Kosten- und Gebührenrecht

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Aktenzeichen  B 1 M 20.985

Datum:
23.11.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43516
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 165, § 151
RVG § 2
Nrn. 3100, 3101 VVRVG

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 3. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt der Erinnerungsführer.

Gründe

Der Erinnerungsführer und Kläger des Verfahrens … (im Folgenden: Kläger) wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 3. Juli 2020 in diesem Verfahren.
In der mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 2018 wurden neben dem streitgegenständlichen Verfahren auch die weiteren Klagen des Klägers … … und … verhandelt und am 18. Dezember 2018 entschieden.
Das Urteil im Verfahren … wurde dem Kläger am 18. Januar 2019 zugestellt, die Entscheidungen in den übrigen Verfahren am 3. Mai 2019.
Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2019 monierte der mittlerweile Bevollmächtigte des Klägers, dass dem Kläger das Urteil im Verfahren … erst nach dessen Schriftsatz vom 23. April 2019 zugestellt worden sei. In jenem Schreiben sei die lange Fristüberschreitung der Urteilszusendung gerügt worden. Das Anschreiben des Gerichts vom 2. Mai 2019 (Anm.: Zustellung des Urteils und der Niederschrift) enthalte keine Erklärungen oder Begründungen zu dieser außerordentlichen Fristüberschreitung. Es werde auf § 117 Abs. 4 VwGO verwiesen. Das Gericht werde um Mitteilung gebeten, wann das Urteil abgefasst und der Geschäftsstelle übermittelt worden sei.
Ein Schreiben des Klägers oder seines Bevollmächtigten vom 23. April 2019 findet sich nicht in den Gerichtsakten.
Unter dem 29. Mai 2019 wurden dem Bevollmächtigten unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 116 VwGO die maßgeblichen Daten (Niederlegung, Zustellung) übermittelt.
In den Verfahren …und … wurden mit Schriftsätzen vom 29. bzw. 31. Mai 2019 Anträge auf Zulassung der Berufung gestellt, die vom Bayerischen Verwaltungsgerichthof mit Beschlüssen vom 4. Februar 2020 abgelehnt wurden.
Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2019 rügte der Bevollmächtigte des Klägers gegenüber dem Verwaltungsgericht Bayreuth erneut einen Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO. Es wurde unter dem 18. Juli 2019 auf die Stellungnahme des Gerichts vom 29. Mai 2019 und auf das mittlerweile anhängige Berufungszulassungsverfahren verwiesen.
Im Rahmen des Verfahrens zum Kostenausgleich der außergerichtlichen Kosten machte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 17. Mai 2019 eine Verfahrensgebühr nach VV-Nummer 3100 geltend und führte im weiteren Schriftwechsel aus, dass die Verfahrensgebühr selbst dann entstanden sei, wenn das Schreiben vom 23. April 2019 nicht zur Gerichtsakte gekommen sein sollte. Der Bevollmächtigte sei noch vor Zustellung des erstinstanzlichen Urteils tätig geworden. Einen Postrücklauf des Schreibens vom 23. April 2019 mit Vollmacht habe es nicht gegeben. Er fügte das Schreiben vom 23. April 2019 nebst Vollmacht (Ausstellungsdatum 7. Februar 2020) bei.
Nach Anhörung der Beteiligten setzte die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Bayreuth mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. Juli 2020 die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten der Beteiligten fest unter Anerkennung einer 0,8-fachen Verfahrensgebühr für die Klägerseite. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich die Tätigkeit des Bevollmächtigten des Klägers lediglich auf die Empfangnahme des bereits verkündeten bzw. auf der Geschäftsstelle niedergelegten Urteils beschränkt habe. Zudem habe der Schriftsatz vom 23. April 2019 auch keinen Sachantrag enthalten, sondern lediglich die lange Zeit zwischen Niederlegung und Abfassung des Urteils gerügt.
Gegen diesen am 22. Juli 2020 bekannt gegebenen Beschluss beantragte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 4. August 2020 gerichtliche Entscheidung mit dem Antrag,
den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. Juli 2020 aufzuheben und unter Festsetzung der vom Kläger mit Kostenausgleichsantrag vom 17. Mai 2019 geltend gemachten vollen Verfahrensgebühr nach VV 3100 abzuändern.
Zur Begründung trug er vor, dass der Bevollmächtigte des Klägers nicht nur das Urteil entgegengenommen habe, sondern zuvor vom Kläger die Informationen – die Verfahrensakte des Klägers mit allen Schreiben und Schriftsätzen – entgegengenommen habe. Zudem habe er während der laufenden Rechtsmittelfrist mit Schriftsätzen vom 23. April 2019 und 17. Mai 2019 einen Verstoß gegen § 116 VwGO gerügt und Akteneinsicht beantragt. Der Bevollmächtigte des Klägers habe vorliegend erheblich mehr an Tätigkeit entfaltet, um lediglich zur Zuerkennung einer 0,8-Gebühr zu kommen. Schließlich habe er für den Kläger auch das Kostenfestsetzungsverfahren geführt. Die Tätigkeit des Bevollmächtigten des Klägers sei umfangreicher gewesen als lediglich die Entgegennahme des Urteils und das Kostenfestsetzungsverfahren, sodass die volle Verfahrensgebühr zuzuerkennen sei. Es komme auch nicht darauf an, ob der Bevollmächtigte einen Antrag gestellt habe oder nicht. Die volle Verfahrensgebühr entstehe selbst dann, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung bereits gefällt habe, diese aber noch nicht zugestellt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 31. August 2020 führten die Bevollmächtigten der Erinnerungsgegnerin und Beklagten aus, dass der vom Bevollmächtigten des Klägers erwähnte Schriftsatz vom 23. April 2019 nicht zu den Akten gelangt sei. Eine über den Gebührensatz von 0,8 hinausgehende Gebühr könne nicht beansprucht werden.
Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte diese am 1. Oktober 2020 dem Gericht vor.
Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2020 wiederholte der Bevollmächtigte des Klägers die in seinem Schriftsatz vom 4. August 2020 gemachten Ausführungen.
Den Bevollmächtigten der Beklagten wurde nochmals Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Die nach §§ 165, 151 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Erinnerung hat in der Sache keinen Erfolg, da der Erinnerungsführer keinen Anspruch auf die Anerkennung einer vollen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) hat.
Nachdem in der vorliegenden Sache eine Kostenfestsetzung gemäß § 164 VwGO angegriffen wird, handelt es sich bei der Erinnerung des Klägers im Ausgangsverfahren  Az. … um eine solche nach § 165 VwGO i.V.m. § 151 VwGO, über die durch die Kammer zu entscheiden ist, da die Kostengrundentscheidung ebenfalls von dieser getroffen wurde (vgl. z.B. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, Rn. 7 zu § 165 Rn. 7; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., Rn. 3 zu § 165).
Nach § 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RVG werden die Rechtsanwaltsgebühren nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat. Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG.
Danach erhält der Rechtsanwalt im erstinstanzlichen Verfahren für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information nach VV 3100 eine Verfahrensgebühr von 1,3. Bei vorzeitiger Beendigung des Auftrags reduziert sich die Verfahrensgebühr nach VV 3101 auf 0,8. Dabei ist das Wort „bevor“ in Nr. 3101 VV nicht allein als zeitliche Bestimmung anzusehen. Wird der Rechtsanwalt beispielsweise erst nach Beendigung des Rechtsstreits zum Prozessbevollmächtigten bestellt, würde er bei strenger Anwendung des Wortlauts von Nr. 3101 Nr. 1 VV stets die volle Verfahrensgebühr verdienen, da sein Auftrag wegen der späteren Auftragserteilung gerade nicht endet, „bevor“ er die dort genannten Tätigkeiten ausgeübt hat. Vielmehr ist der Gebührentatbestand so auszulegen, dass das Wort „bevor“ durch die Worte „ohne dass“ zu ersetzen ist (HK-RVG/Hans-Jochem Mayer, 7. Aufl. 2018 Rn. 9, RVG VV 3101 Rn. 9). Tritt der Rechtsanwalt erst nach Ende der letzten mündlichen Verhandlung als Verfahrensbevollmächtigter ein und beschränkt sich seine Tätigkeit auf die Empfangnahme des Urteils und das Kostenfestsetzungsverfahren, so erwächst ihm ebenfalls nur eine – erstattungsfähige – 0,8 Verfahrensgebühr (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Auflage, 2019, Rn. 67 zu RVG VV 3101).
Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Verfahrensbevollmächtigte vor Beendigung seines Auftrags entweder die Klage bzw. den ein Verfahren einleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag oder die Zurücknahme der Klage (des Antrags) enthält, eingereicht oder für seine Partei einen Termin wahrgenommen hat, damit die volle Verfahrensgebühr entsteht. Diese Voraussetzungen stehen alternativ nebeneinander und müssen nicht kumulativ vorliegen. Es handelt sich um eine abschließende Aufzählung. Andere als die in VV 3101 Nr. 1 RVG aufgeführten Tätigkeiten können die 1,3 Verfahrensgebühr nicht auslösen, sondern allenfalls zum Ansatz der verminderten Verfahrensgebühr nach VV 3101 führen (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Auflage 2019, Rn. 16 zu RVG VV 3101; Ahlmann in Riedel/Sußbauer RVG, 10. Aufl. 2015 Rn. 2, RVG VV 3101 Rn. 2).
Nicht ausreichend zur Zuerkennung der vollen Verfahrensgebühr sind Schriftsätze mit lediglich das Verfahren betreffenden Anträgen. Ein Sachvortrag setzt voraus, dass sachliche oder rechtliche Ausführungen zur Sache selbst und nicht nur zur Prozess- und Sachleitung gemacht werden (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Auflage 2019, Rn. 33, 34; Ahlmann in Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 10. Auflage 2015, Rn. 6 zu RVG VV 3101). Nur eine 0,8 Verfahrensgebühr erhält der Verfahrensbevollmächtigte, dessen Auftrag endigt, ohne dass er eine der in VV 3101 Nr. 1 RVG genannten Tätigkeiten vorgenommen hat. Der Anspruch auf die reduzierte Verfahrensgebühr entsteht dann, wenn der Verfahrensbevollmächtigte irgendeine unter die Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit ausgeübt hat, z.B. die Entscheidung entgegengenommen hat (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 24. Aufl. 2019 Rn. 62, RVG VV 3101 Rn. 62).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Anspruch auf Zuerkennung einer vollen Verfahrensgebühr nicht gegeben.
Ausweislich der Gerichtsakten ist weder ein Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 23. April 2019 noch eine Vollmacht vor Zustellung des Urteils beim Verwaltungsgericht eingegangen, weshalb zum damaligen Zeitpunkt die Urteilszustellung am 2. Mai 2019 an den Kläger persönlich erfolgte. Es liegt damit nicht einmal eine Empfangnahme der Endentscheidung durch den Klägerbevollmächtigten vor, sondern nur ein Tätigwerden im Kostenfestsetzungsverfahren. Es braucht daher an dieser Stelle auch nicht mehr näher aufgeklärt werden, ob das Schreiben vom 23. April 2019 womöglich erst nach Eingang des Zulassungsantrags beim Verwaltungsgericht eingegangen ist und an den zu jenem Zeitpunkt bereits zuständigen Bayerischen Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet wurde.
Aber selbst unter der Prämisse, dass das Schreiben vom 23. April 2019 vor Urteilszustellung zu den Gerichtsakten gelangt wäre, wäre hierin (und auch in den darauffolgenden Schreiben) keine Tätigkeit des Klägerbevollmächtigten zu sehen, die die volle Verfahrensgebühr rechtfertigen würde.
Bei dem Schreiben vom 23. April 2019 und den nachfolgenden Schreiben zur Frage der Niederlegung des Urteilstenors, der Abfassung der schriftlichen Gründe und der Zustellung unter Anführung von § 117 Abs. 4 VwGO handelt es sich nicht um Sachanträge, die in Nr. 3101 RVG VV genannt sind, da diese nicht auf den Inhalt einer von Klägerseite erstrebten Sachentscheidung abzielen, sondern die Art und Weise der Verfahrensführung durch das Gericht betreffen. Zu dem vom Klägerbevollmächtigten genannten Zeitpunkt lag eine Sachentscheidung durch das Gericht bereits vor, es ging ihm daher ersichtlich nur um Fragen betreffend die Niederlegung des Urteilstenors nach § 116 Abs. 2, § 117 VwGO, mithin um Verfahrensfragen bzw. Rügen, die ggf. im Berufungsverfahren vorgetragen hätten werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Im erstinstanzlichen Erinnerungsverfahren werden zwar keine Gerichtsgebühren erhoben, die gerichtlichen Auslagen sowie die außergerichtlichen Aufwendungen des obsiegenden Teils sind allerdings zu erstatten (BayVGH, B.v. 03.12.2003 – 1 N 01.1845 – NVwZ-RR 2004, 309 f.; Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Rn. 7 zu § 165).


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