Kosten- und Gebührenrecht

Keine Terminsgebühr bei Entscheidung durch Gerichtsbescheid und Obsiegen des Klägers

Aktenzeichen  M 3 M 17.52950

Datum:
4.12.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143169
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 165
VwGO § 151
VV RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 der Anlage 1 VV RVG entsteht für den Kläger nicht bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid, mit welcher dieser vollständigt obsiegt. In diesem Fall ist mangels Beschwer kein Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Kostenerinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt der Antragsteller. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgericht München vom 19. September 2017 im Verfahren mit dem Az. M 3 K 16.50234.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. Juni 2017, rechtskräftig seit 21. Juli 2017 hatte das Bayerische Verwaltungsgericht München im Verfahren M 3 K 16.50234, den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. März 2016, der den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ablehnte und die Abschiebung nach Ungarn im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens anordnete, aufgehoben. Aufgrund des vollumfänglichen Erfolgs der Klage, wurden im Gerichtsbescheid die Kosten der Antragsgegnerin auferlegt.
Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 11. Juli 2017 die Kostenfestsetzung. Neben einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr machte er u.a. auch eine 1,2-fache Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 2 VV RVG geltend. Mit Schreiben vom 21. Juli 2017 teilte die Kostenfestsetzungsstelle des Bayerischen Verwaltungsgericht München dem Prozessbevollmächtigten des Antragsteller mit, die beantragte Terminsgebühr abzusetzen und bat um Berichtigung des Kostenfestsetzungsantrags.
Nachdem dies nicht erfolgte, kürzte das Verwaltungsgericht München die beantragten Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. September 2017 um die Terminsgebühr. Begründet wurde dies damit, dass zwar ein Gerichtsbescheid ergangen sei, aufgrund des vollständigen Obsiegens in der Hauptsache aber mangels Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses kein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe werden können (Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG). Die gesetzliche Begründung zur Anpassung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG (BT-Drs. 17/11471, S. 275) offenbare, dass nach dem gesetzgeberischen Willen die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr auf solche Fälle beschränkt werden solle, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen könne. Dies sei hier nicht der Fall.
Mit Schriftsatz vom 22. September 2017, eingegangen am selben Tag, beantragte der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. September 2017, soweit nicht die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG i.H.v. 363,60 € enthalten war. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass nach Nr. 2 Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG die volle Terminsgebühr auch dann entstehe, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werde und eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass die Fälle, in denen das Gericht durch Urteil im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheidet (Nr. 1 Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG) und der vorliegende Fall einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht anders behandelt werden könne. Eine Absetzung der Terminsgebühr sei auch deshalb nicht sachgerecht, weil die Parteien es gerade nicht in der Hand hätten, ob das Gericht durch Urteil oder Gerichtsbescheid entscheide. Es könne auch nicht darauf ankommen, dass aufgrund des vollständigen Obsiegens in der Hauptsache ein Antrag auf mündliche Verhandlung nicht hätte gestellt werden können. Der in dieser Frage bislang ergangenen Rechtsprechung und Literatur zufolge, fände Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nur Anwendung bei Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, die nicht kraft Gesetzes berufungsunfähig seien und bei denen die Berufung auch nicht zugelassen sei und eine mündliche Verhandlung erzwungen werden könne. In diesen Fällen solle die Terminsgebühr anfallen. Bei dem Gerichtsbescheid vom 27. Juni 2017 handele es sich um einen solchen Fall, bei dem die Terminsgebühr mithin anfalle (u.a. OVG NRW, B.v. 12.12.2011 – 18 E 848/11; Gerold/ Schmidt, RVG, 22. Auflage 2015, VV 3104, Rn. 85 – 87). Beide Parteien hätten vorliegend die Möglichkeit gehabt, die Zulassung der Berufung oder die Durchführung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, sodass der Vortrag, der Antragsteller habe mangels Rechtsschutzbedürfnis keinen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen können, unzutreffend sei. Hierfür gäbe es im Gesetz keine Grundlage.
Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in dem vorliegenden Verfahren sowie das Verfahren M 3 K 16.50234 verwiesen.
II.
Der gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet.
Für die Entscheidung über die Erinnerung, mit der der Antragsteller den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. September 2017 nach § 164 VwGO angreift, ist der Einzelrichter zuständig, da die der Kostenfestsetzung zugrundeliegende Kostengrundentscheidung eine Einzelrichterentscheidung war und über die Erinnerung nach §§ 165, 151 VwGO das Gericht des ersten Rechtszugs in der gleichen Besetzung entscheidet (Kopp/ Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 165 Rn. 3).
Die Erinnerung ist unbegründet. Die Kostenbeamtin hat zu Recht bei der Festsetzung der dem Kläger zu erstattenden Kosten (§§ 164, 162 Abs. 1 und 2 VwGO) die beantragte Terminsgebühr nicht festgesetzt. Die streitgegenständliche Terminsgebühr ist nicht zu erstatten. Eine mündliche Verhandlung fand nicht statt, sodass es allein um die Frage der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr geht. Diese ist vorliegend nicht zu gewähren, da abgesehen davon, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde, diese auch nicht in zulässiger Weise beantragt hätte werden können.
Das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt – RVG) sieht in seiner Anlage 1 unter der Nr. 3104 Fälle der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr vor. So entsteht gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG die Terminsgebühr auch dann, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
Vorliegend wurde durch Gerichtsbescheid entschieden; die weitere, mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG – (G.v. 23.7.2013, BGBl. I S. 2586) hinzugekommene Voraussetzung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG fehlt jedoch. Der Antragssteller hätte zwar formal die Möglichkeit gehabt, innerhalb von 2 Wochen nach Erlass des ihm vollumfänglich stattgebenden Gerichtsbescheids, mündliche Verhandlung zu beantragen; so sieht es im Übrigen auch die Rechtsbehelfsbelehrung:vor. Ein solcher Antrag wäre jedoch durch Beschluss als unzulässig abzulehnen gewesen. Gegen einen Gerichtsbescheid kann nur derjenige Beteiligte einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 84 Rn. 37; Geiger in Eyermann, VwGO, § 84 Rn. 21). Der Antragsteller konnte somit keine mündliche Verhandlung erzwingen (vgl. VG Regensburg, B.v. 9.3.16 – RN 2 M 16.30211 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
Dieses Verständnis der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG wird durch die Gesetzesbegründung gedeckt, wonach „die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr [ ] konsequent auf die Fälle beschränkt werden [soll], in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist“. Anders gewendet soll die Terminsgebühr somit gerade nicht die Fälle erfassen, in denen keine Steuerungswirkung notwendig ist und keine mündliche Verhandlung erzwungen werden kann, wie dies bei einem Klageerfolg der Fall ist. Dem Antragsteller und der von ihm zitierten Rechtsprechung (bspw. VG Düsseldorf, B.v. 16.3.2017 – 13 I 6/17 – juris, Rn. 7) ist allerdings insofern zuzugeben, als die in der Gesetzesbegründung unmissverständlich genannte Intention für die Änderung des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG, mit der Formulierung: „… und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann …“, nur bedingt zum Ausdruck kommt. Dennoch ist aus der sprachlichen Fassung der Norm zu erkennen, dass vom allgemeinen Sprachgebrauch her das „kann“, im Sinne von „zulässig“ zu verstehen ist. Eine andere Auslegung würde im Übrigen zu dem paradoxen Ergebnis führen, dass die Gesetzesänderung des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG des 2. KostRMoG zu keiner tatsächlichen Änderung des vorhergehenden Zustands führen würde, wonach unabhängig davon, ob mündliche Verhandlung zulässigerweise beantragt werden konnte oder wurde, die Terminsgebühr im Falle eines Gerichtsbescheids erstattet wurde (vgl. Urteils-Anm. FD-RVG 2016, 380468 – beck-online).
Dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend, soll eine Terminsgebühr des klägerischen Anwalts, im Falle einer durch Gerichtsbescheid erfolgreichen Klage gerade mangels erforderlicher Steuerungswirkung ausgeschlossen werden. Bei fehlender Beschwer – die im Fall einer obsiegenden Klage besonders augenscheinlich ist – hat es der Anwalt nicht in der Hand, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen.
Im streitgegenständlichen Fall handelt es sich um eben beschriebene Konstellation, in der der Klage mittels Gerichtsbescheid vollumfänglich stattgegeben wurde und damit die Beschwer entfallen ist. Diese Konstellation ist von der des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG zu differenzieren, wonach eine Terminsgebühr gewährt wird, wenn auf mündliche Verhandlung verzichtet wurde. Würde im Falle des Verzichts auf mündliche Verhandlung keine Terminsgebühr zugestanden werden, würde allein aus Kostenerwägungen von einem Verzicht abgesehen werden. Dieser prozessökonomische Aspekt beim Verzicht auf mündliche Verhandlung, besteht im Falle eines Gerichtsbescheids aber gerade nicht. Beim Gerichtsbescheid bleibt es dem Prozessbevollmächtigten unbenommen, noch eine mündliche Verhandlung – für den Fall seines Unterliegens – zu beantragen. Nimmt er diese Möglichkeit dann nicht wahr, so soll ihm ebenfalls eine Terminsgebühr zugestanden werden. Denn gerade dann besteht wieder eine Vergleichbarkeit des Falls zu dem des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, denn auch hier wäre gleichermaßen – auf mündliche Verhandlung verzichtet worden.
Nach alledem war die Erinnerung zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG, hier auch aufgrund § 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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