IT- und Medienrecht

Sozialhilfeträger, Verauslagte Bestattungskosten, Bestattungspflichtige, Verwaltungsgerichte, Ersatzvornahme, Festsetzungsfrist, Vertrauensschutz, Kostenerstattungspflicht, Verjährung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Leistungsbescheid, Verspätete Geltendmachung, Kostenentscheidung, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Erstattung der Kosten, Erstattungsantrag, Erstattungsfähige, Erstattungsanspruch, Umstandsmoment

Aktenzeichen  M 12 K 20.2773

Datum:
11.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6320
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BestG Art. 14
BestG Art. 15
BestV § 15
BestV § 1
AGBGB Art. 71
BGB § 242

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags ab-wenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Das Gericht legt die ohne einen bestimmten Antrag erhobene Klage gem. § 88 VwGO dahingehend aus, dass die Klägerin die vollumfängliche Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 27. Mai 2020 begehrt.
Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die unter Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Verpflichtung der Klägerin, die für die Bestattung der verstorbenen Mutter der Klägerin angefallenen Kosten in Höhe von 2.364,05 EUR zu bezahlen, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Verpflichtung der Klägerin ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Bestattungsgesetz (BestG). Danach kann die Gemeinde von einem Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG selbst oder durch vertraglich Beauftragte für die Bestattung und die ihr vorausgehenden notwendigen Verrichtungen sorgen musste, weil der nach § 15 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes (Bestattungsverordnung – BestV) Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 BestG nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend waren.
a) Vorliegend sind nicht nur die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG für das Entstehen des geltend gemachten Erstattungsanspruches dem Grunde wie der geltend gemachten Höhe nach erfüllt, sondern – soweit die Verpflichtung im Übrigen in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt war – ist seitens der Beklagten das Ermessen auch gemäß Art. 40 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt worden.
aa) Die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin dem Grunde nach zur Erstattung der von Amts wegen durchgeführten Bestattung ihrer Mutter als Gesamtschuldnerin zu verpflichten, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Die Klägerin gehört als Tochter der Verstorbenen – wie gleichrangig auch ihre Schwester – zum Kreis derjenigen Angehörigen, die gemäß Art. 15 Abs. 1 BestG i.V.m. § 15 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 lit. b BestV bestattungspflichtig sind.
Die Bestattung durfte vorliegend auch von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG durch die Beklagte durchgeführt werden. Ausweislich Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BestG hat die Beklagte – gegebenenfalls mittels Anordnung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BestG – vorrangig zu veranlassen, dass die Bestattung des Verstorbenen rechtzeitig durch die nach Art. 15 Abs. 1 BestG bestattungspflichtigen Angehörigen erfolgt (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BestG). Nur soweit diese ihrer Bestattungspflicht nicht rechtzeitig nachkommen und entsprechende Anordnungen nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend sind, darf die Beklagte die Bestattung an deren Stelle von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme durchführen (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG) und die Erstattung der hierfür entstandenen Kosten verlangen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG). Vorliegend hatte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Februar 2017 aufgefordert, sich bis 13. Februar 2017 (also bis zum 17. Tag nach Versterben ihrer Mutter) um die Bestattung zu kümmern, was diese jedoch telefonisch am 13. Februar 2017 verweigerte. Eine Anordnung gegenüber der Schwester der Klägerin als weitere dem Grundsatz nach bestattungspflichtige Angehörige kam vorliegend nicht in Betracht, da die Beklagten deren Kontaktdaten erst zu einem Zeitpunkt ermitteln konnte, als eine rechtzeitige Bestattung auf diese Weise nicht mehr hätte gewährleistet werden können.
(2) Soweit Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG darüber hinaus die Entscheidung, ob ein Bestattungspflichtiger zur Kostenerstattung herangezogen werden soll, in das Ermessen der Behörde stellt („kann“), handelt es sich um einen Fall des intendierten Ermessens, d.h. in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei. Dies folgt aus der Zweckrichtung der Regelung in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG, wonach es regelmäßig ohne Ansehung der tatsächlichen persönlichen Beziehung des Pflichtigen zum Verstorbenen dem Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuergeldern entspricht, die durch die Gemeinde verauslagten Bestattungskosten vom Bestattungspflichtigen zurückzufordern. Einer Darlegung der Ermessenserwägungen bedarf es hier nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen könnten (BayVGH, B.v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – juris Rn. 6).
Solche außergewöhnlichen Umstände kommen nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen in Betracht, die grundsätzlich zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben müssen (HessVGH, U.v. 26.10.2011 – 5 A 1245/11 – juris; BayVGH, B.v. 9.6.2008 a.a.O.; BayVGH, U.v. 17. 1. 2013 – 4 ZB 12.2374). Ein lediglich „nicht gutes Verhältnis“ zwischen Verstorbenem und Inanspruchgenommenem – wie vorliegend seitens der Klägerin vorgebracht – ist hierfür noch nicht ausreichend.
(3) Des Weiteren spielt es – im Verhältnis zwischen dem Rechtsträger der zuständigen Ordnungsbehörde und den bestattungspflichtigen Angehörigen – hinsichtlich der Frage, ob diese überhaupt zur Erstattung verpflichtet werden können, keine Rolle, ob die Verpflichteten finanziell zur Zahlung überhaupt in der Lage sind oder ihre finanzielle Lage derart prekär ist, dass eine Verpflichtung zur Zahlung bzw. deren zwangsweise Durchsetzung unzumutbar ist.
Im Falle der (finanziellen) Unzumutbarkeit kann vielmehr die Übernahme der Bestattungskosten gemäß § 74 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beim zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden, welcher in diesem Zusammenhang auch zu prüfen hat, ob ein Fall der (finanziellen) Unzumutbarkeit gegeben ist. Eine Kostenübernahme seitens des Sozialhilfeträgers kann jedoch nur erfolgen, wenn der Betroffene zuvor seitens der Ordnungsbehörde nach Bestattungsrecht zur Kostentragung verpflichtet wurde. Damit die Betroffenen – während der Prüfung durch den Sozialhilfeträger – nicht einer Vollstreckung seitens der Ordnungsbehörde ausgesetzt sind, kann die Behörde – wie vorliegend auch seitens der Beklagten geschehen – das Mahn- und Beitreibungsverfahren zur Durchsetzung der zunächst ausgesprochenen Verpflichtung aussetzen.
(4) Auch die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin neben ihrer Schwester für die Kostenerstattung als Gesamtschuldner heranziehen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Grundsätzlich fällt die Entscheidung, welchen von mehreren Gesamtschuldnern die Beklagte heranzieht, in deren weiten Ermessenspielraum. Grenzen ergeben sich lediglich durch das Willkürverbot und offenbare Unrichtigkeiten. Ausreichend ist deshalb, wenn die Wahl des Schuldners unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität geeignet und zweckmäßig erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.1993 – 8 C 57/91 – NJW 1993, 1667; VG München, U.v. 30.9.2004 – M 10 K 04.2800 – juris).
Jedoch soll die Beklagte, wenn mehrere Bestattungspflichtige vorhanden sind, gemäß Art.15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 BestG i.V.m. § 15 Satz 2 BestV bei ihrer Auswahl den Grad der Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft berücksichtigen. Verwaltungsrechtliche Sollvorschriften dieser Art sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Nur wenn Umstände vorliegen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (BVerwG, U.v. 2.7.1992 – 5 C 39.90 – BVerwGE 90, 275/278).
Vorliegend sind die Voraussetzungen einer gesamtschuldnerischen Haftung nach § 421 BGB erfüllt, da die Klägerin und ihre Schwester denselben Verwandtschaftsgrad zur Verstorbenen aufweisen. Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Angehörigen führen nicht dazu, dass die Behörde – in einer Art Sozialauswahl – nur den leistungsfähigeren Angehörigen verpflichten darf, da – wie bereits oben angeführt – auch leistungsschwächere Verpflichtete bestattungspflichtig und bei finanzieller Unzumutbarkeit über § 74 SGB XII ausreichend geschützt sind.
bb) Auch die Höhe der geltend gemachten Kosten ist nicht zu beanstanden.
Die Klägerin ist gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG zur Erstattung der notwendigen Kosten der Bestattung verpflichtet. Notwendige Kosten der Bestattung sind sämtliche Kosten der Beklagten, die diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG aufwenden musste, um eine angemessene Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form zu gewähren (vgl. VGH BadenWürttemberg, U.v. 25.9.2001 – 1 S 974/01 – juris; a.A. VGH Baden-Württemberg, U.v. 15.11.2007 – 1 S 1471/07 – juris). Der Kostenrahmen darf hierbei den in § 74 SGB XII vorgegebenen erstattungsfähigen Rahmen nicht überschreiten.
Die vorliegend festgesetzten Kosten sind angemessen. Die im Rahmen der Ersatzvornahme veranlasste Bestattung beschränkte sich auf das Minimum, welches für eine ordentliche und würdevolle Bestattung notwendig ist. Die erhobenen Kosten entsprachen den örtlichen Verhältnissen. Für die Leistungen und Auslagen der Städtischen Bestattung sind Kosten in Höhe von 1.034,51 EUR angefallen sowie Friedhofsgebühren in Höhe von 1.644,00 EUR, somit insgesamt 2.678,51 EUR. Da durch die Auszahlung des Taschengeldes der Verstorbenen in Höhe von 314,46 EUR, welches die Verstorbene zum Zeitpunkt ihres Ablebens in ihrer Seniorenresidenz hatte, die Kosten teilweise beglichen wurden, reduzierten sich die noch offenen Kosten auf 2.364,05 EUR.
b) Der Anspruch der Beklagten auf Erstattung der Bestattungskosten ist – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch nicht in der Zwischenzeit infolge zu später Geltendmachung / Verwirkung erloschen.
aa) Gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Gesetz zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (AGBGB) erlöschen die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche einer bayerischen Gemeinde, soweit nichts anderes bestimmt ist, in drei Jahren, wobei gem. Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB die Frist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Berechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Gemäß Art. 71 Abs. 2 Hs. 2 AGBGB i.V.m. Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG wird der Lauf der Frist durch einen Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruches erlassen wird, gehemmt, mit der Wirkung, dass der Zeitraum in die Frist nicht eingerechnet wird, Art. 71 Abs. 2 Hs. 1 AGBGB i.V.m. § 209 BGB.
Vorliegend erlangte die Beklagte im Februar 2017 sowohl von den den Anspruch begründenden Umständen als auch von der Person der Klägerin Kenntnis. Die Frist begann daher gem. Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB mit Ablauf des Jahres 2017 zu laufen und hätte demnach – ohne eine vorherige Hemmung – grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2020 geendet.
Durch Erlass des streitgegenständlichen Bescheides am 27. Mai 2020, der der Klägerin am 29. Mai 2020 und damit noch vor Ablauf des Jahres 2020 zugestellt wurde, wurde ein Erlöschen des Anspruchs gemäß Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG jedoch rechtzeitig durch Feststellung des Anspruches gehemmt.
bb) Der Anspruch der Beklagten ist vorliegend auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) aus Gründen des Vertrauensschutzes deshalb als verwirkt anzusehen, da die Klägerin, nachdem sie mit Schreiben der Beklagten vom 14. September 2017 angehört sowie am 30. Oktober 2017 die Unterlagen zur Kostenerstattung an den zuständigen Sozialhilfeträger gesandt hatte, bis zum 22. Mai 2020 nichts mehr von der Beklagten hörte und sich auch der Sozialhilfeträger nicht mehr bei ihr meldete.
(1) Die Verwirkung eines Rechts aus Gründen des Vertrauensschutzes setzt das Verstreichen eines längeren Zeitraums seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung (sog. zeitliches Moment) sowie das Vorliegen besonderer Umstände (sog. Umstandsmoment) voraus, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (BVerwG, 16.04.2002 – 4 B 8.02).
Auf Ebene des Umstandsmomentes ist – für die Begründung von Vertrauensschutz zu Gunsten des Verpflichteten mit der Folge der Verwirkung des Rechtes seitens des Berechtigten – insbesondere entscheidend, ob durch ein, dem Berechtigten zurechenbares, Verhalten (aktives Tun, Dulden oder Unterlassen) auf Seiten des Verpflichteten die Erwartungshaltung entstand, er würde für die bestehende Verpflichtung nicht bzw. nicht mehr herangezogen (Vertrauen), der Verpflichtete – aus seiner Perspektive heraus – dies den Umständen nach auch derart verstehen durfte (schutzwürdiges Vertrauen) und der Berechtigte die Entstehung des schutzwürdigen Vertrauens zu vertreten hat (Verantwortung), so dass er mit dem Verlust seines Rechts im Wege der Verwirkung belastet werden darf.
Zeit- sowie Umstandselement stehen insoweit nicht isoliert als kumulative Voraussetzungen nebeneinander, sondern ergänzen sich in ihrer Indiz- bzw. Argumentationswirkung gegenseitig:
Je größer der zwischen Entstehung und Ausübung des Rechts verstrichene Zeitraum ist, desto geringer sind – ab einer gewissen Dauer – die spezifischen Anforderungen an die konkreten, Vertrauensschutz zu Gunsten des Verpflichteten begründenden (sonstigen) Umstände. Ein sehr langer Zeitraum kann eine geschützte Vertrauensstellung indizieren, wobei eine solche Indizierung jedenfalls für solche Zeitspannen ausscheidet, für welche der Gesetzgeber eine Frist für die Geltendmachung bestimmt hat (etwa Verjährungs- oder Festsetzungsfristen), wie vorliegend die Festsetzungsfrist in Art. 71 AGBGB.
Umgekehrt können speziell gelagerte Umstände auch schon nach sehr kurzer Zeit zu einer Verwirkung des Rechts führen, etwa wenn der Berechtigte gegenüber dem Verpflichteten zunächst explizit seinen Verzicht auf das später dann dennoch geltend gemachte Recht erklärt.
(2) Unter Anwendung der soeben dargestellten Grundsätze ist eine Verwirkung des Anspruches vorliegend zu verneinen.
Zwischen dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 14. September 2017 bzw. der Übermittlung der Unterlagen an den Sozialhilfeträger am 30. Oktober 2017 und dem nächsten Schreiben der Beklagten vom 22. Mai 2020 verging ein Zeitraum von rund zwei Jahre und acht bzw. sechseinhalb Monaten. Die dreijährige Festsetzungsfrist des Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGBGB wurde hierbei nicht überschritten (s.o.). Es bedürfte daher eines durch die Beklagte gesetzten und ihr zurechenbaren Umstandsmoments, wodurch auf Seiten der Klägerin ein schutzwürdiges Vertrauen entstanden wäre.
Das Vertrauen der Klägerin, die Zahlungsverpflichtung habe sich – etwa infolge Zahlung des Sozialhilfeträgers unmittelbar an die Beklagte – bereits erledigt, gründete sich – nach eigener Aussage – jedoch allein darauf, dass sie über mehr als zweieinhalb Jahre weder seitens der Beklagten noch seitens des Sozialhilfeträgers kontaktiert wurde, mithin auf ein temporäres Unterlassen sowohl der Beklagten wie auch des Sozialhilfeträgers.
Das Verhalten des Sozialhilfeträgers kann der Beklagten schon nicht zugerechnet werden. Die Beklagte kann für ein etwaiges Organisationsverschulden eines anderen Rechtsträgers nicht verantwortlich gemacht werden, zumal die Beklagte dieses nicht wiederum durch ein Verhalten ihrerseits herbeigeführt hat.
Darüber hinaus hätte die Klägerin nicht blind darauf vertrauen dürfen, dass ihrem Antrag, obwohl sie diesbezüglich nie eine Bestätigung erhalten hat, stattgegeben und eine entsprechende Zahlung veranlasst wurde. Vielmehr hätte sich die Klägerin zumindest beim Sozialhilfeträger erkundigen müssen, ob ihr Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten bearbeitet und genehmigt sowie eine entsprechende Zahlung an die Beklagte veranlasst wurde. Dies tat die Klägerin jedoch gerade nicht. Vielmehr stützte sie ihr Vertrauen einzig und alleine darauf, dass sie weder vom zuständigen Sozialhilfeträger noch von der Beklagten eine weitere Rückmeldung erhielt.
Die Beklagte hat keinen Umstand gesetzt, aufgrund dessen die Klägerin hätte darauf vertrauen dürfen, dass sie für die Bestattungskosten ihrer Mutter nicht mehr in Anspruch genommen wird. Insbesondere kommt nach den allgemein geltenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung bloßem Schweigen in der Regel noch kein Erklärungswert zu. Dies ist ausnahmsweise nur dann der Fall, wenn dies entweder explizit gesetzlich bestimmt ist, wobei dies in der Regel eines vorherigen expliziten Hinweises auf die Konsequenzen eines etwaigen Schweigens voraussetzt, oder ganz ausnahmsweise dem Schweigen in bestimmten Situationen nach allgemeiner Verkehrssitte ein bestimmter Erklärungswert zugestanden wird.
Wie die Beklagte in ihrer Klageerwiderung zu Recht eingewandt hat, ist im Rahmen der Eingriffsverwaltung ein Verwaltungshandeln grundsätzlich erst beendet, wenn die Verwaltung dies erklärt. Bloßem Schweigen – noch dazu innerhalb der Festsetzungsfrist – kommt demnach schon nach allgemeiner Verkehrssitte grundsätzlich kein Erklärungswert zu (§ 157 BGB analog).
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte bei der Aufforderung gegenüber der Klägerin, ihrer Bestattungspflicht nachzukommen sowie der – nach Weigerung der Klägerin – im Wege der Ersatzvornahme vorgenommenen Anordnung der Bestattung von Amts wegen, in einem deutlich kürzeren zeitlichen Rahmen agierte. Aus Gründen des Seuchenschutzes und der Gefahrenabwehr ist zur Bestattung von Verstorbenen ein enges Zeitfenster einzuhalten. Jegliche Verzögerungen sind zu vermeiden. Solche Dringlichkeitsgründe, welche ein zügiges Handeln der Gemeinde erfordern, sind bei bloßen Zahlungsansprüchen aufgrund einer Ersatzvornahme nicht gegeben, da die Gefahrenquelle bereits durch die Ersatzvornahme beseitigt wurde. Aus diesem Grund können Kostenbescheide zur Übernahme der durch eine Ersatzvornahme angefallenen Kosten auch mit größerem zeitlichem Abstand zum Grundverwaltungsakt erlassen werden. Der Gesetzgeber räumt – anders als bei der Bestattungsfrist (siehe § 19 Abs. 1 BestV) – der Behörde hierbei auch eine deutlich längere Festsetzungsfrist (Art. 71 AGBGB) ein, welche vorliegend nicht überschritten wurde.
Das seitens der Klägerin entstandene Vertrauen dahingehend, die Zahlungsverpflichtung habe sich bereits erledigt, war demnach weder rechtlich schützenswert noch die Beklagte für das entstandene Vertrauen verantwortlich zu machen.
2. Auch die in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Verpflichtung der Klägerin, die für die Erteilung des Bescheides angefallenen Gebühren in Höhe von 50 EUR sowie die für die Postzustellung angefallenen Auslagen in Höhe von 2,49 EUR zu zahlen, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die festgesetzten Gebühren sind §§ 1, 2 Abs. 1, 3 der städtischen Kostensatzung i.V. m. Art. 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Kostengesetz. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Auslagen sind §§ 1, 3 Abs. 2 Nr. 2 der Kostensatzung.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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