IT- und Medienrecht

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Aktenzeichen  17 HK O 12913/18

Datum:
16.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51382
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegen die Klägerinnen keine Ansprüche, weder aus Vertrag noch auf Grundlage von Gesetzen gegen den unlauteren Wettbewerb, im Zusammenhang mit der Entwicklung und/oder dem Vertrieb und/oder dem Unterlassen des Vertriebs der Software „X Version 4.0“ zustehen, nämlich
1. es zu unterlassen, auf Grundlage der nachfolgenden Handlungen der Klägerin zu 2 zu behaupten und oder zu verbreiten:
a) „Das schnelle Wachstum von „X by Y“ und die außergewöhnliche Komplexität neuer regulatorischer Vorgaben haben zu Qualitätsproblemen geführt und die Kapazität von qualifizierten Implementierungs- und Support-Mitteln überstiegen. Infolgedessen hat X es kürzlich für notwendig erachtet, den weiteren Vertrieb von „X by Y“ vorübergehend auszusetzen“, wie geschehen in der E-Mail von Herrn TB vom 10. Juli 2018 (17:22 Uhr) an die „X Sales Professionals & Partner“;
b) „X Vertriebs-Teams sind angewiesen, Kunden zu empfehlen, alternative Lösungen für ihre unmittelbaren Bedürfnisse für Leasing Rechnungslegung zu suchen“
wenn dies auf die unter Ziffer 1.1 lit. a) dargelegte Behauptung gestützt wird, wie geschehen in der E-Mail von Herrn TB vom 10. Juli 2018 (17:22 Uhr) an die „X Sales Professionals & Partner“,
2. es zu unterlassen, auf Grundlage der nachfolgenden Handlungen der Klägerin zu 2 zu behaupten und/oder zu verbreiten,
die Beklagte plane für das Jahr 2018 ausschließlich die Behebung von Fehlern für das Software-Produkt „X by Y“, wie angeblich geschehen durch die Veröffentlichung der Roadmaps zu Entwicklungen für das Software-Produkt „X by Y“ vom 12. Juli 2018 und 2. August 2018,
3. dass der Beklagten gegen die Klägerin zu 1 kein Anspruch aus Vertrag auf den aktiven Vertrieb der Software „X Version 4.0“ im Entwicklungsstand zum 10. Juli 2018 an Neukunden zusteht,
4. dass der Beklagten gegen die Klägerin zu 1 kein Anspruch aus Vertrag auf den aktiven Vertrieb der Software „X Version 4.0“ an Neukunden zusteht, solange die Software „X Version 4.0“ nicht mangelfrei ist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen als Gesamtschuldner 7/12 und die Beklagten 5/12.
IV. Das Urteil ist in Ziffer III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
V. Der Streitwert wird auf 1.000.000 € und für die Zeit nach dem 15. September 2020 auf 1.200.000 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Der zulässige Hilfsantrag ist unbegründet.
A. Die Klage ist zulässig.
I. Das Landgericht München I ist sachlich und örtlich zuständig. Für eine negative Feststellungsklage ist jedes Gericht zuständig, bei dem ein Gerichtsstand für die Leistungsklage des Feststellungsbeklagten gegeben ist. Insofern richtet sich die Zuständigkeit des Gerichts nach der Zuständigkeit der gedachten Leistungsklage.
Nach diesen Maßstäben wäre das Landgericht München I sowohl für die Unterlassungsklage der Beklagten gegen die Klägerin zu 1 als auch gegen die Klägerin zu 2 sachlich und örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit steht zwischen den Parteien zu Recht nicht im Streit. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die örtliche Zuständigkeit gleichfalls mit Blick auf die Klägerin zu 2 gegeben.
1. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich für eine auf Unterlassung gerichtete Leistungsklage mit Blick auf die Klägerin zu 1 aus der zwischen den Parteien bestehenden Gerichtsstandsvereinbarung nach Ziffer 14.6 des Reseller-Vertrags (Anlage K1). Insofern sind Streitigkeiten um Ansprüche aus und in Verbindung mit diesem Vertrag gegeben. Das ist zwischen den Parteien zu Recht nicht umstritten.
2. Das Gericht ist ebenfalls für eine gedachte Unterlassungsklage der Beklagten gegen die Klägerin zu 2 örtlich zuständig. Unabhängig davon, ob, wie die Klägerin zu 2 meint, ein besonderer Gerichtsstand in München eröffnet sei, weil die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien ebenfalls die Klägerin zu 2 erfasse oder zumindest begünstige, ergibt sich die Zuständigkeit dieses Gerichts jedenfalls aus dem rügelosen Einlassen der Beklagten gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVVO.
a) Soweit die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht bereits aufgrund anderer Bestimmungen besteht, kann sie nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO durch rügelose Einlassung auf dem Weg einer stillschweigenden Prorogation begründet werden, wenn keine ausschließliche Zuständigkeit gegeben ist, Art. 26 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO. Grundsätzlich ist die EuGVVO universell anwendbar und gilt nicht nur unter Staatsangehörigen oder Bewohnern von Mitgliedstaaten. So bedarf es in „reinen Drittstaatenfällen“ keines weiteren Bezugs zu einem Mitgliedstaat, insbesondere ist nicht erforderlich, dass der Kläger seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat oder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist (EuGH EuZW 2016, 558 Rn. 20 – Taser International; EuZW 2005, 345 Rn. 34 – Owusu; NJW 2000, 3121 – Group Josi; BGH NJW-RR 2005, 1593). Ebenso ist Art. 26 EuGVVO immer dann anzuwenden, wenn der Rechtsstreit vor einem Gericht eines Mitgliedstaates geführt wird, unabhängig davon, in welchen Staaten die Parteien wohnhaft sind oder ihren Sitz haben (OLG Braunschweig BeckRS 2020, 12173 Rn. 55). Zur Einlassung genügt schon jedes Verteidigungsvorbringen, das unmittelbar auf Klageabweisung zielt. Der Beklagte kann die damit gegebene Prorogation verhindern, wenn er die Unzuständigkeit rügt und sich im Übrigen hilfsweise einlässt. Das Vorliegen einer Einlassung ist nicht nach der lex fori, sondern – ebenso wie das Rügen der Zuständigkeit – auf Grund unionsrechtlich autonomer Auslegung zu bestimmen. Hiernach ist im Unterschied zu § 39 ZPO für die stillschweigende Prorogation nicht die Einlassung zur Hauptsache maßgeblich (OLG Braunschweig BeckRS 2020, 12173 Rn. 56), vielmehr ist jedes Verteidigungsvorbringen als Einlassung zu werten, das unmittelbar auf die Abweisung der Klage – auch als unzulässig – zielt, ohne dass zugleich die fehlende Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt wird.
b) Nach diesen Maßstäben liegt gegenüber der Klägerin zu 2 ein rügeloses Einlassen vor. Denn die Beklagte hat sich mit der Klageerwiderung auf das Verfahren eingelassen, ohne die Unzuständigkeit des Gerichts in Bezug auf die Klage der Klägerin zu 2 zu rügen. Um dies zu vermeiden, hätte die Beklagte bereits zu Beginn des Verfahrens die Unzuständigkeit rügen und sich im Übrigen lediglich hilfsweise auf das Verfahren einlassen dürfen.
Die spätere Rüge der Unzuständigkeit (mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 = Bl. 299 der Akte) beseitigt das rügelose Einlassen nicht wieder. Denn die Beklagte hatte sich bereits eingelassen und damit die Zuständigkeit des Gerichts begründet. Eine einmal begründete Zuständigkeit bleibt grundsätzlich bestehen, vgl. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, wonach die Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird.
II. Die Klägerinnen haben nach § 256 Abs. 1 ZPO ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass der Beklagten die im Klageantrag bezeichneten Ansprüche zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr zustehen.
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Bacher in: BeckOK ZPO, Stand: 01.07.2021, § 256 Rn. 20 m. w. N.).
Eine Gefährdung liegt regelmäßig darin, wenn der Beklagte das Recht des Klägers ernstlich bestreitet oder er sich eines Rechts gegen den Kläger berühmt. Eine negative Feststellungsklage dient in der Regel der Abwehr, wenn sich der Gegner eines Anspruchs berühmt. In diesen Fällen ist in der Regel das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, wenn der Kläger feststellen lassen möchte, dass das Berühmen zu Unrecht erfolgt ist und der behauptete Anspruch nicht besteht (vgl. Zigann/Werner in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl., 2018 § 256 Rn. 16 m. w. N.). Die Rechtsstellung des Klägers kann schutzwürdig betroffen sein, wenn der Beklagte geltend macht, aus dem bestehenden Rechtsverhältnis könne sich unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch gegen den Kläger ergeben. § 256 ZPO ermöglicht insofern ebenfalls die Feststellung eines betagten oder bedingten Rechtsverhältnisses (BGH NJW 2017, 2340 Rn. 15). Die schlichte Aufgabe des Berühmens lässt das Feststellungsinteresse nur dann entfallen, wenn der Gegner – etwa durch einen Verzicht – endgültig gesichert ist (Zigann/Werner, aaO, § 256 Rn. 20 m. w. N.).
2. Nach diesen Maßstäben liegt im Streitfall das erforderliche Feststellungsinteresse vor.
Die Klägerinnen haben hinreichend dargetan und behauptet, das Berühmen von Ansprüchen der Beklagten ergebe sich aus den Schreiben gemäß Anlage K9 und K15. Dies genügt grundsätzlich für die Zulässigkeit. So braucht ein Beklagter für die Zulässigkeit der negativen Feststellungsklage dem Kläger keine konkreten rechtlichen Schritte zur Durchsetzung der von ihm in Anspruch genommenen Rechte angedroht zu haben (vgl. Bacher, aaO, § 256 Rn. 22). Das klägerische Interesse, die Entscheidung über das Ob und Wann dieses Rechtsstreits nicht allein dem Gegner zu überlassen, genügt bei Unterlassungsansprüchen für die Annahme des Feststellungsinteresses (vgl. Bacher, aaO, § 256 Rn. 22.4). Es ist erst später dann eine Frage der Begründetheit, ob sich, was zwischen den Parteien hier umstritten ist, die Beklagte tatsächlich dieser Ansprüche berühmt hat.
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten geht es um gegenwärtige Ansprüche, deren Bestehen oder Nichtbestehen die Klägerinnen geklärt haben möchten und somit um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis. Die Beklagte hat das (behauptete) Berühmen jedenfalls nicht so hinreichend aufgegeben, dass gegenwärtig keine Unsicherheit mehr bestünde, so dass das besondere Rechtsschutzinteresse der Klägerinnen entfallen würde.
a) Sofern die Klägerinnen meinen, aus den oben genannten Schreiben ergebe sich ein (rechtswidriges) Berühmen der Beklagten, genügt dies grundsätzlich für das erforderliche Feststellungsinteresse. Grundsätzlich hat ein Betroffener den Anspruch, klären zu lassen, ob ein von der Gegenseite behaupteter Anspruch besteht.
b) Eine anerkannte Ausnahme des Entfallens des Feststellungsinteresses liegt vor, wenn eine hinreichende Loslösung vom Berühmen gegeben und der Feststellungskläger hinsichtlich der von dem Berühmen betroffenen Ansprüche endgültig gesichert ist.
aa) Das Feststellungsinteresse muss zwar noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen. Es entfällt aber nicht schon durch die einseitige Erklärung des Gegners, er werde keine weiteren Ansprüche geltend machen (vgl. BGH NJW 2008, 2842 Rn. 28 m. w. N.). Auch eine nicht bindende Verzichts- oder Beschränkungserklärung des Beklagten bewirkt nicht den Wegfall des Feststellungsinteresses (BGH NJW 2006, 2780 Rn. 24 m. w. N.).
bb) Hiernach ist das Feststellungsinteresse nicht entfallen.
Zunächst hat die Beklagte nicht auf diese Ansprüche verzichtet. Aus dem weiteren Verhalten der Beklagten ergibt sich weder ausdrücklich noch konkludent ein hinreichender actus contrarius zu dem (von der Klägerin behaupteten) Berühmen. Dass die Beklagte im damals geführten einstweiligen Verfügungsverfahren nicht in Berufung gegangen ist und dem Verfügungsverfahren gleichfalls keine Hauptsache hat folgen lassen, begründet nach Überzeugung der Kammer keine endgültige Loslösung vom Berühmen und somit keine endgültige Sicherung der Klägerinnen.
Ebenfalls ergibt sich keine hinreichende Aufgabe des Berühmens dadurch, dass seit den Schreiben gemäß Anlage K9 und Anlage K15 sowie dem damals geführten einstweiligen Verfügungsverfahren keine weiteren rechtlichen Schritte gegen die Klägerinnen eingeleitet worden sind. Nach dem objektiven Empfängerhorizont folgt hieraus jedenfalls keine entsprechende Willenserklärung der Beklagten, die die Klägerinnen ähnlich eines Verzichts endgültig vor solchen Ansprüchen sichern würde. Das zwischen den Parteien geschlossene Litigation Standstill Agreement wirkt sich hier gleichfalls nicht auf die Loslösung aus. Ebenso folgt aus den übrigen Umständen des Einzelfalls kein Entfallen des Feststellungsinteresses der Klägerinnen.
c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus der Zeit zwischen Klageeinreichung, der späteren Zahlung des Gerichtskostenvorschusses und damit der späteren Klagezustellung kein durchgreifender Einwand gegen die Gegenwärtigkeit des Feststellungsinteresses. An einer gegenwärtigen Gefahr fehlt es, wenn sich eine relevante Unsicherheit allenfalls aus in der Zukunft liegenden Umständen ergeben könnte, deren Eintritt noch ungewiss ist (vgl. Bacher, aaO, § 256 Rn. 20.2).
aa) Zwar haben die Klägerinnen die Klage im September 2018 eingereicht und sie wurde der Beklagten erst im November 2019, also 14 Monate später, zugestellt und ein großer Teil der Verzögerung mag auf die verspätete Zahlung des Gerichtskostenvorschusses im November 2019 zurückzuführen sein. Hieraus folgt aber nicht, dass es sich nicht mehr um gegenwärtige Ansprüche handelt, von denen die Klägerinnen behaupten, die Beklagte habe sich dieser berühmt. Aus § 167 ZPO ergibt sich für diese Situation nichts anderes. Die Regelung betrifft einen anderen Gegenstand und deren Wertung ist hier nicht entsprechend heranzuziehen. Anders als die Beklagte meint, ging der zeitliche Verzug ebenso nicht allein zu ihren Lasten. Denn die Beklagte hätte die Zeit – aus welchen Gründen auch immer – grundsätzlich nutzen können, um sich von dem Inhalt der Schreiben gemäß Anlagen K9 und K15 endgültig loszulösen und somit die Klägerinnen klaglos zu stellen.
bb) Insofern ist gleichfalls eine Gegenabmahnung für die Klageerhebung nicht erforderlich gewesen. Eine solche könnte bei § 93 ZPO relevant werden. Hierum geht es im vorliegenden Fall aber nicht. Die von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 29.4.2004 – I ZR 233/01 = GRUR 2004, 790 – Gegenabmahnung) bewirkt hier nicht den Wegfall des Feststellungsinteresses. Diese Entscheidung betrifft eine andere Konstellation und beschäftigt sich im Wesentlichen mit dem Kostenersatz der Gegenabmahnung. Anders als die Beklagte meint, ergibt sich hieraus indes keine (höchstrichterliche) Implikation für den vorliegenden Fall.
d) Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Feststellungsinteresse der Klägerinnen als Prozessvoraussetzung nicht entgegen, dass sie schriftsätzlich sowie in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten haben, dass der Beklagten die mit Klageantrag zu Ziffer I. angegriffenen Ansprüche deshalb nicht zustehen, weil etwaige gesetzliche Ansprüche aus dem UWG bereits verjährt seien und vertragliche Ansprüche deshalb nicht bestünden, weil der Reseller-Vertrag zwischenzeitlich beendet ist. Denn dieser Einwand betrifft in der Sache die Begründetheit, aber nicht die Zulässigkeit der Klage.
B. Die negative Feststellungsklage ist gemäß Antrag Ziffer I. begründet und hinsichtlich Antrag Ziffern II. und III. unbegründet. Eine negative Feststellungsklage darf nur abgewiesen werden, wenn der Anspruch, dessen sich der Beklagte berühmt, feststeht (Bacher, aaO, § 256 Rn. 35). Demnach ist im Streit relevanter Maßstab für die Begründetheit, ob sich die Beklagte in den Schreiben gemäß Anlage K9 und Anlage K15 tatsächlich (wie die Klägerinnen meinen) Ansprüchen berühmt hat. Wenn dies der Fall ist, ist weiter zu prüfen, ob der Beklagten die Ansprüche, deren sie sich berühmte, zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch zustehen, sie also entstanden und nicht erloschen sowie durchsetzbar sind. Das auslegungsfähige und wohlverstandene Klagebegehren ist im vorliegenden Fall darauf gerichtet, feststellen zu lassen, dass die Beklagte die erhobenen Ansprüche nicht hat. Hierbei geht es den Klägerinnen nicht darum, ob die Ansprüche mal entstanden sind, sondern ob sie derzeit (noch) durchsetzbar sind. Dementsprechend ist das Klagebegehren zu verstehen, wie es sich insbesondere aus den Formulierungen der Anträge in Ziffern I. und II. „zustehen“ ergibt.
I. Die Anträge gemäß Ziffer I. sind allesamt begründet. Der Beklagten stehen die in dem Schreiben gemäß Anlage K9 erhobenen Ansprüche nicht zu.
1. Ein Berühmen liegt an dieser Stelle vor.
Aus der Auslegung der E-Mail gemäß Anlage K9 ergibt sich, dass die Beklagte Ansprüche gegen die Klägerin zu 1 erhebt. Sämtliche, in Klageantrag Ziffer I. genannten Ansprüche der Beklagten sind in dem Schreiben vom 12. Juli 2018 (Anlage K9) von der Beklagten gegen die Klägerin zu 1 erhoben worden, was zu Recht zwischen den Parteien nicht im Streit steht. So fordert die Beklagte unter anderem am Ende dieses Schreibens ausdrücklich, „X retract its Communication concerning Y’s software product“ und „X retract its Communication concerning Y’s lack of qualified implementation and support resources”. Zudem forderte die Beklagte die Klägerin zu 1 auf “comply with your obligations in promoting and marketing Y’s software products”.
Zudem hat die Beklagte die den Klageanträgen I. 1. und I. 2. zugrundeliegenden Unterlassungsansprüche in einem erstinstanzlichen einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht München I geltend gemacht und somit ihren Worten Taten folgen lassen.
2. Die Anträge gemäß Ziffern I. 1. und I. 2. sind begründet. Der von der Beklagten in dem Schreiben gemäß Anlage K9 geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht dieser nicht zu. Ein solcher ergibt sich weder aus Vertrag noch aus Gesetz.
a) Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch der Beklagten scheidet aus, weil das Vertragsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2019 beendet ist und sich seitdem jedenfalls kein Unterlassungsanspruch der Beklagten aus Vertrag ergeben kann.
b) Ebenso scheidet ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch aus. Ansprüche aus dem Wettbewerbsrecht sind jedenfalls verjährt und nicht mehr durchsetzbar.
c) Weitere gesetzliche Ansprüche sind vom Streitgegenstand nicht erfasst. Die Klägerinnen machen ausdrücklich geltend, dass „keine Ansprüche, weder aus Vertrag noch auf Grundlage von Gesetzen gegen den unlauteren Wettbewerb“ zustehen.
3. Die Anträge gemäß Ziffern I. 3. und I. 4. sind ebenfalls begründet. Da der Vertrag zwischen den Parteien beendet ist, steht der Beklagten (jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt) kein Vertriebsanspruch zu.
Sofern die Klägerinnen in dem Antrag gemäß Ziffer I. 3. nicht das Präsens „zusteht“, sondern ausnahmsweise das Präteritum „zustand“ verwendet haben, ergibt sich aus der systematischen Auslegung des Antrags und im Zusammenhang mit der Klagebegründung, dass es sich hierbei allein um einen redaktionellen Fehlgriff handelt, der keine Auswirkung auf das von den Klägerinnen tatsächlich Gewollte hat. Dementsprechend hat die Kammer auch gegenüber dem Antrag den Tenor an dieser Stelle angepasst.
II. Klageantrag Ziffer II. und Ziffer III. sind unbegründet. Es fehlt am Berühmen von Ansprüchen der Beklagten gegen die Klägerinnen.
Die Beklagte hat sich keiner Ansprüche aus Vertrag und/oder wegen vermeintlich unlauterer Handlungen oder unlauterem Unterlassen im Zusammenhang mit der Entwicklung und/oder Weiterentwicklung der Software X by Y in der Version 5.0 und/oder der Software P (P1) und/oder des X(X1) Engine berühmt bzw. geltend gemacht, dass ihr gegen die Klägerin zu 2 solche Ansprüche zustünden. Gleiches trifft auf den Vorwurf der Klägerinnen zu, die Beklagte habe sich Ansprüchen wegen der behaupteten Übernahme von Geschäftsgeheimnissen und/oder vertraulicher Informationen und/oder der Verletzung geistiger Eigentumsrechte der Beklagten durch die Entwicklung und/oder den Vertrieb der Software X(X1) Engine und/oder P berühmt bzw. insbesondere entsprechende Ansprüche erhoben.
1. Ein Berühmen kann vorliegen, wenn der Beklagte für sich entweder ein Schutzrecht oder das Recht zu bestimmten Handlungen insbesondere gegenüber dem Kläger in Anspruch nimmt (vgl. Kessen in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., 2019, Kapitel 10 Rn. 9). Allerdings stellt die Äußerung der Auffassung, zu dem beanstandeten Verhalten berechtigt zu sein, für sich genommen kein Berühmen dar (Kessen, aaO, Kapitel 10 Rn. 10). Erforderlich ist vielmehr, dass das Recht in Anspruch genommen wird, in einer bestimmten Weise handeln zu dürfen. Über das bloße Vertreten des eigenen Rechtsstandpunkts muss dem Verhalten auch die Bereitschaft zu entnehmen sein, sich unmittelbar oder in naher Zukunft tatsächlich in der Weise zu verhalten (vgl. Kessen, aaO, Kapitel 10 Rn. 10). Das Berühmen von Ansprüchen kann ausdrücklich erfolgen oder sich aus den Umständen ergeben. Im letzten Fall genügt das bloße Schweigen oder rein passive Verhalten nicht, sondern es kommt darauf an, ob sich aus dem Verhalten des Beklagten nach Treu und Glauben sowie mit Rücksicht auf die Verkehrssitte ein Erklärungswert ergibt, der objektiv einem Berühmen eines Anspruchs gleichsteht (vgl. Kessen, aaO, Kapitel 10 Rn. 12). Ein Anspruch ist das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, § 194 Abs. 1 BGB.
2. Nach Überzeugung der Kammer ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten gemäß Anlage K15 entgegen der Auffassung der Klägerinnen kein Berühmen der von der negativen Feststellungsklage betroffenen Ansprüche der Beklagten.
Es trifft zu, wie die Klägerinnen zu Recht geltend machen, dass es sich hierbei um ein Schreiben des USamerikanischen Anwalts der Beklagten an Herrn H., den „Vice President and Head of Global Litigation“ der Klägerin zu 1, handelt, auch wenn die X AG in der Adresszeile genannt ist. In Würdigung des gesamten Inhalts dieses Schreibens sowie sämtlicher konkreter Umstände des Einzelfalls ergibt sich für die Kammer indes nicht hinreichend, dass sich die Beklagte Ansprüchen gegen X berühmt.
a) In dem Schreiben der Beklagten gemäß Anlage K15, von dem die Klägerinnen mit Anlage K15a eine deutsche Übersetzung vorgelegt haben, schildert die Beklagte die Kooperation zwischen Y und X zunächst aus ihrer Sicht und führt aus, über mehr als ein Jahrzehnt hätten beide Unternehmen eine starke Partnerschaft aufgebaut. Diese Partnerschaft habe sich für beide Seiten als gewinnbringend erwiesen und es ihnen ermöglicht, für sich einen beträchtlichen Teil des wachsenden Markts für Leasingmanagementlösungen zu beanspruchen.
Im Anschluss hieran schildert die Beklagte ausführlich und detailliert die jüngsten Aktivitäten von X aus ihrer Sicht und meint, das beschriebene Fehlverhalten von X habe die gemeinsame Kooperation untergraben. Vor allem habe die Beklagte X wesentliche urheberrechtlich geschützte Informationen zur Verfügung gestellt, einschließlich Informationen über Ys eigene Produktarchitektur und -design, Produkt-Roadmaps und Erkenntnisse für Verbesserungen an Xs X1 Engine, die X zur Entwicklung eines eigenen Konkurrenzprodukts verwendet habe. Hierdurch seien die Rechte und Eigentumsrechte („property interests“) der Beklagten verletzt worden und die Handlungen von X führten zu einer Vielzahl von Ansprüchen („give rise to multiple claims“), einschließlich, aber nicht beschränkt auf, unlauteren Wettbewerb und falsche Zusicherung nach New Yorker Recht („including, without limitation, unfair competition and promissory estoppel claims under New York law“).
Am Ende des Schreibens wird für die Beklagte ausgeführt, dass sie bestrebt sei, ihre gesetzlichen Rechte und Geschäftsinteressen zu schützen und sich alle Rechte in dieser Angelegenheit vorbehalte, in Anbetracht der langjährigen Partnerschaft und der Geschichte zwischen den Parteien sei sie jedoch optimistisch, dass es einen Weg gebe, die Angelegenheit gütlich und nicht vor Gericht austragen zu können („Y is optimistic, given the long partnership and history between the parties, that there may be a way to privately resolve this matter without having to submit the dispute to a court“).
b) Aus dem Gesamtzusammenhang des Schreibens ergibt sich für die Kammer kein hinreichendes Berühmen.
Es trifft zu, wie die Klägerinnen meinen, dass die Beklagte einige Sätze in diesem eng bedruckten dreiseitigen Schreiben so gefasst hat, dass sie wie ein Berühmen klingen könnten, indem die Beklagte anführt, dass Handlungen von X ihre Rechte verletzt hätten und ihr deswegen diverse Ansprüche zustehen würden. Löst man den Blick von diesen einzelnen Sätzen und richtet ihn auf den gesamten Inhalt des Schreibens, ergibt sich nach Überzeugung der Kammer ein hiervon abweichender Eindruck. Zwar dient das Schreiben sicherlich auch dazu, dass sich die Beklagte „Luft verschafft“, ihren Ärger über das in dem Schreiben berichtete Verhalten von X zum Ausdruck bringt und ihre Rechtsauffassung verdeutlicht.
Das Schreiben hat aber tatsächlich ein davon getrenntes, ausdrücklich erklärtes Ziel, mit dem es schließt und das dem Leser schon aufgrund dieser Stellung besonders in Erinnerung bleibt: Es geht der Beklagten darum, dass beide Seiten den Weg zurück in die Kooperation nehmen mögen. Diese sei gewinnbringend gewesen und daher sei (guten Mutes) eine einvernehmliche Lösung des Konflikts zu finden. Hierfür macht die Beklagte schließlich zeitliche Vorschläge, bis wann X mitteilen möge, ob es zu einem persönlichen Treffen zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und einem hinreichend bevollmächtigten Vertreter kommen könne.
c) Unabhängig davon ergibt sich für die Kammer kein Berühmen, weil es im Schreiben zumindest für die Verletzung deutschen Rechts keine Ausführungen des USamerikanischen Anwalts der Beklagten gibt. Abgesehen von Ansprüchen nach New Yorker Recht sind die Aussagen in diesem Schreiben zu möglichen anderen Ansprüchen äußerst vage („give rise to multiple claims“ und „including, without limitation, unfair competition and promissory estoppel claims under New York law“). Überdies ergibt sich für die Kammer aus dem Schreiben jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig, dass die Beklagte von X ein konkretes Handeln oder Unterlassen (Anspruch im Sinne von § 194 BGB) fordert. Vielmehr zielt die Beklagte mit dem Schreiben – wie oben dargelegt – darauf, mit der Klageseite eine einvernehmliche Lösung zu finden.
d) Dieses Auslegungsergebnis der Kammer steht im Einklang mit den tatsächlichen Umständen außerhalb des Schreibens. Die Beklagte hat (jedenfalls bislang) keine solchen Ansprüche gegen die Klägerinnen erhoben.
e) Aus der Rechtsverteidigung der Beklagten ergibt sich nach Überzeugung der Kammer gleichfalls kein Berühmen, das die Anträge gemäß Ziffern II. und III. begründet.
C. Mangels Berühmens ist der zulässige Hilfsantrag zu Ziffer II. 1., also der Antrag II. 1a., jedoch ebenfalls unbegründet.
D. Beide Parteien haben nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung jeweils einen Schriftsatz bei Gericht eingereicht (Klägerinnen am 13. Oktober 2021 = Bl. 560/563 der Akte und Beklagte am 21. Oktober 2021 = Bl. 564/572 der Akte), der ihnen von der Kammer nicht nachgelassen worden ist. Soweit die Schriftsätze tatsächliches Vorbringen und nicht nur rechtliche Ausführungen enthalten sollten, ist dieses Vorbringen als verspätet zurückzuweisen, § 296a ZPO. Eine Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO ist ebenfalls nicht geboten.
E. Der Kostenausspruch ergibt sich aus §§ 91, 92 ZPO nach dem jeweiligen Obsiegen und Verlieren anhand des hier festgesetzten Streitwerts und der sich ergebenden Teilstreitwerte. Die Klägerinnen obsiegen mit einem Streitwert von 500.000 € und die Beklagten mit einem von 700.000 €.
F. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
G. Der Streitwert beträgt (in der Zeit nach dem 15. September 2020) 1.200.000 €.
Er setzt sich zum einen aus einem Betrag in Höhe von 1.000.000 € zusammen, wobei sich auf das Schreiben gemäß Anlage K9 sowie auf das Schreiben gemäß Anlage K15 nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2021 jeweils ein Teilstreitwert in Höhe der Hälfte, also von 500.000 €, entfallen. Dieser Wert von 1.000.000 € ist zum anderen um 200.000 € zu erhöhen, weil ebenfalls über den Hilfsantrag der Klägerinnen zu entscheiden gewesen ist.


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