Kosten- und Gebührenrecht

Erfolgloser Antrag auf Prozesskostenhilfe für Klage auf Löschung von der Polizei erhobener personenbezogener Daten

Aktenzeichen  10 C 20.10

Datum:
30.1.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1183
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 2, Art. 62 Abs. 2 S. 1
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
StPO §§ 153 ff., § 172 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ändert sich im Laufe des Prozesskostenhilfeverfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers, ist für die Beurteilung hinreichender Erfolgsaussichten ausnahmsweise der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich, wenn wie bei der Verpflichtungsklage nach dem materiellen Recht bei einer Entscheidung in der Hauptsache im Laufe des Verfahrens eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen sind (Anschluss an BayVGH BeckRS 2019, 13857). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Rechtfertigung einer weiteren Speicherung von der Polizei erhobener Daten genügt das Fortbestehen eines Anfangsverdachts im strafprozessualen Sinne aus. Dabei lässt eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO den Tatverdacht nicht entfallen und ist bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO jeweils zu prüfen, ob diese wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein “Restverdacht” fortbesteht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 K 19.1462 2019-12-03 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg anhängige Klage weiter, mit der sie – unter Aufhebung des Bescheids des Bayerischen Landeskriminalamts vom 12. Juli 2019 – die Verpflichtung des Beklagten erreichen will, im Bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) und im Integrationsverfahren Polizei (IGVP Vorgangsbearbeitung) gespeicherte Eintragungen zu löschen.
Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ändert sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers, ist ausnahmsweise jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Beschwerdegerichts – maßgeblich, wenn nach dem materiellen Recht bei einer Entscheidung in der Hauptsache im Laufe des Verfahrens eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen sind (BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 10 C 17.322 – juris Rn. 6 m.w.N.). Da im vorliegenden Fall eine Verpflichtungsklage inmitten steht, bei der auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen ist, kommt es somit auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung an (vgl. BayVGH, B.v. 17.6.2019 – 10 C 17.1793 – juris Rn. 5).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall auch unter Einbeziehung des klägerischen Vorbringens im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat.
Nach Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn (Nr. 1) ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war, (Nr. 2) sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen, oder (Nr. 3) bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe nicht mehr erforderlich ist. Ferner sind nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG personenbezogene Daten, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht entfallen ist.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass bei fortbestehendem Tatverdacht die Kenntnis der gespeicherten personenbezogenen Daten zur Erfüllung der der speichernden Stelle obliegenden Aufgaben grundsätzlich weiterhin erforderlich ist. Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln. Eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein “Restverdacht” fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (BayVGH, B.v. 22.1.2015 – 10 C 14.1797 – juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 10 C 13.62 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 1.8.2012 – 10 ZB 11.2438 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 10 ZB 12.2455 – juris. Rn. 5; BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 ZB 14.2603 – juris Rn. 13; Aulehner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 10.11.2019, Art. 54 PAG Rn. 28 ff.; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Aufl. 2014, Art. 38 PAG a.F. Rn. 33 ff.).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf die vier gespeicherten Aktenvorgänge bzw. Datensätze zu Recht festgestellt, dass jeweils noch ein Restverdacht in dem beschriebenen Sinn besteht und hinsichtlich des Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Verurteilung der Klägerin vorliegt. Auch in ihren umfangreichen Ausführungen im Beschwerdeverfahren kann die Klägerin letztlich nicht darlegen, dass im weiteren Verlauf des Klageverfahrens der jeweils fortbestehende Restverdacht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeräumt werden könnte. Vielmehr trägt die Klägerin in Bezug auf die hier zur Last gelegten Taten ihre Sicht der Dinge vor, teilweise räumt sie letztlich den Vorwurf ein und erklärt bzw. relativiert die ihr seinerzeit vorgeworfenen Taten, teilweise bestreitet sie diese, ohne aber die Verdachtsmomente ausräumen zu können. Anhaltspunkte dafür, dass die erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin am 3. November 2008 nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hätte, ergeben sich auch unter Berücksichtigung des diesbezüglichen Beschwerdevorbringens nicht. Abschließend moniert die Klägerin die nicht sachgemäße Behandlung ihrer Anzeigen durch die Polizei und regt die Klärung der “Angelegenheit” in einem persönlichen Gespräch an. Aber auch damit hat die Klägerin nichts Durchgreifendes gegen den fortbestehenden Restverdacht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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