auf den Vertragsschluss als Schaden abgestellt. Durch die Rückabwicklung des Vertrages soll vorwiegend der Sinn und Zweck der EG-FGV effektiv umgesetzt werden. Dass dies auch die Rückzahlung des Kaufpreises nach sich zieht, ist die konsequente Wirkung dieser Rechtsfolge. Dass das Vermögen allein aber nicht geschützt wird, ist auch aus der anzurechnenden Nutzungsentschädigung für gefahrene Kilometer ersichtlich, welche sich manche Kläger unter Berufung auf den rechtswidrigen Zustand nicht anrechnen lassen wollen.
Die Klagepartei hat daher gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Anrechnung von Gebrauchsvorteilen im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB.
6. Im Rahmen der Rückabwicklung muss sich die Klagepartei den Abzug von Gebrauchsvorteilen 63 O 2222/18 – Seite 10 – in Form einer Nutzungsentschädigung gefallen lassen, welche sie auch bereits selbst in ihrem Klageantrag berücksichtigte. Allerdings hat sie den Nutzungsersatz im Termin auf 0 beziffert.
Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zugum-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist nach Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall auf 9.858,93 € festzusetzen. Dies ergibt sich nach gerichtlicher Schätzung gemäß § 287 ZPO. Die Berechnung nimmt die Kammer dabei nach folgender Formel vor:
Bruttokaufpreis (€) x gefahrene Strecke (km)
Restleistung bei Vertragsschluss (km)
Da die Klagepartei das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat, hat sie bei einem Kilometerstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung von 99.510 Nutzungsentschädigung für diese 99.510 gefahrenen Kilometer zu leisten.
Das Gericht geht im Rahmen der Berechnung weiter aufgrund einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 300.000 km aus (so auch LG München I, Az. 23 O 23033/15).
Die Nutzungsentschädigung beläuft sich daher auf 29.722,44 € (Kaufpreis) x 99.510 (gefahrene km) : 300.000 (Restlaufzeit bei Kauf) = 9.858,93 €.
Es verbleibt daher ein Rückzahlungsbetrag an die Klagepartei in Höhe von 29.722,44 € – 9.858,93 € = 19.863,51 €.
II.
Der klägerische Anspruch ergibt sich vorliegend außerdem auch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, §§ 249 ff. BGB (vgl. beispielsweise LG Ingolstadt, Urteil vom 08.04.2019, Az. 53 O 1520/17; a.A. OLG München, Beschluss vom 03.09.2019, Az. 21 U 1896/19).
III.
Der klägerische Anspruch ist entsprechend dem klägerischen Antrag gemäß § 286, 288 BGB ab Rechtshängigkeit zu verzinsen. Der Antrag zu 2) ist zulässig, das Feststellungsinteresse ergibt sich aus § 756 Abs. 1 ZPO. Die materiellen Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB liegen nach Ablauf der im vorgerichtlichen Schriftsatz vom 19.11.2018 gesetzten Frist vor.
VI.
Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nach § 249 BGB in der tenorierten Höhe aus dem zuzusprechenden Klageantrag zu 1) nebst Verzugszinsen seit Ablauf der im vorgerichtlichen Schriftsatz vom 19.11.2018 gesetzten Frist zu ersetzen.
B.
Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
I.
Bezüglich des Klageantrags zu 1) war Nutzungsersatz anzusetzen und in Abzug zu bringen (siehe hierzu oben). Diesen hat die Klagepartei jedoch im Termin auf 0 beziffert, weshalb die Klage in Höhe des Nutzungsersatzes abzuweisen war.
II.
Zinsen nach § 849 BGB ab Kaufvertragsschluss bzw. Bezahlung des Kaufpreises schuldet die Beklagte nicht.
§ 849 BGB ist bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Beklagte hat weder eine Sache der Klagepartei entzogen noch beschädigt. Der Kaufpreis ging vielmehr an den Verkäufer. Außerdem ist § 849 BGB zwar über den bloßen Wortlaut hinaus auch auf die Entziehung von Geldmitteln anzuwenden (BGH, Versäumnisurteil vom 26. 11. 2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084), allerdings ist der Anwendungsbereich auf die Überlassung von Geldern ohne gleichzeitig nutzbare Gegenleistung zu beschränken. Der Zinsanspruch nach § 849 BGB soll nämlich mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte eine nutzbare Gegenleistung erhalten hat, auch wenn diese später im Rahmen eines Schadensersatzanspruches an den Schädiger übereignet wird. Denn durch einen Fahrzeugkauf, den die Klagepartei in jedem Fall beabsichtigte und nach dem sie das Fahrzeug auch nutzte, hätte sie auch ohne die Täuschung der Beklagten den Kaufpreis nicht gewinnbringend anlegen können. Ein allgemeiner Rechtsgedanke dahingehend, dass Schadensersatzansprüche ab dem Zeitpunkt der Entstehung zu verzinsen seien, ist dem deutschen Recht fremd (Wagner, in: MüKo, § 849 Rn. 4).
III.
Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen, soweit mehr als 1,3 Geschäftsgebühren geltend gemacht wurden.
Da es sich vorliegend um ein Massenverfahren handelt, bei dem der wesentliche Aufwand beim Klägervertreter gleichzeitig für eine Vielzahl von Verfahren anfällt, und es sich bei den eingereichten Schriftsätzen ausschließlich um Textbausteine handelt, ist ein höherer Ansatz als der Mittelsatz von 1,3 für die Geschäftsgebühr (Nr. 2300 Anlage 1 VV RVG) nicht gerechtfertigt. Die Sach- und Rechtslage ist weder umfangreich noch schwierig i.S.d. Nr. 2300 Anlage 1 VV RVG.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO.
Hierbei wurde von einem fiktiven, um den Betrag der geltend gemachten Deliktszinsen für den Zeitraum vom 29.03.2011 bis zum 18.02.2019 (9.387,27 €) Streitwert in Höhe von 39.109,27 € ausgegangen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 ZPO und §§ 708, 711 ZPO.
D.
Der Streitwert bemisst sich allein nach der Höhe des Leistungsantrags zu 1), wie er in der Klageschrift zum Ausdruck kommt. Mangels Angabe zur damaligen Höhe eines abzuziehenden Nutzungsersatzes verbleibt es bei der Höhe des Kaufpreises.


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