IT- und Medienrecht

Schadensersatz gegen den Hersteller im Zusammenhang mit dem sog. „VW-Abgasskandal“

Aktenzeichen  21 O 238/18

Datum:
31.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33859
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 823 Abs. 2, § 849
StGB § 13, § 25 Abs. 1, § 263 Abs. 1
ZPO § 138 Abs. 3
VVG § 86 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typenganehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert (LG Krefeld BeckRS 2016, 16674).(Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Hersteller ist verpflichtet, über Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben potenzielle Käufer des Fahrzeugs zu unterrichten; unterbleibt dies, liegt eine auf  Täuschung beruhende Kaufentscheidung vor, die zum Schadensersatz verpflichtet. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Hersteller muss detaillierte Kenntnisse zum konkreten Geschehensablauf vortragen; unterbleibt dies, liegt kein ausreichendes Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO vor. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Käufer schuldet Nutzungsersatz; bei einem PKW ist von einer üblichen Gesamtlaufleistung von 150.000 km auszugehen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.739,04 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 05.06.2018 sowie Zinsen aus 31.000,01 € in Höhe von vier Prozent im Zeitraum vom 14.07.2014 bis zum 04.06.2018 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pkw VW Tiguan 2,0 TDI 4-Motion mit der Fahrgestellnummer … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kraftfahrzeugschein, Kraftfahrzeugbrief und Serviceheft.
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 13/100 und die Beklagte zu 87/100 zu tragen.
V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
VI. Der Streitwert wird auf 28.354,68 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, § 263 Abs. 1, § 25 Abs. 1 zweite Alternative StGB dahingehend zu, dass die Klagepartei so zu stellen ist als hätte sie den Pkw nicht gekauft. Unter Anrechnung eines Nutzungsvorteils in Höhe von 6.260,97 € verbleibt bei Herausgabe des Pkw ein Zahlungsanspruch in Höhe von 24.739,04 € nebst Zinsen (1.). Anspruch auf Rechtsanwaltskosten besteht nicht (2.). Soweit höhere Beträge und Zinsen begehrt worden sind, war die Klage im Übrigen abzuweisen. Der Annahmeverzug folgt spätestens aus dam Angebot mit dem Klageantrag.
1. Der Verkauf des Fahrzeugs durch den hinsichtlich der vorbezeichneten Abgasproblematik unwissenden Verkäufer stellt einen von der Beklagten als mittelbare Täterin gegenüber der Klagepartei begangenen Betrug dar. Der streitgegenständliche Pkw wies bereits bei Abschluss des Kaufvertrags und Übergabe an die Klagepartei einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Eine Sache ist danach frei von Mängeln, wenn eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, sie sich aber für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Das ist vorliegend nicht der Fall. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typenganehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert (vgl. Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, Az.: 2 O 72/16, Rn. 21 bis 25 nach juris m.w.N.). Insoweit ist auch ein schwerwiegender Mangel gegeben, da der Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und Grenzwerten bei Fahrzeugemissionen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Beklagte war nach § 13 StGB als Herstellerin verpflichtet, über dessen Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben potenzielle Käufer des Fahrzeugs zu unterrichten. Das ist nicht geschehen. Hierdurch wurde bei der Klagepartei ein Irrtum (über die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben und der hieraus resultierenden Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs) erregt. Sie hat durch den Erwerb des Fahrzeugs über ihr Vermögen verfügt und aufgrund des dem Fahrzeug anhaftenden Mangels einen Schaden erlitten. Die auf dem Verhalten der Beklagten beruhende Täuschung der Klagepartei und der hierauf beruhende Irrtum war für die Vermögensverfügung der Klagepartei und den ihr hierdurch entstandenen Schaden auch ursächlich. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird ein redlicher Käufer eines Fahrzeugs, das die gesetzlichen Normen und Vorgaben nicht einhält und dadurch mangelbehaftet ist, nicht erwerben bzw. lediglich zu einem am bloßen Materialwert orientierten Kaufpreis. Im Umfang des bei der Klagepartei eingetretenen Schadens sind unmittelbar und stoffgleich die Beklagte bereichert worden. Sie hat für das an die Klagepartei veräußerte Fahrzeug mehr als den bloßen Materialwert erhalten (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, Az.: 9 O 6119/16). Die Beklagte hat vorsätzlich gehandelt, um ihre eigenen Einnahmen zu steigern. Die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte unter serienmäßiger Verwendung einer dafür konzipierten Software für den vorgesehenen Rollenprüfstand zur Herbeiführung unterschiedlicher Einstellungen für Prüfstand und normalen Straßenverkehr stellt eine systematisch für eine Vielzahl von Fällen angelegte verdeckte Vorgehensweise dar, die von vornherein auf eine Täuschung der Kunden bzw. Käufer der betroffenen Fahrzeuge gerichtet ist (im Ergebnis ebenso LG München I, Urteil vom 14.04.2016, 23 O 23033/15, Ziffer I. 1. sowie Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, 2 O 72/16, Rn. 37 und 38). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte als juristische Person nach § 31 BGB für Vorstand, Mitglieder des Vorstands und verfassungsmäßig berufene Vertreter einzustehen. Bei Gesamtvertretung genügt insoweit das Verschulden eines Vertreters. Zudem ist § 31 BGB auf andere Organe, wie die Mitgliederversammlung oder den Aufsichtsrat, entsprechend anzuwenden (vgl. Palandt, BGB, 77. Aufl., § 31, Rn. 5). Bereits nach den vorliegend unstreitigen Begleitumständen ist davon auszugehen, dass eine Einstandspflicht der Beklagten nach diesen Grundsätzen gegeben ist. Die Beeinflussung einer Motorsofware einer ganzen Motorenreihe speziell für den Prüfstand stellt eine wesentliche unternehmerische Weichenstellung mit erheblicher Reichweite für den Produktionsablauf dar, deren Umsetzung einen erheblichen Eingriff in den Produktionsablauf darstellt und die Implementierung entsprechender interner Strukturen, insbesondere für die Entwicklung und Eingliederung der Software in den Produktionsablauf, erfordert. Diese Umsetzung erscheint ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Kenntnis und Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der Beklagten aus der oberen Betriebshierarchie, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, ausgeschlossen. Daher ist es insoweit auch nicht ausreichend, wenn beklagtenseits lediglich die von der Klagepartei vorgetragene Kenntnis und Mitwirkung einzelner Personen aus dem Vorstandsbereich der Beklagten bestritten wird. Der Beklagten müssen aufgrund des Zeitablaufs von über zwei Jahren seit Bekanntwerden des Abgasskandals einerseits und der intern nachvollziehbaren grundlegenden organisatorischen Eingriffe in den Produktionsablauf in diesem Zusammenhang andererseits detaillierte Kenntnisse zum konkreten Geschehensablauf vorliegen, so dass es ihr möglich und zumutbar ist, diesen vollumfänglich darzulegen. Das hat sie aber nicht getan. Damit liegt insoweit kein ausreichendes Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO vor, so dass im Ergebnis vom Vorliegen der subjektiven Betrugsmerkmale bei zur Vertretung der Beklagten berufenen Organen nach § 31 BGB auszugehen ist (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, 9 O 6119/16, Ziffer I. 7.). Damit ist die Beklagte der Klagepartei gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (durch den Betrug bedingter Abschluss des Kaufvertrags) bestehen würde. Wegen des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots ist der Wert des Vorteils, den die Klagepartei durch die Nutzung des Pkw erlangt hat, vom Kaufpreis abzuziehen.
Vorliegend beträgt die jährliche Fahrleistung weniger als 7.000 km (Gesamtfahrleistung bei Augenschein 30.295 km geteilt durch rund 52 Monate seit Erstzulassung am 14.07.2014 mal zwölf Monate für ein Jahr Nutzung), so dass von der allgemein üblichen Gesamtlaufleistung von 150.000 km bei Pkw auszugehen ist.
Damit errechnet sich ein Betrag von 6.260,97 Euro für die von der Klagepartei gezogenen Nutzungen (= 31.000,01 € × 30.295 km bei Augenschein / 150.000 km). Von dem Kaufpreis in Höhe von 31.000,01 Euro bleiben nach Abzug von 6.260,97 Euro noch 24.739,04 Euro. Diese Forderung ist mit dem gesetzlichen Zinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen (§ 288 Abs. 1, § 291 BGB). In der Zeit von der Zahlung bis zur Klagezusteilung stehen der Klagepartei Zinsen in Höhe von vier Prozent jährlich zu (§ 849 BGB). Die Kaufpreiszahlung erfolgte nicht schon bei der Bestellung am 26.03.2014, sondern erst im Zusammenhang mit der Zulassung am 14.07.2014 (vgl. Anlage K1). Verbleibende Zweifel hinsichtlich des genauen Tags der Zahlung des Kaufpreises gehen zu Lasten der darlegungs- und beweispflichtigen Klagepartei. Insoweit war der Zinsantrag zum Kaufpreis teilweise abzuweisen.
2. Der deliktische Schadensersatzanspruch zwar auch die zur Schadensabwendung erforderlichen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 €. Nachdem Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.586,51 € von der Rechtsschutzversicherung gezahlt worden sind, verbleibt dem Kläger kein darüberhinausgehender Anspruch, der eine Verurteilung zur Zahlung oder zur Freistellung begründen würde. Soweit die Rechtsschutzversicherung gezahlt hat, ist der Anspruch des Klägers auf diese nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen.
Auf Grundlage der zuzusprechenden Forderung bemisst sich der Gegenstandswert aus der Stufe bis 25.000 €, was eine 1,0 Gebühr in Höhe von 788,00 € zur Folge hat. In Anbetracht dessen, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, erscheint der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr ausreichend und angemessen. Dies sind 1.044,40 €. Zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale sind es netto insgesamt 1.046,40 €. Mit 19 % Umsatzsteuer hieraus (198,44 €) errechnen sich außergerichtliche Kosten in Höhe von 1.242,84 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, § 709 Satz 1, 2, § 711 ZPO.
Der Streitwert folgt dem Antrag in der Hauptsache.


Ähnliche Artikel

Kostenloses Streaming – Wann mache ich mich strafbar?

Sicher schauen Sie auch gerne Filme im Internet an. Dort ist die Auswahl mittlerweile so groß, dass das übliche TV-Programm für manch einen fast überflüssig wird. Unseriöse Anbieter sollte man aber lieber meiden. Warum, erfahren Sie in diesem Artikel.
Mehr lesen

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen


Nach oben