Kosten- und Gebührenrecht

Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr nach VV 3200 RVG für einen nach Erlass des Berufungszurückweisungsbeschlusses eingegangenen Antrag auf Zurückweisung der Berufung

Aktenzeichen  11 W 1556/16

Datum:
20.10.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 128095
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91, § 511, § 522 Abs. 2
VV 3200 RVG

 

Leitsatz

1 Der mit Gründen versehene Schriftsatz, mit dem der Vertreter des Berufungsbeklagten die Zurückweisung der Berufung beantragt, lässt die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach VV 3200 RVG auch dann entstehen, wenn das Berufungsgericht zuvor auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen hatte. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Erstattungsfähigkeit dieser Verfahrensgebühr steht es nicht entgegen, dass der Zurückweisungsantrag erst zu einem Zeitpunkt beim Berufungsgericht eingegangen ist, als dieses bereits den Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erlassen hatte, wenn dieser Umstand dem Berufungsbeklagten bei Einreichung seines Antrags nicht bekannt war. (Rn. 11 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

65 O 3590/14 2016-07-29 LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert der Beschwerde beträgt 389,40 €.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Am 19.04.2016 erging ein Beschluss des Oberlandesgerichts München, Az. 27 U 3498/15 Bau, mit dem die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Augsburg vom 20.08.2015 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wurde; die Kosten des Berufungsverfahrens wurden dem Kläger auferlegt. Mit Schriftsatz vom 21.04.2016, eingegangen am 22.04.2016, zeigten die Beklagtenvertreter die Vertretung des Beklagten im Berufungsverfahren an und beantragten Zurückweisung der Berufung.
Mit Schriftsatz vom 10.05.2016 erhob die Klagepartei eine Gehörsrüge nach § 321 a ZPO. Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten die Verwerfung der Gehörsrüge als unzulässig, hilfsweise ihre Zurückweisung als unbegründet. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 30.05.2016 wurde die Gehörsrüge zurückgewiesen.
Auf Festsetzungsantrag des Beklagten vom 27.04.2016 setzte das Landgericht Augsburg mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.07.2016 (Bl. 227/229 d.A.) die von der Klagepartei an die Beklagtenpartei für das Berufungsverfahren zu erstattenden Kosten auf 586,40 € (netto) nebst Zinsen fest; es handelt sich um eine 1,6 Verfahrensgebühr (Nr. 3200 VV-RVG) aus dem Streitwert von 5.010,30 € in Höhe von 566,40 € nebst Pauschale von 20,00 € nach Nr. 7002 VV-RVG. Die anschließende Tätigkeit im Rügeverfahren wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs sei von der Kostenentscheidung der Berufungsinstanz erfasst.
Gegen diesen Beschluss legte der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 16.08.2016 sofortige Beschwerde ein und verwies dabei auf seinen Schriftsatz vom 30.06.2016, wonach das Berufungsverfahren bereits mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 19.04.2016 abgeschlossen gewesen sei, als der Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 21.04.2016 die Mandatierung habe anzeigen lassen. Sofern das Landgericht auf das Gehörsrügeverfahren abstelle, könne die Beklagtenpartei allenfalls die 0,5 Beschwerdegebühr von 197,00 € erhalten.
Mit Schriftsatz vom 01.09.2016 bringt der Beklagte vor, die Zustellung des Beschlusses vom 19.04.2016 sei erst am 25.04.2016 erfolgt, die Beauftragung jedoch unmittelbar im Anschluss an die Zustellung der Berufungsschrift. Eine Gebühr nach Nr. 3330 VV-RVG sei zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Festsetzungsantrags gewesen und sei auch nicht anzusetzen.
Mit Beschluss vom 08.09.2016 hat der Rechtspfleger der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig gemäß §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO.
Das Rechtsmittel hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.07.2016 entspricht der Sach- und Rechtslage.
1. Der Schriftsatz, mit dem Zurückweisung der Berufung beantragt wird, lässt eine 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV-RVG in der Rechtsmittelinstanz entstehen (s. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., VV 3201 Rn. 12). Hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einen einstimmigen Beschluss zurückzuweisen und hat der Vertreter des Berufungsbeklagten danach einen mit Gründen versehenen Zurückweisungsantrag gestellt, so fällt eine 1,6 Verfahrensgebühr an, die auch zu erstatten ist. Denn der Mandant hat ein Interesse daran, die Beschlussfassung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Er hat wegen der Beschleunigung des Verfahrens und wegen der Unanfechtbarkeit der Entscheidung auch ein besonderes Interesse daran, dass gerade ein Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ergeht (s. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Rn. 62).
2. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.04.2016 die Zurückweisung der Berufung des Klägers nach § 522 Abs. 2 ZPO beantragt, nachdem das Berufungsgericht am 18.02.2016 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt hatte und der Kläger mit Schriftsatz vom 15.04.2016 hierzu Stellung genommen hatte. Dieser Schriftsatz wurde am 18.04.2016 an den Beklagtenvertreter hinausgegeben und bereits am 19.04.2016 erging Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO, der dem Beklagtenvertreter am 25.04.2016 zugestellt wurde. Zwar erfolgten Sachantrag und Sachvortrag des Beklagten damit nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses. Allerdings konnte er bei Einreichung seines Schriftsatzes am 22.04.2016 noch keine Kenntnis von dem am 19.04.2016 ergangenen Beschluss haben, da ihm dieser erst am 25.04.2016 zugestellt wurde.
3. Dieser zeitliche Ablauf führt zur Frage der Erstattungsfähigkeit der von der Beklagtenseite – in Unkenntnis des bereits erlassenen Zurückweisungsbeschlusses – durch den Schriftsatz vom 21.04.2016 ausgelösten Kosten. Denn der Bundesgerichtshof hat – bezogen auf die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme – in seinem Beschluss vom 25.02.2016, Az. III ZB 66/15 (NJW 2016, 2751), für die Beurteilung der Notwendigkeit von Kosten darauf abgestellt, ob diese „im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen“, s. a.a.O., Tz 8 m.w.N..
a) Konkret sei auf die Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen. Entscheidend sei, ob die Maßnahme objektiv noch erforderlich war oder nicht, auf eine – verschuldete oder unverschuldete – Unkenntnis des Rechtsmittelbeklagten, in dem entschiedenen Fall von der Berufungsrücknahme, komme es nicht an. Die „subjektive Unkenntnis“ des Rechtsmittelgegners sei nicht geeignet, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine objektiv nicht erforderliche Handlung zu begründen, a.a.O., Tz 10. Der Rechtsmittelbeklagte könne eine bestehende Ungewissheit, ob das Rechtsmittel eventuell bereits zurückgenommen sei, durch ggf. telefonische Nachfrage bei Gericht rasch und problemlos klären.
b) Bei der gegebenen Konstellation wäre bei Zugrundelegung dieser Argumentation auf den Zurückweisungsbeschluss vom 19.04.2016 abzustellen, der erst am 25.04.2016 der Beklagtenseite bekannt wurde, aber bereits erlassen war, als diese den umfangreichen Schriftsatz vom 21.04.2016 einreichte. Ohne vernünftigen Zweifel ist aber davon auszugehen, dass sich die Beklagtenseite zu dieser Zeit gerade in Anbetracht der Stellungnahme des Klägers vom 15.04.2016, ihr frühestens am 19.04.2016 zugegangen, äußern und die Zurückweisung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erreichen wollte, ohne Kenntnis davon zu haben, dass dieser Beschluss bereits ergangen war.
c) Der Senat hat in seinem Beschluss vom 30.08.2016, Az. 11 WF 733/16, auf den Widerspruch zwischen der Auffassung des Bundesgerichtshofs und der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts im Beschluss vom 18.04.2012, Az. 3 AZB 22/11, hingewiesen, die auf die Kenntniserlangung durch die Rechtsmittelbeklagtenseite abstellt, s. Tz 10: Danach entsteht die 1,6 Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe, wenn der Schriftsatz beim Bundesarbeitsgericht eingereicht wurde, als der Beschluss über die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde bereits gefasst, aber erst dann nach außen wirksam wurde, als der Schriftsatz eingegangen war; der vor Zugang des Beschlusses gefertigte Schriftsatz gilt dann als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Wertungen beider Rechtsansichten wird auf den Senatsbeschluss vom 30.08.2016 Bezug genommen.
d) Die Ansicht, es komme allein auf die objektive Erforderlichkeit an, würde die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei, die nach ständiger Rechtsprechung des BGH einen Anwalt beauftragen darf, nicht die Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abwarten muss und die entstandenen Kosten im Falle ihres Obsiegens vom Gegner erstattet verlangen kann (s. Beschluss vom 19.09.2013, IX ZB 160/11, NJW-RR 2014, 240, Tz 7 ff. m.w.N.), mit dem vollen Kostenrisiko belasten, wenn ohne ihre Kenntnis ein das Verfahren beendender Umstand eintritt. Eine telefonische Nachfrage bei Gericht entsprechend dem Hinweis des Bundesgerichtshofs wäre im gegebenen Fall vor Fertigung des 6-seitigen Schriftsatzes vom 21.04.2016 eventuell hilfreich gewesen, was aber nichts an der Risikoverlagerung auf die Rechtsmittelbeklagtenseite ändert, die ersichtlich nach Zugang der Stellungnahme des Klägers vom 15.04.2016 meinte, mit umfangreichen Ausführungen auf eine Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO hinwirken zu müssen. Dass dieser Beschluss bereits am 19.04.2016 erging, als ihr frühestens die Stellungnahme des Klägers zuging, hat die Beklagtenseite nachvollziehbar bei Fertigung des Schriftsatzes vom 21.04.2016 nicht in Erwägung gezogen.
Nachdem der Beschluss vom 19.04.2016 den Prozessbevollmächtigten des Beklagten erst durch die Zustellung am 25.04.2016 zur Kenntnis kam, ist unter Beachtung der Rechtsprechung des BAG die Erstattungsfähigkeit der 1,6 Verfahrensgebühr zu Recht angenommen worden.
4. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil das BAG in seinem Beschluss vom 18.04.2012 ausdrücklich auf die Kenntnis der Rechtsmittelbeklagtenseite abstellt und dieser Beschluss von dem des BGH vom 25.02.2016 abweicht. Die prozessuale Situation der Vertretungsanzeige nebst Antragstellung in Unkenntnis des bereits ergangenen Zurückweisungsbeschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO ist vergleichbar mit der im Beschluss des BGH vom 25.02.2016 gegebenen Sachlage der Einreichung einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, Abs. 2 ZPO liegen damit vor. Gegen den Senatsbeschluss vom 30.08.2016 – 11 WF 733/16 – wurde Rechtsbeschwerde eingelegt, die beim Bundesgerichtshof unter dem Az. XII ZB 447/16 anhängig ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


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