IT- und Medienrecht

Verdachtsberichterstattung über Amtswalter

Aktenzeichen  AN 4 E 19.02363

Datum:
17.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34339
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
BeamtStG § 45
BayPrG Art. 10
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 123
ZPO § 920 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Der notfalls auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgende eigene Anspruch des von einer Verdachtsberichterstattung betroffenen Amtswalters auf Aufnahme einer Gegendarstellung (Art. 10 BayPrG) steht dem Rechtsschutzbedürfnis für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren, das auf die Geltendmachung eines Gegendarstellungsanspruchs durch den Dienstherrn gerichtet ist, entgegen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abgabe einer richtigstellenden Presseerklärung im Wege der einstweiligen Anordnung stellt eine Vorwegnahme der Hauptsache dar und ist nur unter Zugrundelegung des insofern geltenden strengen Maßstabs zulässig. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zum Schutz der persönlichen Ehre gehört nur der Schutz gegen verfälschende, entstellende oder herabsetzende öffentliche Darstellungen, nicht aber das Recht, in der Öffentlichkeit nur nach eigenen Vorstellungen dargestellt zu werden. Die Berichterstattung über laufende strafrechtliche Ermittlungen hält diese Grenzen ein, wenn über einen auf einen Mindestbestand an Beweistatsachen gestützten Verdacht berichtet wird, an dem wegen der Person des Verdächtigen im Hinblick auf seine Organstellung ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Staat oder staatliche Stellen haben weder eine persönliche Ehre noch sind sie Träger des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie können daher nur das Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptenz, Respekt und Achtung in Anspruch nehmen, ohne das sie ihre dem Gemeinwohl verpflichtete Funktion nicht wirksam wahrnehmen können. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin macht gegen die Antragsgegnerin im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen Anspruch auf Richtigstellung wegen ehrverletzender unwahrer Tatsachenbehauptungen in einem Zeitungsartikel geltend.
Die Antragstellerin ist amtierende Erste Bürgermeisterin der Antragsgegnerin. Gegen sie wurde wegen Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall Anklage (Az.: … …) erhoben. Die Staatsanwaltschaft … wirft ihr vor, die Begleichung von ihr in einem privaten Rechtsstreit auferlegten außergerichtlichen Kosten des Gegners in Höhe von 1.599,29 EUR aus der Stadtkasse der Antragsgegnerin angewiesen zu haben. Hinsichtlich der ihr in demselben Rechtsstreit auferlegten Gerichtskosten in Höhe von 660,- EUR, die ebenfalls von der Stadtkasse beglichen wurden, wurde das Ermittlungsverfahren zunächst eingestellt, weil eine persönliche Anweisung der Antragstellerin nicht nachweisbar vorgelegen habe.
In der … vom 31. Oktober 2019 wurde über „Neue Vorwürfe im Stadtrat – Stellvertretender Bürgermeister von … zu Anklage gegen …“ berichtet. Die Antragstellerin habe gegenüber der … erklärt, dass die zweite Zahlung durch den geschäftsleitenden Beamten der Antragsgegnerin freigegeben worden sei. Hingegen habe der Zweite Bürgermeister der Antragsgegnerin, …, in einer durch ihn als Vertreter für die Antragstellerin geleiteten Stadtratssitzung erklärt, dass die Antragstellerin diese Rechnung als sachlich und richtig gegengezeichnet habe und der Leiter der Haupt- und Personalverwaltung der Antragsgegnerin, …, ganz klar nicht anders habe handeln können. Er und der Dritte Bürgermeister, …, möchten … den Rücken stärken. Leitender Oberstaatsanwalt … habe erklärt, dass bei Erkenntnis neuer Aspekte eine Wiederaufnahme des eingestellten Ermittlungsverfahrens und ein Nachtrag zu der erhobenen Anklage in Frage kämen. Die Zulassung der Anklage zur Verhandlung müsse nun gerichtlich geprüft werden.
Mit Schreiben an die Antragsgegnerin und das Landratsamt … vom 18. November 2019 (Bl. 112 f. der Gerichtsakte) forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin u.a. auf, unverzüglich ihrer Fürsorgepflicht als Dienstherrin nachzukommen und dem ihre Persönlichkeitsrechte beeinträchtigenden Zeitungsartikel vom 31. Oktober 2019 durch eine klarstellende Presseerklärung entgegenzutreten bzw. sich durch Geltendmachung eines Gegendarstellungsanspruchs vor sie zu stellen. Die Behauptungen von … seien falsch. Der Sachverhalt sei so, wie sie und im Übrigen auch die Staatsanwaltschaft zuvor dargelegt habe. Auch aus Sicht des geschäftsleitenden Beamten habe es offenkundig und richtigerweise keinen Hinweis dafür gegeben, dass die Auszahlung nicht in Ordnung gewesen wäre und er somit seiner Remonstrationspflicht hätte nachkommen müssen. Dies sei klar und richtig zu stellen. Weiter sei die Rede … von neuen Aspekten realitätsfern. Es erscheine höchst unglaubwürdig, dass die Staatsanwaltschaft im Rathaus ermittelt, Zeugen befragt, aber den fraglichen Beleg nicht in Augenschein nimmt. Dies stütze den Anschein der ergebnisorientierten Ermittlung oder aber einer wahrheitswidrigen Berichterstattung. Auf jeden Fall fehle der Hinweis auf die Unschuldsvermutung.
Mit weiterem Schreiben vom 24. November 2019 (Bl. 151 f. der Gerichtsakte) forderte die Antragstellerin den Stadtrat der Antragsgegnerin auf, in seiner Sitzung am 26. November 2019 zu beschließen, seiner Fürsorgepflicht u.a. in Verbindung mit dem Zeitungsartikel vom 31. Oktober 2019 unverzüglich nachzukommen. Mit Schreiben vom 19. November 2019 (Bl. 184 der Gerichtsakte) teilte … der Antragstellerin mit, dass der Stadtrat am 26. November 2019 in nichtöffentlicher Sitzung ihr Anliegen beraten werde.
Mit Schreiben vom 28. November 2019 (Bl. 207 der Gerichtsakte) teilte die Staatsanwaltschaft … der Antragstellerin mit, dass die Ermittlungen bezüglich der Zahlung von 660,00 EUR durch Anweisung vom 18. April 2019 und Zahlung am 23. April 2019 an die Landesjustizkasse Bayern wiederaufgenommen worden seien.
Mit bei Gericht am 28. November 2019 eingegangenem Schreiben hat die Antragstellerin Klage gegen die Antragsgegnerin erhoben (AN 4 K 19.02634) und beantragt zuletzt mit Schreiben vom 5. Dezember 2019,
die Antragsgegnerin / den Stadtrat der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu der beantragten Richtigstellung zu dem Artikel in der … vom 31.10.2019 zu verpflichten.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Stadtrat der Antragsgegnerin am 26. November 2019 in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen habe, auf das Schreiben der Antragstellerin vom 18. November 2019 nicht zu reagieren. … habe am 27. und 28. November 2019 im Gespräch die Abgabe einer Unterlassungserklärung verweigert.
Die Zahlungsanweisung sei von dem geschäftsleitenden Beamten … im Rahmen seiner Befugnisse und Zuständigkeiten, wenn vielleicht nicht ausgestellt (dies geschehe in der Regel auf Sachbearbeiterebene), aber doch verantwortlich unterzeichnet und zur Zahlung frei gegeben worden. … sei als Beamter für die Rechtmäßigkeit seiner eigenen Handlungen verantwortlich, sodass er etwaige Bedenken gegen die Anordnung/Auszahlung unverzüglich im Rahmen seiner Remonstrationspflicht nach § 36 BeamtStG hätte geltend machen müssen. Dies habe er mangels Grund für Bedenken (zu Recht) nicht getan.
Durch den Zeitungsartikel vom 31. Oktober 2019, insbesondere die darin enthaltenen unwahren Behauptungen von …, werde in der Öffentlichkeit der falschen Eindruck erweckt und bestärkt, dass die Antragstellerin sich einer schweren Straftat schuldig gemacht und die Mitwirkung eines Stadtbeamten hieran veranlasst habe, der dazu geeignet sei, der Vorverurteilung Vorschub zu leisten. Wäre … tatsächlich von der Rechtswidrigkeit der Auszahlung und somit von ihrer Schuld überzeugt, hätte er auch disziplinarisch gegen … vorgehen müssen. Dieses gezielte und bewusste Schädigen ihres Ansehens, des Ansehens des Bürgermeisteramtes und des Ansehens der Stadt führe zu einem Vertrauensverlust, der sich faktisch auf alle ihrer Amtshandlungen mit Außen- und teils sogar mit Innenwirkung (im personellen Bereich) auswirke und eine angemessene Amtsausübung unmöglich mache. Mit diesen Methoden werde letztlich bezweckt, sie rechtzeitig vor der nächsten Kommunalwahl aus dem Amt zu vertreiben. Die negativen Folgen (wirtschaftlich, gesellschaftlich, gesundheitlich) der Angriffe auf ihr Organ würden naturgemäß auch ihre Rechte als Beamtin und natürliche Person beeinträchtigen (Gemengelage) und seien mit der Fürsorgepflicht der Antragsgegnerin, sie insbesondere vor „Mobbing“ zu schützen, nicht vereinbar. Eine Schadensbegrenzung sei mit Blick auf die akute Wiederholungsgefahr nur durch unverzügliche Klärung und wirksame Prävention möglich.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2019 beantragt die Antragsgegnerin, den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückzuweisen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sowohl die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs als auch die Passivlegitimation der Antragsgegnerin zu verneinen sei. Die Antragstellerin sei gehalten, unmittelbar gegen die … im Zivilrechtswege vorzugehen. Letztlich erweise sich das Vertrauensverhältnis der Antragstellerin zum Stadtrat der Antragsgegnerin als politisch belastet, was einer Kontrolle durch die Judikative nicht zugänglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet. Es handelt sich vorliegend um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Antragstellerin beruft sich ausdrücklich auf ihre organschaftlichen Rechte aus der Stellung als Erste Bürgermeisterin und wendet sich gegen die Antragsgegnerin, um diese geltend zu machen.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, entweder in Bezug auf den Streitgegenstand, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen. Eine – dem Begehren der Antragstellerin (§ 123 Abs. 4, § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) entsprechende – Regelungsanordnung setzt demnach voraus, dass die Antragstellerin die einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund begründenden Tatsachen glaubhaft gemacht hat, § 123 Abs. 3 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Der Anordnungsanspruch ist identisch mit dem im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiell-rechtlichen Anspruch der Antragstellerin. Der Anordnungsgrund betrifft dabei die Dringlichkeit der Rechtsschutzgewährung. Demnach kommt eine Regelungsanordnung nur in Betracht, wenn ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre und auch ein Zuwarten auf die Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar wäre. Nimmt der Erlass einer Regelungsanordnung die Hauptsache im Wesentlichen vorweg, so ist dem Antrag nur ausnahmsweise dann stattzugeben, wenn eine Hauptsacheentscheidung schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde und das Abwarten in der Hauptsache für die Antragstellerin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – NVwZ-RR 2014, 558 – juris Rn. 5, 7 m.w.N.).
Sofern die begehrte Richtigstellung auf die Geltendmachung eines Gegendarstellungsanspruchs gerichtet ist, fehlt dem Antrag bereits das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Antragstellerin nach Art. 10 BayPrG einen eigenen Anspruch gegen die … auf Aufnahme ihrer Gegendarstellung hat, den sie gegebenenfalls auch – im Zivilrechtsweg – gerichtlich verfolgen kann. Demgegenüber steht ein solcher Anspruch der Antragsgegnerin mangels unmittelbarer Betroffenheit gerade nicht zu.
Im Übrigen, d.h. sofern die begehrte Richtigstellung auf die Abgabe einer klarstellenden Presseerklärung gerichtet ist, ist der Antrag jedenfalls unbegründet, weil der Erlass der begehrten Regelungsanordnung die Entscheidung im Hauptsacheverfahren in unzulässiger Weise zulasten der Antragsgegnerin endgültig vorwegnehmen würde. Wird die Antragsgegnerin antragsgemäß im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die begehrte Richtigstellung zu veranlassen, würde sich die Hauptsache insoweit bereits wegen Zweckerreichung erledigen (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 102). Von dem bei einer Vorwegnahme der Hauptsache geltenden strengeren Maßstab ausgehend hat die Antragstellerin die einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund begründenden Tatsachen nicht glaubhaft gemacht.
1. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der von ihr mit der Hauptsache verfolgte Anspruch erkennbar begründet wäre.
Es kann dahin stehen, ob die Antragstellerin den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch (als natürliche Person) auf die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) stützen, oder (als Stadtbeamtin) aus der Fürsorgepflicht der Antragsgegnerin als ihre Dienstherrin (§ 45 BeamtStG) ableiten, oder (als Stadtorgan) zur Wahrung ihr zugewiesener wehrfähiger Innenrechtspositionen einsetzen kann. Denn es ist nach derzeitiger Sachlage bereits nicht ersichtlich, dass der Zeitungsartikel vom 31. Oktober 2019 das soziale Ansehen der Antragstellerin in rechtswidriger Weise beeinträchtigt, sodass er auch weder Fürsorgemaßnahmen veranlassen noch eine innerorganisatorische Störung nach sich ziehen kann.
Zum Schutz der persönlichen Ehre gehört nur der Schutz gegen verfälschende, entstellende oder herabsetzende öffentliche Darstellungen, nicht aber das Recht, in der Öffentlichkeit nur nach den eigenen Vorstellungen dargestellt zu werden (vgl. Schmidt in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, GG Art. 2 Rn. 45).
a) Der Zeitungsartikel vom 31. Oktober 2019 hält sich in den für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung über laufende strafrechtliche Ermittlungen gezogenen Grenzen. Es liegt ein auf einen Mindestbestand an Beweistatsachen gestützter Verdacht vor, an dem jedenfalls wegen der Person des Verdächtigen im Hinblick auf ihre Organstellung als Erste Bürgermeisterin ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht (vgl. BGH, U.v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99 – BGHZ 143, 199 – juris Rn. 20).
Dabei dürfen die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt und die Wahrheitspflicht nicht überspannt werden. Insbesondere ist die Presse bei der Wiedergabe amtlicher Verlautbarungen, vorliegend der Staatsanwaltschaft … und des Zweiten Bürgermeisters der Antragsgegnerin, weitgehend von einer eigenen Pflicht zur Nachrecherche entbunden. Diesen darf sie grundsätzlich ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen, weil Behörden in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden und zur Objektivität verpflichtet sind (vgl. BGH, U.v. 11.12.2012 – VI ZR 314/10 – juris Rn. 30 m.w.N.). Objektive Anhaltspunkte für eine von der Antragstellerin suggerierte „wahrheitswidrige Berichterstattung“ im Sinne einer entstellten, verzerrten oder gefärbten Wiedergabe bestehen nicht. Vielmehr wird durch das Schreiben der Staatsanwaltschaft … vom 28. November 2019 bestätigt, dass die Ermittlungen hinsichtlich der Zahlung von 660,00 EUR tatsächlich wiederaufgenommen wurden.
Unschädlich ist das Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf die Unschuldsvermutung. Der Zeitungsartikel vom 31. Oktober 2019 enthält inhaltlich keine Vorverurteilung der Antragstellerin, in dem er durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erweckt, diese sei der ihr vorgeworfenen Straftat bereits überführt. Insbesondere wurden persönliche Stellungnahmen der Antragstellerin, in denen sie Tatsachen und Argumente zu ihrer Entlastung vorträgt, eingeholt und mit abgedruckt. Hinsichtlich der Zahlung von 1.599,29 EUR wurde am Ende des Artikels darauf hingewiesen, dass die Zulassung der Anklage zur Verhandlung noch der gerichtlichen Prüfung unterliege. Hinsichtlich der Zahlung von 600,- EUR wurde lediglich darüber berichtet, dass die Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen angekündigt habe und bei neuen Erkenntnissen das zuvor eingestellte Ermittlungsverfahren wiederaufnehmen könnte.
b) Dass die Staatsanwaltschaft oder der Zweite Bürgermeister bei der Pressearbeit ihrerseits die Grenzen zulässiger Verdachtsberichtserstattung (vgl. OLG Hamm, U.v. 14.11.2014 – I-11 U 129/13 – juris Rn. 43) oder die rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Äußerungen in Form des Sachlichkeitsgebotes (vgl. OVG NW, B.v. 12.7.2005 – 15 B 1099/05 – juris Rn. 15) nicht beachtet hätten, ist nach derzeitiger Sachlage nicht glaubhaft gemacht.
Abgesehen davon, dass etwaige Fehler oder Verzögerungen im Ermittlungsverfahren als solche weder für noch gegen die Glaubwürdigkeit eines Staatsanwalts sprechen können, bestehen keine objektiven Anhaltspunkte für eine von der Antragstellerin suggerierten „ergebnisorientierten Ermittlung“. Weder im Zeitungsartikel vom 31. Oktober 2019 noch im Schreiben der Staatsanwaltschaft … vom 28. November 2019 wurde mitgeteilt, welche „neuen Aspekte“ zur Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens geführt haben. Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von … kann die Antragstellerin nicht damit begründen, indem sie der Staatsanwaltschaft eine bestimmte Vorgehensweise zunächst unterstellt, um diese sodann – vorsorglich – als realitätsfern zu rügen.
Unschädlich ist auch, dass der Wahrheitsgehalt der von … behaupteten Tatsachen – entsprechend dem Wesen einer Verdachtsberichterstattung – noch nicht erwiesen ist. Zunächst ist festzustellen, dass die beanstandeten Behauptungen – ihrem objektiven Erklärungsgehalt nach (§§ 133, 157 BGB analog) – in erster Linie nicht die Belastung der Antragstellerin, sondern die Entlastung des unstreitig an der objektiven Verwirklichung des in Frage stehenden Untreuetatbestands beteiligten Stadtbeamten … bezwecken, wovon ausweislich der Zwischenüberschrift „Unterstützung für Verwaltungsleiter“ auch die Autoren des Zeitungsartikels ausgehen. Gerade auch im Hinblick auf die gegenüber … – ebenfalls – bestehende Fürsorgepflicht der Antragsgegnerin durfte … die Mitteilung von Entlastungsargumenten für erforderlich halten, zumal diese trotz Öffentlichkeit der Stadtratssitzung primär an die Ratsmitglieder gerichtet war. Nach derzeitiger Sachlage ist auch nicht anzunehmen, dass sich die Behauptungen … im Rahmen des Hauptsacheverfahrens als falsch erweisen würden. Zur Begründung der Unwahrheit dieser Behauptungen bezieht sich die Antragstellerin zunächst auf die von ihr und der Staatsanwaltschaft zuvor gemachten Angaben, die aber bereits in dem Zeitungsartikel abgedruckt wurden. Zudem sind die von der Staatsanwaltschaft für die ursprüngliche Verfahrenseinstellung angeführten Gründe durch Wiederaufnahme der Ermittlungen nunmehr überholt. Sodann stellt die Antragstellerin darauf ab, dass … die ihm obliegende Remonstrationspflicht offenkundig nicht verletzt habe. Diese Frage kann jedoch erst bei Vorliegen einer dienstlichen Anordnung, vorliegend im Sinne einer Zahlungsanweisung durch die Antragstellerin, überhaupt relevant werden (vgl. § 36 Abs. 2 und 3 BeamtStG). Schließlich ist die Argumentation, dass … bei tatsächlicher Überzeugung von der Rechtswidrigkeit der Auszahlung konsequenterweise auch Disziplinarmaßnahmen gegen … hätte einleiten müssen, nicht nachvollziehbar. Die objektive Rechtswidrigkeit einer Handlung allein kann in der Regel weder eine Straftat noch ein Dienstvergehen begründen. Strafbar ist grundsätzlich nur vorsätzliches (§ 15 StGB) und schuldhaftes (§§ 19-21 StGB) Handeln, wobei jeder Beteiligte ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft wird (§ 29 StGB). Auch das Vorliegen eines Dienstvergehens setzt eine schuldhafte Pflichtverletzung voraus (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG).
c) Ein weitergehender Ehrenschutz kann die Antragstellerin aus ihrer Organstellung als Erste Bürgermeisterin heraus gerade nicht beanspruchen, weil Staat und staatliche Stellen weder eine persönliche Ehre haben noch Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind. Sie können insoweit nur ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz, Respekt und Achtung reklamieren, ohne das sie ihre dem Gemeinwohl verpflichtete Funktionen nicht wirksam wahrnehmen können. Dieser notwendige Schutz darf aber nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen – eine unter Umständen in scharfer Form geführte – öffentliche Kritik abzuschirmen. Vielmehr bedarf es einer besonderen Begründung, wenn Amtswalter im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung eine persönliche Betroffenheit in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geltend machen. Als Teil des Staates muss sich der einzelne Amtswalter nämlich ein hohes Maß an öffentlicher Kritik und Kontrolle gefallen lassen (zum Ganzen: Gersdorf in BeckOK InfoMedienR, 26. Ed. 1.8.2019, GG Art. 2 Rn. 37 m.w.N.).
Auf konkurrierende Fürsorgepflichten, die auch der Stadtbeamte … für sich in Anspruch nehmen kann, muss vorliegend nicht mehr gesondert eingegangen werden.
2. Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr bei einem Abwarten in der Hauptsache schwere, unzumutbare und irreparable Nachteile entstünden.
Die mit der – auch wiederholten – öffentlichen Berichterstattung über einen strafrechtlichen Tatvorwurf einhergehende Gefahr der negativen Qualifizierung der Person des Beschuldigten in den Augen der Adressaten ist in den Grenzen der zulässigen Verdachtsberichterstattung hinzunehmen. Zwar wäre auch im Falle einer späteren Richtigstellung nicht ausgeschlossen, dass von diesem Tatvorwurf „etwas hängenbleibt“. Eine Rehabilitation des sozialen Ansehens der Antragstellerin erscheint aber nicht schlechthin unmöglich. Unschädlich ist, dass eine spätere Richtigstellung bei den Adressaten möglicherweise auf eine schwächere Resonanz treffen würde, weil das öffentliche Interesse an zurückliegende Vorgänge naturgemäß im Laufe der Zeit abnimmt.
Inwiefern die unverzügliche Zurückfahrung der durch die streitgegenständliche Berichterstattung ausgelösten öffentlichen Diskussion auch zur Vermeidung konkreter wirtschaftlicher oder gesundheitlicher Nachteile notwendig wäre, ist nicht ersichtlich. Insbesondere können allein aus dem Umstand, dass die Antragstellerin für die Zeit vom 24. Oktober bis 26. November und vom 2. bis voraussichtlich 15. Dezember 2019 krankgeschrieben wurde (Bl. 1 der Personalakte), keine Schlüsse gezogen werden, zumal sich der Grund für ihre Arbeitsunfähigkeit aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen (Bl. 6-8 der Personalakte) nicht ergibt. Das Gericht erkennt an, dass mit der Übernahme eines öffentlichen Amtes eine hohe persönliche Belastung verbunden ist. Nicht zuletzt deswegen werden hierfür regelmäßig gerade belastbare Persönlichkeiten gesucht, die dem Druck und der Verantwortung des öffentlichen Amtes standhalten können.
Dass sich aus dem Unterbleiben der begehrten Fürsorgemaßnahmen – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses – weitergehende schwere und unzumutbare Nachteile ergeben würden, ist indessen nicht erkennbar. Hier kommt vielmehr hinzu, dass die im Verdacht stehende Straftat gegen das Vermögen der Antragsgegnerin selbst gerichtet ist und somit die der Antragstellerin als Beamtin ihrerseits gegenüber der Antragsgegnerin als Dienstherrin obliegende Treuepflicht (§ 3 Abs. 1 BeamtStG) verletzt. Zwischen der Treuepflicht des Beamten und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn besteht aber ein synallagmatisches Verhältnis dergestalt, dass der Bestand der einen Pflicht zugleich den Rechtfertigungsgrund für die andere Pflicht gegen- und wechselseitig darstellt (Werres in BeckOK BeamtenR Bund, 16. Ed. 1.2.2019, BeamtStG § 3 Rn. 4). In diesem Sinne ist auch in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Anspruch auf Fürsorge dann eingeschränkt ist, wenn der Ausgang des Strafverfahrens für den Dienstherrn nach pflichtgemäßer Prüfung nicht absehbar ist. Erhärtet sich im Nachhinein der Tatvorwurf, wäre es zudem dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung in hohem Maße abträglich, wenn einem Beamten für dieses Verfahren Schutz gewährt worden ist (vgl. zur Übernahme von Rechtsverteidigungskosten: OVG RhPf, U.v. 28.6.2000 – 2 A 10283/00 – juris Rn. 30).
Schließlich hat die Antragstellerin auch nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern die Auswirkungen einer „öffentlichen Rufschädigung“ die angemessene Wahrnehmung der ihr durch die Gemeindeordnung und die Geschäftsordnung für den Stadtrat der Antragsgegnerin zugewiesenen Rechte und Pflichten in schwerwiegender und unzumutbarer Weise behindern würden. Sofern die gebotene loyale und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ihr und den anderen Stadtorganen oder -bediensteten grundlegend gestört ist, so wäre die begehrte Richtigstellung allenfalls zur Behandlung eines Symptoms, nicht aber der Ursache geeignet.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
3. Die Antragstellerin trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 22.7, Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Von einer Anhebung des Streitwerts bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts (10.000,00 EUR) wird abgesehen.


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