IT- und Medienrecht

vorsätzlich sittenwidrige Schädigung des Käufers durch Hersteller im sog. Abgasskandal

Aktenzeichen  6 O 3124/19

Datum:
24.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5742
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 263
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 2 S. 2, § 249 Abs. 2 S. 1, § 251 Abs. 1, § 255, § 273 Abs. 1, § 288 Abs. 1, § 291 S. 1, § 295, § 320 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826, § 849
ZPO § 256 Abs. 1, § 278 Abs. 1, § 756, § 765

 

Leitsatz

Der Hersteller des Motors vom Typ EA 189 haftet dem Käufer eines mit einem solchen Motor ausgestatteten PKW wegen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung aus § 826 BGB auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages, mithin auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übertragung des Eigentums am Pkw unter Anrechnung der gezogenen Nutzungen. (Rn. 22 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.504,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 13.12.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs …, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …25.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1. im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.029,35 € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 30 % und die Beklagte 70 % zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
7. …
Beschluss
Der Streitwert wird auf 22.121,97 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich im tenorierten Umfang als begründet.
I.
Die Klagepartei hat einen Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte, da sich die Manipulation als der Beklagten zurechenbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellt.
1. Der klägerische Anspruch ist nicht verjährt.
Die geltend gemachten Ansprüche unterliegen der regelmäßigen Verjährung von 3 Jahren gem. § 195 BGB. Nach den Angaben des Klägers im Termin am 02.03.2020 erlangte er von dem Abgasskandal und damit von einem ihm möglicherweise zustehenden Anspruch gegen die Beklagte bereits mit der Presseberichterstattung im Jahr 2015 Kenntnis, so dass die 3 jährige Verjährungsfrist am 01.01.2016 zu laufen begann (§ 199 Abs. 1 BGB), und regulär zum 31.12.2018 ablief.
Durch die Anmeldung zur vor dem Oberlandesgericht Braunschweig anhängigen Musterfeststellungsklage, die unbestritten blieb, trat am im Dezember 2018 gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB Verjährungshemmung ein. Gem. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB endet die Hemmung 6 Monate nach Rücknahme der Anmeldung, also jedenfalls nicht vor dem 30.03.2020. Die Klage wurde am 20.11.2019.2019 bei Gericht eingereicht, so dass wiederum Hemmung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB eingetreten ist, bevor der Anspruch verjährte. Die Rücknahme der Eintragung blieb unstreitig.
Die Eintragung in das Register zur Musterfeststellungsklage stellt ein legitimes Mittel zur Herbeiführung einer Verjährungshemmung dar. Einen Rechtsmißbrauch sieht das Gericht hierin nicht, so dass es der Klageseite auch nicht verwehrt ist, sich hierauf zu berufen.
2. Die Beklagte täuschte die Klagepartei. Diese begangene Täuschung war für die Kaufentscheidung durch die Klagepartei kausal.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger in die Beklagte als einen der größten deutschen Automobilhersteller besonderes Vertrauen setzte, dass sämtliche Gesetze und Vorschriften durch diese eingehalten werden. So gab der Kläger in seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 02.03.2020 lebensnah und nachvollziehbar folgendes an:
Ich habe vorher auch schon Dieselfahrzeuge gefahren. Damals habe ich mir bewusst wieder einen Diesel gekauft, weil dieser sparsam und umweltfreundlich sein sollte. Ich habe damals sogar noch etwas mehr Geld ausgegeben, um die besonders umweltfreundliche Blue-motion-Technologie zu bekommen. Ich wollte der Umwelt zu Liebe hier umweltbewusst handeln.
Ich habe mir einen … gekauft, weil mir der … selbst gut gefallen hat. Damit meine ich das Modell. Die Marke … war für mich damals kein maßgebliches Kriterium. Es ging mir um das Modell …, das einfach auch im Innenraum flexibel ist, mit den herausnehmbaren Sitzen und so.
Ich will das Fahrzeug deshalb zurück geben, weil es ja heißt, dass hier eine Schummel-Software eingebaut worden ist. Eine solche Software möchte ich nicht haben.
Ich habe damals das Auto als umweltfreundlich gekauft. Mit der Schummel-Software ist das nicht der Fall. Ich habe jetzt die Schadstoffklasse 5 und kann in bestimmte Städte, wie z.B. in Stuttgart mit dem Auto nicht fahren. Soweit ich das weiß, macht die Schummel-Software, dass das Fahrzeug im Testbetrieb auf dem Prüfstand andere Schadstoffe produziert als das beim normalen Fahren der Fall ist. Hätte ich damals schon gewusst, was für ein Motor in dem Fahrzeug verbaut ist, hätte ich mir das Fahrzeug nicht gekauft. Vielleicht hätte ich mir einen Benziner gekauft. Der … ist, wie gesagt, ein gutes Auto. Ich habe gleich, als die ganze Geschichte in der Presse war, davon erfahren, dass mein Auto davon betroffen ist. Ich wusste gleich schon, dass mein Auto betroffen ist. Ich habe damals nachgeschaut. Wann das genau war, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich kann nur sagen, dass ich es damals schon überprüft habe, als die ganze Geschichte in der Presse war. Damals wusste ich schon, dass ich betroffen bin.
Es war damals so, dass ich zuerst bei dem Rechtsanwalt nachgefragt habe, ob ich da was machen kann. Dieser hat mir abgeraten und gesagt, dass ich wohl keine Chance hätte.
Diesen nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben des Klägers folgt das Gericht.
2.1. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 826, 31 BGB zu.
Die Manipulation des Fahrzeugs stellt sich als der Beklagten zurechenbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar.
2.1.1. Die Beklagte täuschte die Klagepartei über die Gesetzeskonformität des von ihr erworbenen Fahrzeugs bzw. des darin verbauten Motors. Wer in Deutschland bzw. innerhalb der Europäischen Union ein Kraftfahrzeug erwirbt, geht, angesichts dessen, dass Kraftfahrzeuge bekanntermaßen vor dem Inverkehrbringen eine Zulassungsprüfung durchlaufen müssen, davon aus, dass das Fahrzeug – mit seinen zulassungsrelevanten Komponenten, wie der Motor sie darstellt – diese Zulassungsprüfung nach den geltenden Gesetzen durchlaufen hat. Dies umfasst die Vorstellung, dass das Ergebnis der Zulassungsprüfung nicht durch Manipulationen gleich welcher Art in dem Sinne verfälscht wurde, dass die Zulassung nur aufgrund der Manipulation erfolgen konnte, wie es vorliegend der Fall war. Diese Vorstellung des Käufers ist auch bei den zuständigen Personen der Beklagten bekannt. Folglich erklärt der Fahrzeughersteller konkludent mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs bzw. der Hersteller einer bestimmten der Zulassung unterliegenden Fahrzeugkomponente, wie es der Motor darstellt, mit dem Inverkehrbringen der Komponente, dass das jeweilige Produkt ohne Manipulationen den behördlichen Zulassungsprozess durchlaufen hat (LG München II, Urteil vom 29.03.2019 – 13 O 5153/18 unter Bezugnahme auf LG Bochum, Urteil vom 29.12.2017, 6 O 96/17, juris Rn 61).
2.1.2. Diese begangene Täuschung war für die Kaufentscheidung durch die Klagepartei kausal, wie der Kläger vorgetragen und zur Überzeugung des Gerichts in seiner Anhörung am 02.03.2020 dargelegt hat.
2.1.3. Die Beklagte handelte verwerflich. Sie verwendete die unzulässige Abgassteuerung zur Überzeugung des Gerichts lediglich aus Gewinnstreben, wobei sie die berechtigten Kundeninteressen und die Belange der Allgemeinheit (Umweltschutz) bedenkenlos hintanstellte. Es handelte sich um eine planmäßig lang angelegte Strategie, die jegliche Rücksicht auf firmenexterne Belange vermissen lässt. Dies kann nicht mehr nachvollzogen werden und stellt sich für das Gericht als Handeln auf niedrigster sittlicher Stufe dar. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des OLG Karlsruhe (Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 – 13 U 142/18) an: „Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht.
Zusammenfassend ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das Kraftfahrt-Bundesamt, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse. Überdies liegt im vorliegenden Fall eine vorsätzliche Täuschung vor mit dem Ziel, unter Ausnutzung der Fehlvorstellung der Kunden hohe Absatzzahlen zu erreichen. Allein dieser Umstand rechtfertigte es schon, Sittenwidrigkeit im Sinn des § 826 BGB zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, juris Rn. 17).
Soweit die Beklagtenseite unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2016 (VI ZR 536/15, juris) ausführt, die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Voraussetzungen für die Sittenwidrigkeit seien nicht erfüllt, geht dies fehl. Der dortige Fall unterscheidet sich vom vorliegenden schon durch den Umstand, dass dort eine bewusste Täuschung durch den Vorstand gerade nicht festgestellt worden war (BGH, a.a.O., Rn. 22). Auch unabhängig davon überzeugt die Argumentation der Beklagten nicht: In der dortigen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zur Haftung eines als Aktiengesellschaft organisierten Immobilienfonds gemäß § 826 BGB ausgeführt, dass allein die fehlende Angabe eines Risikofaktors der Kapitalanlage (im dortigen Fall: Altlastenverdacht betreffend das vom Fond zu bebauende Grundstück) im Emissionsprospekt noch nicht den Schluss auf ein sittenwidriges Verhalten zulasse (BGH, a.a.O., Rn. 21). Die Beklagte will hieraus einen Erst-Recht-Schluss ziehen: Wenn schon eine falsche Angabe gegenüber dem besonders schutzbedürftigen und gesetzlich geschützten Kapitalanleger nicht allein Sittenwidrigkeit begründen könne, könnten unterstellt fehlerhafte Angaben im Verkaufsprospekt gegenüber dem weniger schutzwürdigen Fahrzeugerwerber erst recht kein verwerfliches Moment begründen. Diese Argumentation greift nicht, weil die entscheidende Täuschung nicht in etwaigen Falschangaben über das Abgasverhalten in Fahrzeugprospekten gesehen wird, sondern in der dargelegten konkludenten Täuschung über das Vorliegen der materiellen EG-Typgenehmigungsvoraussetzungen. Diese betrifft den elementaren Zweck des Autokaufs, nämlich die Fortbewegung auf öffentlichen Straßen, während es in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um einen den Wert der Anlage mitbestimmenden Aspekt unter vielen geht. Überdies handelt es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um eine Täuschung durch Unterlassen.
Dieses Ergebnis ist auch nicht unter Schutzzweckgesichtspunkten zu korrigieren. Das Sittenwidrigkeitsurteil über ein bestimmtes Verhalten des Schädigers ist allerdings nicht abstrakt, sondern stets in Bezug auf die Person des Geschädigten zu fällen. Die Haftung beschränkt sich auf die Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen, das heißt in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.1985 – II ZR 109/84, juris Rn. 15; Wagner, in: MüKo-BGB, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 22). Doch besteht hier keine Veranlassung für eine solche Beschränkung: Denn die Haftung aus § 826 BGB knüpft – anders als etwa ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit bestimmten europarechtlichen Normen – nicht unmittelbar an den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 an, sondern folgt aus der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundenen Täuschung über die Erfüllung der materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen. Diese Pflichtverletzung ist für den Rechtskreis des Käufers ersichtlich von Bedeutung, weil über einen die Kaufentscheidung wesentlich beeinflussenden Umstand getäuscht wird.“
2.1.4. Auch der für § 826 BGB erforderliche Schädigungsvorsatz sowie die Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen bei verantwortlichen Personen auf Beklagtenseite, liegen nach der Überzeugung des Gerichts vor. Auch dies folgert das Gericht aus dem planmäßigen perfiden Vorgehen der Beklagten, welches nur die eigenen Firmenbelange in den Vordergrund stellte und Belange anderer kaltschnäuzig hintanstellte. Auch insoweit schließt sich das Gericht der Sicht des OLG Karlsruhe (Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 – 13 U 142/18; zustimmend: OLG München, Verfügung vom 04.07.2019, Az.: 18 U 4761/18 unter zutreffenden Hinweis auf die sekundäre Darlegungslast der Beklagten) an.
So führt das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 – 13 U 142/18) zutreffend aus:
„Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, welche flächendeckend konzernweit in vielen Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2018 – 27 U 10/18, juris Rn. 26; Heese, NJW 2019, S. 257 ). Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht. Diese Vermutung wird noch verstärkt durch den Umstand, dass die Software durch einen Zulieferer programmiert und geliefert wurde. Insoweit ist in einem ordnungsgemäß geführten Unternehmen zu erwarten, dass die Anforderungen an die Software mit der Bestellung in Form einer Leistungsbeschreibung niedergelegt sind. Weil es sich bei der Motorsteuerung um ein Kernstück des Motors handelt, widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass insoweit die Führungsebene des Unternehmens nicht eingebunden wurde. Wer die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorsteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt, muss eine wichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Soweit es sich dabei nicht um einen Vorstand handelt, spricht im Hinblick auf das Gewicht der Entscheidung zumindest eine starke tatsächliche Vermutung dafür, dass es sich um einen Repräsentanten im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt, weil er Entscheidungen trifft, die üblicherweise der Unternehmensführung vorbehalten sind. Da ein Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters, der den die Zustimmung zum Einsatz der Motorsteuerungssoftware erteilenden Vorstand bzw. Repräsentanten überdies getäuscht haben müsste, zwar höchst unwahrscheinlich ist, aber im Hinblick auf die Unberechenbarkeit von willensgesteuerten Entscheidungsprozessen nicht von einer Typizität im Sinn eines Anscheinsbeweises ausgegangen werden kann, besteht lediglich eine tatsächliche Vermutung für Kenntnis und Billigung eines Vorstands oder Repräsentanten, welche die Beklagte im Rahmen der sie treffenden sekundären Darlegungslast zu entkräften hat.“
3. Die Klagepartei hat durch den Abschluss des Kaufvertrags einen Schaden erlitten.
Das Gericht schließt sich zum Schadensbegriff den Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 26.09.1997 – V ZR 29/96 an: „Ist – was zwischen den Parteien streitig ist – der Kaufgegenstand den Kaufpreis wert, so kann ein Vermögensschaden schon darin liegen, daß der von dem schuldhaften Pflichtverstoß Betroffene in seinen konkreten Vermögensdispositionen beeinträchtigt ist. Der Schadensersatzanspruch dient dazu, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen; der Schadensbegriff ist mithin im Ansatz subjektbezogen (vgl. Lange, a.a.O., § 1 III 2; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., vor § 249 Rdn. 20 ff.). Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluß eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, daß die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (vgl. Hagen, Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, S. 165; Lange, a.a.O., § 1 III 2; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdn. 9; in dieser Richtung z.B. BGH, Urt. v. 12.10.1993 – X ZR 65/92, NJW 1994, 663/664). Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit zur strafrechtlichen Bewertung solcher Konstellationen im Rahmen des Betrugstatbestandes (vgl. nur BGHSt 16, 321/325 ff.). Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, daß die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern daß auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluß als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.“
Für die Argumentation der Beklagten – es sei für den Autokäufer nicht entscheidend, ob ein Fahrzeug speziell für den NEFZ mit einer Software ausgerüstet ist, um die nur in diesem Rahmen vorgegeben Bedingungen zu erfüllen – spricht kein allgemeiner Erfahrungsgrundsatz. Darüber hinaus ist nicht lediglich dieser eine Umstand, sondern es sind sämtliche Umstände, die daraus folgen, zu berücksichtigen. Damit ist auch miteinzubeziehen, dass das KBA eine Nachbesserung verlangt, um die Zulassung nicht zu entziehen und der Umstand, dass die erforderliche Nachbesserung in der breiten Öffentlichkeit sehr umstritten ist. In einer solchen Konstellation ist es selbst bei einer Bestätigung der Beklagten, dass das Fahrzeug nach der Nachrüstung den geltenden gesetzlichen Vorschriften entspricht, gerade nicht lediglich subjektiv willkürlich i.S.d. zitierten Rechtsprechung, den geschlossenen Vertrag – auch nach Aufspielen des Softwareupdates – als Schaden und hinsichtlich der konkreten Vermögensinteressen als nachteilig anzusehen. Daher besteht auch keine Pflicht, nach dem Aufspielen des Updates das Fahrzeug zu behalten.
4. Im Hinblick auf den sich aus den §§ 249 Abs. 2 S. 1, 251 Abs. 1 BGB ergebenden haftungsausfüllenden Tatbestand ist unter Berücksichtigung der Schätzungsbefugnis nach § 287 Abs. 1 ZPO folgendes auszuführen:
Die Klagepartei hat im Rahmen des negativen Interesses den Anspruch, so gestellt zu werden, als wäre nach einer entsprechenden Aufklärung durch die Beklagte der Kaufvertrag nicht geschlossen worden (Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 311 Rn. 55). Auch im Rahmen des § 826 BGB steht dem Geschädigten im Rahmen der Naturalrestitution ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu, das heißt, Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 402/02; Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14). Dies führt zur Rückzahlung des von ihr gezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug (§§ 320 Abs. 1, 273 Abs. 1 BGB) gegen Übertragung des Eigentums am streitgegenständlichen Pkw (§ 255 BGB analog).
Im Rahmen des Vorteilsausgleichs muss sich die Klageseite allerdings die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, da es sich nicht um eine Rückabwicklung des Kaufvertrags handelt (vgl. LG Traunstein, Urteil vom 27.06.2018 – 5 O 2425/17; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 – 13 U 142/18).
Der Bruttokaufpreis für das Gebrauchtfahrzeug mit einer Kilometerleistung von 17.565 betrug 25.900 €. Im Zeitpunkt der hierfür maßgeblichen letzten mündlichen Verhandlung hatte es einen Kilometerstand von 98.462 km. Unter Berücksichtigung des Kaufpreises, den gefahrenen Kilometern und einer bei diesem Fahrzeug zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 200.000 km ergibt sich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 11.396,- €. Hierbei war zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug derzeit bei einem Alter von mehr als 7 Jahren eine Laufleistung von nicht einmal 100.000 km aufweist. Dies von Kaufpreis von 25.900 € abgezogen ergibt einen zu erstattenden Betrag von 14.504,- €.
5. Der Zinsausspruch folgt den §§ 288 Abs. 1, 291 S. 1 BGB. Eine Verzinsung war ab Rechtshängigkeit zu gewähren. Ein vorheriger Verzug wurde nicht ausreichend dargelegt. Insbesondere genügt hierfür allein die Mitteilung einer einseitigen Fristsetzung nicht. Eine darüber hinausgehende Verzinsung nach § 849 BGB sieht das Gericht nicht. Die Regelung des § 849 BGB greift weder vom Wortlaut noch vom Normzweck ein (so auch Riehm, NJW 2019, 1105).
6. Der Feststellungsantrag ist zulässig; das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO ergibt sich aus dem schutzwürdigen Interesse in Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO (Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 256 Rn. 8). Die Beklagte befindet sich in Annahmeverzug gem. § 293 BGB. Das Schreiben vom 08.03.2019 (K20) enthält ein wörtliches Angebot. Ein tatsächliches war gem. § 295 BGB nicht erforderlich.
7. Die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten sind ausgehend von der berechtigten Klagesumme von 14.504,- € ersatzfähig. Der Kläger ist von diesem Anspruch freizustellen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1; 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben