Kosten- und Gebührenrecht

Kostenrecht: Streitwertfestsetzung nach Erledigungserklärung

Aktenzeichen  L 7 BA 25/21 B

Datum:
19.4.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13812
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 47, § 52, § 66, § 68
SGG § 197a
VwGO § 161

 

Leitsatz

1. Ein Verfahren muss beendet sein, bevor der Streitwert endgültig festgesetzt werden kann. (Rn. 11)
2. Ein Sozialgerichtsverfahren wird nicht durch einseitige Erledigungserklärung beendet. (Rn. 10)
3. Eine Erledigungserklärung kann auch konkludent erfolgen. (Rn. 10)
4. Ausschlaggebend für die Festsetzung eines Streitwerts ist der Streitwert zu Beginn der jeweiligen Instanz. (Rn. 16)
5. Für die Streitwertbeschwerde ist das Kosteninteresse auschlaggebend zur Bestimmung der Beschwer. (Rn. 16)
Anders als in den gerichtskostenfreien Verfahren führt in den nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG gerichtskostenpflichtigen Verfahren eine einseitige Erledigungserklärung allerdings nicht zur Beendigung des Rechtsstreites. Die (einseitige) Erledigungserklärung eines Klägers führt in gerichtskostenpflichtigen Verfahren nur dann zur Erledigung des Rechtsstreites, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers zustimmt, also eine beidseitige Erledigungserklärung vorliegt, oder der Erledigungserklärung nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes des Klägers widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen wird. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 17 BA 76/18 2021-03-09 Bes SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg abgeändert und der Streitwert für das Verfahren S 17 BA 76/18 festgesetzt auf 44.879,57 Euro.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 09.03.2021 hat das Sozialgericht Augsburg den Streitwert für das Klageverfahren S 17 BA 76/18 auf 39.981,57 Euro festgesetzt.
Bei Klageerhebung hatte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 19.09.2018 – eingegangen bei Gericht am 24.09.2018 – beantragt, die von der Beklagten mit Bescheid vom 13.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2018 erhobene Nachforderung zur Sozialversicherung iHv insgesamt 115.902,22 Euro aufzuheben, soweit Nachforderungen iHv mehr als 71.022,67 Euro erhoben würden; ein Betrag iHv 44.879,55 Euro werde von der Beklagten zu Unrecht geltend gemacht.
In der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2021 erklärte die Klägerseite die Klage für teilweise erledigt, soweit es nicht um eine Nachforderung iHv 39.981,57 Euro geht. Von Beklagtenseite erfolgte hierauf keine Reaktion. Die Klägerseite beantragte anschließend in der mündlichen Verhandlung, die Nachforderung um 39.981,57 Euro zu reduzieren.
Mit Urteil vom 02.03.2021 gab das Sozialgericht der Klage statt, soweit von der Beklagten mehr als 75.920,65 Euro gefordert wurden. Die Klägerseite habe die Kosten des Verfahrens zu neun Zehntel, die Beklagtenseite zu einem Zehntel zu tragen.
Gegen den Streitwertbeschluss des Sozialgerichts vom 09.03.2021 hat die Klägerseite Beschwerde eingelegt. Der Streitwert bestimme sich nach dem ursprünglichen Klageantrag, mit dem eine Reduktion der Nachforderung um 44.879,55 Euro verfolgt worden sei.
Die Beklagte hält auch einen Streitwert von 44.879,55 für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Senat entscheidet über die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 30.7.2020 durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 155 Rz 9d). Für eine Übertragung des Verfahrens auf den Senat nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG besteht kein Anlass, da die Sache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, noch die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Beschwerde ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 € übersteigt, § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG findet gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG), die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt. Dabei ist nicht auf die streitige Höhe des Streitwertes abzustellen, sondern auf die sich daraus ergebende Höhendifferenz der Gerichts- und Anwaltsgebühren (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Januar 2015 – L 4 R 37/14 B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. August 2016 – L 6 SB 2664/16 B).
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Dabei kann dahinstehen, ob es der Zulässigkeit einer Beschwerde entgegenstehen würde, wenn der erstinstanzliche Rechtsstreit noch nicht abgeschlossen wäre. Denn hier ist der erstinstanzliche Rechtsstreit im Ergebnis abgeschlossen (vgl LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06. Juli 2018 – L 7 BA 1871/18 B). Die Klägerseite hat den Rechtsstreit am 02.03.2021 teilweise für erledigt erklärt. Anders als in den gerichtskostenfreien Verfahren führt in den nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG gerichtskostenpflichtigen Verfahren eine einseitige Erledigungserklärung allerdings nicht zur Beendigung des Rechtsstreites (LSG Bayern, Beschluss vom 9. Januar 2017 – L 1 SV 19/16 B Rz 14; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Februar 2016 – L 8 R 29/15 B Rz 22). Die (einseitige) Erledigungserklärung eines Klägers führt in gerichtskostenpflichtigen Verfahren nur dann zur Erledigung des Rechtsstreites, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers (zumindest konkludent vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Juli 2016 – L 4 R 3450/15 Rz 29) zustimmt, also eine beidseitige Erledigungserklärung vorliegt, oder der Erledigungserklärung nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes des Klägers widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen wird (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Das Gericht entscheidet dann nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Kommt eine ausdrückliche, konkludente oder fingierte beidseitige Erledigungserklärung nicht zustande, gilt die einseitige Erledigungserklärung des Klägers als Sachantrag auf Feststellung, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
Vorliegend hat weder die Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers ausdrücklich zugestimmt, noch hat das SG der Beklagten einen Hinweis nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO erteilt. Indem die Beklagte aber bei Antragstellung in der mündlichen Verhandlung am 02.03.2021 die teilweise Erledigterklärung durch die Klägerseite nicht weiter problematisiert und in ihre Antragstellung einbezogen hat, hat sie der Erledigungserklärung der Klägerseite konkludent zugestimmt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Juli 2016 – L 4 R 3450/15 Rz 29), so dass von einer vollständigen Erledigung des Rechtsstreits auszugehen ist.
Die Beschwerde ist begründet.
Da der Kläger nicht in der Eigenschaft einer der in § 183 SGG genannten Personen (Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfängern, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) den Rechtsstreit geführt hat, sind nach § 197a Abs. Satz 1 SGG Gerichtskosten nach den Vorschriften des GKG zu erheben.
In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).
Vorliegend richtet sich die Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 3 GKG, da die in Streit befindliche Nachforderung eine solche bezifferte Geldleistung darstellt.
Bei Nachforderungsbescheiden ist der nachgeforderte Gesamtbetrag als Streitwert festzusetzen (vgl etwa BSG, Urteil vom 24.11.2020 B 12 KR 34/19 R Rz 32). Der Streitwert bestimmt sich in der ersten Instanz dabei danach, was von Klägerseite bei Klageerhebung als streitige Nachforderung vorgetragen wird. Für die Wertfestsetzung ist nach § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag maßgeblich; eine spätere Verminderung des Streitwerts nach Klageerhebung ist für die Wertfestsetzung unbeachtlich (vgl zB für die Berufungsinstanz LSG NRW, Urteil vom 08.08.2007 L 11 (8) R 66/06 Rz 28).
Dementsprechend ist der Streitwert hier mit 44.879,55 Euro anzusetzen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG) und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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