IT- und Medienrecht

Persönlichkeitsrechtsschutz bei Bezeichnung einer Person als Antisemit

Aktenzeichen  3 U 1523/18

Datum:
22.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2020, 166
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB analog § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1, Art. 10

 

Leitsatz

1. Zur Abwägung zwischen dem Recht auf Schutz der Persönlichkeit und Ehre und dem Recht auf freie Meinungsäußerung bei der Äußerung „Er ist Antisemit […]. Aber das ist strukturell nachweisbar.“ (Rn. 67 – 82)
2. Bei der beanstandeten Äußerung „Er ist Antisemit“ handelt es sich um eine Meinungsäußerung. Zwar enthält sie einen Tatsachenkern. Insgesamt bedarf es jedoch einer Wertung, ob eine Person ein Antisemit ist. Eine solche Wertung ist einem Beweis nicht zugänglich. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bezeichnung als Antisemit ist jedenfalls dann keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik, wenn die Äußerung vor dem Hintergrund eines gehaltenen Vortrags aufgrund einer Anfrage aus dem Publikum getätigt wird und in sachlicher Form vor dem Hintergrund des von der Äußernden vertretenen Begriffes des Antisemitismus ein Beitrag in der Auseinandersetzung mit den modernen Erscheinungsformen des Antisemitismus geleistet wird.   (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Rahmen der Abwägung ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Behauptung, der Betroffene sei ein Antisemit, was strukturell nachweisbar sei, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte einen besonders weitreichenden und intensiven Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt und auch geeignet ist, rufschädigend zu wirken. Dieser Eingriff ist seiner Art nach besonders schwerwiegend und wie kaum ein anderer Vorwurf geeignet, den mit dieser Geisteshaltung in Verbindung Gebrachten in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
5. Im Rahmen des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs ist der rechtlichen Bewertung diejenige Deutung zugrunde zu legen, die für den Betroffenen am meisten belastend ist (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

62 O 1925/17 2018-07-17 Endurteil LGREGENSBURG LG Regensburg

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17.07.2018, Az. 62 O 1925/17, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die Parteien streiten um Ansprüche auf Unterlassung und Erstattung von Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit einer Bezeichnung des Klägers als Antisemiten durch die Beklagte.
I.
1. Der Kläger ist ein deutscher Sänger.
Er verfasste im Jahr 2009 das Lied „Raus aus dem Reichstag“. Eine Strophe darin lautet:
„Wie die Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel“.
Im Jahr 2017 verfasste er zusammen mit den „S… M…“ das Lied „Marionetten“. Eine Strophe darin lautet:
„Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein? Seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügelhalter Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter Diese Lieder sowie die Einstellung des Klägers waren Gegenstand eines Berichts des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 18/11970 S. 174/175, Anlage B 2) sowie mehrerer Zeitschriften und Zeitungen (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.05.2017, Spiegel vom 05.05.2017, Die Tageszeitung vom 09.05.2017, Huffpost vom 16.10.2014; Anlagenkonvolut B 5).
Im Jahr 2014 hielt der Kläger eine Rede bei einer Versammlung der „Reichsbürger“ in Berlin.
Der Kläger gab im Jahre 2005 in der Oper in T…(Ort) anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen ein Konzert. Er unterstützt Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass, z.B. die Initiative „Brothers Keepers“ oder „Rock gegen Rechts“. In Interviews hat er sich mehrfach gegen Antisemitismus ausgesprochen (Interview mit dem SWR, Anlage K 12; Interview mit dem Stern vom 12.03.2015, Anlage K 14).
2. Die Beklagte hielt am 05.07.2017 in S…(Ort) als Fachreferentin der Amadeu-Antonio Stiftung einen Vortrag zum Thema „Reichsbürger – Verschwörungsideologie mit deutscher Spezifik“. Nach dem Vortrag kam es zu einer Diskussion zwischen der Beklagten und dem Publikum. Auf eine Nachfrage aus dem Publikum, wie die Beklagte den Kläger einstufe, sagte die Beklagte: „Ich würde ihn zu den Souveränisten zählen, mit einem Bein bei den Reichsbürgern. Er ist Antisemit, das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar“.
3. Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.07.2017 mahnte der Kläger die Beklagte ab (Anlage K 5).
4. Das Landgericht Regensburg erließ am 07.08.2017 eine einstweilige Verfügung, in der dem Beklagten untersagt wurde, wörtlich oder sinngemäß die streitgegenständliche Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten (Az. 62 O 1240/17). Mit anwaltlichem Schreiben vom 07.09.2017 forderte der Kläger die Beklagte auf, diese einstweilige Verfügung als endgültige Regelung anzuerkennen (Anlage K 9).
II.
1. Im nunmehr rechtshängigen Hauptsacheverfahren hörte das Landgericht Regensburg im Termin vom 26.06.2018 die Parteien informatorisch an.
Die Beklagte führte u.a. aus, dass sie im Rahmen des von ihr zum Thema „Reichsbürger“ gehaltenen Vortrags vom 05.07.2017 ihre Auffassung von „Antisemitismus“ hergeleitet habe. Da sie vom Publikum um eine Einschätzung zum Kläger gebeten worden sei, habe sie ihre Einschätzung abgegeben, das Thema aber nicht weiter vertieft. Unter Antisemitismus verstehe sie eine Form von ideologischer Verschwörungstheorie, wonach die Geschicke der Welt von einer kleinen Gruppe gelenkt werden. Die Formen der Weltverschwörung, die in den streitgegenständlichen Liedern des Klägers angesprochen würden, passten zu ihrem Verständnis von Antisemitismus. Der Kläger verwende Begriffe und Chiffren, die sich als Stellvertreterbegriffe verstehen ließen und in die Artikel der Welterklärung im Sinne einer Verschwörungstheorie passten.
Der Kläger erklärte u.a., dass er kein Antisemit in dem Sinne, wie er es verstehe, sei. Er verstehe unter Antisemitismus, dass Menschen im Hinblick auf ihren Glauben und ihre semitische Herkunft aktiv diffamiert und verunglimpft würden. Bei dem Lied „Raus aus dem Reichstag“ habe er mit der Verwendung des Begriffes „Totschild“ den Eintritt des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in die Rotschildbank kritisieren wollen. Ihm sei wichtig, dass durch die Wahl der Worte die Kritik auch ankomme, daher habe er auch das Wort „Schmock“ verwendet, das er als jüdisches Schimpfwort kenne. Mit dem Lied „Marionetten“ habe er hauptsächlich Kritik an dem aus seiner Sicht überbordenden Lobbyismus üben wollen. Dass ein Kontext zu einem antijüdischen Klischee hergestellt werden könne, sei ihm nicht bewusst gewesen.
2. Am 17.07.2018 erließ das Landgericht das nachfolgende Endurteil:
I. Die Beklagte hat es bei Meidung eines vom Gericht für den Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten
„Er (Anm.: Herr N…) ist Antisemit, das darf ich, glaube ich, aber gar nicht so offen sagen, (…). Aber das ist strukturell nachweisbar.“
insbesondere, wie bei dem Vortrag „Reichsbürger – Verschwörungsideologien mit deutscher Spezifik“ am 05.07.2017 im Foyer des Theaters am Hagen in S…(Ort) geschehen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 526,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über den Basiszinssatz seit 19.12.2017 zu bezahlen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über den Basiszinssatz seit 19.12.2017 zu zahlen.
Zur Begründung führte das Landgericht im Wesentlichen aus, dass die angegriffene Äußerung den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Es handele sich dabei zwar um eine Meinungsäußerung, die nicht ohne jegliche tatsächliche Grundlage erfolgt und nicht als Schmähkritik einzuordnen sei, weshalb sie grundsätzlich vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst sei. Die gebotene Abwägung des Rechts der Beklagten auf freie Meinungsäußerung auf der einen und des Persönlichkeitsrechts des Klägers unter Berücksichtigung des Rechts auf freie Ausübung der Kunst auf der anderen Seite führe jedoch dazu, dass dem Persönlichkeitsrecht des Klägers im vorliegenden Fall der Vorrang zukomme und daher dem Kläger der Unterlassungsanspruch (Ziffer I.) sowie der Anspruch auf Zahlung von Abmahnkosten (Ziffer II.) und auf Erstattung der Kosten für das Abschlussschreiben (Ziffer III.) zustehe.
Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
3. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Sie beantragt, das Urteil des Landgerichts Regensburg abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung sei fehlerhaft, da es zu Unrecht überprüfe, ob die Beklagte ausreichend gewichtige Beweise für ihre Meinungsäußerung vorgelegt habe. Ausreichend sei, dass die Beklagte ihre Meinung über den Kläger aufgrund objektiver Anknüpfungspunkte gebildet habe. Außerdem habe das Erstgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Kläger die öffentliche Bühne für politische Äußerungen sucht und entsprechend auch eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Ansichten erdulden muss. Eine vom Landgericht vorgenommene Aufspaltung zwischen dem Kläger und seinen Liedtexten sei unzulässig. Die Kunstfreiheit stelle keine Schranke der Meinungsfreiheit dar.
Der Kläger verteidigt im Ergebnis das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung. Zur Begründung führte er u.a. aus, dass es sich bei der angegriffenen Äußerung um eine Tatsachenbehauptung handele. Diese sei unzutreffend, weshalb dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zustünde. Sollte es sich jedoch dabei um ein Werturteil handeln, würde – entsprechend der durch das Erstgericht vorgenommenen Abwägung – die Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht und der Ehre des Klägers sowie dessen Grundrecht auf Kunstfreiheit zurücktreten. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass nicht ausreichend Anknüpfungstatsachen für die getätigte Äußerung vorliegen. Die Bezeichnung als Antisemit stelle einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
4. Der nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz der Beklagten vom 08.10.2019 enthält kein nach §§ 296a S. 2, 283 ZPO zu berücksichtigendes Vorbringen.
a) Innerhalb einer vom Gericht gesetzten Erklärungsfrist eingehende Schriftsätze sind nicht unbeschränkt, sondern nur insoweit von einem nach § 283 S. 1 ZPO gewährten Schriftsatzrecht gedeckt, wie sich das dort gehaltene Vorbringen als Erwiderung auf den verspäteten Vortrag des Gegners darstellt. Unzulässig ist es daher, in dem nachzureichenden Schriftsatz auch solche neuen Behauptungen aufzustellen, die durch den verspätet eingereichten Schriftsatz des Gegners nicht veranlasst sind. An dem notwendigen Zusammenhang mit dem das Schriftsatzrecht auslösenden gegnerischen Vortrag fehlt es insbesondere in den Fällen, in denen sich dieses bei näherer Prüfung als bloße Wiederholung und Zusammenfassung des bisherigen Vorbringens herausstellt (BGH, Beschluss vom 27.02.2018 – VIII ZR 90/17, Rn. 22 ff.).
b) Im vorliegenden Fall hat der Senat der Beklagten nachgelassen, zu etwaigem neuen tatsächlichen Vorbringen im Schriftsatz des Klägervertreters vom 19.09.2019 bis zum 08.10.2019 Stellung zu nehmen. Diese Beschränkung auf neuen Vortrag ist zwar im Beschluss des Senats vom 24.09.2019 – anders als im Antrag der Beklagten – nicht ausdrücklich enthalten. Sie folgt jedoch bereits aus dem in § 283 S. 1 ZPO vorausgesetzten Erfordernis eines Zusammenhangs mit dem verspäteten Vorbringen des Gegners (vgl. BGH, Beschluss vom 27.02.2018 – VIII ZR 90/17, Rn. 26). Auch die Beklagte hat den Beschluss – wie ihr Schriftsatz vom 08.10.2019 zeigt – in diesem Sinn verstanden.
Der das Stellungnahmerecht auslösende Schriftsatz der Klagepartei enthält eine bloße Wiederholung und Zusammenfassung des bisherigen Vorbringens und begründet daher kein Recht zur Erwiderung i.S.v. § 283 ZPO. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, dass sich der Kläger auch gegen Antisemitismus einsetze. Der unstreitige Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils führt diesbezüglich u.a. Folgendes aus:
Der Kläger gab im Jahre 2005 in der Oper in T…(Ort) anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen ein Konzert. Er unterstützt Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass, z.B. die Initiative „Brothers Keepers“ oder „Rock gegen Rechts“.
Da die Beklagte keinen Antrag auf Berichtigung des Tatbestands geltend gemacht, muss das Berufungsgericht wegen der Beweiskraft des Tatbestands von dem dort wiedergegebenen Tatsachenvortrag als richtig ausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2000 – I ZR 49/98). Das Bestreiten der Beklagten hinsichtlich des Einsatzes des Klägers gegen Antisemitismus im Schriftsatz vom 08.10.2019 ist somit vom Schriftsatzrecht nicht umfasst.
5. Der ebenfalls nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz des Klägers vom 21.10.2019 lag dem Senat bei der Entscheidungsfindung vor.
B.
Die zulässige Berufung ist unbegründet, da das Landgericht der Klage zu Recht stattgegeben hat. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des rechtswidrigen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber der Beklagten zu (siehe unter Ziffern I. und II.). Aufgrund dessen hat er auch einen Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten (siehe unter Ziffer III.).
I.
Die beanstandete Äußerung stellt einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar.
Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen. Hierzu gehört der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken (BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 – 1 BvR 2678/10, Rn. 30; BVerfG, Beschluss vom 11.12.2013 – 1 BvR 194/13, Rn. 14).
Die Behauptung, der Kläger sei ein Antisemit, was strukturell nachweisbar sei, stellt einen derartigen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Denn damit ist eine Prangerwirkung verbunden, die geeignet ist, den Kläger in der Öffentlichkeit in ein negatives Licht zu rücken und sich abträglich auf sein Ansehen sowohl im privaten als auch beruflichen Bereich – zumal als Künstler – auszuwirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10, Rn. 33). Die Bezeichnung als „Antisemit“ wird in der Öffentlichkeit angesichts des historischen Bedeutungsgehalts einer solchen Qualifizierung als negativ und diskreditierend verstanden, da in dieser Bezeichnung – so zutreffend auch das Landgericht – nach dem allgemeinen Verständnis zumindest auch zum Ausdruck kommt, dass die gemeinte Person die Überzeugungen teilt, die zu der Ermordung von 6 Millionen Juden unter der Nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geführt haben, und die Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft angreift und für das Übel der Welt verantwortlich macht.
Dieser Eingriff ist besonders schwerwiegend und wie kaum ein anderer Vorwurf geeignet, den mit dieser Geisteshaltung in Verbindung Gebrachten in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen. Dies beruht auf den grauenhaften Folgen, die der Antisemitismus gerade in Deutschland herbeigeführt hat. Er war „weltanschauliche Grundlage“ für den von Deutschen begangenen Völkermord an Juden. Diese Dimension ist es, die es in besonderem Maße ehrenrührig erscheinen lässt, einer Geisteshaltung beschuldigt zu werden, die solches ermöglicht hat (vgl. LG Köln, Urteil vom 03.09.2008 – 28 O 366/08, Rn. 27).
II.
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist auch rechtswidrig.
1. Liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, führt dies nicht ohne weiteres zur Annahme eines rechtswidrigen Eingriffs mit der Folge eines Unterlassungsanspruchs, da wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechtes seine Reichweite nicht absolut feststeht, sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist aufgrund dessen nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, Rn. 14; BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15, Rn. 30; OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015 – 4 U 101/15, Rn. 90; OLG Frankfurt, Urteil vom 21.01.2016 – 16 U 87/15, Rn. 28).
Ob dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht, ist mithin aufgrund einer Abwägung der Interessen des Klägers – also hier seines Rechtes auf Schutz seiner Persönlichkeit und seiner Ehre aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 EMRK – einerseits und dem Recht der Beklagten auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 10 EMRK) andererseits zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2012 – VI ZR 330/11, Rn. 9; BGH, Urteil vom 16.12.2014 – VI ZR 39/14, Rn. 16; BGH, Urteil vom 13.01.2015 – VI ZR 386/13, Rn. 13).
Bei Tatsachenberichten hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 – 1 BvR 2678/10, Rn. 33; BVerfG, Beschluss vom 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, Rn. 19; BGH, Urteil vom 30.10.2012 – VI ZR 4/12, Rn. 12).
Bei Meinungsäußerungen, d.h. Äußerungen, die insgesamt durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens geprägt sind, verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und dem geschützten Rechtsgut andererseits droht (BVerfG, Beschluss vom 24.01.2018 – 1 BvR 2465/13, Rn. 18). Lässt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an (BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, Rn. 123 – „Soldaten sind Mörder“).
Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung zwar insgesamt um eine Meinungsäußerung (siehe unter B.II.2.), die nicht als reine Schmähkritik einzustufen ist (siehe unter B.II.3.). Dennoch führt die Gesamtabwägung der berührten Rechtspositionen dazu, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers rechtswidrig war (siehe unter B.II.4.).
2. Bei der Äußerung, der Kläger sei ein Antisemit, was strukturell nachweisbar sei, handelt es sich – wie auch das Landgericht zutreffend feststellte – insgesamt um eine Meinungsäußerung. Diese beinhaltet zwar auch tatsächliche Elemente, diese sind jedoch derart eng mit den wertenden Aussagen verbunden, dass sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden dürfen.
a) In rechtlicher Hinsicht ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
aa) Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, Rn. 16 – Nerzquäler).
Es gehört zu den Garantien der Meinungsfreiheit, dass ein Kritiker prinzipiell auch seine rechtliche Bewertung von Vorgängen als seine Rechtsauffassung zum Ausdruck bringen kann, selbst wenn diese einer objektiven Beurteilung nicht standhält. Die Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevanter Tatbestand ist daher prinzipiell keine Tatsachenbehauptung, sondern Werturteil (BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 251/80, Rn. 17). Als Tatsachenmitteilung sind solche Angaben nur zu qualifizieren, wenn und soweit die Beurteilung im Gesamtzusammenhang ihrer Verwendung nicht als Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind (BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, Rn. 20). Auch Schlussfolgerungen eines Sachverständigen sind als Meinungsäußerungen einzuordnen. Denn der durchschnittliche Empfänger geht von einer durch besondere Sachkunde geprägten Wertung aus, die zwar richtig oder falsch, nicht aber wahr oder unwahr sein kann (KG Berlin, Urteil vom 20.06.2011 – 10 U 170/10, Rn. 13).
Behauptet der sich Äußernde dagegen, für einen tatsächlichen, nicht näher konkretisierten Sachverhalt Beweise zu haben, und er zieht daraus eine rechtliche Schlussfolgerung, liegt eine Tatsachenbehauptung vor. Denn für den Empfänger wird in erster Linie der Eindruck erweckt, bestimmte beweisbare Vorgänge hätten sich ereignet, die ein bestimmtes rechtliches Urteil rechtfertigen. Daher ist beispielsweise die Äußerung des Inhabers einer Versicherungs-Generalvertretung, ihm lägen Beweise dafür vor, dass ein früher bei ihm beschäftigter hauptberuflicher Untervertreter gegen die Ausschließlichkeit verstoßen habe, als Tatsachenbehauptung anzusehen (BVerfG, Beschluss vom 01.03.2006 – 1 BvR 54/03, Rn. 18).
bb) Der Tatsachenanteil einer Aussage kann so substanzarm sein, dass er in den Hintergrund tritt und die Äußerung insgesamt als Kundgabe einer Meinung zu gelten hat (BVerfG, Beschluss vom 08.09.2010 – 1 BvR 1890/08, Rn. 21 – Gen-Milch). So liegt es, wenn sich der Äußerung die Behauptung einer konkret greifbaren Tatsache nicht entnehmen lässt, sie sich vielmehr in einem pauschalen Urteil erschöpft (BGH, Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 19/08, Rn. 15; OLG Köln, Urteil vom 17.12.2002 – 15 U 95/02, Rn. 15). Dies ist beispielsweise anzunehmen, wenn eine unternehmensbezogene Kritik im wesentlichen Kern keine auf ihre Richtigkeit überprüfbare substantiierte Aussage enthält, sondern lediglich eine pauschale subjektive Bewertung des geschäftlichen Verhaltens. Ist eine Äußerung derart substanzarm, dass sich ihr eine konkret greifbare Tatsache nicht entnehmen lässt und sie ein bloß pauschales Urteil enthält, tritt der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung zurück und beeinflusst die Abwägung nicht (BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 7/07, Rn. 14 – Gen-Milch).
cc) Liegt eine derartige Substanzarmut nicht vor, ist, wenn in einer Äußerung sowohl tatsächliche als auch wertende Elemente enthalten sind, ohne dass sie sich scharf voneinander trennen lassen, regelmäßig darauf abzustellen, ob der tatsächliche oder der wertende Charakter einer Aussage überwiegt bzw. welchen Kern eine Aussage hat. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, könnte der Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, Rn. 16 – Nerzquäler). In solchen Fällen ist somit der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen (BVerfG, Beschluss vom 11.01.1994 – 1 BvR 434/87, Rn. 58 – Jugendgefährdende Schriften).
Eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist daher nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 BvR 2732/15, Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 28.03.2017 – 1 BvR 1384/16, Rn. 15). Beinhaltet die angegriffene Äußerung daher auch tatsächliche Elemente, ist darauf abzustellen, ob diese derart eng mit den wertenden Aussagen verbunden sind, dass sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden dürfen (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 – 1 BvR 2678/10, Rn. 39). Aus oben unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 19.01.2016 (VI ZR 302/15, Rn. 16 – Nerzquäler) dargelegten Gründen dürfen einer komplexen Äußerung nicht einzelne Sätze mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (BGH, Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 19/08, Rn. 11). Der Grundrechtsschutz darf auch nicht dadurch verkürzt werden, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird (BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, Rn. 17 – Nerzquäler; BGH, Urteil vom 10.01.2017 – VI ZR 562/15, Rn. 13, Hager, in Staudinger, Neubearbeitung 2017, C. Das Persönlichkeitsrecht, Rn. 79).
dd) Das ist auch bei der Einstufung einer Äußerung als Wertung oder Tatsachenbehauptung zu berücksichtigen, die die Erfassung ihres Sinns voraussetzt. Bei der Sinndeutung ist von dem Verständnis auszugehen, das ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum dem Begriff unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs zumisst. Dabei ist die Äußerung stets in dem Zusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist.
Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren (BVerfG, Beschluss vom 21.12.2016 – 1 BvR 1081/15, Rn. 21).
ee) Die Formulierung einer beanstandeten Äußerung ist kein entscheidendes Kriterium für ihre Einstufung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung (Burkhardt, in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 4, Rn. 55). So soll sich alleine aus den einleitenden Worten „Ich glaube nicht“ oder „Ich glaube“ nicht der Charakter einer Bewertung ergeben, die dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegt. Solche Formulierungen stehen ebenso wie die Formulierungen wie „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, „sollen angeblich“, „ich meine, dass“, „soviel ich weiß“ oder „offenbar“ der Qualifizierung als Tatsachenbehauptungen nicht prinzipiell entgegen. Der Ansehensschutz würde leerlaufen, wenn es der Äußernde in der Hand hätte, allein durch solche Einschübe aus seinen Tatsachenbehauptungen zivilrechtlich weniger angreifbare Meinungsäußerungen zu machen (BGH, Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 19/08, Rn. 13; BGH, Urteil vom 22.04.2008 – VI ZR 83/07, Rn. 18; OLG Celle, Urteil vom 25.10.2012 – 13 U 156/12, Rn. 10).
ff) In der Rechtsprechung wurde beispielsweise die Äußerung, „eine Person steht mit ihrem Verein einer totalitären, verfassungs- und jagdfeindlichen Sekte nahe“, als Meinungskundgabe qualifiziert, da die Bewertung der Beziehung zwischen beiden im Vordergrund steht (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2010 – 5 U 362/09 – 88). Gleiches gilt für die Bezeichnungen „anerkanntes Sprachrohr für Rassismus, Nationalismus u. Fremdenfeindlichkeit“ (OLG Frankfurt, Urteil vom 21.01.2016 – 16 U 87/15), „bekannter Neonazi“ (OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015 – 4 U 101/15), „Neofaschist“ (OLG Köln, Urteil vom 27.04.1993 – 15 U 193/92), da diese auch vom eigenen politischen Standpunkt abhängen. Die Bezeichnung eines Rechtsanwalts als „Multifunktionär mit einschlägiger brauner Sektenerfahrung“ stellt eine Meinungsäußerung dar (OLG Hamburg, Beschluss vom 03.03.2000 – 7 U 69/99, Rn. 4 ff.). Es ist nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag „rechtsextrem“ ist, wann sich ein Denken vom „klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild“ unterscheidet und wann man „es sich gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden“, weshalb es sich dabei um Meinungsäußerungen handelt (BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10, Rn. 27). Auch der Beurteilung, ob jemand ein „glühender Antisemit“ ist, liegt eine Bewertung der Äußerungen und des Auftretens des so Bezeichneten zugrunde, bei der die subjektive Sicht des sich Äußernden auf den so Beurteilten maßgeblich ist, so dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt (LG München I, Urteil vom 10.12.2014 – 25 O 14197/14, Rn. 70). Die Äußerung, jemand vertritt „rechtsnationale und/oder rechtsradikale Positionen“, stellt ebenfalls eine Meinungsäußerung dar, weil jeweils von dem eigenen politischen Standpunkt abhängt und nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen ist, wann eine politische Grundhaltung als rechtsradikal oder rechtsnational einzuordnen ist (OLG Saarbrücken, Urteil vom 04.06.2014 – 5 U 81/13, Rn. 49).
Der Begriff „Nazi“ lässt bei isolierter Betrachtungsweise schon wegen der Weite seines Bedeutungsgehaltes verschiedenste Verwendungsweisen zu, die von einer streng historischen Terminologie bis zum substanzlosen Schimpfwort reichen. Wenn sich ein Text nicht auf die Bezeichnung einer Person als „Nazi“ beschränkt, sondern im Zusammenhang mit der Darstellung eines konkreten Vorfalls und seines Hintergrundes steht, dient die Bezeichnung „der im Viertel bekannte Nazi …“ dazu, die Tat als Ausdruck der Gesinnung dieser Person darzustellen (BVerfG, Beschluss vom 19.12.1991 – 1 BvR 327/91, Rn. 34).
Der Aussagegehalt der Bezeichnung einer Person als „Nazi“, „Neonazi“ oder „Neofaschist“ ist abhängig vom jeweiligen Gebrauch, insbesondere vom Gesamtzusammenhang des Textes (OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015 – 4 U 101/15, Rn. 106). Diese Begriffe enthalten somit eindeutig Elemente eines Werturteils, denn sie stellten gewöhnlich eine schlagwortartige Qualifizierung einer politischen Einstellung oder Geisteshaltung einer Person dar. Die (plakative) Bewertung tatsächlicher Vorgänge oder Umstände ist aber ein Werturteil und mithin eine Meinungsäußerung. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass sich je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls aus dem Kontext ergibt, dass mit der Bezeichnung einer Person als „(Neo-)Nazi“ eine dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsache behauptet wird, etwa dann, wenn eine – gegebenenfalls frühere – Parteizugehörigkeit behauptet wird (OLG Stuttgart, a.a.O. Rn. 107).
b) Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der beanstandeten Äußerung „Er ist Antisemit“ unter Berücksichtigung dieses Rechtsrahmens um eine Meinungsäußerung. Zwar enthält sie einen Tatsachenkern. Insgesamt bedarf es jedoch einer Wertung, ob eine Person ein Antisemit ist. Eine solche Wertung ist einem Beweis nicht zugänglich.
aa) In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es keine allgemein anerkannte Definition für den Begriff des „Antisemitismus“ gibt.
(1) Der Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus gegenüber der Bundesregierung vom 07.04.2017 (Bundestagsdrucksache 18/11970) führt dazu auf Seite 23 ausdrücklich aus, dass eine allgemein gültige Definition von „Antisemitismus“ nicht existiere. Es ließen sich sowohl im öffentlichen als auch im wissenschaftlichen Diskurs unterschiedliche Erklärungen finden, was unter Antisemitismus zu verstehen ist. Auch der vorangegangene Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus vom 10.11.2011 (Bundestagsdrucksache 17/7700, S. 10) erklärt dazu, dass bei der Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Aussage als antisemitisch einzuschätzen sei, es immer der Beachtung des Kontextes bedürfe.
Der Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus vom 07.04.2017 unterscheidet auf Seite 24 f. zwischen verschiedenen Erscheinungsformen:
„Bezogen auf die Erscheinungsformen des Antisemitismus in der Gesellschaft lässt sich die Ebene der Einstellungen von jener der Handlungen unterscheiden. Auf der Ebene der Einstellungen finden sich stereotype Auffassungen und Bilder von Juden, die von diffusen Aversionen bis hin zu Ressentiments und Vorbehalten reichen, die dem oder der Einzelnen nicht zwangsläufig bewusst sein müssen und sich z. T. nur anlassbezogen artikulieren. Diese latenten Formen des Antisemitismus unterscheiden sich von manifesten Einstellungen, die eine bewusste Auffassung widerspiegeln und in entsprechenden Äußerungen privat oder im öffentlichen Raum geäußert werden. Derartige Einstellungen können, müssen aber keine Folgen in Form von konkreten Handlungen haben. Indessen führt bereits die Artikulation von antisemitischen Einstellungen, etwa in Gestalt von Anspielungen oder Witzen, zur Absicherung und Stärkung eines entsprechenden sozialen Klimas. Weitergehende Äußerungen antisemitischer Einstellungen können darüber hinaus Einfluss auf die Ebene der Handlungen nehmen und etwa in der direkten Forderung nach einer Benachteiligung von Juden und letztlich im Absprechen der Bürger- und Menschenrechte münden. Gehen solche Auffassungen in konkrete Handlungen über, handelt es sich um Formen eines gewalttätigen Antisemitismus, der sich in Angriffen auf Einrichtungen und Personen zeigt und in seiner letzten Konsequenz zur systematischen Verfolgung und Ermordung führen kann“.
Darüber hinaus artikuliert sich der Antisemitismus in unterschiedlichen Formen, angepasst an sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse. Als Kategorien nennt der Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus vom 07.04.2017 auf Seite 25 f. den religiösen Antisemitismus, den sozialen Antisemitismus, den politischen Antisemitismus, den nationalistischen Antisemitismus sowie den rassistischen Antisemitismus.
(2) Zur Charakterisierung der aktuellen Erscheinungsformen wird vielfach eine weite Definition von Antisemitismus vertreten.
Die International Holocaust Remembrance Alliance, einer internationalen Organisation, deren Mitgliedsstaat Deutschland seit ihrer Gründung 1998 ist, definiert Antisemitismus als eine
„bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“ Im Weiteren werden Beispiele genannt, die klar antisemitisch sind oder antisemitische Konnotationen haben können, wie etwa der „Aufruf zur Tötung oder Schädigung von Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen Religionsanschauung“, „dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Juden“ oder das „Verantwortlichmachen der Juden als Volk für das […] Fehlverhalten einzelner Juden«. Andere Beispiele beziehen sich auf negative Wertungen gegenüber Israel, wie etwa „die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen“, die „Anwendung doppelter Standards“ oder das „Bestreben, alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen“. (https://de.wikipedia.org/wiki/International_Holocaust_Remembrance_Alliance).
Auch der o.g. Bericht des unabhängigen Expertenkreises vom 07.04.2017 definiert auf Seite 24 Antisemitismus sehr weit als
„Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen“.
(3) Ein engeres Verständnis von Antisemitismus begrenzt den Terminus auf seine rassistische Form und unterscheidet ihn damit von der als „Antijudaismus“ bezeichneten religiösen Variante. Hiermit sollen die Besonderheiten der rassistischen Begründung hervorgehoben werden (Pfahl-Traughber, in Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018).
Nach einem Aufsatz von Emmerich/Würkner (NJW 1986, 1195) liegt Antisemitismus im engeren Sinne dann vor, „wenn für einen objektiven Beobachter die grobe Verletzung der verfolgungsgeschichtlich geprägten, personalen Würde von Menschen jüdischer Abstammung durch nationalsozialistisch fundiertes Gedankengut evident ist“.
Auch in der Umgangssprache ist der Ausdruck „Antisemitismus“ seit 1945 gleichbedeutend mit „Judenhass“ oder „Judenfeindlichkeit“ (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Antisemitismus).
(4) Noch enger ist die Definition von Antisemitismus, wenn verlangt wird, dass sich eine antisemitische Einstellung in Form von konkreten Handlungen äußern muss.
Bei diesem engeren Verständnis von Antisemitismus wären Antisemiten „Personen, die Juden das Existenzrecht absprechen und in dieser Gesinnung handlungsbereit sind“ (vgl. Kleine Anfrage vom 11.04.2019, Bundestagsdrucksache 19/9306, S. 6).
In diesem Sinne können Äußerungen aufgefasst werden, die nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle in den Medien zu lesen waren.
So führte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder aus:
„Der Staat muss sich wehrhaft zeigen.“ Der Antisemitismus sei in den letzten Jahren neu entflammt, die Bluttat von Halle ein historischer Einschnitt. „Es braucht schärfere, wuchtigere Gesetze gegenüber dem Antisemitismus.“ (https://www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-fordert-haertere-strafen-fuer-antisemitische-delikte,ReaoMFR)
In einem Zeitungsartikel der „Zeit“ heißt es:
„Angriffe, Beleidigungen, Anfeindungen, Einschüchterung, Gewalt und Sachbeschädigung von jüdischen Einrichtungen: Für Jüdinnen und Juden in Deutschland gehört Antisemitismus zum Alltag.“ (https://www.zeit.de/gesellschaft/2019-10/antisemitismus-anschlag-halle-rechtsextremismus-rechte-gewalt-kriminalitaet)
(5) Auch zwischen den Parteien divergiert – wie die informatorische Anhörung durch das Landgericht zeigt – das Verständnis von Antisemitismus entsprechend der vorangegangenen unterschiedlichen Definitionen stark. Die Beklagte versteht unter Antisemitismus eine Form von ideologischer Verschwörungstheorie, wonach die Geschicke der Welt von einer kleinen Gruppe gelenkt werden. Und der Kläger versteht darunter, dass Menschen im Hinblick auf ihren Glauben und ihre semitische Herkunft aktiv diffamiert und verunglimpft werden.
(6) Vor diesem Hintergrund ist, um den Schluss ziehen zu können, ob eine Person unter den Begriff des Antisemitismus subsumiert werden kann oder nicht, eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlich differenziert ausgestalteten Definitionen nötig. Dies setzt immer ein „Dafürhalten“ voraus, das gerade nicht dem objektiven Beweis zugänglich ist.
Insbesondere die Frage, wann eine Person mit dem Schlagwort „Antisemit“ betitelt werden kann, unterliegt einer Bewertung. Diese Bewertung ist – anders als eine Äußerung zur Parteizugehörigkeit o.ä. – nicht der Beweiserhebung zugänglich, sondern auch vom eigenen politischen Standpunkt abhängig und damit durch die Elemente der Stellungnahme und des Meinens geprägt. Die Bezeichnung des Klägers als „Antisemiten“ enthält daher wegen der Weite ihres Bedeutungsgehalts und des Fehlens einer näheren Eingrenzung aus Sicht des Durchschnittshörers keine dem Beweis zugängliche Aussage. Vielmehr stellt sie eine plakative Qualifizierung bzw. Charakterisierung der politischen Gesinnung/Haltung des Klägers und mithin eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung dar.
bb) Bei der Einordnung der beanstandeten Äußerung „Er ist Antisemit“ sind auch die Form der Aussage und der äußere Rahmen zu berücksichtigen.
Der Kontext der Äußerung der Beklagten spricht dafür, dass ihre streitgegenständliche Aussage eine Meinungsäußerung ist. Denn die Beklagte wurde im Rahmen einer Diskussion von einem Mitglied des Publikums gefragt, wie sie den Kläger „einstufe“. Schon diese Frage zielte darauf ab, dass der Fragende eine Bewertung der Beklagten erwartete, also eine Meinung von ihr hören wollte. Die Beklagte hat die Frage ausweislich ihrer Einlassung in der mündlichen Verhandlung auch als Frage nach ihrer Bewertung verstanden und eine zusammenfassende Einschätzung abgegeben, die sie nicht weiter begründete. Die Beklagte ist in ihrem Statement während der Podiumsdiskussion auch nicht näher darauf eingegangen, was unter einem „Antisemiten“ zu verstehen sei.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Beklagten verwendeten Formulierungen. Nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat die Beklagte im Gesamtkontext der streitgegenständlichen Aussage nicht zwischen Meinungskundgabe („Ich würde ihn zu den Souveränisten zählen“) und Tatsachenbehauptung („Er ist Antisemit“) unterschieden. Denn die Formulierung einer beanstandeten Äußerung ist kein entscheidendes Kriterium für ihre Einstufung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung. Maßgeblich ist allein, dass deutlich ist, dass die Beklagte mit diesen schlagwortartigen Qualifizierungen die politische Einstellung oder Geisteshaltung des Klägers dargestellt hat.
cc) Jedenfalls vermengen sich in der streitgegenständlichen Äußerung Tatsachen und Meinungen in einer Weise, dass sie durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist. Eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte ist nicht möglich. Die Äußerung muss daher im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden.
c) Auch die zusätzliche Aussage der Beklagten „Aber das ist strukturell nachweisbar“ ändert nichts daran, dass ihre Äußerung insgesamt als Meinungsäußerung zu qualifizieren ist.
aa) Allerdings beinhaltet die streitgegenständliche Äußerung der Beklagten insbesondere aufgrund dieses Zusatzes auch tatsächliche Elemente. Denn die Behauptung der strukturellen Nachweisbarkeit einer aufgestellten These wird durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Beim unvoreingenommenen und verständigen Publikum wird dadurch die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen.
Die Aussage der Beklagten „Aber das ist strukturell nachweisbar“ ist auch nicht derart substanzarm, dass sie gegenüber dem Werturteil „Er ist Antisemit“ völlig in den Hintergrund treten würde. Denn die Beklagte qualifiziert mit diesem Zusatz ihre Äußerung in einem maßgeblichen Umfang. Die Beklagte hat durch diese Aussage ihrer Behauptung, der Kläger sei Antisemit, durch den Anschein einer strukturellen Beweisbarkeit eine besondere Bedeutungsschwere verliehen. Somit wird das vorangegangene pauschale Urteil mit einem Tatsachenkern „geschmückt“.
bb) Für eine Qualifikation als Meinungsäußerung spricht jedoch, dass die Behauptung der strukturellen Nachweisbarkeit einer bestimmten These vom unvoreingenommenen und verständigen Publikum unterschiedlich verstanden werden kann. Mangels weiterer Angaben in ihrer Antwort auf die Frage aus dem Publikum hat die Beklagte auch nicht vorgegeben, in welchem Sinne sie ihre Behauptung verstanden haben möchte.
Einerseits kann damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die These, beim Kläger handele es sich um einen Antisemiten, lediglich auf bestimmten Anknüpfungstatsachen im Werk oder in der Person des Klägers beruht, die nach Auffassung der Beklagten die aufgestellte Bewertung rechtfertigen. Dafür spricht, dass die pauschale Behauptung der strukturellen Nachweisbarkeit nicht an bestimmte Tatsachen oder Geschehnisse anknüpft, die die Einschätzung der Beklagten einer Überprüfung zugänglich machen. Dem Empfänger werden keine Informationen oder Fakten an die Hand gegeben, die Äußerung, der Kläger sei ein Antisemit, auf ihre Wahrheit hin zu überprüfen. Insoweit wird dem Hörer – für diesen erkennbar – überlassen, ob er der Einschätzung der Beklagten folgen will oder nicht. Dann würde sich die behauptete „strukturelle Nachweisbarkeit“ lediglich auf einen von der Beklagten erstellten Katalog an Kriterien beziehen, nach denen sie selbst ihre Einschätzung misst.
Andererseits kann die Aussage „Aber das ist strukturell nachweisbar“ ebenso gut die tatsächliche Behauptung der Beklagten enthalten, es bestünden im Werk oder in der Person des Klägers strukturelle und objektive Beweise dafür, die eine Bewertung, der Kläger sei Antisemit, zulassen. Dieses Verständnis wird dadurch gestützt, dass die Beklagte von der Nachweisbarkeit spricht. Diesen Begriff wählte sie auch in dem vollen Bewusstsein, dass sie später ihre Wortwahl möglicherweise vor Gericht rechtfertigen muss („das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt“). Eine Nachweisbarkeit geht aber über bloße Anknüpfungstatsachen hinaus; sie impliziert, dass die These das (positive) Ergebnis eines auf die Feststellung von Tatsachen gerichteten Beweisverfahrens sein kann.
cc) Entscheidend ist jedoch, dass die Äußerung „Aber das ist strukturell nachweisbar“ derart eng mit der Wertung „Er ist Antisemit“ verbunden ist, dass sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden darf. Mit dem Zusatz hat die Beklagte ihrer vorangegangenen Wertung beim Publikum ein besonderes Gewicht verleihen wollen, weil sie damit suggerierte, dass sie nicht nur eine subjektive Ansicht wiedergibt, sondern, dass sich diese – in einer wie auch immer gearteten, objektivierenden Weise – belegen lässt. Damit würde eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufheben oder verfälschen. Der Nebensatz nimmt auf den vorher geäußerten Hauptsatz Bezug und macht ohne ihn keinen Sinn, weshalb die Aussage nur in ihrer Gesamtheit beurteilt werden kann.
3. Das Erstgericht kommt auch zutreffend zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Meinungsäußerung der Klägerin nicht um eine reine Schmähkritik handelte.
Bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung erweisen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik aber eng zu definieren. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2009 – 1 BvR 2272/04, Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10, Rn. 30).
Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung. Eine Schmähkritik ist regelmäßig zu verneinen, wenn die Äußerungen nicht eines sachlichen Bezugs entbehren (BVerfG, Beschluss vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17, Rn. 18 f.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Beklagte hat ihre Äußerung vor dem Hintergrund des von ihr gehaltenen Vortrags aufgrund einer Anfrage aus dem Publikum getätigt. Es ging ihr ersichtlich nicht um eine reine Diffamierung des Klägers, vielmehr wollte sie in sachlicher Form vor dem Hintergrund des von ihr vertretenden Begriffes des Antisemitismus einen Beitrag in der Auseinandersetzung mit den modernen Erscheinungsformen des Antisemitismus leisten. Die Äußerungen entbehren daher nicht eines sachlichen Bezugs.
4. Über die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Äußerung ist somit – da es sich weder um eine unwahre Tatsachenbehauptung noch um eine Schmähkritik handelt – im Rahmen einer Gesamtabwägung der berührten Rechtspositionen zu entscheiden. Eine solche Abwägung führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Eingriff in die Ehre und das Persönlichkeitsrecht des Klägers rechtswidrig war.
a) In die Abwägung ist einerseits einzustellen, dass – wie das Erstgericht zutreffend ausführt – ein offener Diskurs über verdeckte antisemitische Tendenzen in der heutigen Gesellschaft gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wichtig ist, was wiederum dem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit ein hohes Gewicht verleiht.
Es handelt sich bei der Frage, ob jemand mit antisemitischem Gedankengut in der Öffentlichkeit auftritt, um eine die Gesellschaft wesentlich berührende Frage. Die Beklagte hat somit durch ihre Äußerung einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf geleistet und bloße private Interessen verfolgt. Je weniger es sich aber um eine Äußerung im privaten Bereich zur Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, umso mehr tritt der Schutz des betroffenen Rechtsguts – hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Ehre des Betroffenen – zurück (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015 – 4 U 101/15, Rn. 99). In diesem Fall spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG, Beschluss vom 10.03.2016 – 1 BvR 2844/13, Rn. 24). Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen, namentlich im öffentlichen Meinungskampf, grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; die Frage kann nur sein, ob und inwieweit die Vorschriften der allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG) hier Grenzen ziehen können (BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, Rn. 13).
b) Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Äußerung zwar vor allem die Sozialsphäre des Klägers betrifft. Allerdings gehen von der beanstandeten Äußerung auch erhebliche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Klägers aus.
aa) Als Abwägungskriterium ist auf Seiten des Persönlichkeitsschutzes die abgestufte Schutzwürdigkeit bestimmter Sphären, in denen sich die Persönlichkeit verwirklicht, zu berücksichtigen. Dabei betrifft die Sozialsphäre den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, so insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums. Demgegenüber umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird; dies betrifft in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, Rn. 13 ff.).
Tangiert die beanstandete Äußerung als Werturteil (bzw. als solches zu behandelnde Frage) lediglich die Sozialsphäre des Betroffenen, betrifft sie also seine berufliche Tätigkeit – einen Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht – darf sie nur in Fällen schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine Prangerwirkung zu besorgen sind (BGH, Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 250/13, Rn. 21). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, ob der Betroffene seine Beiträge öffentlich zur Diskussion gestellt hat. Dann muss zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine echte Diskussion möglich sein. Derjenige, der sich mit verschiedenen Stellungnahmen in die öffentliche Diskussion eingeschaltet hat, muss eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindert. Gegen die Meinung des sich Äußernden könnte sich der Betroffene im Meinungskampf seinerseits wieder öffentlich zur Wehr setzen (BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10, Rn. 35).
bb) Im vorliegenden Fall kommt die Beklagte aufgrund öffentlicher Äußerungen bzw. veröffentlichter Liedtexte des Klägers zu der Schlussfolgerung, dass der Kläger als Antisemit einzustufen sei. Die angegriffene Äußerung bezieht sich damit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers als Sänger, betrifft also die Sozialsphäre.
So führte der Kläger in einem Interview gegenüber dem Magazin „Stern“ (Anlage K 14) u.a. aus, dass es berechtigt gewesen sei, während eines Konzertauftritts die Frage zu stellen: „Ist Deutschland noch besetzt?“. Da die Amerikaner die Deutschen überwachen dürften, sei Deutschland insoweit kein souveränes Land. Auf einer Veranstaltung der sogenannten Reichsbürger habe er spontan gesprochen, weil es für ihn reizvoll sei, wenn er von Liebe und Frieden sprechen könne. Man müsse, gerade als Künstler, die Dinge beim Namen nennen dürfen, wenn Leute weiter ihre Machenschaften treiben, und zwar unabhängig von deren Nationalität, Herkunft und Glauben. Er kämpfe gegen die Großen. Die katholische Kirche, die Politiker, die Banker. Gegen Menschen mit Macht. Und wenn ihm jemand sage, das dürfe man nicht sagen, dann mache er es wahrscheinlich erst recht. Er engagiere sich als Bürger gegen Unrecht auf allen Ebenen.
Auch im Rahmen seiner informatorischen Anhörung gab der Kläger an, dass er den nationalen und internationalen Politikbetrieb verfolge und sich hierzu in seinen Liedern kritisch äußere.
Diese Äußerungen des Klägers zeigen, dass er sowohl in seinen Liedtexten als auch bei sonstigen Auftritten und Aktionen seine politischen und gesellschaftlichen Anliegen sehr proaktiv einbringt und seine damit verbunden Ansichten öffentlich zur Diskussion stellt. Der Kläger nimmt durch seine Auftritte als Sänger und bei öffentlichen Veranstaltungen auf nationaler und internationaler Ebene sowie im Rahmen von Interviews am gesellschaftspolitischen Meinungskampf teil. Er stellt sich als Künstler selbst in die Öffentlichkeit – und zwar sowohl hinsichtlich seiner Kunst als auch seiner Person – und hat sich damit aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterzogen. Im Gegenzug muss er auch im verstärkten Maß Diskussionen über seine Auffassungen hinnehmen.
cc) Dies schließt es jedoch nicht aus, dass die Betroffenheit des Klägers nicht auf diese soziale Funktion beschränkt ist. Von der beanstandeten Äußerung gehen erhebliche Rückwirkungen auch auf die persönliche Integrität des Klägers aus.
Eine Trennung zwischen der Person des Klägers und dem Inhalt der von ihm verfassten und gesungenen Lieder ist nicht möglich. Der Kläger legte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst dar, dass er die Texte seiner Lieder als Ausdrucksmittel seiner persönlichen politischen Ansichten verwende. Außerdem ist der Kläger auch durch politische Meinungsäußerungen in Interviews oder Handlungen – wie beispielsweise die Rede bei einer Kundgebung der Reichsbürger – wiederholt in den öffentlichen Diskurs geraten. Daher kann von den Formulierungen in den Liedtexten auch auf die gesamte politische und weltanschauliche Einstellung des Klägers geschlossen werden. Andersherum kann sich die Beeinträchtigung der Sozialsphäre des Klägers erheblich auf dessen Privatsphäre auswirken.
Indem der Kläger als Antisemit bezeichnet wird, wird er nicht nur in seiner öffentlichen Stellung als Sänger, sondern darüber hinaus auch in seiner personalen Würde in hohem Maße beeinträchtigt, weil die Äußerung von ihm ein äußerst negatives Persönlichkeits- und Charakterbild zeichnet. Die Ehrbeeinträchtigung ist somit nicht lediglich mittelbar, sondern richtet sich auch gegen die Person und die persönliche Integrität des Klägers (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.12.2008 – 15 U 93/08, Rn. 32).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind (BGH, Urteil vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, Rn. 31). Dies ist jedoch im vorliegenden Fall zu bejahen (vgl. die obigen Ausführungen unter B.I.).
c) Für die Zulässigkeit der streitgegenständlichen Äußerung spricht tendenziell auch die Art und Weise der beanstandeten Äußerung. Sie erfolgte in ruhiger und sachlicher Form im Rahmen einer Diskussion im Anschluss zu einem Vortrag der Beklagten zu dem Thema „Reichsbürger – Verschwörungsideologie mit deutscher Spezifik“ aufgrund einer Nachfrage aus dem Publikum, wie die Beklagte den Kläger einstufe.
Auch wird die streitgegenständliche Äußerung nicht dadurch unzulässig, weil die Beklagte im Rahmen ihrer Antwort auf die Frage aus dem Publikum ihre Meinung über die Angabe der strukturellen Nachweisbarkeit hinaus nicht näher begründete. Denn die Äußerung von zulässiger Kritik hat nicht zur Voraussetzung, dass zugleich die Hintergründe und Umstände aufgedeckt werden müssen, die zu der Meinungsbildung geführt haben. Zum Recht der freien Meinungsäußerung gehört auch, seine Meinung aussprechen zu können, ohne diese erklären zu müssen.
d) Andererseits ist im Rahmen der Abwägung maßgeblich zu berücksichtigen, dass – wie bereits unter Ziffer B. I. ausgeführt – die Behauptung, der Kläger sei ein Antisemit, was strukturell nachweisbar sei, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte einen besonders weitreichenden und intensiven Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellt und auch geeignet ist, rufschädigend zu wirken. Dieser Eingriff ist seiner Art nach besonders schwerwiegend und wie kaum ein anderer Vorwurf geeignet, den mit dieser Geisteshaltung in Verbindung Gebrachten in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen. Dies gilt insbesondere bei einem Sänger, der zum einen von der Interaktion mit dem Publikum abhängig ist und zum anderen in besonderem Maß im Licht der Öffentlichkeit steht. Die damit verbundene Stigmatisierung wird dadurch potenziert, dass die Beklagte vorgibt, es sei strukturell nachweisbar, dass es sich beim Kläger um einen Antisemiten handelt. Denn dabei wird – zumindest bei einem Teil der angesprochenen Verkehrskreise – der Eindruck erweckt, dass es sich bei der Einschätzung der Beklagten nicht nur um eine persönliche Bewertung handelt, sondern dass es sich dabei um eine objektive Tatsache handelt, die dem Beweis zugänglich ist.
In diesem Zusammenhang ist bei der Gesamtabwägung der berührten Rechtspositionen unter Zugrundelegung der als „Stolpe-Doktrin“ bekannt gewordenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des hier rechtshängigen Unterlassungsbegehrens diejenige Deutungsvariante zu Grunde zu legen, die das Persönlichkeitsrecht des Klägers am schwersten beeinträchtigt.
aa) In dem der Entscheidung „IM-Sekretär Stolpe“ zugrundeliegenden Sachverhalt begehrte der Kläger Unterlassung der Äußerung, er sei „IM-Sekretär“ gewesen. Das Bundesverfassungsgericht erkannte in dem Urteil, in dem der Unterlassungsantrag zurückgewiesen wurde, eine nicht durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigte Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Denn die angegriffene Äußerung sei mehrdeutig. Liege aber eine mehrdeutige Äußerung vor, so sei zumindest im Falle von Unterlassungsansprüchen bei der die Rechtswidrigkeit beurteilenden Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit diejenige Deutungsvariante zu Grunde zu legen, die das Persönlichkeitsrecht am schwersten beeinträchtige. Denn es sei den Beklagten zuzumuten, die in der streitgegenständlichen Äußerung liegende Persönlichkeitsverletzung des Klägers mit Wirkung für die Zukunft durch eine Klarstellung zukünftiger Formulierungen auszuräumen, wenn sie ihre Äußerung nicht so gedeutet wissen wollen. Das hätten sie nicht getan. Fehlt es an einer Bereitschaft, der Aussage eindeutig einen anderen Inhalt zu geben, besteht kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch solche, die zu keiner oder nur einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98).
In der Entscheidung „Babycaust“ sah es das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsverstoß an, dass die Instanzgerichte die Formulierung „Kinder-Mord im Mutterschoß” als zulässiges Werturteil angesehen haben. Die zutreffende Deutung von Äußerungen sei bei der Prüfung von Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts von weichenstellender Bedeutung. Die Regeln zur Behandlung mehrdeutiger Äußerungen seien unterschiedlich, je nachdem, ob über eine strafrechtliche Sanktion für die erfolgte Äußerung zu entscheiden sei oder ob über einen Anspruch auf deren zukünftige Unterlassung entschieden werde. Stehe ein zukunftsgerichteter Anspruch auf Unterlassung künftiger Persönlichkeitsbeeinträchtigungen in Frage, werde die Meinungsfreiheit nicht verletzt, wenn von dem Betroffenen im Interesse des Persönlichkeitsschutzes anderer verlangt wird, den Inhalt seiner mehrdeutigen Aussage gegebenenfalls klarzustellen. Geschehe dies nicht, seien die nicht fernliegenden Deutungsmöglichkeiten zu Grunde zu legen, und es sei zu prüfen, ob die Äußerung in einer oder mehrerer dieser Deutungsvarianten zu einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts führe. Diese Grundsätze seien nicht auf Tatsachenaussagen begrenzt, sondern ebenso maßgeblich, wenn ein das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigendes Werturteil in Frage stehe. Es sei daher im Rahmen des Unterlassungsbegehrens auch die mögliche und durchaus naheliegende Auslegung zu Grunde legen, nämlich die, dass „Mord” im rechtstechnischen Sinne zu verstehen sei (BVerfG, Beschluss vom 24.05.2006 – 1 BvR 49/00).
In der Entscheidung „Gen-Milch” hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass – auch wenn es um Unterlassungsansprüche geht – längst nicht jede „vieldeutige“ Aussage zugleich „mehrdeutig“ i.S.d. „Stolpe-Doktrin“ ist. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte bei der Bezeichnung „Gen-Milch“ die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs verneint hätten. Zwar sei die Formulierung für sich genommen nicht eindeutig, sondern lasse eine Vielzahl von Verständnismöglichkeiten zu. Zu Recht habe der Bundesgerichtshof hieraus aber nicht die Konsequenz gezogen, der weiteren rechtlichen Prüfung diejenige Deutungsvariante zu Grunde zu legen, die die intensivste Beeinträchtigung der Rechte des Klägers darstellen würde. Dieses Vorgehen sei nur bei solchen Äußerungen verfassungsrechtlich geboten, die von dem maßgeblichen Durchschnittspublikum überhaupt als eine geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige Tatsachenbehauptung wahrgenommen würden (und insoweit dann aber mehrdeutig seien). Anders liege es hingegen bei Äußerungen, die in einem Maße vieldeutig erscheinen, dass sie gar nicht als eigenständige Behauptung eines bestimmten Sachverhalts verstanden, sondern ohne Weiteres als in tatsächlicher Hinsicht unvollständig und ergänzungsbedürftig erkannt würden, wie dies häufig bei Slogans und schlagwortartigen Äußerungen der Fall sei. In einem solchen Fall fehle es an einer konkreten Tatsachenbehauptung, die geeignet wäre, zu auf falsche Sachaussagen gestützten Fehlvorstellungen der Rezipienten beizutragen. Die Meinungsfreiheit, die auch das Recht aufmerksamkeitserregender Zuspitzungen und polemisierender Pointierungen umfasse, stehe hier einer Untersagung der Äußerung wegen ihrer Mehrdeutigkeit vielmehr entgegen (BVerfG, Beschluss vom 08.09.2010 – 1 BvR 1890/08, Rn. 23).
bb) Im vorliegenden Fall weisen die angegriffenen Äußerungen der Beklagten mehrere nicht fernliegende Deutungsvarianten i.S.d. „Stolpe-Doktrin“ auf.
(1) Als „Antisemit“ kann – wie bereits unter Ziffer B.II.2.b) aa) ausgeführt – nach einem weiten Begriffsverständnis jeder bezeichnet werden, der eine wie auch immer geartete negative Wahrnehmung von Juden hat. Entscheidend an dieser Definition ist, dass sie nicht erst von Antisemitismus spricht, wenn offener Hass durch Worte geäußert oder durch Taten demonstriert wird, sondern es ist von einer Wahrnehmung die Rede. Die davon betroffenen Äußerungsformen sind, wie die erläuternden Beispiele für Antisemitismus zeigen, sehr unterschiedlich. Diesem Verständnis entspricht auch die Definition der Beklagten, die unter Antisemitismus eine Form von ideologischer Verschwörungstheorie versteht, wonach die Geschicke der Welt von einer kleinen Gruppe gelenkt werden.
Bei einem – ebenso vertretenen – engen Verständnis ist „Antisemitismus“ gleichbedeutend mit „Judenhass“. Danach kann als Antisemit eine Person gesehen werden, welche die personale Würde von Menschen jüdischer Abstammung durch nationalsozialistisch fundiertes Gedankengut grob verletzt und möglicherweise in diesem Sinne sogar handlungsbereit ist. Auch der Kläger versteht unter Antisemitismus, dass Menschen im Hinblick auf ihren Glauben und ihre semitische Herkunft aktiv diffamiert und verunglimpft werden.
(2) Der Zusatz „Aber das ist strukturell nachweisbar“ ist – wie unter Ziffer B.II.2.c) bb) bereits ausgeführt – ebenfalls mehrdeutig. Einerseits kann damit aus der Sicht des unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zum Ausdruck gebracht werden, dass die These, beim Kläger handele es sich um einen Antisemiten, lediglich auf bestimmten Anknüpfungstatsachen im Werk oder in der Person des Klägers beruht, die nach Auffassung der Beklagten die aufgestellte Bewertung rechtfertigen. Andererseits kann die Aussage „Aber das ist strukturell nachweisbar“ auch die Behauptung der Beklagten enthalten, es bestünden objektive Beweise dafür, die eine Bewertung, der Kläger sei Antisemit, zulassen. Eine Nachweisbarkeit geht aber über bloße Anknüpfungstatsachen hinaus; sie impliziert, dass die These das (positive) Ergebnis eines auf die Feststellung von Tatsachen gerichteten Beweisverfahrens sein kann.
cc) Diese unterschiedlichen Deutungsvarianten führen zu einer unterschiedlichen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers. Denn die Behauptung, der Kläger sei Antisemit i.S.d engen Definition, was eine objektiv nachweisbare Tatsache darstelle, ist mit einer deutlich höheren Stigmatisierung verbunden, als die Behauptung, der Kläger sei Antisemit i.S.d. weiten Definition, was eine auf bestimmte Anknüpfungstatsachen beruhende persönliche Einschätzung darstelle.
Im Rahmen des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs ist der rechtlichen Bewertung diejenige Deutung zugrunde zu legen, die für den Kläger am meisten belastend ist. Denn die Beklagte kann künftig eindeutige Formulierungen verwenden, die klarstellen, dass ihre Bewertung des Klägers als Antisemit, wie sie den Begriff versteht, eine auf bestimmte Anknüpfungstatsachen beruhende persönliche Einschätzung darstellt.
e) Bei der Abwägung fällt in einem entscheidungserheblichen Maß zu Lasten der Beklagten die Unrichtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zu Grunde liegt, ins Gewicht.
aa) Folgender Rechtsrahmen ist für den Senat streitentscheidend:
(1) Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für „falsch“ oder für „ungerecht“ halten (BGH, Urteil vom 05.12.2006 – VI ZR 45/05, Rn. 18). Das Recht, seine Meinung frei zu äußern, besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob die Äußerung richtig oder falsch ist (BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, Rn. 13).
Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich ausreichend, wenn die Bewertung auf objektive Anknüpfungstatsachen zurückgeführt werden kann (OLG Saarbrücken, Urteil vom 04.06.2014 – 5 U 81/13, Rn. 60). Das Fehlen jeglicher tatsächlicher Bezugspunkte, auf die sich die Meinung stützen könnte, kann ein Indiz dafür darstellen, dass die Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2017 – 4 U 166/16, Rn. 95). Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere maßgeblich, ob die in den Werturteilen enthaltenen Tatsachenbehauptungen zutreffen oder ohne jeden Anhaltspunkt aufgestellt worden sind (BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88, Rn. 60).
(2) Dessen ungeachtet kann bei der Abwägung der Rechtspositionen die Richtigkeit oder Haltlosigkeit der in der Meinungsäußerung enthaltenen tatsächlichen Elemente eine Rolle spielen. Soweit sie Bestandteil einer Meinungsäußerung sind, sind unrichtige Informationen zwar nicht von vornherein dem Schutz des Grundrechts entzogen. Sie können aber regelmäßig keinen Vorrang vor den kollidierenden Rechtsgütern Dritter beanspruchen (BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88, Rn. 58).
Es ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, bei einer Meinungsäußerung, die wertende und tatsächliche Bestandteile enthält, im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Tatsachenbehauptung, auf der die Wertung aufbaut, unrichtig ist (BVerfG, Beschluss vom 16.07.2003 – 1 BvR 1172/99, Rn. 26). Folgerichtig fällt im Rahmen von zivilrechtlichen Unterlassungsklagen bei Äußerungen, in denen sich wertende und tatsächliche Elemente in der Weise vermengen, dass die Äußerung insgesamt als Werturteil anzusehen ist, bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile ins Gewicht. Enthält die Meinungsäußerung einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern, so tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück (BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, Rn. 27). Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (BGH, Urteil vom 16.12.2014 – VI ZR 39/14, Rn. 21 – Hochleistungsmagneten). Daher fällt die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zu Grunde liegt, regelmäßig bei der Abwägung ins Gewicht (BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 7/07, Rn. 13 – Gen-Milch).
Vorgenannte Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Äußerungen einen Tatsachenkern haben, auf dessen Erweislichkeit seitens des Äußernden es maßgeblich ankommt. In diesen Fällen ist der Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts der Äußerung nachzugehen, weil die Beantwortung dieser Frage einen Einfluss auf den Abwägungsvorgang hat (BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 – 1 BvR 2678/10, Rn. 41, 43).
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt in Fällen, in denen sich eine Äußerung als Werturteil darstellt, eine ausreichende Tatsachengrundlage, anderenfalls wäre sie überzogen (EGMR, Urteil vom 17.12.2004 – 49017/99, Rn. 76 – Pedersen u. Baadsgaard/Dänemark) bzw. übermäßig (EGMR, Urteil vom 20.09.2018 – 3682/10, Rn. 34 – Annen/Deutschland Nr. 2).
bb) Im vorliegenden Fall kann die beanstandete Einschätzung der Beklagten zwar auf objektive Anknüpfungstatsachen zurückgeführt werden, weshalb dem Werturteil nicht jegliche Tatsachengrundlage fehlt.
(1) Die Beklagte führt zur Begründung ihrer Auffassung an, dass der Kläger in dem Lied „Raus aus dem Reichstag“ einen antisemitischen Code und antisemitische Chiffren verwendet habe. In dem Lied würde der Kläger mit dem Begriff „Totschild“ auf die jüdische Familie Rothschild anspiele, die des Öfteren Gegenstand antijüdischer Hetzkampagnen sei. „Schmock“ sei ein jüdisches Schimpfwort und eine Bezeichnung für einen unangenehmen Mann aus der gehobenen Gesellschaft. Dem „Fuchs“ werde gemeinhin unterstellt, gewieft und hinterlistig zu sein. Die Beklagte argumentiert, dass man aus der Verwendung der Begriffe lesen könne, dass der Kläger die Juden für die von ihm geäußerte Kritik an dem Bankensystem verantwortlich mache, was wiederum ein Beleg für die von ihm vertretenen Verschwörungstheorien sei.
Die Beklagte nimmt als weitere Begründung ihres Vorwurfes auf das 2017 verfasste Lied „Marionetten“ Bezug. Sie erläutert, dass das Bild des Puppenspielers antisemitische Klischees bediene, nach denen die Welt von einem jüdischen Puppenspieler gelenkt und gesteuert werde. Aus Sicht der Beklagten belege dieses Bild wiederum, dass der Kläger eine Weltverschwörungstheorie vertrete.
Die Beklagte führt zur Untermauerung der streitgegenständlichen Äußerung weiter an, dass der Kläger den Reichsbürgern nahe stehe und in der Öffentlichkeit mehrfach geäußert habe, Deutschland sei kein freies, sondern ein besetztes Land. Auch dies sei ein Kennzeichen des sekundären Antisemitismus. Dies ergebe sich auch aus dem Interview mit dem Magazin Stern. Darin führte der Kläger aus, dass Deutschland kein souveränes Land sei, weil es von den Amerikanern aufgrund eines Geheimabkommens überwacht werde.
Außerdem stünde der Kläger den Reichsbürgern nahe. So sei er am 03.10.2014 als Redner bei einer Veranstaltung der Reichsbürger in Berlin aufgetreten.
(2) Diese Einschätzung des Klägers durch die Beklagte ist nicht losgelöst von tatsächlichen Bezugspunkten.
Das Lied „Raus aus dem Reichstag“ wird vom unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages im Zusammenhang mit dem Vorhandensein von antisemitischen Ressentiments kritisch gesehen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/11970 S. 174/175): „In seinem Song »Raus aus dem Reichstag« heißt es: »Baron Tothschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock is’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.« Tothschild steht hier für die »Rothschilds«, der Familie, der nachgesagt wird, sie würde die Finanzwelt dominieren und die zum klassischen Topos antisemitischer Codes geworden ist. Das jiddische Schimpfwort »Schmock«, das u. a. als Bezeichnung für einen unangenehmen Mann aus der gehobenen Gesellschaft bzw. einen Snob Anwendung findet, sowie die Erwähnung eines Fuchses, dem gemeinhin unterstellt wird, gewieft und hinterlistig zu sein, zeigen durchaus antisemitische Ressentiments, die anschlussfähig weit über das rechtsextremistische Spektrum hinaus sein können.“
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 03.05.2017 führte aus, dass der Song „Marionetten“ einige möglicherweise antisemitische Anspielungen enthalte. Der manipulative „Puppenspieler“, der im Hintergrund die Fäden zieht, sei ein uraltes antisemitisches Klischee. Und der Begriff des Sachverwalters erinnere stark an die Vorstellung der sogenannten Reichsbürger, nachdem die Bürger der Bundesrepublik nur Personal einer von Amerika oder dem Weltjudentum gelenkten GmbH sind. Ähnliche Einschätzungen enthielten „Der Spiegel“ vom 05.05.2017, „Die Tageszeitung“ vom 09.05.2017 und die „Huffpost“ vom 16.10.2014. Auch auf Wikipedia wird in einem Beitrag über den Kläger ausgeführt, dass das Lied „Marionetten in der Presse teils als antisemitisch, rechtspopulistisch und verschwörungstheoretisch wahrgenommen worden sei (https://de.wikipedia.org/wiki/X…_N…).
cc) Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung fällt jedoch ins Gewicht, dass die Beklagte die objektive Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts ihrer Aussage, der dem Werturteil zu Grunde liegt – nämlich dass es sich beim Kläger um einen Antisemiten handele und dies strukturell nachweisbar sei – nicht hinreichend belegt hat. Denn die Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts der Äußerung hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Abwägungsvorgang.
(1) Die Beklagte führt zur Begründung ihrer Auffassung an, dass der Kläger in zwei Liedern antisemitischen Code und antisemitische Chiffren verwende und mit darin enthaltenen Bildern antisemitische Klischees bediene (vgl. die obigen Ausführungen unter B. II. 4. e) bb)).
Der Kläger führte dagegen – auch im Rahmen seiner informatorischen Anhörung – aus, dass er mit dem Begriff „Totschild“ in dem Lied „Raus aus dem Reichstag“ zwar auf die Rotschildbank anspielen wollte, die Kritik habe aber den Hintergrund gehabt, dass er sich über den Eintritt des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung geärgert habe. Er habe Kritik im Zusammenhang mit der drohenden Finanzkrise üben wollen, die Kritik sei nicht gegen Juden gerichtet gewesen. Er denke nicht judenfeindlich. Hinsichtlich des Liedes „Marionetten“ sei dem Kläger der Kontext mit dem antisemitischen Klischees des Puppenspielers und Weltlenkers bei der Verfassung des Textes nicht bewusst gewesen. Er habe den Puppenspieler als Synonym für einen „Drahtzieher“ verwendet und wollte mit dem Lied allgemein den Einfluss von Lobbyisten und Einflüsterern auf die Politiker kritisieren.
Nach dem offenen Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichts besteht das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung darin, dass es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82, Rn. 37). Da somit der Kunst – und damit auch den Liedtexten des Klägers – immanent ist, dass sie unterschiedlichen Deutungen unterworfen werden kann, kann weder der Kläger noch die Beklagte die alleinige Deutungshoheit über den Inhalt seiner Songs beanspruchen.
Es kommt daher einerseits nicht maßgeblich darauf an, ob der Kläger die Interpretation der Beklagten zurückweist oder ob dem Kläger der Kontext mit dem antisemitischen Klischee bei der Verfassung des Textes bewusst war. Andererseits kann der Kläger auch nicht auf eine bestimmte Deutung seiner Liedtexte festgelegt werden, von der er sich selbst distanziert. Da somit weder der Kläger Dritten – und somit auch der Beklagten – vorgeben kann, wie diese seine Lieder verstehen, noch die die Deutung der Liedtexte durch die Beklagte eine objektive Richtigkeit für sich beanspruchen kann, sind die Liedtexte zwar dazu geeignet, als Anknüpfungstatsache für eine Meinung zu dienen. Jedoch können sie Vorwurf, der Kläger sei – in strukturell nachweisbarer Weise sei – ein Antisemit, nicht ausreichend belegen, was im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist.
(2) Die Beklagte führt zur Untermauerung der streitgegenständlichen Äußerung weiter an, dass der Kläger in der Öffentlichkeit mehrfach geäußert habe, Deutschland sei kein freies, sondern ein besetztes Land. Auch dies sei ein Kennzeichen des sekundären Antisemitismus.
Der Kläger äußerte demgegenüber in einem Interview, dass Deutschland deswegen kein souveränes Land sei, weil es von den Amerikanern aufgrund eines Geheimabkommens überwacht werde.
Somit stellt die Äußerung der Meinung, dass Deutschland kein freier Staat sei, keinen strukturellen Nachweis dafür dar, der Äußernde sei Antisemit, weil mit dieser Aussage nicht automatisch auf eine (gerade) jüdische Weltverschwörung bzw. Kontrolle der Bundesrepublik (gerade) durch einzelne Juden oder eine jüdische Gruppe Bezug genommen wird.
(3) Gleiches gilt für das Auftreten des Klägers bei den Reichsbürgern. Zum einen erklärte der Kläger schon bei dem Interview mit dem Magazin STERN, dass er die Auffassung der Reichsbürger nicht teile. Zum anderen führte das Erstgericht zutreffend aus, dass nicht zwingend von einer Angehörigkeit zum Milieu der Reichsbürger auf antisemitisches Gedankengut geschlossen werden könne, da die Reichsbürger zwar mit einer Ablehnung des Staatsgefüges der Bundesrepublik Deutschland auffallen, dies aber nicht zwingend immer mit antijüdischen Weltverschwörungstheorien verbinden. Auch nach Auffassung der Beklagten ist das Milieu der Reichsbürger heterogen und zerfasert.
(4) In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger im Jahre 2005 in der Oper in T…(Ort) anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen ein Konzert gab. Er unterstützt außerdem unstreitig Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass, z.B. die Initiative „Brothers Keepers“ oder „Rock gegen Rechts“. In Interviews hat er sich mehrfach gegen Antisemitismus ausgesprochen.
dd) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Beklagte behauptet, es sei strukturell nachweisbar, dass der Kläger ein Antisemit sei. Wie bereits ausgeführt, ist dies im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, weil damit die Äußerungen der Beklagten einen Tatsachenkern haben, auf dessen Erweislichkeit seitens der Beklagten es maßgeblich ankommt. Denn damit verleiht die Beklagte ihrer vorangegangen Äußerung den Anschein, beweisbar zu sein.
f) Die vorzunehmende Gesamtabwägung anhand der dargestellten Kriterien führt insgesamt zur Begründetheit des Unterlassungsanspruchs.
Zwar ist der Kläger einerseits nur in seiner Sozialsphäre betroffen, auch wenn die beanstandete Äußerung erhebliche Auswirkungen auf seine persönliche Integrität hat. Der Beklagte stellt sich als Künstler selbst in die Öffentlichkeit und muss sich daher auch verstärkt der Diskussion über seine Äußerungen stellen. Auch erfolgte die streitgegenständliche Aussage in ruhiger und sachlicher Form im Rahmen einer Diskussion im Anschluss zu einem Vortrag. Es handelt sich um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf. Die beanstandete Einschätzung der Beklagten kann auf objektive Anknüpfungstatsachen zurückgeführt werden, weshalb dem Werturteil nicht jegliche Tatsachengrundlage fehlt.
Anderseits handelt es sich bei der streitgegenständlichen Aussage jedoch um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Darüber hinaus fällt bei der Abwägung zu Lasten der Beklagten die Unrichtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zu Grunde liegt, ins Gewicht. Die Äußerung „Er (Anm.: Herr N.) ist Antisemit. […] Aber das ist strukturell nachweisbar“ weist mehrere nicht fernliegende Deutungsvarianten auf. Im Rahmen des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs ist der rechtlichen Bewertung die für den Kläger am meisten belastende Deutung zugrunde zu legen, nämlich, dass es objektive Beweise dafür gibt, dass der Kläger ein Antisemit im engeren Sinne ist.
III.
Aufgrund dessen hat der Kläger auch einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Es handelt sich dabei zum einen um den Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten in der geltend gemachten Höhe von 526,58 € aus dem Gegenstandwert von 15.000,00 €, der nicht zu beanstanden ist. Der Kläger hat zum anderen einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Einschaltung seines Rechtsanwalts zur Aufforderung der Beklagten, eine Abschlusserklärung abzugeben. Die vom Kläger dafür geltend gemachten Kosten in Höhe von 1.029,35 € sind angesichts des herangezogenen Gegenstandswertes von ebenfalls 15.000,00 € nicht zu beanstanden.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Der Senat sieht keinen Anlass für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe des § 543 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch gebietet die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Revision. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die der tatrichterlichen Würdigung des Senats zugrunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgte in Anwendung von §§ 3 ZPO, 47, 48 GKG und entspricht sowohl den Angaben des Klägers in der Klageschrift als auch der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die sich die Parteien nicht gewandt haben.
Verkündet am 22.10.2019


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