Kosten- und Gebührenrecht

Fiktive Terminsgebühr, Verzicht auf mündliche Verhandlung, Kostenfestsetzungsbeschluß, Antrag auf mündliche Verhandlung, mündlich Verhandlung, Gerichtsbescheid, Prozeßverhalten, Kosten des Erinnerungsverfahrens, Kostenentscheidung, Prozeßbevollmächtigter, Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, Vergütungsverzeichnis, Abschiebung nach Pakistan, Urkundsbeamte, Klageverfahren, Steuerungswirkung, Erinnerung gegen, Unanfechtbarkeit, Zulässigkeit, Sach- und Streitstand

Aktenzeichen  M 23 M 17.48061

Datum:
2.1.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41822
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 151, § 165
RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Antragspartei hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.
Mit Gerichtsbescheid vom 2. August 2017 hob das Gericht im Verfahren M 23 K 16.34011 den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Oktober 2016, mit dem der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Pakistan angeordnet worden war, auf und gab damit der Klage der Antragsteller vollumfänglich statt.
Mit Schreiben vom 29. August 2017 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller unter anderem die Festsetzung einer 1,2-fachen Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG in Höhe von 486 Euro.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5. September 2017 setzte der Urkundsbeamte die beantragten Kosten unter Kürzung der Terminsgebühr auf 650,34 Euro fest.
Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 13. September 2017 beantragte der Bevollmächtigte der Antragsteller
gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5. September 2017 insoweit die Entscheidung des Gerichts, als die beantragte Terminsgebühr nicht festgesetzt wurde.
Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie am 21. September 2017 dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet.
Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Das Erfordernis, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann, ist durch das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586) eingefügt worden. Allerdings hat der Gesetzgeber den Vergütungstatbestand nicht mit der wünschenswerten Klarheit formuliert (so Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, Nr. 3104 VV RVG Rn. 38). Es wird nicht ohne weiteres deutlich, ob das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr alleine davon abhängig ist, ob theoretisch Antrag auf mündliche Verhandlung von irgendeiner Partei gestellt werden könnte oder ob Voraussetzung dafür, dass die fiktive Terminsgebühr entsteht, ist, dass die betreffende Partei einen zulässigen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen könnte.
Aus dem Wortlaut „beantragt werden kann“ folgt aber, dass der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch zulässig sein muss. Wäre nämlich das Wort „kann“ hier im rein faktischen Sinne und nicht im Sinne eines rechtlichen Dürfens zu verstehen, könnte ausnahmslos in allen Fällen, in denen durch Gerichtsbescheid entschieden wurde, mündliche Verhandlung beantragt werden. Denn niemand ist gehindert, auch einen unzulässigen Antrag zu stellen. Bei einem solchen Verständnis der Norm wäre aber der letzte Halbsatz von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG überflüssig. Es vermag daher auch nicht zu überzeugen, auf einen möglichen Antrag der Gegenseite auf mündliche Verhandlung abzustellen, weil es immer einen Beteiligten gibt, der einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung gegen den Gerichtsbescheid stellen kann. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG fällt daher nicht an, wenn der betreffende Beteiligte in dem durch Gerichtsbescheid beendeten Klageverfahren in vollem Umfang obsiegt hat und daher mangels erforderlicher Beschwer (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 84 Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 37) von vornherein einen Antrag auf mündliche Verhandlung in zulässiger Weise nicht stellen kann (vgl. insgesamt hierzu OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – NVwZ-RR 2019, 85 = juris Rn. 10 ff.).
Dieses Verständnis der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG folgt auch aus Sinn und Zweck der Norm und wird durch die Gesetzesbegründung gedeckt, wonach die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränkt werden soll, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist (BT-Drs. 17/11471, S. 275). Die vom Gesetzgeber mit der Regelung beabsichtigte Steuerungswirkung besteht darin, dass verhindert werden soll, dass vom Anwalt nur deshalb Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wird, um in den Genuss der Terminsgebühr zu kommen (Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, Nr. 3104 VV RVG Rn. 38a). Bei fehlender Beschwer im Falle einer obsiegenden Klage hat es der Anwalt aber gerade nicht in der Hand, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen.
Für diese Auslegung spricht schließlich ein systematischer Vergleich mit Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, wonach eine Terminsgebühr gewährt wird, wenn auf mündliche Verhandlung verzichtet wurde. Würde im Falle des Verzichts auf mündliche Verhandlung keine Terminsgebühr zugestanden werden, würde allein aus Kostenerwägungen von einem Verzicht abgesehen werden. Dieser prozessökonomische Aspekt beim Verzicht auf mündliche Verhandlung besteht im Falle eines Gerichtsbescheids aber gerade nur dann, wenn der Rechtsanwalt zulässigerweise eine mündliche Verhandlung beantragen kann, weil noch eine Beschwer gegeben ist, hierauf aber verzichtet. Nur in dieser Konstellation besteht eine Vergleichbarkeit des Falls zu dem des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG.
Es kann daher vorliegend offenbleiben, ob der Anwendungsbereich der fiktiven Terminsgebühr tatsächlich nur auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt ist (so etwa VG Regensburg, B.v. 27.06.2016 – RO 9 M 16.929 – BeckRS 2016, 49111) oder auch in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gegeben ist, wenn also gegen den Gerichtsbescheid die Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragt werden kann (hierfür OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – juris Rn. 19; Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, Nr. 3104 VV RVG Rn. 38a). Da die Antragsteller im Ausgangsverfahren obsiegt haben, konnten sie mangels Beschwer jedenfalls in zulässiger Weise keine mündliche Verhandlung beantragen. Nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG fällt in einem solchen Fall eine fiktive Terminsgebühr nicht an (a. A. etwa: Saarländisches VG, B. v. 28.8.2019 – 3 O 1092/19 – juris Rn. 16 ff. unter Bezugnahme auf VG Hamburg, B. v. 9.11.2017 – 1 KO 8346/17 – juris).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben