Kosten- und Gebührenrecht

Erfolglose Anhörungsrüge gegen Entscheidung zur Einreise-Quarantäneverordnung

Aktenzeichen  20 NE 20.2270

Datum:
15.10.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27274
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 6

 

Leitsatz

1. Auch Einzelanwälte ohne eigenes Personal müssen die ihnen zumutbaren Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall treffen (Anschluss an BGH NJW-RR 2019, 1207 Rn. 11). Dabei ist eine Vorbereitung durch konkrete Maßnahmen geboten, wenn der Rechtsanwalt einen konkreten Anlass vorhersehen kann (Anschluss an BGH BeckRS 2016, 11406). (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, der Auffassung eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2016, 44245 Rn. 4). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

Die zulässige Anhörungsrüge, mit welcher der Antragsteller die Fortführung des Verfahrens über seinen mit Beschluss vom 28. September 2020 (Az. 20 NE 20.2142) abgelehnten Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf einstweilige Außervollzugsetzung der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) anstrebt, bleibt ohne Erfolg.
1. Der Senat hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).
Der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. § 108 Abs. 2 VwGO), sowie ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 33 ff.; BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 – juris Rn. 45).
Mit seiner Anhörungsrüge beanstandet der Antragsteller, der Senat habe seinen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO abgelehnt, ohne die angekündigte Erwiderung zum Schriftsatz des Antragsgegners vom 25. September 2020 abzuwarten. Die gerichtliche Mitteilung, wonach aufgrund der Eilbedürftigkeit lediglich eine Stellungnahmefrist bis 28. September 2020, 12.30 Uhr eingeräumt werden könne (Telefaxzugang 10.44 Uhr), habe er erst nach Übermittlung des Beschlusses (13.17 Uhr) zur Kenntnis genommen. Da bei Einzelanwälten wie ihm nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie eine zu den üblichen Geschäftszeiten ständig besetzte Kanzlei unterhielten, sei ihm die Möglichkeit genommen worden, zur Antragserwiderung Stellung zu nehmen. Da das Verfahren keine gesteigerte Eilbedürftigkeit aufweise (etwa aufgrund unmittelbar bevorstehender Ein- und Rückreise aus einem ausländischen Risikogebiet), habe er davon ausgehen dürfen, dass das Gericht seine Stellungnahme abwarte.
Damit wird keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dargelegt. Das Gericht hat den o.g. Schriftsatz des Antragsgegners am 25. September 2020 (Freitag) per Telefax an den Antragsteller übermittelt (laut Faxbericht um 10.22 Uhr, vgl. Senatsakte). Der Antragsteller hat sich hierzu mit Schriftsatz vom selben Tag (Eingang bei Gericht um 16.16 Uhr) eine Erwiderung bis 28. September 2020 (Montag) vorbehalten. Das Gericht war daher gehalten, entweder eine Frist für die Begründung zu setzen oder, wenn es davon absieht, mit einer ablehnenden Entscheidung angemessene Zeit zu warten (stRspr, vgl. nur BVerfG, B.v. 22.1.2019 – 2 BvR 93/19 – NJW 2019, 1060 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dies hat der Senat befolgt und im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit eine Frist zur Antragserwiderung bis 28. September 2020, 12.30 Uhr, gesetzt.
Der Antragsteller, der angibt, zwischen dem Eingang der Fristsetzung per Telefax (10.44 Uhr) und der Zustellung der Eilentscheidung (13.17 Uhr) nicht in seiner Kanzlei gewesen zu sein (ohne zu den Umständen seiner Abwesenheit näher auszuführen), hat nicht dargelegt, dass er zumutbare Vorkehrungen getroffen hat, um hiervon rechtzeitig Kenntnis nehmen zu können. Sein Vorhalt, als Einzelanwalt sei er nicht gehalten, eine zu den üblichen Geschäftszeiten ständig besetzte Kanzlei zu unterhalten, greift zu kurz. Auch Einzelanwälte ohne eigenes Personal müssen die ihnen zumutbaren Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall treffen (vgl. BGH, B.v. 16.4.2019 – VI ZB 44/18 – NJW-RR 2019, 1207 – juris Rn. 11). Dabei ist eine Vorbereitung durch konkrete Maßnahmen geboten, wenn der Rechtsanwalt einen konkreten Anlass vorhersehen kann (vgl. BGH, B.v. 2.6.2016 – III ZB 2/16 – NJW-RR 2016, 1022 – juris Rn. 8; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 16a D 16.2092 – juris Rn. 8 zu § 60 Abs. 1 VwGO betreffend die Obliegenheit zur Rückfrage des Eingangs von Schriftverkehr).
Ein solcher konkreter Anlass lag hier vor. Für den Antragsteller war es in der prozessualen (Eil-)Situation hinreichend vorhersehbar, dass ihn am 28. September 2020 während der üblichen Bürozeiten ein gerichtliches Schreiben erreichen kann, das eine umgehende Reaktion erfordert. Das Vorbringen der Anhörungsrüge, das Verfahren habe keine besondere – d.h. eine nicht jedem Eilverfahren innewohnende – Eilbedürftigkeit aufgewiesen, trifft nicht zu. Die Notwendigkeit einer raschen Entscheidung ergab sich vorliegend schon aus dem Umstand, dass die angegriffene Verordnung mit Wirkung zum 3. Oktober 2020, außer Kraft treten sollte (vgl. § 4 EQV i.d.F.d. Änderungsverordnung v. 17.9.2020, BayMBl Nr. 533). Dem entsprechend hatte der Senat dem Antragsgegner zum Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO nur eine kurze Äußerungsfrist (bis 25.9.2020, 12.00 Uhr, also ca. 24 Stunden) eingeräumt. Die dem Antragsteller gesetzte Erwiderungsfrist entsprach – bezogen auf die werktäglich verfügbare Bearbeitungszeit – dieser Dauer. Der Antragsteller hätte deshalb dafür sorgen müssen, dass ihm die gerichtliche Fristsetzung, die während seiner Abwesenheit endete, nicht über mehrere Stunden unbekannt blieb (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.1992 – 23 B 92/1549 – NJW 1993, 1731/1732; Stackmann in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 233 Rn. 103; Grandel in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 233 Rn. 9). Dafür hätte es beispielsweise genügt, beim Gericht telefonisch nachzufragen, ob es der Senat im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Rechtssache als verantwortbar erachtet, mit der Entscheidung bis zum 29. September 2020 (Dienstag) zuzuwarten. Ohne eine solche Rückfrage durfte er sich nicht darauf verlassen, dass während der üblichen Bürozeiten über mehrere Stunden kein anwaltlicher Handlungsbedarf entstehen kann.
2. Soweit sich die Anhörungsrüge gegen die Streitwertfestsetzung in Nr. III. des Beschlusses vom 28. September 2020 richtet, bleibt sie ebenfalls ohne Erfolg. Dass der Antragsteller den Rechtsbehelf gegen die Streitwertfestsetzung als Anhörungsrüge nach § 152a VwGO anstatt nach § 69a GKG bezeichnet hat, ist unschädlich.
Der Senat war nicht gehalten, die Beteiligten vor der Festsetzung des endgültigen Streitwerts gesondert anzuhören (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 4 S 17.986 – juris Rn. 6; B.v. 2.12.2016 – 10 BV 16.962 – juris Rn. 37). Der Senat hatte den Streitwert vorläufig durch Beschluss gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG ohne Anhörung der Beteiligten auf 10.000 Euro festgesetzt. Dies wurde dem Antragsteller mit Schreiben vom 24. September 2020 mitgeteilt. Damit war für ihn offensichtlich, dass der Senat seine Auffassung, wonach der Streitwert für das Verfahren lediglich 2.500 Euro betrage, nicht teilt. Der Antragsteller hatte daher ausreichend Gelegenheit, sich zu der Frage der Bemessung des Streitwerts im Eilverfahren zu äußern. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, der Auffassung eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 22.3.2016 – 9 A 7.16 u.a. – Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 15 – juris Rn. 4). Von einer „Überraschungsentscheidung kann deshalb keine Rede sein (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2011 – 8 A 11.40020 – juris Rn. 5).
Lediglich ergänzend weist der Senat im Hinblick auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GKG darauf hin, dass ihm die Ausführungen zur Anhörungsrüge auch keinen Anlass geben, die Streitwertfestsetzung von Amts wegen abzuändern.
3. Wenngleich es sich bei der Anhörungsrüge um einen formellen Rechtsbehelf handelt, der im Fall von Gehörsverstößen greift und nicht dazu dient, das Gericht zu einer ergänzenden Erläuterung seiner Entscheidung zu veranlassen (vgl. BVerwG, B.v. 22.3.2016 – 9 A 7.16 u.a. – Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 15 – juris Rn. 4), weist der Senat zum inhaltlichen Vorbringen des Antragstellers auf Folgendes hin:
a) Die Tatsache, dass in der Landeshauptstadt München mehr als 11 Prozent der Einwohner Bayerns leben, ändert nichts an der Feststellung des Senats, dass es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am 28. September 2020 nur in wenigen bayerischen Landkreisen bzw. kreisfreien Städten zu einer Überschreitung des Werts von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen gekommen war. Auch im Hinblick auf die in der Relation zur Bevölkerungszahl Bayerns hohe Einwohnerzahl der Landeshauptstadt ist nicht erkennbar, dass der Verordnungsgeber die ihm zustehenden Grenzen zulässiger Typisierung und Pauschalierung überschritten hätte.
b) Das Vorbringen, die Einreise mit SARS-CoV-2 infizierter Personen aus dem Ausland könne in inländischen Regionen mit höherem Infektionsgeschehen keinen Beitrag zur Verschärfung der Infektionslage leisten, weil sich durch die Ausreise von Virusträgern deren Gesamtzahl nicht erhöhe, ist für den Senat nicht nachvollziehbar.
c) Auf das vom Antragsteller als unzulässig erachtete Argument des Antragsgegners, der Inzidenzwert für die Landeshauptstadt München liege mit nur knapp über 50 deutlich unter demjenigen mancher ausländischer Risikogebiete (z.B. Paris), hat sich der Senat in seinem Eilbeschluss vom 28. September 2020 nicht gestützt. Auch der Vortrag des Antragstellers, der Antragsgegner habe am 7. Oktober 2020 nur Risikogebiete außerhalb Bayerns nach § 14 Abs. 2 7. BayIfSMV bekanntgegeben, weshalb die Ernsthaftigkeit des Beherbergungsverbots – als alternatives Regelungsmodell zur Einreise-Quarantäneverordnung – zu bezweifeln sei, war im Hinblick auf das Ergehen der Entscheidung des Senats am 28. September 2020 nicht maßgeblich.
d) Das ergänzende Vorbringen des Antragstellers enthält auch keine stichhaltigen Erwägungen, die das Ergebnis der vom Senat getroffenen Folgenabwägung infrage stellen könnten. Dass sich eine Quarantäne in jedem Fall durch Vorlage eines negativen Coronatests, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, vermeiden ließe, hat der Senat nicht angenommen. Im Übrigen bleibt der Senat dabei, dass die nur abstrakte Beeinträchtigung der Reisefreiheit des Antragstellers, der keine Auslandsreise in ein Risikogebiet konkret geplant hat, hinter den Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz vor einer Weiterverbreitung des potenziell tödlichen Coronavirus zurückzutreten hat. Dass der Antragsgegner bei einer Außervollzugsetzung der Verordnung diese zeitnah durch ein alternatives Regelwerk ersetzen könnte, ändert daran nichts.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht; nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) fällt eine streitwertunabhängige Festgebühr an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


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