IT- und Medienrecht

Verpflichtung zum Abhängen eines Wahlplakats

Aktenzeichen  M 22 E 17.4359

Datum:
20.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2, § 123 Abs. 1
LStVG LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

1. Die “eingeschränkte” Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 LStVG erfasst nicht jegliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, sondern bezieht sich nur auf die Verhütung bzw. Unterbindung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie von verfassungsfeindlichen Handlungen und ist nicht drittschützend, jedenfalls wenn und soweit die in Bezug genommenen Normen nicht auch einen entsprechenden Schutzzweck verfolgen. (Rn. 14 und 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO setzt zunächst die mögliche Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Antagstellers voraus, die nicht gegeben ist, wenn er durch ein beanstandetes Wahlplakat weder in seiner Person noch in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe angesprochen wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Direktkandidatin der Partei Bündnis 90/Die Grünen für die anstehende Bundestagswahl am 24. September 2017. Im Stadtgebiet der Antragsgegnerin wurden an zwei Orten Wahlplakate der Nationaldemokratischen Partei (NPD) aufgehängt, auf denen der Spruch „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ zu lesen ist.
Mit am 13. September 2017 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begehrt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung und beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abhängung des an der R. Straße 30 in Ingolstadt und am A./Ecke R. W. Straße direkt vor einer Asylunterkunft hängenden NPD-Wahlplakats mit der Aufschrift „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ anzuordnen.
Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor, der Inhalt des Wahlplakats sei nicht mehr vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Es liege ein Verstoß gegen das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) vor, das einem Gutachten einer Professorin der Universität Würzburg zufolge auch bei der Anwendung der polizeirechtlichen Generalklausel berücksichtigt werden müsse. Durch das Plakat würden Angehörige einer Minderheit verächtlich gemacht, was ein den sozialen Zusammenhalt zerstörendes Meinungsklima schaffe. Dies sei mit den herrschenden ethischen und sozialen Anschauungen nicht vereinbar.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom 15. September 2017, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, sie könne die von der Antragstellerin begehrte Anordnung nur im Rahmen der ihr als Sicherheitsbehörde zugewiesenen Befugnisse und der im Gesetz enthaltenen Einschränkungen erlassen. Eine sicherheitsrechtliche Generalklausel zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei im LStVG jedoch nicht enthalten, wovon das von der Antragstellerin zur Begründung des Antrags zitierte Rechtsgutachten jedoch ausgehe. Vielmehr bedürfe es für eine Anordnung zur Entfernung des Plakats den spezifischen Voraussetzungen der Art. 7 Abs. 2 LStVG. Jedoch seien verwirklichte Straftatbestände bzw. Ordnungswidrigkeiten nicht gegen, insbesondere erfülle der Inhalt des Plakats nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 StGB. Der Wortlaut sei nicht geeignet, die Bevölkerung dazu „anzustacheln“ die ethnische Gruppe aktiv zu diskriminieren oder ihr Gewalt anzutun.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragte mit Schriftsatz vom 18. September 2017, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antrag sei bereits unzulässig, da die Antragstellerin nicht geltend machen könne, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Zudem sei die Äußerung auf dem Plakat vom Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt und verwirkliche den Tatbestand der Volkverhetzung nicht. Ein Verstoß gegen völkerrechtliche Verträge sei unerheblich, da durch diese lediglich die unterzeichnenden Staaten gebunden und keinerlei Rechte für einzelne Bürger begründet würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg und erweist sich bereits als unzulässig. Der Antragstellerin fehlt es an einer Antragsbefugnis, da für eine mögliche Rechtsverletzung in eigenen subjektiven Rechten nichts ersichtlich ist.
1. Die zum Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis setzt zum Zwecke des Ausschlusses sog. Popularklagen analog § 42 Abs. 2 VwGO voraus, dass die Antragstellerin die zumindest mögliche Verletzung eigener subjektiver Rechte geltend macht (vgl. OVG Saarlouis, B.v. 14.5.2014 – 1 D 272/14 – juris Rn. 4; Wahl/Schütz in: Schneider/Schoch/Bier, VwGO, § 42 Abs. 2, 32. Ergänzungslieferung Oktober 2016, Rn. 35). Als Rechte, deren Verletzung geltend gemacht werden können und die Voraussetzung für die Antragsbefugnis sind, kommen alle Normen in Betracht, die entweder ausschließlich oder – neben anderen Zwecken – zumindest auch dem Schutz der Interessen der Antragstellerin zu dienen bestimmt sind. Nicht ausreichend sind dagegen lediglich ideelle, wirtschaftliche oder ähnliche Interessen (vgl. OVG Saarlouis, a.a.O. Rn. 4).
Soweit die Befugnisnorm, die die Behörde zu einem Tätigwerden ermächtigt, dieser ein Ermessen einräumt, ist weiter zu beachten, dass dann dem ein Einschreiten Begehrenden regelmäßig nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Ob und Wie eines Einschreitens zusteht. Ausnahmsweise kann sich dieser Anspruch aber auf einen Anspruch auf Einschreiten verdichten, wenn keine andere Entscheidung in der Sache rechtmäßig wäre (Ermessenreduzierung auf Null).
Dafür, dass die Antragstellerin durch das Aufhängen des Plakates in eigenen Rechten verletzt sein könnte, ist aber nichts ersichtlich.
Ein sicherheitsrechtliches Einschreiten käme hier allenfalls dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen der Befugnisnorm des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 LStVG erfüllt wären. Danach kann die zuständige Sicherheitsbehörde, soweit eine entsprechende Ermächtigung nicht in Vorschriften des LStVG oder anderen Rechtsvorschriften enthalten ist, zur Erfüllung ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr für Einzelfall Anordnungen treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder Ordnungswidrigkeit verwirklichen, oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden (Nr. 1) oder durch solche Handlungen verursachte Zustände zu beseitigen (Nr. 2).
Nach Auffassung der Kammer liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm nicht vor. Zu dem Vorbringen der Antragstellerin, insbesondere dem Gutachten, auf das sie sich bezieht, sei in diesem Zusammenhang bemerkt, dass dort im Wesentlichen auf das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abgestellt wird. Die „eingeschränkte“ Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 LStVG erfasst aber nicht jegliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, sondern bezieht sich soweit hier interessierend wie ausgeführt nur auf die Verhütung bzw. Unterbindung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie die Beseitigung hierdurch verursachter Zustände.
Auf die Frage, ob ein Einschreiten nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 LStVG möglich wäre, kommt es aber ohnehin nicht entscheidend an, da die Bestimmung der Antragstellerin ein subjektiv-öffentliches Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Einschreiten nur dann vermitteln könnte, wenn die in Bezug genommenen Vorschriften des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts ihrerseits den Schutz privater Rechte dienen würden und die Antragstellerin eine Verletzung dieser Rechte in eigener Person zu gewärtigen hätte oder eine solche bereits eingetreten wäre.
Das ist aber offenkundig nicht der Fall, da nichts dahingehend ersichtlich ist, dass die Antragstellerin durch das in Rede stehende Wahlplakat möglicherweise in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein könnte. Die für ein behördliches Einschreiten allein in Betracht kommende Norm des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 LStVG ist nach Auffassung der Kammer nicht drittschützend, jedenfalls wenn und soweit die in Bezug genommenen Normen nicht auch einen entsprechenden Schutzzweck verfolgen. Das ist hier aber nicht der Fall. Zwar kann ohne Weiteres nachvollzogen werden, dass die Antragstellerin ihrer persönlichen Einschätzung nach das betreffende Wahlplakat als anstößig und deplatziert einstuft. Dies genügt jedoch zur Geltendmachung einer zumindest möglichen Verletzung eigener Rechte i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin durch das beanstandete Plakat weder in ihrer Person noch ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe angesprochen wird. Die Antragstellerin hat weder vorgetragen noch ist anderweitig ersichtlich, dass sie der Volksgruppe der Sinti und Roma angehört. Ein ehrverletzender Inhalt liegt demnach – was die Antragstellerin betrifft – nicht vor.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 sowie Ziffer 35.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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