Kosten- und Gebührenrecht

Anfall der Verfahrensgebühr im asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahren

Aktenzeichen  M 5 M 18.34176

Datum:
1.3.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16515
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 151, § 165
RVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9
AsylG § 80

 

Leitsatz

1. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200, 3201 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) entsteht, wenn der Rechtsanwalt im Rahmen der Erfüllung seines Prozessauftrags im Rechtsmittelverfahren – nicht zwingend nach außen – tätig geworden ist und dies über die in § 19 Abs. 1 S. 2 RVG genannte Neben- und Abwicklungstätigkeit, die noch zum ersten Rechtszug gehört, hinausgeht. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Eine bloße Neben- und Abwicklungstätigkeit i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG (Zustellung oder Empfangnahme von Entscheidungen oder Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber) liegt nicht mehr vor, wenn der Rechtsanwalt den begründeten Rechtsmittelschriftsatz entgegennimmt, diesen mit seinem Mandanten bespricht oder intern prüft, ob sein Mandant sich gegen das eingelegte Rechtsmittel wehren soll. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Ist einer Partei durch die Übermittlung des Vorlageschreibens an das Berufungsgericht bekannt, dass gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt worden ist, entspricht es einem vernünftigen und auf Beschleunigung bedachten Verhaltens einer verständigen Prozesspartei, bereits in diesem frühen Stadium einen Rechtsanwalt zur Wahrung ihrer Interessen in der Rechtsmittelinstanz weiter zu beauftragen. (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Bayerischen Verwaltungsgerichts München wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Mit Urteil vom 20. Juli 2018 (M 5 K 16.33367) verpflichtete das Bayerische Verwaltungsgericht München die Antragstellerin unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … September 2016, dem Antragsgegner die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Hinsichtlich des Vaters des Klägers wurde die Klage abgewiesen.
Gegen die Klagestattgabe hinsichtlich des Antragsgegners beantragte die Antragstellerin am 31. August 2018 die Zulassung der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte der Antragsgegnerpartei den Antrag mit der Gelegenheit zur Stellungnahme am 21. September 2018 zu. Allerdings verfügte der Gerichtshof, dass die Erstzustellung erst mit der Zuleitung der Endentscheidung erfolgen solle. Bereits mit Beschluss vom 24. September 2018 lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.
Auf Antrag der Antragsgegnerpartei setzte der Urkundsbeamte des Bayerischen Verwaltungsgerichts München mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. Oktober 2018 die dem Antragsgegner von der Antragstellerin vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu erstattenden notwendigen Aufwendungen auf 312,26 EUR fest.
Hiergegen beantragte die Antragstellerin am 5. November 2018 die Entscheidung des Gerichts. Der Bevollmächtigte des Antragsgegners sei im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens nicht tätig geworden. Es habe keine Notwendigkeit bestanden, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, wenn noch keine Anhörung des Rechtsmittelgegners stattgefunden habe.
Der Urkundsbeamte half dem Antrag nicht ab und legte ihn der Kammer zur Entscheidung vor.
Der Bevollmächtigte des Antragsgegners wies darauf hin, dass er nach Mitteilung, dass Rechtsmittel gegen die positive Entscheidung eingelegt worden sei, die Angelegenheit mit dem Mandanten besprochen und ein Schriftsatz erstellt worden sei, mit dem die Zurückweisung des Zulassungsantrags beantragt worden sei. Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aber äußerst schnell über den Antrag entschieden habe, sei der Schriftsatz nicht versandt worden.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts sowie die beigezogene Akte des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (21 ZB 18.32428) verwiesen.
II.
Die Erinnerung (§§ 165, 151 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO) ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. Oktober 2018 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
1. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200, 3201 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) entsteht, wenn der Rechtsanwalt im Rahmen der Erfüllung seines Prozessauftrags im Rechtsmittelverfahren – nicht zwingend nach außen – tätig geworden ist und dies über die in § 19 Abs. 1 Satz 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) genannte Neben- und Abwicklungstätigkeit, die noch zum ersten Rechtszug gehört, hinausgeht. Eine bloße Neben- und Abwicklungstätigkeit im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG (Zustellung oder Empfangnahme von Entscheidungen oder Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber) liegt nicht mehr vor, wenn der Rechtsanwalt den begründeten Rechtsmittelschriftsatz entgegennimmt, diesen mit seinem Mandanten bespricht oder intern prüft, ob ein Mandant sich gegen das eingelegte Rechtsmittel wehren soll. Vor einer durch das Berufungsgericht selbst veranlassten Anhörung stellt es deshalb für die übrigen Verfahrensbeteiligten im allgemeinen keine naheliegende oder gar angemessene Rechtsverfolgung beziehungsweise Rechtsverteidigung dar, sich bereits in diesem Stadium des Verfahrens anwaltlicher Vertretung zu bedienen (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 11.9.2018 – OVG 3 K 87.17 – juris Rn. 2, 5).
2. Im vorliegenden Fall lag ein Tätigwerden des Bevollmächtigten des Antragsgegners vor, der die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200, 3201 VV RVG für das Rechtsmittelverfahren ausgelöst hat. Es lag auch eine Tätigkeit vor, die über eine bloße Abwicklungstätigkeit im Sinn des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG hinausgeht.
Es mag zwar sein, dass der Bevollmächtigte des Antragsgegners den Zulassungsantrag erst mit der Zustellung des Beschlusses vom 24. September 2018 erhalten hat. Andererseits war der Partei bekannt, dass gegen das Urteil vom 20. Juli 2018, soweit dort der Klage stattgegeben wurde, ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt worden war. Denn der Bevollmächtigte des Antragsgegners erhielt einen Abdruck des Schreibens des Verwaltungsgerichts an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 17. September 2018, mit dem die Sache dort vorgelegt wurde. Wenn in einer solchen Situation eine Partei schon in einem frühen Stadium einen Rechtsanwalt zur Wahrung ihrer Interessen auch in der Rechtsmittelinstanz weiter beauftragt, entspricht das einem vernünftigen, auf Beschleunigung bedachten Verhalten einer verständigen Prozesspartei. Das gilt gerade mit Blick darauf, dass es in Asylverfahren um den Aufenthaltsstatus von Personen geht, denen die deutsche Sprache und das deutsche Rechtssystem in der Regel unbekannt sind. Daher kann dem nicht der Gedanke entgegengesetzt werden, dass die Beauftragung und das Tätigwerden eines Rechtsanwalts nicht erforderlich im Sinn von § 162 VwGO sein soll.
Da der Rechtsanwalt nach einer Besprechung mit seinem Mandanten bereits einen Schriftsatz gefertigt hatte, der aber wegen der – überraschend – raschen Entscheidung nicht mehr versandt wurde, liegt auch eine Tätigkeit vor, die über ein bloßes Empfangnehmen der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts hinausgeht. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die konkreten Argumente der Antragstellerin noch nicht bekannt waren. Denn gerade in Asylangelegenheiten syrischer Staatsangehöriger steht bei den unterschiedlichen Rechtsauffassungen von Bundesamt und Antragstellern eine in der Regel vom Einzelfall losgelöste, auf die generelle Bewertung des Konflikts in Syrien beschränkte Argumentation im Raum. Das lässt eine entsprechende Vorbereitung und Argumentation bereits im Vorfeld der Kenntnis einer Rechtsmittelschrift zu.
3. Die Antragstellerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 des Asylgesetzes/AsylG).


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