Kosten- und Gebührenrecht

Kostenerinnerung

Aktenzeichen  M 18 M 21.50162

Datum:
20.12.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41031
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7, § 162 Abs. 2 S. 1
RVG § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 5
ZPO § 91 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Wird der Beteiligte im Ausgangs- und im Abänderungsverfahren von verschiedenen Prozessbevollmächtigten vertreten, kann der „neue“ Rechtsanwalt noch einmal dieselben Gebühren verdienen, die bereits ein anderer Rechtsanwalt in derselben Sache verdient hat; die Kosten mehrerer Bevollmächtigter sind nur zu erstatten, wenn die Beauftragung objektiv notwendig war. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 9. Februar 2021 mit dem der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2020 aufgehoben wurde.
Mit Bescheid vom 7. Februar 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3 des Bescheids) und befristet das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate (Nr. 4 des Bescheids).
Mit Beschluss vom 20. August 2019 lehnte das Verwaltungsgericht München den von dem damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers gestellten Antrag im Verfahren M 18 S … auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 14. Februar 2018 (M 18 K …*) gegen die mit dem Bescheid des Bundesamtes verfügte Abschiebungsanordnung nach Italien ab und legte dem Antragsteller in Nummer II des verfügten Tenors die Kosten des Verfahrens auf.
Auf Antrag des nunmehr Bevollmächtigten des Antragstellers änderte das Gericht im Verfahren M 18 S7 … den Beschluss im Verfahren M 18 S … vom 20. August 2019 und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14. Februar 2018 (M 18 K …*) gegen die unter Nummer 3 des Bescheides des Bundesamts vom 7. Februar 2018 verfügte Abschiebungsanordnung an. Die Kosten des Änderungsverfahren wurden der Antragsgegnerin auferlegt. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller nach summarische Prüfung mit seiner Lebensgefährtin und seinem minderjährigen Kleinkind in einem Haushalt in einer familiären Lebensgemeinschaft lebe und von einem Abschiebungshindernis zu Gunsten des Antragstellers nach Art. 6 GG auszugehen sei. Im Rahmen des Verfahrens wurde durch den Antragsteller vorgetragen, dass dieser nach der Geburt des Kindes in die Wohnung der Lebensgefährtin gezogen sei und einen Antrag auf Umverteilung gestellt habe.
Auf Antrag des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 20. Oktober 2020 setzte das Verwaltungsgericht mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2020 die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München entstandenen notwendigen Aufwendungen antragsgemäß auf 326,31 EUR fest.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2020 beantragte der Antragsgegner gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss die Entscheidung des Gerichts. In der umfangreichen Antragsbegründung unter Bezugnahme auf vielfache Rechtsprechung wird insbesondere ausgeführt, dass es sich bei den Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und dem Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO um eine Angelegenheit handle, für die Gebühren nur einmal gefordert werden dürften. Ein Rechtsanwalt, der – wie vorliegend – bereits im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO tätig geworden sei, könne daher zwar im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO erstmals angefallene Kosten, nicht aber erneut Gebühren erstattet verlangen.
Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 9. Februar 2021 ab und hob den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2020 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Urkundsbeamtin den Kostenfestsetzungsbeschluss versehentlich erlassen habe. Dieser sei aufzuheben, da ein anwaltlich vertretener Beteiligter die Rechtsanwaltsvergütung nicht aus der für ihn günstigeren Kostengrundentscheidung gegen den Verfahrensgegner festsetzen lassen könne, wenn ein gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ergangene Beschluss im Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geändert worden sei. Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und das sich anschließende Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO sei kostenrechtlich als dieselbe Angelegenheit zu begreifen. Ein Rechtsanwalt könne für das Abänderungsverfahren grundsätzlich keine weitere Vergütung erhalten.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte am 24. Februar 2021
die Entscheidung des Gerichts.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass zu Recht davon ausgegangen werde, dass das Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und jedes Verfahren über deren Änderung gemäß § 16 Nr. 5 RVG gebührenrechtlich dieselbe Angelegenheit darstelle mit der Folge, dass ein Wahlrecht, aus welchem Verfahren die Gebühr geltend gemacht werde, nicht bestehe. Dieser Grundsatz sei auf den vorliegenden Fall jedoch nicht zu übertragen. Denn in Fällen, in denen der Prozessbevollmächtigte – wie hier – im Ausgangsverfahren noch nicht tätig gewesen sei, entsteht die Gebühr erst im Abänderungsverfahren.
Die Urkundsbeamtin half dem Antrag nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 25. Februar 2021 dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und den vorherigen Verfahren Bezug genommen.
II.
Die Erinnerung hat keinen Erfolg.
Über die Erinnerung entscheidet das Gericht in der Besetzung, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde, hier also durch den Einzelrichter nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Die gemäß § 165 Satz 2 VwGO i.V.m. § 151 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Kostenerinnerung gegen die Abhilfeentscheidung der Urkundsbeamtin nach § 151 Satz 1 i.V.m. § 148 Abs. 1 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die Urkundsbeamtin hat auf die Beschwerde der Antragsgegnerin den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2020 mit der Abhilfeentscheidung vom 9. Februar 2021 zu Recht aufgehoben und damit eine Festsetzung der vom Bevollmächtigten des Antragstellers mit Kostenantrag vom 20. Oktober 2020 geltend gemachten Gebühren für das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO im Ergebnis zutreffend abgelehnt.
Die Kosten des weiteren Bevollmächtigten sind vorliegend nicht zu erstatten, da der Rechtsanwaltswechsel nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 2 ZPO war.
Nach mittlerweile herrschender Ansicht ist davon auszugehen, dass es sich bei Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 80 Abs. 7 VwGO um im kostenrechtlichen Sinne dieselbe Angelegenheit gemäß § 16 Nr. 5 RVG handelt, sodass eine Verfahrensgebühr für das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO regelmäßig nicht erneut anfallen kann. Ist ein und derselbe Rechtsanwalt im Rahmen des Ausgangs- und des Abänderungsverfahrens tätig geworden, schließen es die §§ 15 Abs. 2, 16 Nr. 5 RVG aus, dessen bereits im Ausgangsverfahren entstandene Gebühr im Abänderungsverfahren nochmals zu erstatten. Wirtschaftlicher Hintergrund der gesetzlichen Regelung der §§ 15 Abs. 2, 16 Nr. 5 RVG ist nämlich die Annahme, dass im Abänderungsverfahren keine besondere Einarbeitung des Prozessvertreters mehr nötig ist, dieser vielmehr auf seine frühere Arbeit zurückgreifen kann (vgl. VG Ansbach, B.v. 5.5.2021 – AN 14 M 19.51209; B.v. 15.4.2020 – AN 17 M 19.50975; VG München, B.v. 26.10.2020 – M 15 M 20.32762; VG Würzburg, B.v. 8.5.2020 – W 7 M 19.30083; OVG NW, B.v. 13.7.2018 – 13 B 275/18.A; VGH BW, B.v. 8.11.2011 – 8 S 1247/11; a. A.: OVG NRW, B.v. 12.10.2018 – 11 B 1482/15.A; VG Würzburg, B.v. 25.6.2018 – W 2 M 18.30718; VG Karlsruhe, B.v. 9.4.2018 – A 6 K 2182/18; VG Bremen, B.v. 8.3.2018 – 6 E 2954/17 – jeweils juris m.w.N.).
Wie der Bevollmächtigte des Antragstellers zutreffend ausführt – und die Antragsgegnerin in ihren Ausführungen vom 22. Dezember 2020 vollständig verkennt -, liegt eine solche Fallgestaltung vorliegend jedoch nicht vor; vielmehr sind für das Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zwei verschiedene Rechtsanwälte beauftragt gewesen. § 15 Abs. 2 RVG steht der Entstehung des Gebührenanspruchs in dieser Konstellation nicht entgegen, da nicht „der Rechtsanwalt“ Kosten erneut fordert, sondern mehrere Rechtsanwälte Kosten in derselben Angelegenheit in Rechnung stellen, was auch der Wortlaut des § 15 Abs. 2 RVG nicht ausschließt (vgl. VG Ansbach, B.v. 5.4.2020 – AN 17 M 19.50975 – juris Rn. 19 m.w.N., OVG Lüneburg, B.v. 20.3.2014 – 2 MC 310713 – juris Rn. 4).
Allerdings sind im Rahmen dieser Fallgestaltungen, in denen in derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2, 16 Nr. 5 RVG mehrere Rechtsanwälte tätig geworden sind, die Rechtsgrundsätze des § 91 Abs. 2 ZPO entsprechend heranzuziehen (§ 173 VwGO).
§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO lässt sich die Wertung entnehmen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung reiche regelmäßig die Mandatierung nur eines Rechtsanwaltes aus. Diese Wertung findet ihre Stütze in der allgemeinen Verpflichtung zur Kosten sparenden Prozessführung, nach der jeder Beteiligte die Kosten seiner Prozessgestaltung so niedrig zu halten hat, wie sich dies mit der vollen Wahrung seiner berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt. Eine normative Konkretisierung, wann die Kostenerstattung eines anderen (weiteren) Rechtsanwaltes als notwendige Aufwendung eines Beteiligten angesehen werden kann, findet sich in der über § 173 VwGO entsprechend anwendbaren Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Danach sind die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwaltes nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwaltes ein Wechsel eintreten musste (VG Würzburg, B.v. 8.5.2020 – W 7 M 19.30083 – juris Rn. 5 ff. m.w.N., VG Ansbach, B.v. 15.4.2020 – AN 17 M 19.50975 – juris Rn. 19, a.A. offenbar VG Würzburg, B.v. 17.6.2019 – W 10 M 19.50493 – juris, jedoch ohne weitere Ausführungen hierzu).
Der Wechsel des Prozessbevollmächtigten war vorliegend nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. An das Vorliegen eines objektiv notwendigen Wechsels sind strenge Anforderungen zu stellen; insbesondere reichen Störungen im Innenverhältnis zwischen Mandant und Anwalt nicht aus (OVG Lüneburg, B.v. 20.3.2014 – 2 MC 310713 – juris Rn. 5). Letztlich spiegelt sich in dem anzulegenden strengen Maßstab der allgemeine kostenrechtliche Grundsatz wieder, dass alle Beteiligte die Kosten des Verfahrens rechtsschutzadäquat so niedrig wie möglich zu halten haben (VG Würzburg, B.v. 8.5.2020 – W 7 M 19.30083 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Der Antragsteller hat den Bevollmächtigtenwechsel nicht begründet, sondern lediglich ausgeführt, dass eine umfassende Einarbeitung des neuen Bevollmächtigten erforderlich war, da der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO des damaligen Bevollmächtigten keine Begründung enthielt. Vorliegend ist daher davon auszugehen, dass der Bevollmächtigtenwechsel ausschließlich deshalb erfolgte, da sich der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung entgegen der Zuweisungsentscheidung in Bremen – dem Sitz des jetzigen Bevollmächtigten – bei seiner Lebensgefährtin aufhielt. Dieser – rechtswidrige – Wohortwechsel kann jedoch, unabhängig davon, ob die Wohnsitznahme bei der Lebensgefährtin aufgrund der vorliegenden Gesamtumstände, die im Rahmen des Beschlusses vom 3. September 2020 umfassend gewürdigt wurden, zumindest menschlich nachvollziehbar war, die Notwendigkeit eines Bevollmächtigtenwechsels im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht begründen. Denn der Antragsteller war weiterhin verpflichtet, in München – dem Sitz des damaligen Bevollmächtigten – seinen Aufenthalt zu nehmen (was er im Lauf des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO auch wieder tat) und hat sich unter Umgehung der rechtlichen Vorgaben an einem anderen Ort aufgehalten und dort wohnsitznah einen weiteren Bevollmächtigen beauftragt. Dieses illegale Vorgehen des Antragstellers kann nicht zu einer Anerkennung des Bevollmächtigtenwechsels als notwendig führen (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 15.4.2020 – AN 17 M 19.50975 – juris Rn. 21).
Die Kostenerinnerung war daher zurückzuweisen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Erinnerungsverfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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