Kosten- und Gebührenrecht

Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts in bundesweit geführten Massenverfahren

Aktenzeichen  13 W 2351/20

Datum:
17.7.2020
Fundstelle:
ZInsO – 2020, 2019
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91

 

Leitsatz

Zur Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts in bundesweit geführten Massenverfahren (hier: Insolvenzanfechtungen von Ausschüttungen an Anleger eines Schneeballsystems). (Rn. 7 – 11)
1. Zusätzliche Reisekosten eines Rechtsanwalts, der weder am Gerichtsort noch am Sitz der vertretenen Partei ansässig ist, sind erstattungsfähig, wenn mehrere gleich gelagerte Rechtsstreitigkeiten bei verschiedenen Gerichten zu führen sind und die Partei aus diesem Grund die Wahrnehmung ihrer Belange durch einen Rechtsanwalt als sachdienlich ansehen kann (vgl. BGH BeckRS 2018, 4413 Rn. 11). (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Werden vergleichsweise geringe Ausschüttungen aus einem groß angelegten Betrugssystem vom Insolvenzverwalter angefochten und die Anfechtungsklagen in mehreren hundert Prozessen bundesweit verhandelt, ist es sachdienlich, dass für den klagenden Insolvenzverwalter und für eine Vielzahl von Beklagten jeweils nur ein Rechtsanwalt bundesweit in den standardisierten, sachlich jedoch komplexen Fällen auftritt. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

18 O 3274/18 2020-05-26 Kostenfestsetzungsbeschluss LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.05.2020 – 18 O 3274/18 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf 222 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Gesellschaft aus der …-Gruppe. Die Hauptverantwortlichen der Gruppe wurden durch Urteil des Landgerichts Dresden vom 09.07.2018 (5 KLs 100 Js 7387/12) unter anderem wegen Betrugs zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Beklagte hatte Genussrechte der späteren Insolvenzschuldnerin gezeichnet und auf dieser Grundlage Auszahlungen von ihr erhalten. Der Kläger hat diese Auszahlungen angefochten.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat nach Abschluss des Anfechtungsprozesses – die Parteien haben sich in der Berufungsinstanz verglichen – am 26.05.2020 einen Kostenfestsetzungsbeschluss erlassen. Dort hat es die Reisekosten der Beklagtenvertreterin gemäß ihrem Antrag vom 30.03.2020 auf 296,20 € festgesetzt. Der Beschluss wurde der Klägervertreterin am 29.05.2020 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 10.06.2020, beim Landgericht eingegangen am selben Tag, legte die Klägervertreterin sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein. Darin wandte sie sich gegen die Festsetzung der Reisekosten der (auswärtigen) Beklagtenvertreterin. Statt der festgesetzten 296,20 € könne diese lediglich fiktive Reisekosten i. H. v. 74,20 € verlangen.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Oberlandesgericht vorgelegt.
II.
Die statthafte (§ 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Zur Begründung macht sich das Beschwerdegericht die ausführlichen und zutreffenden Erwägungen des Landgerichts im Kostenfestsetzungsbeschluss (dort S. 5-7) zu eigen und verweist auf sie.
2. Ergänzend ist zu bemerken: Die unterlegene Partei hat die dem Gegner erwachsenen Kosten – einschließlich der Reisekosten eines Rechtsanwalts – gem. § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Notwendigkeit bemisst sich danach, was eine vernünftige und kostenorientierte Partei als sachdienlich ansehen durfte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der weder am Gerichtsort noch am Sitz der vertretenen Partei ansässig ist, nur bis zur Höhe der fiktiv durch die Einschaltung eines an den genannten Orten ansässigen Bevollmächtigten als notwendig und damit erstattungsfähig anzusehen sind. Allerdings können in bestimmten Ausnahmekonstellationen auch die Mehrkosten eines an einem dritten Ort ansässigen Bevollmächtigten notwendig und damit erstattungsfähig sein (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.01.2018 – 6 W 113/17, juris Rn. 4 f. m. w. N.).
a) Der Bundesgerichtshof hat eine solche Ausnahme etwa bejaht, wenn sich diese aus der Komplexität der jeweiligen Rechtsstreitigkeit ergibt oder weil mehrere gleich gelagerte Rechtsstreitigkeiten bei verschiedenen Gerichten zu führen sind und die Partei aus diesem Grund die Wahrnehmung ihrer Belange durch einen Rechtsanwalt als sachdienlich ansehen kann (BGH, Beschluss vom 27.02.2018 – II ZB 23/16, juris Rn. 11). So soll es bei der gebotenen typisierenden Betrachtung einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entsprechen, die Geltendmachung rechtlich gleichgelagerter Ansprüche auf Rückzahlung von Ausschüttungen in einer Publikumskommanditgesellschaft vor verschieden Gerichten in die Hände eines Rechtsanwalts zu geben, damit dieser einen Gesamtüberblick über die Verfahren gewinnen und gegebenenfalls auf Entwicklungen in Parallelverfahren reagieren kann (BGH, Beschluss vom 27.02.2018 – II ZB 23/16, juris Rn. 13, für den Fall, dass ein Insolvenzverwalter Ansprüche gemäß § 171 Abs. 2 HGB gegen mehrere Kommanditisten verfolgt).
b) Die darin liegende Wertung lässt sich auf die vorliegende Konstellation übertragen, in der vergleichsweise geringe Ausschüttungen aus einem groß angelegten Betrugssystem vom Insolvenzverwalter angefochten und die Anfechtungsklagen – allein durch die Klägervertreterkanzlei in mehreren hundert Prozessen – bundesweit verhandelt werden.
Die Prozesse entsprechen, nimmt man das hiesige Verfahren und die darin vorgelegte Papiermenge als Maß, der für solche Massenprozesse typischen Textbaustein- und Materialschlacht. Wenn es daher zweckentsprechender Rechtsverfolgung dient – was die Beklagtenvertreterin zwar in Abrede stellt, woran der Senat aber keinen Zweifel hat -, dass die Klägervertreterin ihre tatsächlichen Reisekosten abrechnen kann, weil es sachdienlich ist, dass sie bundesweit in den textbausteinmäßig strukturierten und standardisierten, sachlich jedoch komplexen Fällen auftritt, gilt das – was die Klägervertreterin zwar in Abrede stellt, woran der Senat aber keinen Zweifel hat – in gleicher Weise für die Beklagtenseite. Letztere ist im Ausgangspunkt aufgrund ihrer Vereinzelung (es sind zahlreiche Anleger, die die internen Vorgänge und Hintergründe bei der Insolvenzschuldnerin und der …-Gruppe nicht kennen) der Klägerseite, die sich schwerpunktmäßig mit der Materie befasst, strukturell unterlegen. Es widerspricht der Erfahrung und Einschätzung jedenfalls des Beschwerdegerichts, dass ein Anwalt, und mag er Fachanwalt für Insolvenzrecht sein, der mit einer einzigen Insolvenzanfechtung aus dem Bereich des Klägers befasst würde, angesichts des geringen Streitwerts einerseits und der Komplexität und Breite des Stoffs andererseits auf Augenhöhe mit der Klägervertreterin prozessieren könnte. Sofern sich das OLG Dresden im Beschluss vom 17.10.2019 (3 W 825/19) aufgrund der Verhältnisse in Sachsen optimistischer zeigt („… dass natürlich auch und gerade Sachsen zu den Vertragspartnern der [Insolvenzschuldnerin] zählen, deshalb die Annahme fern liegt, im Bezirk des Leipziger Landgerichts … sei kein Rechtsanwalt niedergelassen, der auf Augenhöhe mit den Klägeranwälten prozessieren könnte …“), folgt ihm das Beschwerdegericht aus tatsächlichen Gründen für den hiesigen Sprengel nicht. Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden.
Somit ist nach alldem anzunehmen, dass eine vernünftig handelnde Partei aus vorstehenden Gründen im wohlverstandenen eigenen Interesse etwaige durch die Beauftragung nur eines Rechtsanwalts entstehende Mehrkosten in Kauf nehmen würde.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus der Beschwer des Beschwerdeführers.


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