IT- und Medienrecht

Vorläufige Dienstenthebung wegen Verletzung der Mäßigungspflicht

Aktenzeichen  2 WDB 2/20

Datum:
31.3.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2020:310320B2WDB2.20.0
Normen:
§ 8 SG
§ 10 Abs 6 SG
§ 12 S 2 SG
§ 17 SG
§ 81 Abs 2 S 1 WDO 2002
§ 114 Abs 1 S 1 WDO 2002
§ 126 Abs 1 WDO 2002
§ 126 Abs 2 WDO 2002
§ 45 Abs 1 Nr 2 VwVfG
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat

Leitsatz

1. Für die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und eines Uniformtrageverbots nach § 126 Abs. 1 WDO genügt es, wenn voraussichtlich die Dienstgradherabsetzung als zweitschwerste Disziplinarmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde.
2. Bewahrt ein Soldat Audiodateien mit rechtsextremistischen Liedern im Kasernenbereich auf, ohne dass er sie Kameraden überlässt, sie mit Kameraden anhört oder sich des Besitzes dieser Lieder berühmt, begeht er nur dann eine Dienstpflichtverletzung, wenn die Aufbewahrung dieser Lieder im Kasernenbereich durch innerdienstliche Weisung untersagt ist.

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Nord, 29. Oktober 2019, Az: N 3 GL 1/19, Beschluss

Tenor

Auf die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird der Beschluss der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 29. Oktober 2019 abgeändert. Der Antrag des Soldaten, die vorläufige Dienstenthebung und das Uniformtrageverbot aufzuheben, wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Tatbestand

1
Die Beschwerde betrifft ein hauptsächlich auf die vorläufige Dienstenthebung gerichtetes Verfahren wegen Verletzung der politischen Treuepflicht.
2
1. Der Kommandeur der … leitete mit Verfügung vom 13. Dezember 2018 gegen den … geborenen Zeitsoldaten im Dienstgrad eines Oberleutnants ein gerichtliches Disziplinarverfahren ein und ordnete dessen vorläufige Dienstenthebung, ein Uniformtrageverbot und die Einbehaltung von 35 % seiner Dienstbezüge an. Folgende Tatvorwürfe wurden als Grund angegeben:
1. Sie verwendeten am … im Offizierslager vor … im …, …, in …, mit den gesondert verfolgten Zeugen …, … und … mit den Zeugen ein “FDGO-Würdenträger”-Schild, welches diejenige Person tragen durfte, welche sich in seinen Aussagen am stärksten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wandte.
2. Sie kommentierten am … gegen … Uhr in der WhatsApp-Gruppe “…”, der ausschließlich Teilnehmer des …lehrgangs … der … angehörten, die Nachricht des Zeugen … “Männer! Wir feiern den glorreichen rucks Rückschlag des deutschen Reiches! (auch wenns erst in 159 tagen ist!) #ichziehdiejackeaus bedenkt bei eurer Meldung an den MAD, dass dann noch einer mehr nach pfreimd muss” verbunden mit einem Bild des Zeugen vor seinem Auto mit dem Kennzeichen …, mit der der Zeuge auf den Überfall der Wehrmacht auf Polen anspielte mit der Nachricht “du bist der geilste” und einem Emoji, das vor Lachen weint.
3. Sie kommentierten am … gegen … Uhr in der WhatsApp-Gruppe “…”, der ausschließlich Teilnehmer des …lehrgangs … angehörten, das von dem Zeugen … übermittelte Bild einer Pistole 08 “Luger” neben einem Eisernen Kreuz mit den Worten “Wie geil ist die denn” und “Mit der kannst du vdl (Abkürzung für die Bundesministerin der Verteidigung) sehr geil absetzen, da wette ich für”.
4. Sie kommentierten am … gegen … Uhr die Nachricht “also doch putschen” des Zeugen … in der WhatsApp-Gruppe “…”, der ausschließlich Teilnehmer des …lehrgangs … angehörten, während einer Diskussion über OLt Franco A. mit der Nachricht “bin dabei”, verbunden mit einem lachenden Emoji.
3
Nachdem der Kommandeur der … den Antrag des Soldaten auf Aufhebung der vorläufigen Anordnungen mit Bescheid vom 14. Januar 2019 abgelehnt hatte, hob das Truppendienstgericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2019 die Anordnungen auf. Der Soldat müsse nicht mit einer Entfernung aus dem Dienstverhältnis rechnen. Der Begriff “verwenden” im Vorwurf 1 sei zu unbestimmt; offen bleibe auch die mit dem Tragen des Schildes verbundene Absicht. Die Vorwürfe 2 bis 4 habe der Soldat zwar nicht bestritten. Gegen eine Verletzung von § 10 Abs. 6 SG spreche aber, dass die Äußerungen innerhalb der WhatsApp-Gruppe … erfolgt seien. Es sei nicht ersichtlich, ob unterstellte Soldaten Kenntnis davon hätten erlangen können. Möglicherweise habe der Soldat mit den Meinungskundgaben keine Abneigung gegenüber den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck bringen wollen. Hinweise auf eine empfindliche Störung des Dienstbetriebs lägen ebenfalls nicht vor. Alternative Verwendungsmöglichkeiten seien nicht erwogen worden.
4
2. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen den Beschluss Beschwerde erhoben und beantragt, seine Vollziehung bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen. Die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme sei überwiegend wahrscheinlich. Die Äußerungen in der WhatsApp-Gruppe hätten Untergebenen zu Gehör kommen oder in die Öffentlichkeit dringen können. Zudem würden gegen den Soldaten vier weitere Vorwürfe erhoben. Alternative Verwendungsmöglichkeiten lägen fern. Der Anschein, der Soldat bekenne sich nicht zu seiner politischen Treuepflicht, bestehe auf jedem Dienstposten.
5
3. Der Vorsitzende der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat mit Beschluss vom 5. Dezember 2019, berichtigt am 6. Januar 2020, die Vollziehung des Beschlusses des Truppendienstgerichts vom 29. Oktober 2019 bis zu einer Entscheidung, ob er der Beschwerde abhelfe, ausgesetzt. Er hat der Beschwerde nachfolgend nicht abgeholfen und hat sie mit Verfügung vom 22. Januar 2020 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
6
4. Mit einer am 27. Januar 2020 beim Truppendienstgericht eingegangenen Anschuldigungsschrift vom 16. Januar 2020 wird dem Soldaten nunmehr unter Präzisierung der ersten vier Tatvorwürfe ergänzend vorgehalten:
5. Der Soldat kommentierte am … gegen … Uhr von einem nicht mehr näher feststellbaren Ort im Standortbereich … aus in der WhatsApp-Gruppe “…”, der er und andere Teilnehmer und Teilnehmerinnen des …lehrgangs … zu dieser Zeit angehörten, die vorige Nachricht: “von der Leyens
kristallnacht” des …, mit der dieser Durchsuchungen von Stuben von Soldatinnen und Soldaten anlässlich des Vorfalls “Franco A.” thematisiert und kritisiert hatte, zumindest sinngemäß mit der Nachricht: “Vll [Vielleicht] tragen wir bald alle
sterne
an der Kleidung”, wobei er wusste, zumindest hätte erkennen können und müssen, dass der Begriff “Tragen eines Sternes” in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere hinsichtlich des zuvor verwendeten Begriffs “Kristallnacht”, mit dem durch das NS-Unrechtsregime praktizierten Tragen eines Sternes durch Angehörige der jüdischen Religion assoziiert wird, wodurch er Angehörige der jüdischen Religion herabwürdigte, zumindest den Anschein erweckte, dies zu tun und damit die an diesen verübten Gräueltaten des NS-Unrechtsregimes, mithin das NS-Unrechtsregime selbst, mindestens verharmlosend darstellte bzw. den Anschein erweckte, dies zu tun.
6. Der Soldat äußerte sich am … gegen … Uhr von einem nicht mehr näher feststellbaren Ort im Standortbereich … aus in der WhatsApp-Gruppe “…”, der er, … und … angehörten, über … zumindest sinngemäß mit: “Ja gut, steckst den zum … hast auf einmal keine scheiben mehr” und “Der is wie eine
atombombe
, alles im umkreis is schrott,
leute
werden krank und es dauert hundert jahre wieser alles zu reparieren”, um … herabzuwürdigen, mindestens erweckte er den Anschein, dies zu tun.
7. Der Soldat bewahrte seit einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt, mindestens jedoch am … gegen … auf seinem privaten Notebook der Marke “Acer” das Album “Rechts vs Unrecht” der Band “Brigade 66” mit 10 Liedern, 13 Lieder der Band “Sturmwehr”, ein Lied des Albums “Politischer Soldat” der Band “Stahlgewitter” sowie das vollständige Album “Stählerne Romantik” der Band “Stahlgewitter” mit insgesamt 6 Liedern, ein Lied der Band “Sturm 18”, 3 Lieder der Band “Sleipnir”, 2 Lieder der Band “Nordfront”, ein Lied der Band “Division Wiking”, ein Lied von Frank Rennicke und ein Lied von Michael Müller, die jeweils durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als rechtsextremistische Bands bzw. Liedermacher eingestuft werden sowie das Lied “Fourth Reich Fighting Men”, auf Deutsch zumindest sinngemäß übersetzt mit “Kämpfer des IV. Reichs” der fiktiven Band “Master Race”, auf Deutsch zumindest sinngemäß übersetzt mit “Herrenrasse” in den … der …, … auf, obwohl er wusste, zumindest hätte wissen können und müssen, dass es sich bei den Bands bzw. deren Lieder um solche handelte, die Inhalte bzw. Gedankengut verfolgen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes richten bzw. die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen nationale, rassistische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppen aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen diese auffordern oder diese beschimpfen, böswillig verächtlich machen oder verleumden oder die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, wodurch er zugleich selbst den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes verließ bzw. zumindest den Anschein erweckte, dies zu tun.
8. Obwohl der Soldat wusste, zumindest hätte wissen können und müssen, dass gemäß der ZDv A-960/1 – “Informationssicherheit”, Anlage 11.2.1, Nr. 3, eine Nutzung privater IT zu dienstlichen Zwecken grundsätzlich nicht zulässig ist, bewahrte er entgegen dieses Verbotes über einen nicht mehr näher feststellbaren Zeitraum, mindestens jedoch am 24. September 2018, mindestens 20 Vorschriften der Bundeswehr, die als VS – Nur für den Dienstgebrauch (NfD) eingestuft waren, auf seinem privaten Notebook der Marke “Acer” bzw. seinem privaten Smartphone Honor der Marke “Huawei”, auf.
7
5. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt macht im Beschwerdeverfahren ergänzend geltend, bereits die Vorwürfe in der Einleitungsverfügung ließen erwarten, dass gegen den Soldaten die Höchstmaßnahme wegen eines Verstoßes gegen die politische Treuepflicht verhängt werde. Jedenfalls zur weiteren Auslegung könne herangezogen werden, dass der Soldat schon bei Erlass der Einleitungsverfügung im großen Umfang Tonträger rechtsextremistischen Inhalts besessen habe, aus denen sich seine verfassungsfeindliche Gesinnung ergebe. Die Verletzung von § 8 SG lasse den Soldaten für jede Verwendung ungeeignet erscheinen. Auch der Aussetzungsantrag sei begründet.
8
6. Der Soldat tritt dem entgegen.
9
7. Das hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 1 bis 4 geführte sachgleiche staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung ist im Februar 2019 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Es fehle an einer Störung des öffentlichen Friedens, weil es sich um geschlossene WhatsApp-Gruppen gehandelt habe.


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