Kosten- und Gebührenrecht

Erneuter Anfall der Verfahrensgebühr nach Trennung

Aktenzeichen  Au 4 M 20.31467

Datum:
20.11.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32190
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 2 Abs. 2, § 13, § 15 Abs. 2, § 19 Abs. 1 S. 1, § 30 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 2 S. 2
AsylG § 80
VwGO § 151, § 154 Abs. 1, § 165

 

Leitsatz

1. Auch wenn Gebühren vor einer Verfahrenstrennung bereits aus dem Gegenstandswert erwachsen sind, fallen in den durch die Trennung verselbständigten Verfahren entsprechende Gebühren aus den jeweiligen (geringeren) Streitwerten erneut an (Anschluss an VGH München BeckRS 2017, 122696 Rn. 19). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es handelt sich nach der Trennung nicht mehr um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG (Anschluss an VGH München BeckRS 2017, 122696 Rn. 22). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin (Beklagte) wendet sich gegen die mit Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. Oktober 2020 festgesetzten und an den Antragsgegner (Kläger) zu erstattenden Aufwendungen in Höhe von 480,12 EUR.
Mit Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. Mai 2018 (Az. Au 4 K 16.32702) wurde die Beklagte verpflichtet, über den vom Kläger gestellten Asylantrag nach nationalem Recht zu entscheiden. Mit Bescheid vom 31. August 2018 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 1) und drohte die Abschiebung des Klägers nach Bulgarien bzw. jeden zur Rückübernahme verpflichteten Staat mit Ausnahme Syriens an (Nr. 2).
Der Kläger ließ am 29. Juni 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben mit dem Antrag, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und weiter hilfsweise Abschiebungsverbote festzustellen. Weiter hilfsweise wurde die Verpflichtung der Beklagten auf Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beantragt. Das Verfahren, über das noch nicht entschieden ist, wird unter dem Aktenzeichen Au 4 K 20.30997 geführt.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 26. August 2020 wurde der Bescheid vom 31. August 2018 aufgehoben (Nr. 1), dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Nr. 2) und im Übrigen der Asylantrag abgelehnt (Nr. 3). Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 7. September 2020 den Rechtsstreit im Hinblick auf den Bescheidungsantrag, den Antrag auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote sowie auf Gewährung subsidiären Schutzes für erledigt erklärt und sein Klagebegehr auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkt.
Mit Beschlüssen vom 8. September 2020 wurde die Streitsache zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen und der von der Erledigterklärung erfasste Verfahrensteil als eigenes Klageverfahren abgetrennt, unter dem Aktenzeichen Au 4 K 20.31276 fortgeführt und eingestellt. Die Kosten des abgetrennten Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt. Der Klägerbevollmächtigte hat den Empfang der Entscheidung bestätigt.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 29. September 2020 begehrte der Kläger die Festsetzung der zu erstattenden Kosten seines Prozessbevollmächtigten im Verfahren Au 4 K 20.31276. Es wurden beantragt, aus einem Gegenstandswert von 5.000,- EUR eine Verfahrensgebühr gemäß § 13 RVG Nr. 3100 VV-RVG (1,3fach) in Höhe von 393,90 EUR sowie eine Pauschale für Post- und Telekomunikation Nr. 7002 VV-RVG in Höhe von 20,- EUR, insgesamt netto 413,90 EUR nebst 16% Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG in Höhe von 66,20 EUR, insgesamt mithin 480,12 EUR zu erstatten.
Mit Beschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. Oktober 2020, zugestellt am 21. Oktober 2020, wurden die von der Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Aufwendungen antragsgemäß auf 480,12 EUR festgesetzt.
Mit bei Gericht am 2. November 2020 eingegangenem Schriftsatz beantragte die Beklagte die Entscheidung des Gerichts (Erinnerung) und beantragte sinngemäß eine anteilige Reduzierung der geltend gemachten Verfahrensgebühr um ein Drittel. Zur Begründung wurde dargelegt, dass für die Berechnung der Gebühren grundsätzlich der Gegenstandswert zum Zeitpunkt des Entstehens der jeweiligen Gebühr maßgeblich sei. Dies sei vorliegend mit Klageerhebung der Fall gewesen, so dass in der Folge für das abgetrennte Verfahren nur eine anteilige Gebühr festzusetzen sei.
Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte sie mit Schreiben vom 11. November 2020 dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt und die gewechselten Schriftsätzen Bezug genommen.
II.
Über die Erinnerung nach § 165 VwGO i.V.m. § 151 VwGO hat im vorliegenden Fall der Einzelrichter zu entscheiden, da das Kostenfestsetzungsverfahren ein von der Kostenlastentscheidung in der Hauptsache abhängiges Nebenverfahren darstellt und die der Kostenfestsetzung zugrunde liegende Kostenentscheidung im Beschluss vom 8. September 2020 durch den Einzelrichter getroffen wurde.
Das Begehren der Beklagten, die keinen konkreten Antrag gestellt hat, ist nach verständiger Auslegung dahingehend zu verstehen, dass sie den Kostenfestsetzungsbeschluss nur teilweise angefochten hat und eine Kürzung der Verfahrensgebühr um ein Drittel begehrt (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 14 C 17.559 – juris Rn. 14).
1. Die teilweise Anfechtung des Kostenfestsetzungsbeschlusses ist zulässig aber unbegründet. Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. Oktober 2020 ist nicht zu beanstanden. Der Klägerbevollmächtigte kann die 1,3fache Verfahrensgebühr im abgetrennten und eingestellten Verfahren Au 4 K 20.31276 aus dem Gegenstandswert von 5000,- EUR ungekürzt verlangen (vgl. VG Augsburg, B.v. 23.8.2018 – Au 8 M 18.30053 – juris Rn. 18 ff.; a.A. VG Würzburg, B.v. 29.4.2020 – W 1 M 20.30478 – juris Rn. 15; B.v. 14.2.2019 – W 3 M 18.32315 – juris Rn. 17).
Nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3100 und Nr. 3104 VVRVG erhält ein Bevollmächtigter eine 1,3fache Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (vgl. Vorbem. 3 Abs. 2 VVRVG). Auch wenn diese Gebühren vor der Verfahrenstrennung bereits aus dem Gegenstandswert erwachsen sind, fallen in den durch die Trennung verselbständigten Verfahren entsprechende Gebühren aus den jeweiligen (geringeren) Streitwerten erneut an (BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 14 C 17.559 – juris Rn. 19, unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung; BGH, U.v. 24.9.2014 – IV ZR 422/13 – juris Rn. 12; BVerwG, B.v. 4.9.2009 – 9 KSt 10.09 – juris Rn. 5; OVG Berlin-Bbg, B.v. 10.11.2016 – OVG 3 K 97.16 – juris Rn. 5; OVG LSA, B.v. 9.8.2019 – 1 O 71/19 – juris Rn. 11). Die Gebühren sind nach der Trennung für jedes Verfahren nach seinem in deren Folge geltenden neuen Streitwert zu berechnen (VG Frankfurt (Oder), B.v. 25.5.2016 – 6 KE 9/16.A – juris Rn. 2; Rudisile in: Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 93 Rn. 26; Winkler in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, § 15 Rn. 64). Diese Gebühr ergibt sich vorliegend aus dem Gegenstandswert, der in Klageverfahren nach dem Asylgesetz einheitlich 5000,- EUR beträgt und (nur) bei Beteiligung mehrerer Personen um 1000,- EUR für jede weitere Person erhöht wird (§ 30 Abs. 1 Satz 1 RVG). Somit bildet sich bei der Abtrennung eines Streitgegenstandes, etwa wie vorliegend hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, in beiden Verfahren die Gebühr in Anwendung der Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG stets aus 5000,- EUR.
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 15 Abs. 2 RVG. Durch die Trennung sind jeweils rechtlich selbständige Verfahren entstanden, die gesondert geführt werden und bei denen Gebühren gesondert erneut anfallen (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 93 Rn. 8). Es handelt sich dabei nach der Trennung nicht mehr um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 14 C 17.559 – juris Rn. 22; OVG LSA, a.a.O. Rn. 11 u. 13).
Schließlich sind vorliegend in den abgetrennten „neuen“ Verfahren die Voraussetzungen für das Entstehen einer Gebühr erfüllt. Zu dem Verfahren gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 RVG auch alle Vorbereitungs-, Neben- und Abwicklungstätigkeiten und insoweit insbesondere die Empfangnahme von Entscheidungen und ihre Mitteilung an den Auftraggeber (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG, siehe auch BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 14 C 17.559 – juris Rn. 21; BVerwG, B.v. 4.9.2009 – 9 KSt 10.09 – juris Rn. 6 m.w.N.). Diese Tätigkeit des Bevollmächtigten fand auch im abgetrennten und eingestellten Verfahren statt, wie sich aus den dem Gericht übermittelten Empfangsbekenntnis (Bl. 46 der Gerichtsakte) ergibt.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).


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