IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Kaufvertrag, Fahrzeug, Verwaltungsakt, Annahmeverzug, Bescheid, Software, untersagung, Schadensersatzanspruch, PKW, Kaufpreis, Streitwert, Vollstreckung, Anrechnung, Zug um Zug, unerlaubten Handlung, billigend in Kauf

Aktenzeichen  41 O 9400/20

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32309
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 55.187,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2021 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … Diesel mit der Fahrgestellnummer … sowie weitere 1.954,46 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten haben der Kläger 57,6 % und die Beklagte zu 2) 42,4 % zu tragen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) zu 15,2 % und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) zu 100 %. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte zu 2) 42,4 %. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger und die Beklagte zu 1) jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten zu 2) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 65.077,70 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
A.
Die Klage ist zulässig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich aus §§ 23, 71 GVG, § 32 ZPO. Der Kläger erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug bei einem Händler in München. Dieser Ort stellt einen Erfolgsort der geltend gemachten unerlaubten Handlung dar.
B.
Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.
I. Die Klage ist hinsichtlich der Beklagten zu 2) im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Dem Kläger steht unter Anrechnung gezogener Nutzungen gegenüber der Beklagten zu 2) ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen PKW aus §§ 826, 31 BGB zu.
Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Die Voraussetzungen des § 826 BGB sind vorliegend erfüllt:
1.1. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund Vertrags vom 04.12.2013 erworben hat und Eigentümer des PKWs ist. Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung vom 23.04.2021 entsprechendes glaubhaft bestätigt und dargelegt, soweit auf dem Kaufvertrag (Anlage K1) der Name „…“ vermerkt sei, handele es sich um einen informellen Rufnamen, den er seit früher Kindheit nutze und der auf seinen tatsächlichen Vornamen „…“ zurückgehe. Der Name „…“ findet sich auf der Anlage K21, wo auch die Adresse des Klägers aufgeführt wird. Zweifel an den Angaben des Klägers bestehen damit nicht.
1.2. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug war zur Überzeugung des Gerichts zum Zeitpunkt der Herstellung und des Kaufs durch den Kläger eine Motorsteuerungssoftware verbaut, die gemäß Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 2017/715 (im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) als Abschalteinrichtung und gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO [EG] Nr. 715/2007 als unzulässig zu qualifizieren ist.
a) Die streitgegenständliche Software ist unstreitig durch das Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung eingeordnet worden. Schon dies genügt, um von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen (OLG Koblenz NJW 2019, 2237 Rn. 19).
Die Parteien sind an die Feststellungen aus dem Rückrufbescheid nämlich gebunden. Das Oberlandesgericht Oldenburg führt insoweit aus:
„Der Senat legt insoweit seiner Entscheidungsfindung die Beurteilung der Motorsteuerungssoftware durch das Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung als zutreffend zugrunde, ohne sich insoweit zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gehalten zu sehen. Dem Bescheid des KBA als Verwaltungsakt kommt eine Tatbestandswirkung in dem Sinne zu, dass seine Feststellungen für die Zivilgerichte bindend sind und deren Rechtmäßigkeit der Prüfung der Zivilgerichte entzogen ist (vgl. BGH, Urt. v. 30.04.2015 – I ZR 13/14 – BeckRS 2015, 17161; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.01.2020 – 5 U 395/19 – BeckRS 2020, 8864).“ (OLG Oldenburg, Urteil vom 16. Oktober 2020, 11 U 2/20, Rn. 59 – 61).
Dem schließt sich das Gericht an.
b) Das Gericht geht vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung jedoch auch aufgrund eigener Überzeugungsbildung aus: Nach der Darstellung des Klägers erkannte das streitgegenständliche Fahrzeug im Rahmen der verwendeten „Aufheizstrategie“ in der ursprünglichen Programmierung, ob es gerade einen NEFZTestlauf durchfuhr und passte das Emissionsverhalten bei Erkennung des Testlaufs gegenüber dem sonstigen Emissionsverhalten derart an, dass es im Testlauf zu einem verringerten Ausstoß von Schadstoffen kam. Dem sind die Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten. Die geschilderte Softwarefunktion ist zweifelsohne als unzulässig gem. Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO [EG] Nr. 715/2007 zu qualifizieren (vgl. zur Aufheizstrategie auch OLG Oldenburg Urt. v. 4.3.2021 – 14 U 185/20, BeckRS 2021, 6774 Rn. 24, beckonline).
1.3. Das Inverkehrbringen eines Motors mit der streitgegenständlichen Steuerungssoftware unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt eine konkludente Täuschung des Klägers durch die Beklagte zu 2) dar, da der Hersteller eines Motors mit dem Inverkehrbringen des Aggregats jedenfalls konkludent zum Ausdruck bringt, dass ein damit ausgerüstetes Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf (OLG München Endurteil v. 29.1.2020 – 20 U 4231/18, BeckRS 2020, 590 Rn. 15, 16, beckonline). Dies war hier wegen des Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO [EG] Nr. 715/2007 indes nicht der Fall.
1.4. Das Verhalten der Beklagten zu 2) ist dem Kläger gegenüber auch als sittenwidrig zu qualifizieren. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Hierfür ist es im Allgemeinen nicht ausreichend, dass der Handelnde gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Zusätzlich erforderlich ist vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, welche sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 19.11.2013, VI ZR 336/12, Abs. 9). Diese Voraussetzungen sind regelmäßig dann erfüllt, wenn eine bewusst arglistige Täuschung des Geschädigten in Rede steht (BGH, Urt. v. 21.12.2004, VI ZR 306/03, Abs. 13).
Hieran gemessen stellt sich das Handeln der Beklagten zu 2) als sittenwidrig dar. Die Programmierung und der Einbau einer Software wie der streitgegenständlichen verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem hier betroffenen Markt für Kraftfahrzeuge, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint (BGH NJW 2020, 1962 Rn. 23 m.w.N.). Gerade wenn ein Käufer (und damit auch der Kläger) sich keine konkreten Vorstellungen über die Rechtsbeständigkeit der Typgenehmigung und die Erfüllung der gesetzlichen Abgasgrenzwerte machte, war das Inverkehrbringen des Motors in dem vorgenannten Fahrzeug unter diesen Umständen sittenwidrig und stand wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Käufer gleich (vgl. BGH a.a.O. m.w.N.).
1.5. Dass der Vorstand der Beklagten zu 2) wie vom Kläger behauptet beim Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors und in der Folge des Fahrzeugs Kenntnis von der verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung hatte, gilt gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
Der Bundesgerichtshof hat hierzu mit Urteil vom 25.05.2020 (NJW 2020, 1962) entschieden:
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt zwar derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände (BGHZ 221, 229 = NJW 2019, 3638 Rn. 37 mwN; NJW 2018, 2412 Rn. 26 mwN). Der Anspruchsteller hat daher auch darzulegen und zu beweisen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) des in Anspruch genommenen Unternehmens die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. Senat NJW 2017, 250 = WM 2016, 1975 Rn. 27).
In bestimmten Fällen ist es indes Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 II ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substanziiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substanziierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substanziiert der darlegungspflichtige Gegner – hier der Kl. – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Kl. das einfache Bestreiten des Bekl. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substanziieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (Senat BGHZ 221, 139 = NJW-RR 2019, 467 Rn. 17; BGH NJW 1999, 1404 [1405 f.]).
Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (stRspr, vgl. etwa Senat NJW-RR 2015, 1279 = WM 2015, 743 Rn. 11 mwN; BGH NJW 2020, 755 Rn. 35 mwN; NJW 2018, 2412 Rn. 30 mwN). Dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist (Senat BGHZ 209, 139 = NJW 2016, 2106 Rn. 48 mwN; NJW 2016, 3244 Rn. 18). Die sekundäre Darlegungslast führt jedoch weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 I und II ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (BGHZ 200, 76 = NJW 2014, 2360 Rn. 18 mwN). Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 III ZPO als zugestanden (stRspr, vgl. etwa BGH NJW 2018, 2412 Rn. 30 mwN).
Hieran gemessen hat die Beklagte zu 2) ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt. Unzureichend ist der Vortrag, dass nach „derzeitigem Ermittlungsstand“ der Vorstand der Beklagten zu 2) zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses von der beanstandeten Software keine Kenntnis hatte und dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung nicht beteiligt und die Verwendung weder in Auftrag gegeben haben noch von ihr wussten. Auch auf Aufforderung des Gerichts hat die Beklagte nämlich nicht mitgeteilt, welches Ergebnis die angestellten Nachforschungen zur Frage der Verantwortlichkeit von Führungskräften der Beklagten zu 2) ergeben haben. Gleichzeitig ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers hingegen hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass es sich bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung um eine Entscheidung handelte, die mit erheblichen Risiken für das Unternehmen und auch mit persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden war (vgl. hierzu auch NJW 2020, 1962 Rn. 39, beckonline).
1.6. Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten zu 2) ein Schaden entstanden (§§ 826, 249 Abs. 1 BGB), der im Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug liegt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 44).
Die Annahme eines Schadens setzt nicht zwingend voraus, dass sich bei dem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne dieses Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Nachdem der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Daher kann auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Vermögensschaden des Betroffenen darin bestehen, dass er durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, und die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.2004, VI ZR 306/03, Abs. 16).
Die Leistung, der streitgegenständliche PKW, war für die Klagepartei zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht voll brauchbar. Zwar trägt die Beklagte zu 2) insoweit vor, die Nutzungsmöglichkeit am streitgegenständlichen PKW sei durch den Einsatz der in Streit stehenden Motorsteuerungssoftware nicht beeinträchtigt. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei stets technisch sicher und fahrbereit gewesen. Auch verfüge es über die für seine Emissionsklasse erforderliche EG-Typengenehmigung. Diese Erwägungen sind jedoch nicht geeignet, die volle Brauchbarkeit des streitgegenständlichen Wagens für die Zwecke der Klagepartei zu begründen.
Denn es besteht grundsätzlich bei Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen die Gefahr, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung ausspricht (vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rn. 21, beckonline). Damit war das Auto jedenfalls im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags für die Zwecke der Klagepartei – nämlich die Nutzung desselben im Straßenverkehr – nicht voll brauchbar. Folglich lag ein Schaden vor (BGH NJW 2020, 1962 Rn. 53 ff.).
Das Gericht hat den Kläger in der Verhandlung vom 23.04.2021 informatorisch persönlich angehört. Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers ist das Gericht davon überzeugt, dass dieser das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er über die streitgegenständliche Software aufgeklärt worden wäre. Im Übrigen besteht ein Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH NJW 2020, 1962 Rn. 49, beckonline). Das Handeln der Beklagten zu 2) war für den Kauf mithin kausal. Der geschlossene Kaufvertrag stellt zur Überzeugung des Gerichts auf Seiten des Klägers eine ungewollte Verpflichtung dar. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger das zwischenzeitlich zu Verfügung gestellte Update hat aufspielen lassen (BGH NJW 2020, 2804, 2806), da hierdurch der ungewollte Vertragsschluss nicht nachträglich zu einem gewollten wird.
Die Beklagte zu 2) hat dem Kläger den Schaden auch vorsätzlich zugefügt. Es ist undenkbar und auch von der Beklagten zu 2) nicht behauptet, die Software sei fahrlässig so programmiert worden. Die Beklagte zu 2) hat zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass die Abschalteinrichtung im Falle ihres Entdeckens Auswirkungen auf die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs haben würde und Erwartungen des Fahrzeugeigentümers enttäuscht werden. Dies folgt zwangsläufig aus der Verwendung der Software (OLG Koblenz NJW 2019, 2237 Rn. 72, beckonline).
1.7. Die Beklagte zu 2) hat die Klagepartei gemäß § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie sie ohne die schädigende Handlung der Beklagten stünde. In diesem Fall hätte die Klagepartei den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen. Dementsprechend hat die Beklagte der Klagepartei den Kaufpreis für den streitgegenständlichen PKW Zug um Zug gegen die Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen PKW zu erstatten.
Jedoch muss die Klagepartei sich die Vorteile in Gestalt der Nutzungsmöglichkeit am PKW – jedenfalls in Gestalt der von der Klagepartei beantragten Verurteilung ZugumZug – anrechnen lassen, die er in Folge des ungewollten Vertrags konkret erlangt hat. Das Fahrzeug wies zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung den o.g. Kilometerstand auf. Das Gericht schätzt, dass die Nutzungsdauer des streitgegenständlichen PKW mit 250.000 km anzusetzen ist (§ 287 ZPO). Damit berechnet sich die in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung wie folgt:
(80.095,63 € * 77.745 km) / 250.000 km = 24.908,14 €
Dieser Wert war von dem Kaufpreis in Abzug zu bringen. Die Klagepartei kann daher lediglich die Zahlung von 55.187,49 € verlangen. Weitergehende Ansprüche ergeben sich auch aus den von der Klagepartei daneben noch angeführten Haftungsnormen nicht.
2. Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags unbegründet. Der Kläger hat die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Ein zur Begründung von Annahmeverzug aufseiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (zur vergleichbaren Konstellation: BGH NJW 2020, 1962 Rn. 85, beckonline).
3. Die Beklagte zu 2) ist verpflichtet, dem Kläger die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung i.H.v. 1.954,46 zu erstatten.
3.1. Zwar ist der Kläger vorgerichtlich nur gegen die Beklagte zu 1) als Herstellerin seines Fahrzeugs, nicht hingegen gegen die Beklagte zu 2) vorgegangen. Aber die für das Vorgehen gegen die Beklagte zu 1) entstandenen Rechtsverfolgungskosten stellen einen von der Beklagten zu 2) gem. § 249 Abs. 1 BGB zu ersetzenden Schaden dar, da aus Sicht des Klägers als Schadensersatzgläubiger aus ex ante Sicht das Tätigwerden seiner Rechtsanwälte gegenüber der Beklagten zu 1) zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig erschien (vgl. OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 23.1.2017 – 3 U 139/15, BeckRS 2017, 109774 Rn. 5, beckonline). Dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt wusste oder hätte wissen können, dass richtige Anspruchsgegnerin die Beklagte zu 2) ist, ist nicht ersichtlich und lag in Hinblick darauf, dass es bei der Beklagten zu 1) um die Herstellerin seines Fahrzeugs handelte, fern.
3.2. Zum Zeitpunkt des außergerichtlichen Tätigwerdens betrug die Laufleistung des Fahrzeugs ausweislich der Anlage K17 75.000 km. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger mithin einen berechtigten Zahlungsanspruch i.H.v. 56.066,61 €. Eine Geschäftsgebühr iHv. 1,3 aus diesem Gegenstandswert ergibt unter Hinzurechnung der Auslagenpauschale außergerichtliche Anwaltskosten iHv. 1.954,46 €. Das Gericht geht von einer Sache durchschnittlicher Schwierigkeit aus, die zudem von der Kanzlei des Klägers mit – freilich anzupassenden – Serientext bestritten wird.
4. Nachdem sich die Beklagte zu 2) nicht in Verzug befand, bestehen Zinsansprüche des Klägers erst ab Rechtshängigkeit.
II. Ansprüche der Klagepartei gegen die Beklagte zu 1) bestehen nicht.
1. Der geltend gemachte Anspruch kann nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 hergeleitet werden, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 liegt (BGH NJW 2020, 2798 Rn. 11 f.).
Auch besteht kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB, denn jedenfalls fehlt es an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des möglicherweise erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (BGH a.a.O., Rn. 18.).
2. Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu 1) zu.
Das Gericht vermochte nicht festzustellen, dass die Verantwortlichen der Beklagten zu 1) dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt haben.
Dass ein Mitglied des Vorstands der Beklagten zu 1) oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten zu 1) in Hinblick auf den hier streitgegenständlichen Autokauf mit Schädigungsvorsatz gehandelt haben, hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen.
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände (BGHZ 221, 229 = NJW 2019, 3638 Rn. 37 mwN; NJW 2018, 2412 Rn. 26 mwN). Der Anspruchsteller hat daher auch darzulegen und zu beweisen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) des in Anspruch genommenen Unternehmens die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH NJW 2020, 1962 Rn. 35, beckonline).
Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Der Kläger trägt zwar Indizien dafür vor, dass … aufgrund seiner früheren Tätigkeit bei der … AG von unzulässigen Softwareprogrammierungen im … Konzern gewusst haben könnte, als er 2011 zur Beklagten zu 1) wechselte. Auch wird vorgetragen, der Chefentwickler der Beklagten zu 1) habe im Jahr 2010 von unzulässigen Softwareprogrammierungen erfahren.
Aufgrund dieses Vortrags und den übrigen Darlegungen zum Kenntnisstand diverser Führungspersonen des …konzerns, der sich teils auf Fahrzeuge für den amerikanischen Markt bezieht, folgt indes nicht, dass die Verantwortlichen der Beklagten zu 1) auch Kenntnis davon hatten, dass gerade das im Jahr 2014 – also Jahre später – ausgelieferte streitgegenständliche Fahrzeug ebenfalls unzulässige Software enthält. Nicht auszuschließen ist etwa, dass auf Seiten der Beklagten zu 1) davon ausgegangen wurde, dass aufgrund des technischen Fortschritts zwischenzeitlich legale Lösungen für Emissionsproblematiken gefunden wurden.
Zwar traf die Beklagte zu 1) insoweit eine sekundäre Darlegungslast, da der Kläger keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während die Beklagte zu 1) alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH NJW 2020, 1962 Rn. 37, beckonline). Ihrer sekundären Darlegungslast hat die Beklagte zu 1) jedoch genügt, indem sie eingehend zur Verantwortlichkeit der Beklagten zu 2) und zum zeitlichen Ablauf der Kenntniserlangung von der streitgegenständlichen Software vorgetragen hat.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.


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