IT- und Medienrecht

Zugang zu Produktinformationen nach dem Verbraucherinformationsgesetz

Aktenzeichen  7 C 29/17

Datum:
29.8.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:290819U7C29.17.0
Normen:
Art 12 Abs 1 GG
Art 10 EGV 178/2002
Art 7 Abs 1 S 3 Buchst a EGV 882/2004
Art 7 Abs 2 EGV 882/2004
Art 7 Abs 3 EGV 882/2004
§ 1 VIG
§ 2 Abs 1 S 1 Nr 1 VIG
§ 2 Abs 1 S 1 Nr 5 VIG
§ 3 S 1 Nr 2 Buchst c VIG
§ 3 S 5 Nr 1 VIG
§ 4 Abs 1 S 1 VIG
§ 4 Abs 1 S 2 VIG
§ 5 Abs 1 S 2 Nr 1 VIG
§ 6 Abs 3 S 2 VIG
§ 6 Abs 4 S 1 VIG
§ 6 Abs 4 S 2 VIG
§ 40 Abs 1a LFGB
Spruchkörper:
7. Senat

Leitsatz

1. Der Anspruch auf Zugang zu Informationen nach § 2 Abs. 1 VIG ist ein “Jedermannsrecht” und hängt nicht von der Verbrauchereigenschaft ab.
2. Für die Erfüllung des Bestimmtheitserfordernisses des § 4 Abs. 1 Satz 2 VIG ist die Angabe des Unternehmens, soweit ein Betrieb in Rede steht, des Zeitraums, für den die Informationen begehrt werden, und der Art der Information ausreichend.
3. Der Informationsanspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG ist nicht auf produktbezogene Informationen beschränkt.
4. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG erfasst jede objektive Abweichung von Rechtsvorschriften. Ein Verstoß gegen Vorschriften des Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrechts ist nicht erforderlich.
5. Eine “nicht zulässige Abweichung” i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG muss nicht durch Verwaltungsakt festgestellt werden. Ausreichend ist, dass die zuständige Behörde die Abweichung unter Würdigung des Sachverhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt hat.
6. § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 16. Februar 2017, Az: 20 BV 15.2208, Urteilvorgehend VG Regensburg, 9. Juli 2015, Az: RN 5 K 14.1110, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das Geflügel schlachtet und verarbeitet. Sie wendet sich gegen den stattgegebenen Zugang zu Informationen über ihr Unternehmen nach dem Verbraucherinformationsgesetz.
2
Der Beigeladene, der sich in Sicherungsverwahrung befindet, beantragte im April 2014 beim Landratsamt S. gemäß dem Verbraucherinformationsgesetz Zugang zu den seit dem 2. September 2012 nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG angefallenen Informationen über das Unternehmen der Klägerin. Mit Bescheid vom 5. Juni 2014 gab das Landratsamt dem Antrag statt; der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 9. Juli 2015 ab.
3
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Der Beigeladene sei als natürliche Person Berechtigter des Anspruchs auf Informationszugang. Das Verbraucherinformationsgesetz berechtige nicht nur den Verbraucher, sondern sei ein Jedermannsrecht. Der Beigeladene sei zudem “Verbraucher”, weil er über den Gefangeneneinkauf oder im Rahmen sogenannter Ausführungen die Möglichkeit habe, Produkte der Klägerin oder Waren, in denen deren Produkte enthalten seien, zu kaufen. Sein Antrag auf Informationszugang sei nicht zu unbestimmt gestellt und nicht rechtsmissbräuchlich. Der Gegenstand des Informationsanspruchs nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG sei nicht auf produktbezogene Informationen beschränkt. Für die Annahme einer “festgestellten nicht zulässigen Abweichung” nach dieser Vorschrift sei ein Verschulden oder eine Ahndung des Verstoßes gegen einschlägige Vorschriften als Ordnungswidrigkeit oder Straftat nicht notwendig. Es bedürfe jedoch der Feststellung einer Abweichung durch die zuständige Behörde. Erforderlich sei eine rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsergebnisse durch die zuständige Vollzugsbehörde. Der Beklagte habe nicht die Richtigkeit der begehrten Informationen überprüfen müssen. Aufgrund der festgestellten Rechtsverstöße könne sich die Klägerin nicht auf den Ausschluss des Informationszugangs zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berufen. Die hier einschlägigen Vorschriften des Verbraucherinformationsgesetzes verstießen weder gegen Verfassungsrecht noch gegen Unionsrecht.
4
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend: Das Verbraucherinformationsgesetz enthalte kein Jedermannsrecht; berechtigt sei allein der Verbraucher. Den streitgegenständlichen Informationen fehle der notwendige Produktbezug. Der Zugang zu den beantragten Informationen setze voraus, dass die Feststellung eines Rechtsverstoßes in Bestandskraft erwachsen oder eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit oder Straftat erfolgt sei. Zudem sei die inhaltliche Richtigkeit einer wettbewerbsrechtlichen Information unabdingbare Voraussetzung für die Informationsgewährung. Der Verwaltungsgerichtshof habe verkannt, dass Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Klägerin dem Informationszugang entgegenstünden. Die Rechtsgrundlage für den Zugang zu Verbraucherinformationen verstoße gegen das Gebot der Normenklarheit und gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Hinsichtlich der beantragten Verbraucherinformationen sei mindestens der Schutzstandard anzuwenden, der bei aktiven staatlichen produktbezogenen Warnungen zu berücksichtigen sei. Zwischen der Zugänglichmachung von Informationen, die nur auf Antrag erteilt würden, und einer aktiven Verbraucherinformation durch die Behörde bestehe kein rechtlich beachtlicher Unterschied. Das Unionsrecht stehe dem Zugang zu den begehrten Verbraucherinformationen entgegen.
5
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Februar 2017 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. Juli 2015 sowie den Bescheid des Landratsamts Straubing-Bogen vom 5. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2014 aufzuheben.
6
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
Er verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs und weist darauf hin, dass es keines bestandskräftigen Verwaltungsakts als Grundlage für den Informationszugang bedürfe. Nach der Begründung des Entwurfs des Verbraucherinformationsgesetzes habe die informationspflichtige Stelle nicht in jedem Fall den Abschluss des Verwaltungsverfahrens abzuwarten; die Behörde habe allerdings das Gebot der Sachlichkeit und Richtigkeit zu beachten. Die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Grundrechtspositionen des Unternehmers lasse sich im Rahmen einer Anhörung des Unternehmens sicherstellen.
8
Der Beigeladene stellt keinen Antrag; er verteidigt eingehend das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs.
9
Der Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt sich am Verfahren und trägt vor: Verfassungsrechtlich durchgreifende Bedenken gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG bestünden nicht. Dies bestätige die zu § 40 Abs. 1a LFGB ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1 BvF 1/13).


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