IT- und Medienrecht

Nachweis der Wissenszurechnung im Diesel-Abgasskandal im VW-Konzern

Aktenzeichen  093 O 2786/19

Datum:
2.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34640
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO 2007/715/EG Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Allein der Umstand, dass die Porsche AG mit der VW AG in einem Konzern verbunden ist, genügt für eine Wissenszurechnung innerhalb der verbundenen Konzernunternehmen nicht. Auch der Umstand, dass profilierte Manager zwischen Konzerngesellschaften in Leitungs- oder Planungsabteilungen an verantwortlicher Stelle beschäftigt waren, ergibt dafür keinen ausreichenden Hinweis. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € bis zum 27.12.2019 und auf … € ab dem 28.12.2019 festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist teilweise bereits unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie in der Sache nicht begründet.
A)
Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags in Ziffer 2. sowie den hilfsweise erhobenen Feststellungsanträgen unzulässig, worauf die Klagepartei von der Beklagtenseite ausdrücklich hingewiesen worden ist.
Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, wenn er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann; die auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete Feststellungsklage ist dann unzulässig (vgl. stRspr. BGH, Versäumnisurteil v. 21.02.2017, Az. XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823 mwN.).
So liegen die Dinge hier.
Eine Leistungsklage gegen die Beklagte ist der Klagepartei möglich. Es sind keine Hindernisse in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht gegeben, die den Kläger daran hindern würden, eine Klage auf Zahlung eines bestimmten Betrages durch die Beklagte aufgrund der geltend gemachten Anspruchsgrundlagen zu erheben.
Eine Leistungsklage ist dem Kläger auch zumutbar. Zwar kann eine Leistungsklage unzumutbar sein, wenn der Schaden noch in der Entstehung begriffen oder nicht hinreichend bezifferbar ist, weil voraussichtlich eine Begutachtung erforderlich wäre und der Kläger in solchen Fällen von der Einholung möglicherweise umfangreicher Privatgutachten entlastet werden soll (vgl. BGH, Urteil v. 12.07.2005, Az. VI ZR 83/04, NJW 2006, 1271). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.
Dem Kläger ist die Ermittlung seines dem Grunde nach geltend gemachten Schadensersatzanspruchs durchaus möglich. Wie der Kläger im Rahmen der Klagebegründung vorträgt, liege sein Vermögensschaden in dem Erwerb eines mangelbehafteten Fahrzeugs, dem die Betriebsbeschränkung bzw. Nutzungsuntersagung drohe und das daher praktisch keinen Gegenwert gegenüber dem gezahlten Kaufpreis habe. Der Kläger forderte die Beklagte zu 2) ausdrücklich zur Rücknahme des Fahrzeugs auf. Widersprüchlich ist damit bereits das zur Begründung der Zulässigkeit seines Feststellungsantrags vorgebrachte Argument, dass noch nicht absehbar sei, welche Schäden der Klägerpartei entstehen werden. Denn sofern aufgrund der Mangelhaftigkeit ein faktischer Nullwert und damit ein Schaden bereits feststehe und entstanden sei, ist nicht ersichtlich, warum dessen Höhe nicht absehbar sein könnte. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen wäre oder – auch nach der primär begehrten Rückabwicklung des Kaufvertrages – weitere Schäden entstehen können. Hierfür sind allerdings keine hinreichenden Anhaltspunkte gegeben.
Dies gilt insbesondere hinsichtlich der vom Kläger zur Begründung einer nicht abschließenden Schadensbezifferung behaupteten möglichen Steuerschäden. Denn der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt, dass solche Schäden tatsächlich zu erwarten wären, sondern beschränkt sich auf deren bloße Behauptung. Unabhängig davon, dass dies keinen substantiierten Vortrag darstellt, sind auch seit Aufkommen des mit dem Schlagwort „Abgasskandal“ bezeichneten Sachverhalts vor etwa vier Jahren keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Steuerverwaltungen tatsächlich bei den Besitzern entsprechender Fahrzeuge steuerliche Nachforderungen oder sonstige negative Konsequenzen geltend machen könnten.
Sofern Nutzungsersatz in Abzug zu bringen ist, kann dies durch das Gericht gemäß § 287 ZPO nach der Gesamtlaufleistung des Pkw geschätzt werden (vgl. OLG München, Urteil v. 10.04.2013, Az. 20 U 4749/12, BeckRS 2013, 6915), so dass auch tatsächliche Schwierigkeiten in der Bestimmung der Nutzungsersatzhöhe einer Leistungsklage nicht entgegenstehen. Dies gilt insbesondere – unabhängig von dem bereits erwähnten Widerspruch des Klägers zu seiner eigenen Rechtsauffassung – vor dem Hintergrund, dass der Kläger bis spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung der ersten Instanz die Höhe der möglichen Nutzungsentschädigung entsprechend der tatsächlichen Laufleistung zu diesem Zeitpunkt anpassen kann. Etwaige rechtliche Fragen bei der konkreten Bemessung des Nutzungsersatzes sind dabei durch das erkennende Gericht zu klären und stellen keine derart gravierende rechtliche Unsicherheit dar, dass der Klägerpartei deshalb die Erhebung einer Leistungsklage unzumutbar wäre, zumal sich derartige Fragestellungen auch bei einer späteren Bezifferung einer konkreten Zahlungsforderung stellen.
Soweit der Kläger durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass vorwiegend die Rückabwicklung begehrt werde, jedoch auch Schadensersatz in Betracht komme, kommt hieraus nicht nur die Möglichkeit des Klägers zur Bezifferung eines – bei Rückabwicklung in Höhe des Differenzwerts zwischen Kaufpreis und Fahrzeugwert – bestimmten Leistungsantrags zum Ausdruck, sondern offenbart auch das Interesse des Klägers an einem Offenhalten einer solchen Wahlmöglichkeit durch Erhebung des Feststellungsantrags. Dieses Interesse ist allerdings kein geschütztes Feststellungsinteresse. Ein solches ist nämlich nur für den hier nicht gegebenen Fall anerkannt, dass von mehreren Möglichkeiten der Schadensbeseitigung lediglich einzelne davon durchgesetzt werden könnten und daher eine Leistungsklage nicht zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil v. 04.06.1996, Az. VI ZR 123/95, NJW 1996, 2725).
Eines ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises auf die geschilderte Problematik bedurfte es nicht. Das Gericht ist nicht gehalten, eigene Hinweise zu geben, wenn die betroffene Partei durch eingehenden und offenbar von ihr auch verstandenen Vortrag der Gegenpartei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet war (BGH NJW-RR 2008, 581).
B)
Auch die Leistungsanträge waren abzuweisen, da der Klagepartei keine Ansprüche gegen die Beklagten zustehen.
I.
Es kann offen bleiben, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug tatsächlich eine illegale Motorsteuerungssoftware verbaut ist oder nicht. Die Klagepartei hat nicht substantiiert darlegen können, dass die rechtsrelevanten Verantwortlichen der Firma … AG Kenntnis vom – unterstellten – Vorhandensein einer solchen illegalen Software gehabt hätten.
Allein der Umstand, dass die Beklagte zu 2) mit der … AG in einem Konzern verbunden ist, genügt für eine Wissenszurechnung innerhalb der verbundenen Konzernunternehmen nicht. Allein der Umstand, dass profilierte Manager zwischen Konzerngesellschaften in Leitungs- oder Planungsabteilungen an verantwortlicher Stelle beschäftigt waren, ergibt keinen Hinweis für eine Wissenszurechnung dieser Personen an die Beklagte zu 2) (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 5. Dezember 2019, Az.: 16 U 61/18 = [Anlage B 10] m.w.N.). Substantiierten Vortrag zu konkreten Anhaltspunkten, der Anlass geben würde, von diesen zutreffenden Grundsätzen abzuweichen, hat die Klagepartei nicht vorgebracht.
Deliktische Ansprüche kommen daher gegen beide Beklagten nicht in Betracht, unabhängig von der letztlich nicht entscheidungsrelevanten Frage, ob die Beklagte zu 1) sich ein deliktisches Verhalten der Beklagten zu 2) zurechnen lassen müsste.
II.
Vertragliche Gewährleistungsansprüche erscheinen von vornherein allenfalls gegen die Beklagte zu 1) denkbar, da zwischen der Klagepartei und der Beklagten zu 2) kein Vertrag geschlossen wurde. Auch hinsichtlich Ersterer kann allerdings dahinstehen, ob das verkaufte Fahrzeug tatsächlich mangelhaft im Sinne der §§ 433, 434, 437 BGB ist, da entsprechende Ansprüche jedenfalls verjährt sind.
1.
Die Verjährungsfrist für kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche beträgt gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwei Jahre und beginnt gemäß § 438 Abs. 2 BGB mit der Ablieferung der Kaufsache. Vorliegend wurde das Fahrzeug unstreitig am 29.04.2016 übergeben. Die Rücktrittserklärung der Klagepartei erfolgte jedoch erst mit Schreiben vom 24.05.2019 (Anlage K 31) und damit nach Eintritt der Verjährung.
2.
Dass die Beklagte zu 1) eine eigene arglistige Täuschungshandlung begangen habe, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Zurechnung einer vorsätzlichen Täuschung durch die Beklagte zu 2) kommt mangels substantiierten Vortrags zu einer solchen Täuschung (siehe oben) ebenfalls nicht in Betracht, sodass die längere Verjährungsfrist des § 438 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht eingreift.
III.
Die weiteren Anträge unter Ziffern 3. und 4 betreffend die Feststellung von Annahmeverzug und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sind ebenfalls unbegründet. Sie teilen das Schicksal der Hauptforderung. Mangels Bestehens eines Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach besteht weder ein Zinsanspruch noch ein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
C)
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
D)
Da die Klage jeweils in voller Höhe gegen beide Beklagten geltend gemacht wurde, war der Streitwert ab dem 28.12.2019 auf …,- € festzusetzen.


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