Aktenzeichen 4 C 16.755
AO AO § 171 Abs. 10, § 361 Abs. 2, Abs. 3 S. 1
RVG RVG § 2 Abs. 2, § 13
VwGO VwGO § 9 Abs. 3 S. 1, § 164, § 165
Leitsatz
1 Über die Beschwerde gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über eine Kostenerinnerung entscheidet der Senat in voller Besetzung. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Erledigungsgebühr kann auch bei Vollziehungsmaßnahmen anfallen, die kein Verwaltungsakt sind. Für die Gebühr ist ein besonderes Bemühen der Anwalts um Erledigung erforderlich, das über die allgemeine Förderung des Verfahrens, das bereits mit der Tätigkeitsgebühr abgegolten ist, hinausgeht. (redaktioneller Leitsatz)
3 Das anwaltliche Bemühen um Erledigung muss sich auf das Verfahren beziehen, in dem die Erledigungsgebühr begehrt wird. Nur in Ausnahmefällen kann das Bemühen in einem anderen Verfahren ausreichen. Das Betreiben eines finanzgerichtlichen Verfahrens gegen einen Gewerbesteuermessbescheid, das dann auch zur Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuer-bescheides führt (§ 361 Abs. 3 AO), genügt hierfür nicht. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 2 M 15.798 2016-03-01 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Erstattungsfähigkeit einer Erledigungsgebühr.
Die Antragstellerin wandte sich im Ausgangsverfahren (Az. W 2 E 14.984) im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Vollstreckung von Gewerbesteuerbescheiden. Nachdem das Finanzamt Würzburg die Vollziehung der den Bescheiden zugrundeliegenden, von der Antragstellerin mit Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ebenfalls angegriffenen Gewerbesteuermessbescheide mit Schreiben vom 22. September 2014 nach § 361 Abs. 2 AO ausgesetzt hatte, stellte die Antragsgegnerin aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses vom 2. Oktober 2014 die Zwangsvollstreckung ein und teilte dies der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 mit. Die Beteiligten erklärten daraufhin das Verfahren übereinstimmend für erledigt. Im Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2014 wurden der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22. Mai 2015 setzte die Urkundsbeamtin des Gerichts die außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin auf 4.391,90 Euro fest; eine darüber hinaus geltend gemachte Erledigungsgebühr wurde hierbei nicht anerkannt. Die dagegen gerichtete Kostenerinnerung der Antragstellerin wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. März 2016 zurück.
Mit der am 23. März 2016 eingegangenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Festsetzungsbegehren weiter. Sie beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 1. März 2016 eine 1-fache Erledigungsgebühr nach § 2 Abs. 2, § 13 RVG i. V. m. Nr. 1002/1003 VV RVG als Teil der der Antragstellerin zu erstattenden Aufwendungen in Nr. 1 des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 22. Mai 2015 festzusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
1. Die Entscheidung über die Beschwerde obliegt dem Senat und nicht dem Berichterstatter.
Grundlage der Kostenfestsetzung ist § 164 VwGO. Danach setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Es handelt sich um ein gesetzlich geregeltes Sonderverfahren, das nur die Festsetzung der im Verhältnis der Beteiligten zueinander zu erstattenden Kosten betrifft, während die Festsetzung der Gerichtskosten und des Vergütungsanspruchs eines Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten nach dem Gerichtskostengesetz bzw. nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz erfolgt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 164 Rn. 1 ff.). Über Erinnerungen gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten nach § 164 VwGO entscheidet das Gericht des ersten Rechtszugs in der Besetzung, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde, hier also durch die für den Einstellungsbeschluss zuständige Berichterstatterin (§ 87a Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 VwGO). Bei der gegen eine solche Entscheidung über eine Kostenerinnerung gerichteten Beschwerde ist dagegen eine Übertragung auf ein einzelnes Mitglied des Spruchkörpers nicht vorgesehen, so dass nach der allgemeinen Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 1 VwGO der Senat in seiner vollen Besetzung zu entscheiden hat (vgl. BayVGH, B. v. 19.1.2007 – 24 C 06.2426 – BayVBl 2008, 417; VGH BW, B. v. 6.11.2008 – NC 9 S 2614/08 – juris Rn. 1; OVG NRW, B. v. 24.10.2014 – 12 E 567/14 – juris Rn. 1 ff. jeweils m. w. N.).
2. Die nach §§ 165, 151, 146 Abs. 3 VwGO zulässige und innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhobene Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Die Kostenbeamtin des Verwaltungsgerichts hat im angegriffenen Beschluss vom 22. Mai 2015 zu Recht angenommen, dass in dem auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gerichteten Eilverfahren keine Erledigungsgebühr angefallen ist.
Nach Nr. 1002 des Vergütungsverzeichnisses (VV, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) entsteht die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt; das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt. Der innere Grund für diese zur Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) oder Verfahrensgebühr (Nr. 3100, 3200 VV RVG) hinzutretende Gebühr liegt darin, dass ein Rechtsanwalt, der besondere Mühe darauf verwandt hat, die aus einem Verwaltungsakt folgende Belastung von seinem Mandanten abzuwenden, ohne es auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen zu lassen, im Erfolgsfalle dem Mandanten in besonderer Weise genützt hat, weil er ihm die mit einem Prozess verbundene Unsicherheit sowie den Zeit- und Kostenaufwand erspart (vgl. Schütz in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, VV 1002 Rn. 4).
Im Fall der Antragstellerin liegen zwar die in Nr. 1002 VV RVG genannten objektiven Voraussetzungen vor, da sich durch die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 erklärte Einstellung der Zwangsvollstreckung das beim Verwaltungsgericht zu diesem Zeitpunkt anhängige Eilverfahren in Form eines Aussetzungsantrags erledigt hat; auch Vollziehungsmaßnahmen, die nicht unmittelbar die Aufhebung bzw. Änderung oder den Erlass eines (Grund-)Verwaltungsakts betreffen, werden nach herrschender Meinung von dieser Vorschrift erfasst (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, VV 1002 Rn. 17 f. m. w. N.). Es fehlt jedoch, wie die Geschäftsstellenbeamtin des Verwaltungsgerichts zutreffend festgestellt hat, an dem notwendigen subjektiven Element einer für den Eintritt der Erledigung kausalen „anwaltlichen Mitwirkung“. Insoweit genügt es nicht, wenn der Bevollmächtigte nur sämtliche für seinen Mandanten sprechenden rechtlichen Argumente überzeugend vorträgt; diese allgemeine Förderung des Verfahrens ist bereits durch die Tätigkeitsgebühren abgegolten. Zur Erlangung der Erledigungsgebühr muss ein darüber hinausgehendes besonderes Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits gegeben sein (Müller-Rabe, a. a. O., Rn. 40 m. w. N.). Für solche Aktivitäten ist hier nichts ersichtlich.
Der in der Beschwerdebegründung angeführte Umstand, dass aufgrund eines besonderen Einsatzes des Bevollmächtigten der Antragstellerin in den gleichzeitig anhängigen Einspruchs- und finanzgerichtlichen Eilverfahren das Finanzamt Würzburg dazu bewegt wurde, das Einspruchsverfahren mit Blick auf eine zu erwartende höchstrichterliche Entscheidung auszusetzen und dementsprechend auch die beantragte Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Gewerbesteuermessbescheide nach § 361 Abs. 2 Satz 1 AO zu gewähren, stellte aus der hier maßgeblichen Sicht des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens noch kein Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung dar, das zu einer Gebühr nach Nr. 1002 VV RVG führen könnte. Zwar hatte die Aussetzung der Vollziehung der Messbescheide, die jeweils Grundlagenbescheide darstellten (vgl. § 171 Abs. 10 AO), nach § 361 Abs. 3 Satz 1 AO zwingend zur Folge, dass auch die Vollziehung der von der Antragsgegnerin erlassenen Gewerbesteuerbescheide auszusetzen war, so dass sich das darauf gerichtete verwaltungsgerichtliche Eilrechtschutzbegehren der Antragstellerin erledigte. Die durch die Erledigungsgebühr prämierte „anwaltliche Mitwirkung“ an der Erledigung muss jedoch grundsätzlich im selben Verfahren erfolgt sein, für das diese Gebühr anfällt; das Erstreiten einer dem Mandanten günstigen Entscheidung in einem anderen Verfahren reicht dafür nicht aus (BayVGH, B. v. 9.7.2009 – 10 C 09.1200 – juris Rn. 19; Müller-Rabe, a. a. O., Rn. 39 m. w. N.). Die mit einer gesonderten Vergütung honorierte Mitwirkung desselben Rechtsanwalts in einem gleichzeitig anhängigen anderen Verfahren rechtfertigt demnach eine Erledigungsgebühr auch dann nicht, wenn die in diesem Verfahren erwirkte Entscheidung letztlich kausal zur Erledigung des Verwaltungsstreitverfahrens geführt hat (BayVGH, a. a. O.).
Zwar mag es Ausnahmefälle geben, in denen eine über die normale Prozessführung hinausgehende und den Tatbestand der Erledigungsgebühr ausfüllende besondere Tätigkeit im Zusammenhang mit der Prozessführung in einem anderen gerichtlichen Verfahren erfolgt (vgl. BayVGH, B. v. 7.4.2014 – 8 M 13.40028 – juris Rn. 4; OVG NW, B. v. 24.10.2014, a. a. O., Rn. 16). Dies setzt aber jedenfalls ein Verhalten voraus, das spezifisch auf die unstreitige Erledigung desjenigen Verfahrens gerichtet ist, in dem die Erledigungsgebühr geltend gemacht wird; es muss über das für die ordnungsgemäße Prozessführung in dem anderen Verfahren ohnehin Erforderliche erkennbar hinausgehen (BayVGH a. a. O.). Ein solches auf die außergerichtliche Erledigung auch des verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits abzielendes Verhalten kann in dem (erfolgreichen) Betreiben des finanzgerichtlichen Verfahrens durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin nicht gesehen werden. Er hat dort lediglich Einwendungen gegen die Gewerbesteuermessbescheide und deren Vollziehung vorgebracht; dass das damit erreichte Entgegenkommen des Finanzamts Würzburg am Ende die Vollziehbarkeit auch der Gewerbesteuerbescheide der Antragsgegnerin zu Fall gebracht hat, beruhte nicht auf einem diesbezüglichen speziellen Engagement des Bevollmächtigten, sondern auf der im Gesetz angelegten Verknüpfung zwischen Grundlagen- und Folgebescheid.
Auch die in der Beschwerdebegründung geschilderte und durch die beigefügten Schriftsätze dokumentierte außergerichtliche Kommunikation des Bevollmächtigten der Antragstellerin mit der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin stellte keinen kausalen Beitrag zur unstreitigen Erledigung des Verfahrens dar. Im Schriftsatz vom 8. September 2014 wird lediglich auf die Argumente der Gegenseite eingegangen und der möglichen Forderung nach einer Sicherheitsleistung widersprochen; für den Fall der Fortsetzung der Vollstreckungsmaßnahme wird die Geltendmachung von Schadensersatz- und Amtshaftungsansprüchen angedroht. Auch die am Ende des Schreibens aufgeworfene Frage, ob die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung bei einer Nutzen-Risiko-Analyse einer sachgerechten Ermessensausübung entspreche, zielte erkennbar nicht auf eine endgültige außergerichtliche Erledigung, sondern sollte die Gegenseite lediglich dazu bewegen, die anstehende Entscheidung des Finanzgerichts über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide abzuwarten.
Der weitere Schriftsatz vom 25. September 2014, mit dem der Vertreter der Antragstellerin die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin „der guten Ordnung halber“ über die vom Finanzamt Würzburg kurz zuvor verfügte Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide in Kenntnis setzte und die Aussetzung der Vollziehung auch der Gewerbesteuerbescheide beantragte, stellte ebenfalls kein spezifisches Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung dar, sondern enthielt lediglich den Hinweis auf die aus § 361 Abs. 3 Satz 1 AO sich ergebende, für die Antragstellerin günstige Rechtsfolge. Die nachfolgende Erklärung der Antragsgegnerin, dass die Zwangsvollstreckung aus den Gewerbesteuerbescheiden eingestellt werde, beruhte demzufolge nicht auf diesem vorangegangenen außergerichtlichen Schriftverkehr, sondern allein auf der durch die Entscheidung des Finanzamts bewirkten Änderung der Sach- und Rechtslage; dies kommt im Schriftsatz der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 6. Oktober 2014 unmissverständlich zum Ausdruck. Die eingangs dieses Schreibens erteilte Zusicherung, bis zu einer gerichtlichen Entscheidung die Zwangsvollstreckung nicht weiter zu betreiben, bezog sich im Übrigen auf die entsprechende Bitte des Gerichts in dessen Anschreiben vom 2. Oktober 2014 und stand in keinem Zusammenhang mit früheren Schreiben der Gegenseite.
Ein erledigungsförderndes Handeln des Antragstellervertreters kann schließlich auch nicht schon in der Übersendung eines Abdrucks der Aussetzungsverfügung des Finanzamts an die Antragsgegnerin gesehen werden. Angesichts der nach dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung bestehenden zwingenden Verpflichtung der Finanzbehörden zur Unterrichtung der betroffenen Gemeinde über die Aussetzung der Vollziehung eines Realsteuermessbescheids (§ 361 Nr. 5.4.3 AEAO) hätte eine Mitteilung über die Verfügung vom 22. September 2014 die Antragsgegnerin auch ohne diesen Umweg erreicht. In der bloßen Beschleunigung des Informationsprozesses kann noch keine Handlung gesehen werden, die zur Erledigung führt und eine entsprechende Zusatzgebühr rechtfertigt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 der Anlage 1 zum GKG eine Festgebühr anfällt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.