IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Berufung, Revision, Fahrzeug, Software, Sittenwidrigkeit, Darlegungslast, Haftung, Beweislast, Vollstreckung, Schadensersatzanspruch, Tatsachenbehauptung, Kenntnis, Sicherheitsleistung, Die Fortbildung des Rechts, Darlegungs und Beweislast, Fortbildung des Rechts

Aktenzeichen  27 U 6465/20

Datum:
21.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47475
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

32 O 2201/18 2020-10-05 Endurteil LGKEMPTEN LG Kempten

Tenor

1.  Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.10.2020, Az. 32 O 2201/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannten Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Gründe

1. Die Berufung ist zulässig. Sie genügt insbesondere den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Die Berufung der Klägerin setzt sich unter eingehender Darlegung ihrer Rechtsauffassung mit der materiellrechtlichen Würdigung des Erstgerichts auseinander.
2. Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Schadensersatz, insbesondere aus § 826 BGB oder anderen deliktsrechtlichen Vorschriften besteht nicht.
a) Mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommt allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit dem von der Klägerin vorgenommenen Erwerb des gebrauchten Pkws Audi Q 5 zum Preis von 41.000,00 €, Fahrzeug-Ident-Nr. …428, Stand des Kilometerzählers 14.600 km, Erstzulassung 15.04.2010, ausgestattet mit einem Dieselmotor Typ EA 189, am 10.06.2011 von Armin Reinhold, Rieden (Anlage K1), in Betracht.
b) Selbst wenn man zugunsten der Klagepartei hinsichtlich des Schadenseintritts das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO für ausreichend erachten würde, steht vorliegend der Klägerin gegen die Beklagte weder ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB i.V. m. § 31 BGB (analog) bzw. § 831 BGB noch aus anderen deliktsrechtlichen Vorschriften zu. Das Landgericht hat das Verhalten der Beklagten auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen mit Recht nicht als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB angesehen. Es fehlt bezüglich eines Anspruchs aus § 826 BGB jedenfalls an der schlüssigen Darlegung eines sittenwidrigen Verhaltens wie auch eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten. Insbesondere hat das Landgericht insoweit zu Recht angenommen, dass die Klägerin nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt hat, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) der Beklagten die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat.
aa) Der Senat teilt in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung, dass vorliegend für eine deliktische Haftung der Beklagten die Klägerin grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen trägt (BGH, NJW 2019, 3638, 3641; OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1498; Senat, Hinweisbeschluss vom 13.11.2020 – 27 U 4262/20). Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat die Klägerin als Anspruchstellerin dementsprechend darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 25; BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, BeckRS 2021, 1283 Rn. 15; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 35). In bestimmten Fällen ist es allerdings Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung der hier darlegungspflichtigen Klägerin das einfache Bestreiten der Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 26 m. w. N.) bb) (1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 17; BGH, NJW 2014, 1380 Rn. 8 m. w. N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 541/15, BeckRS 2016, 17389 Rn. 17 m. w. N.). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, BeckRS 2016, 17389 Rn. 17). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, BeckRS 2021, 4148 Rn. 12; BGH, NJW 2021, 921 Rn. 14).
Nach diesen Leitlinien handelt ein Automobilhersteller gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 19). Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. BGH, a. a. O.).
(2) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen hat die Klägerin vorliegend nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass nicht nur bei der Muttergesellschaft V. AG, sondern auch bei der Beklagten selbst eine auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und letztlich der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen wurde oder für die Beklagte handelnde Personen an der von der Muttergesellschaft getroffenen Entscheidung zumindest beteiligt waren. Allerdings kommt ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten auch dann in Betracht, wenn die für die Beklagten handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 21). Der Umstand, dass der Beklagten die von ihrer Muttergesellschaft entwickelten und gelieferten, rechtswidrig manipulierten Motoren der Baureihe EA 189 inklusive Software zur Verfügung standen und die Beklagte diese in ihre Fahrzeuge einbaute, genügt – anders als die Klägerin meint (vgl. Berufungsbegründung, S. 11 f.) – insoweit jedoch nicht. Denn dies allein spricht – auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Einhaltung gesetzlicher Grenzwerte für den Automobilhersteller und der mit dem Einsatz der rechtswidrigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken (vgl. Berufungsbegründung, S. 12) – noch nicht für die Annahme, die Unternehmensleitung der Beklagten sei in die diesbezügliche strategische Entscheidung ihrer Muttergesellschaft eingebunden gewesen. Weitergehende Anhaltspunkte für eine Kenntnis verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Motorsteuerungssoftware, etwa zu einer Beteiligung von Mitarbeitern der Beklagten an deren Entwicklung oder zu einem Informationsaustausch mit der Muttergesellschaft über die Strategie zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte, sind von der Klägerin ebenfalls nicht substantiiert dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 30). Nicht ausreichend ist es insoweit, wenn die Klägerin lediglich allgemein vorträgt, wenigstens eine Person aus dem Vorstand, hilfsweise zumindest ein Repräsentant im Sinne des § 31 BGB habe die Entscheidung zum Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen bzw. jedenfalls Kenntnis von der Entscheidung gehabt und diese nicht unterbunden. Es genügt auch nicht, wenn nach dem Vortrag der Klägerin das Bewusstsein bei der Beklagten bestanden habe, dass Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 nicht zulassungsfähig waren und die Beklagte die Fahrzeuge gleichwohl in Umlauf gebracht habe (vgl. Schriftsatz vom 12.06.2019, S. 11, und Berufungsbegründung, S. 10).
Nicht zu folgen ist auch der Auffassung der Klägerin, das sittenwidrige Verhalten eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten könne mittels einer Zurechnung fremden Wissens entsprechend § 166 BGB begründet werden (vgl. Berufungsbegründung, S. 8 f., 12). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB voraus, dass einer ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB persönlich verwirklicht hat. Über eine Wissenszusammenrechnung führt kein Weg zu dem für das Merkmal der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erforderliche moralische Unwerturteil. So wie sich die die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung nicht dadurch konstruieren lässt, dass die im Hause der juristischen Person vorhandenen kognitiven Elemente „mosaikartig“ zusammengesetzt werden, weil eine solche Konstruktion dem personalen Charakter der Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB nicht gerecht würde, so lässt sie sich erst recht nicht mit einer Wissenszurechnung über die Grenzen rechtlich selbständiger (Konzern-)Gesellschaften hinaus begründen (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 23).
Im Übrigen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit dem Software-Update für das Fahrzeug der Klägerin eine von vornherein rechtswidrige Beseitigungsmaßnahme entwickelt und sich genehmigen hat lassen. Nach den unstreitigen tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts, die für den Senat nach §§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend sind (vgl. BGH, NJW-RR 2012, 622, 623), hat das Kraftfahrt-Bundesamt die entwickelte technische Lösung in Form des Software-Updates genehmigt. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt ein weiteres Mal über die Arbeitsweise des für den Motor EA 189 entwickelten Emissionskontrollsystems im Irrtum befunden hätte, sind weder ersichtlich noch von der Klägerin substantiiert dargetan.
cc) (1) Zudem fehlt es jedenfalls an dem für eine deliktische Haftung notwendigen Schädigungsvorsatz der Beklagten, der bei einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten hätte vorliegen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 32) bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 01.04.2020 – 12 U 75/19, BeckRS 2020, 9840). Vorsatz enthält ein „Wissens “ und ein „Wollenselement“. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss – im Fall des § 826 BGB die Schädigung des Anspruchsstellers -, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben (vgl. BGH, VersR 2002, 613, 615; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Auflage 2021, § 276 Rn. 10). Die Annahme der – vorliegend auch in Betracht kommenden – Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 1207, 1210). Der Vorsatz muss sich auch auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, NJW 2001, 2880, 2882). Jedenfalls hinsichtlich des „Wollenselements“ des Vorsatzes ist es erforderlich, dass Personen, für deren Verhalten die Beklagte nach § 31 BGB einzustehen hat, Kenntnis vom Einsatz der Manipulationssoftware und ihrer Unzulässigkeit besaßen (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 32 m. w. N.). Dagegen reicht es nicht aus, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen. In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, NJW-RR 2012, 404 Rn. 10).
(2) Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht aus dem klägerischen Vortrag ableiten. Der Senat teilt insbesondere die Meinung der Klägerin nicht, dass das Landgericht die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB hätte bejahen müssen, wenn es nicht verkannt hätte, dass die Beklagte insoweit eine sekundäre Darlegungslast trifft (vgl. Berufungsbegründung, S. 10 f.).
(a) Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 27; BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, BeckRS 2021, 1283 Rn. 16; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 36 ff.). Die sekundäre Darlegungslast führt jedoch weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 27).
(b) Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 28 m. w. N.). Dieses ist hier nicht der Fall.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Klageschrift bzw. die Replik verweist, ergeben sich weder hieraus noch aus dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 29.07.2019 hinreichende Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten bzw. für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten. Namentlich der im Schriftsatz vom 29.07.2019 enthaltene Vortrag der Klägerin, schon im Jahr 2003 habe ein Mitarbeiter der Beklagten in einer E-Mail in Anlehnung an Goethes „Erlkönig“ ein Gedicht verfasst, in dem es um eine illegale Abschalteinrichtung, um ein sogenanntes defeat device, ging, ist – auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin als Zeugen benannten Mitarbeiter des B.R. – bezogen auf den hier streitgegenständlichen, von der V. AG entwickelten Moter EA 189 kein ausreichendes Indiz, dass Personen, für deren Verhalten die Beklagte nach § 31 BGB bzw. § 831 BGB einzustehen hat, Kenntnis vom Einsatz der Manipulationssoftware und ihrer Unzulässigkeit besaßen. Gleiches gilt bezogen auf den Motor EA 189 und einen etwaigen Vorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter, soweit die Klägerin einerseits wiederum unter Hinweis auf die vorgenannten Zeugen in allgemeiner Form auf einen internen Bericht vom 16.10.2007 Bezug nimmt, demnach die Beklagte den Stickoxidausstoß im Jahr 2007 nicht habe reduzieren können bzw. aus einer interne E-Mail eines Ingenieurs der Beklagten vom 22.01.2008 – ohne diese vorzulegen – zitiert, und sich andererseits ohne konkreten Bezug zum Pkw Audi Q 5 der Klägerin und Vorlage der entsprechenden Unterlagen auf interne Präsentationen vom 23.01.2008 bzw. vom August 2008 sowie eine E-Mail vom 07.05.2009 stützt. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang weiterhin auf eine interne E-Mail der Beklagten vom 23.11.2007 hinweist, betreffen die darin genannten Fahrzeuge bereits nach eigener Auffassung der Klägerin (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 29.07.2019, S. 2) nicht das von der Klägerin erworbene Modell Audi Q 5 der Beklagten, sondern das Modell Audi Q 7 der Beklagten bzw. das Modell Touareg der V. AG. Ebenso nimmt die von der Klägerin angesprochene E-Mail vom 15.04.2008 mit dem Betreff „Status SCR-Verbrauch Touareg V6 TDI BIN 5“ nicht das Fahrzeug der Klägerin, sondern ein Modell der Muttergesellschaft der Beklagten in Bezug. Auch die weiteren, im genannten Schriftsatz ab Seite 4 ff. vorgetragenen Argumente bieten keine hinreichende Grundlage bzw. Anknüpfungspunkte für ein vorsätzliches Verhalten bzw. eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten, da sich diese auf einen Zeitraum beziehen, der nach der Produktion des hier streitgegenständlichen Pkws bzw. nach dem im Jahr 2011 erfolgten Erwerb des Audi Q 5 durch die Klägerin liegt.
c) aa) Ebenfalls nicht erfüllt sind entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin (vgl. Klageschrift, S. 7, und Schriftsatz vom 12.06.2019, S. 13 f.) die Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 31 BGB/831 BGB i.V. m. § 263 Abs. 1 StGB, da es auch hier an der substantiierten Darlegung eines entsprechenden Vorsatzes der Beklagten fehlt (s. o.). Im Übrigen wäre im vorliegenden Fall auch die für den Betrugstatbestand erforderliche Stoffgleichheit zwischen einer etwaigen Vermögenseinbuße der Klägerin mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte, nicht gegeben, weil diese bzw. die Beklagte 27 U 6465/20 – Seite 11 – keinen unmittelbaren Vorteil aus dem Kaufvertrag der Klägerin mit dem Verkäufer A. R. ziehen konnten (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2801). Ein etwaiger der Klägerin entstandener Schaden kann stoffgleich allenfalls mit dem Vorteil sein, der A. R. als Verkäufer aus dem Fahrzeugverkauf zugeflossen ist (vgl. BGH, a. a. O.).
bb) Die Klägerin kann den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 Abs. 1, 2 i.V. m. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Dieser Anspruch scheitert – neben der fehlenden schlüssigen Darlegung des erforderlichen subjektiven Tatbestandes, s. o. – bereits am Schutzcharakter des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, NJW 2020, 2798, 2799 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I – 5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904 Rn. 47 ff.).
cc) Zwar kann sich ein Anspruch des Verbrauchers auch aus einer Verletzung des § 16 Abs. 1 UWG ergeben, da dieser Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist (vgl. BGH, GRUR 2008, 818, 825 Rn. 87; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen (Bornkamm), UWG, 39. Auflage 2021, § 16 Rn. 32). Eine Verletzung von § 16 Abs. 1 UWG setzt aber zumindest bedingten Vorsatz voraus (vgl. Bornkamm, a.a.O., § 16 Rn. 17), welcher hier aus den oben dargelegten Gründen nicht gegeben ist.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).


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