IT- und Medienrecht

Sozialgerichtsverfahren: Unzulässigkeit wiederholter Anträge gegen Vollstreckung bestandkräftig festgestellter Beitragsforderungen

Aktenzeichen  L 20 KR 417/19 B ER

Datum:
29.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32898
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 75 Abs. 2, § 86b Abs. 2 S. 2, § 172

 

Leitsatz

Wiederholte Anträge des einstweiligen Rechtsschutzes sind wegen des Instituts der materiellen Rechtskraft unzulässig.
1. Geht es um die Vollstreckung bereits bestandskräftiger Bescheide, kann deren vorläufige Einstellung u.U. mittels einstweiliger Anordnung (Regelungsanordnung) nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG beantragt werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein Antrag abgewiesen, sind wiederholte Anträge des einstweiligen Rechtsschutzes wegen des Instituts der materiellen Rechtskraft unzulässig. Nur dann, wenn sich nach Eintritt der Rechtskraft neue Tatsachen ergeben haben oder sich die Rechtslage geändert hat, so dass eine andere Beurteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geboten ist, ist ein wiederholter Eilantrag zulässig. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 KR 1163/19 ER 2019-06-18 Bes SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Techniker Krankenkasse – Pflegekasse – wird zum Verfahren beigeladen.
II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 18.06.2019 wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen Beitragsforderungen der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) sowie gegen deren Vollstreckung.
Der 1966 geborene Antragsteller war bei der Antragsgegnerin vom 30.05.2012 bis zum 30.11.2014 freiwillig versichert. Die hierfür festgesetzten Beiträge wurden vom Antragsteller nicht gezahlt.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 16.06.2015 (L 5 KR 188/15) entschied das Bayerische Landessozialgericht (LSG), dass die Beitragsbescheide, die die bis einschließlich Mai 2014 erhobenen Beiträge regeln, rechtmäßig seien. Nachdem der Antragsteller der Aufforderung der Antragsgegnerin, Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen zu machen, nicht nachgekommen war, berechnete die Antragsgegnerin die Beiträge mit Bescheid vom 24.09.2014 ab 01.10.2014 aus der Beitragsbemessungsgrenze. Der Antragsteller legte Widerspruch dagegen ein und gab an, er beziehe eine „BG-Rente“ in Höhe von monatlich 350 €.
Die Antragsgegnerin hat die Zwangsvollstreckung durch die Zollverwaltung betrieben. Hiergegen hat sich der Antragsteller mehrfach im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gewandt. Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat jedoch stets – jeweils bestätigt durch das LSG im Beschwerdeverfahren – die Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen (bezüglich der bestands- bzw. rechtskräftigen Beitragsfestsetzung für die Zeit vom 30.05.2012 bis zum 30.09.2014) bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.09.2014 bezüglich der Beitragsfestsetzung ab 01.10.2014) abgelehnt, vgl. die Verfahren
– S 6 KR 11/15 ER, bestätigt durch L 5 KR 75/15 B ER
– S 6 KR 382/15 ER, bestätigt durch L 5 KR 610/15 B ER
– S 6 KR 392/15 ER, bestätigt durch L 4 KR 75/16 B ER
– S 6 KR 56/16 ER, bestätigt durch L 4 KR 476/16 B ER
– S 8 KR 400/18 ER, bestätigt durch L 20 KR 512/18 B ER.
Im Verfahren S 8 KR 400/18 ER hat der Antragsteller am 01.08.2018 angegeben, dass bei ihm seit 03.06.2011 eine dauernde Arbeitsunfähigkeit vorliege. Die Beitragsforderungen der Antragsgegnerin seien unrechtmäßig, weil seine Versorgung entweder durch die Berufsgenossenschaft (BG) oder durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) sichergestellt werden müsse. Ein von ihm beim SG gestellter Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei wegen grob falscher, fehlerhafter Gutachten von schlechter Qualität abgelehnt worden. Damit sei seine Rente vorsätzlich grob unterschlagen worden. Die Antragsgegnerin habe ohne sein Wissen in seinem Namen ein Verfahren gegen die BG geführt, ihn darüber nicht unterrichtet und die Regressansprüche nicht an ihn weitergegeben.
Der Antragsteller hat am 28.09.2018 folgenden Antrag gestellt: „Fordere ich das SG auf Nachforschung über Verfahren in Sachen A. an SG o. LSG o. BSG auf Regressforderungen der Technikerkrankenkasse gegen die Berufsgenossenschaft Holz u. Metall Bundesweit! Des Weiteren über Verfahren DRV gegen die Berufsgenossenschaft Holz u. Metall Bundesweit!.“
Das SG Bayreuth hat mit Beschluss vom 08.10.2018 den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt, weil dieser unzulässig sei. Mit Beschluss vom 30.01.2019 (L 20 KR 512/18 B ER) hat das LSG die Beschwerde zurückgewiesen.
In dem hier streitgegenständlichen Verfahren hat der Antragsteller mit einem beim SG am 18.04.2019 eingegangen Schreiben, auf eine seit 03.06.2011 bestehende Arbeitsunfähigkeit als Folge eines Arbeitsunfalles bzw. einer Berufskrankheit hingewiesen, Träger wäre die Berufsgenossenschaft oder die BG.
Der Antragsteller hat beantragt,
„1. Nachforschung über Regressforderungen der TK gegen Berufsgenossenschaft
2. Nachforschung über Regressforderungen der TK gegen DRV an den Sozialgericht Bundesweit
3. Forderung der TK Krankenversicherung über das Zollamt Regensburg der sofortigen Rücknahme
4. Einstweiliger Rechtsschutz bis Verfahrensabschluss evtl. Europäischer Gerichtshof.“
Mit Beschluss vom 18.06.2019 hat das SG den Antrag abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen dargelegt, die wiederholten Anträge des Antragstellers in dieser Angelegenheit seien vom SG in der Sache jeweils negativ entschieden (zuletzt S 6 KR 392/15, bestätigt durch L 4 KR 476/16 B ER) worden. Der streitgegenständliche Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei deshalb als wiederholter Antrag unzulässig.
Der Antragsteller begehre zum wiederholten Male die Rücknahme der Beitragsforderung für den Zeitraum Mai 2012 bis November 2014 sowie die Unterlassung diesbezüglicher Vollstreckungsmaßnahmen. Neue Tatsachen hierzu trage der Antragsteller allerdings nicht vor.
Soweit der Antragsteller Nachforschungen über Regressforderungen der Antragsgegnerin gegen andere Leistungsträger fordere, sei der Eilantrag auch insoweit unzulässig. Eine eigene Betroffenheit des Antragstellers und somit eine Antragsbefugnis seien nicht erkennbar.
Gegen den dem Antragsteller am 21.06.2019 zugestellten Beschluss hat dieser über das SG am 22.07.2019 mit einem beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) am 22.07.2019 eingegangenen Schreiben Beschwerde eingelegt und angegeben:
„Widerspruch zu den Beschluss da Rechtsbeugend Unterschlagend durch Vorsatz des Betruges“.
Die Antragsgegnerin hat unter Verweis auf die erstinstanzliche Entscheidung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in den Verfahren S 6 KR 1163/19 ER und L 20 KR 417/19 B ER sowie S 8 KR 400/18 ER und L 20 KR 512/18 B ER Bezug genommen.
II.
Die Techniker Krankenkasse – Pflegekasse – war zum Verfahren beizuladen, weil die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs. 2 SGG).
Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 SGG).
Sie ist auch fristgerecht mit Eingang 22.07.2019 innerhalb eines Monats eingelegt (§§ 173, 64 SGG) worden. Die Zustellung ist am 21.06.2019 erfolgt, damit hat die Frist am 22.06.2019 begonnen und am 22.07.2019 geendet (21.07.2019 war ein Sonntag).
Sie ist auch formgerecht eingelegt worden. Gemäß § 173 SGG ist die Beschwerde schriftlich einzulegen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Form wird in aller Regel typischerweise durch die eigenhändige Unterschrift des Berechtigten Rechnung getragen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 151 Rn. 3a).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller die Beschwerdeschrift nicht unterschrieben.
Allerdings ist für die Auslegung des Begriffs „schriftlich“ maßgeblich, dass mit dem Schriftformerfordernis gewährleistet werden soll, dass die abzugebende Erklärung dem Schriftstück hinreichend zuverlässig entnommen und außerdem festgestellt werden kann, dass es sich nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Das Schriftformerfordernis kann deshalb auch dann erfüllt sein, wenn es zwar an einer Unterschrift fehlt, wenn sich jedoch aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen ergibt.
Dies ist vorliegend gegeben. Zum einen hat der Antragsteller sowohl seine Adresse wie auch das Aktenzeichen des anzugreifenden Beschlusses nebst Datum genannt. Zum anderen ist ihm mit Schreiben vom 26.07.2019 eine Eingangsbestätigung übersandt worden. Der Antragsteller hat nicht in dem Sinne darauf reagiert, er habe gar keine Beschwerde eingelegt.
Nach alledem ist die Beschwerde zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.
Dem Antrag des Antragstellers „Widerspruch zu den Beschluss da Rechtsbeugend Unterschlagend durch Vorsatz des Betruges“ ist zu entnehmen, dass er mit dem Beschluss des SG nicht einverstanden ist und sein Begehren aus dem Antragsverfahren weiter verfolgt.
Ziel des einstweiligen Rechtsschutzes ist demnach, vorläufig die Vollstreckung aus den Beitragsbescheiden zu verhindern.
Dieses Ziel kann bei noch nicht bestandskräftigen Bescheiden mittels eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG erreicht werden. Geht es dagegen um die Vollstreckung bereits bestandskräftiger Bescheide, kann deren vorläufige Einstellung u.U. mittels einstweiliger Anordnung (Regelungsanordnung) nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG beantragt werden (vgl. ausführlich BayLSG, Beschluss vom 01.08.2018, L 20 KR 230/18 B ER – nicht veröffentlicht).
Das SG Bayreuth hat jedoch bereits wiederholt über Anträge des Antragstellers in dieser Angelegenheit sowohl nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG als auch nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG negativ entschieden, jeweils bestätigt durch das LSG (vgl. S 6 KR 11/15 ER, bestätigt durch L 5 KR 75/15 B ER; S 6 KR 382/15 ER, bestätigt durch L 5 KR 610/15 B ER; S 6 KR 392/15 ER, bestätigt durch L 4 KR 75/16 B ER; S 6 KR 56/16 ER, bestätigt durch L 4 KR 476/16 B ER; S 8 KR 400/18 ER, bestätigt durch L 20 KR 512/18 B ER.). Der streitgegenständliche Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist deshalb als wiederholter Antrag unzulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung sind wiederholte Anträge des einstweiligen Rechtsschutzes wegen des Instituts der materiellen Rechtskraft unzulässig (vgl. z.B. BayLSG, Beschluss vom 13.11.2008, L 11 AS 306/08 ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2010, L 19 AS 1918/10 B ER). Nur dann, wenn sich nach Eintritt der Rechtskraft neue Tatsachen ergeben haben oder sich die Rechtslage geändert hat, so dass eine andere Beurteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geboten ist, ist ein wiederholter Eilantrag zulässig (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.09.2010, L 7 SO 3038/10 ER-B; Bayer. LSG, Beschluss vom 11.07.2018, L 20 KR 240/18 B ER).
Unter Beachtung dieser Maßgaben ist der Vortrag des Antragstellers nicht geeignet, um eine erneute Entscheidung in der Sache herbeizuführen.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist schließlich auch unzulässig, soweit der Antragsteller, noch dazu in völlig unbestimmter Weise, vom SG Nachforschungen bezüglich Regressforderungen der Antragsgegnerin gegen die BG und die DRV fordert. Solche Anträge können nur im Rahmen der jeweiligen Gerichtsverfahren bzw. der sich anschließenden Rechtsmittelverfahren gestellt werden.
Die Beschwerde hat damit insgesamt keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben