Kosten- und Gebührenrecht

Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung wegen einer vergeblichen Anreise zum Gerichtstermin

Aktenzeichen  13 O 263/16

Datum:
24.1.2017
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 91, § 92, § 128 Abs. 2, § 708, § 710

 

Leitsatz

1. Eine Amtspflichtverletzung liegt vor, wenn angesichts einer einzuhaltenden Ladungsfrist von drei Tagen ersichtlich ist, dass die Ladungsfrist nicht eingehalten werden kann. Ein Termin muss dann verlegt werden. Ggf. muss die Geschäftsstelle beim Richter nachfragen, ob der Termin stehen bleiben solle. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Umladung bzw. eine Terminsabsage muss nicht förmlich erfolgen. Auch ein Telefonat und insbesondere eine E-Mail an eine vom Kläger bekanntgegebene Adresse können grundsätzlich ausreichen. Dabei entspricht es der verkehrsüblichen Gepflogenheit, eine E-Mail mit einer Betreffzeile zu versehen, die den Inhalt der Nachricht erkennen lässt. (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Kläger mit einem Grad der Behinderung von 70 kann, sofern er eine Begleitperson benötigt, 3,50 € pro Stunde für die von der notwendige Begleitperson aufgewendete Zeit ersetzt verlangen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 460,00 € nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit 29.06.2014 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger hinsichtlich der Rechnung der Rechtsanwälte … vom 10.06.2016 (Rechnungsnummer 100413/16) in Höhe von 83,54 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/5 und der Beklagte 4/5 zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120%% des vollstreckten Betrages abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 586,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Der Kläger kann wegen einer Amtspflichtverletzung Schadensersatz fordern, jedoch nicht für seine eigene aufgewendete Zeit.
Eine Amtspflichtverletzung liegt hier darin, dass angesichts einzuhaltender Ladungsfrist von drei Tagen am 12.06.2014 überhaupt noch eine Bewirkung der vom Richter bereits am 15.05.2014 verfügten Terminsladung veranlasst worden war. Tatsächlich hätte bereits hier der Termin verlegt werden müssen, anstatt die Akten dem Präsidenten des LG Bamberg vorzulegen (der die Weiterleitung zügig bewirkt hat und dem es nicht obliegt, inhaltlich zu überprüfen, welche Ladungsfrist einzuhalten war). Da Verzögerungen bei der Weiterleitung des Rechtshilfeersuchens durch den Präsidenten des Landgerichts nicht eingetreten sind, war bereits vor Zuleitung an den Präsidenten des LG Bamberg beim Amtsgericht absehbar, dass die Einhaltung der Ladungsfrist nicht zuverlässig gewährleistet war.
Der Richter war am 17.06.2014 der Überzeugung, dass die Ladung des auswärtigen Klägers zu kurzfristig erfolgt sei. Dies war aber bereits am 12.06.2014 abzusehen, nachdem die Ladungsverfügung nicht zeitnah erledigt worden war. (Ob der Amtsrichter am 11.06.2014, als er die Hinausgabe des Beklagtenschriftsatzes vom 10.06.2014 verfügte, erkennen konnte, dass die mit einem Erledigungsstempel vom 26.05.2014 versehene Ladungsverfügung tatsächlich nicht erledigt war, sondern noch der Bearbeitung durch den Rechtspfleger bedurfte, geht aus der Akte nicht zweifelsfrei hervor. Jedenfalls die Geschäftsstelle hätte aber vor der Vorlage an den Präsidenten des Landgerichts zur Prüfung der im Ausland zu bewirkenden Ladung am 12.06.2014 Anlass gehabt, beim Richter nachzufragen, ob der Termin stehen bleiben solle.)
Ein Mitverschulden des Klägers selbst ist nicht anzusetzen:
Zwar muss der Kläger grundsätzlich, wenn er seine E-Mail-Adresse auf dem zur Korrespondenz eingesetzten Briefkopf angibt, damit rechnen, dass kurzfristige Mitteilungen auf dieser E-Mail-Adresse einlaufen und diese auch wenigstens werktäglich zur Kenntnis nehmen. War ihm dies technisch nicht möglich, hätte es ihm oblegen, im laufenden Gerichtsverfahren dem Gericht davon Mitteilung zu machen (z. B. durch Mitteilung des Krankenhausaufenthaltes und seiner voraussichtlichen Dauer).
Ein Mitverschulden des Klägers kann gleichwohl nicht nachgewiesen werden, denn es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger vom Inhalt der Umladung in gehöriger Form Kenntnis erlangt hat. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass die Umladung bzw. hier allein maßgeblich eine Terminsabsage nicht förmlich erfolgen muss, sondern dass hier auch ein Telefonat und insbesondere eine E-Mail an die vom Kläger bekanntgegebene Adresse grundsätzlich ausreichten.
Das Gericht ist aber nicht überzeugt davon, dass dem Kläger nach Kenntnisnahme der E-Mail klar sein musste, dass der Termin vom 23.06.2014 aufgehoben war. Aus dem Betreff der E-Mail geht insoweit überhaupt nichts hervor, außer dass sich die Zeichenkette „Umladung“ im Dateinamen des übersandten PDF-Attachment befindet, der – aus welchem Grund auch immer – in die Betreffzeile der E-Mail übernommen worden ist.
Verkehrsüblicher Gepflogenheit entspricht es demgegenüber, eine E-Mail mit einer Betreffzeile zu versehen, die den Inhalt der Nachricht erkennen lässt (RFC 1855). Auch aus dem Text der E-Mail geht nicht hervor, dass der Termin vom 23.06.2014 aufgehoben worden war, es wird lediglich auf „anliegende Umladung“ Bezug genommen. Die Umladung selbst befand sich dann – einer gerichtsbekannt in der bayerischen Justiz leider verbreiteten Unsitte folgend – als PDF-Attachment im Inhalt der E-Mail.
Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger vom Inhalt des PDF-Attachments Kenntnis genommen hat. Er selbst stellt dies in Abrede, er hat allerdings nicht mitgeteilt, welches Endgerät und welche Software er verwendet hat, um an den Inhalt des Attachments zu gelangen, aus dem Zustand, in dem die E-Mail vom Kläger an das hier entscheidende Gericht weitergeleitet worden ist, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit zu folgern, dass der Kläger, beim Versuch das Attachment abzuspeichern, versehentlich die gesamte E-Mail mit einer Dateiendung .pdf abgespeichert hat, mit der Folge, dass die von üblichen Betriebssystemen automatisch zur Anzeige verwendeten Programme – namentlich der kostenfreie Adobe Reader – damit nichts anfangen können, sondern eine defekte Datei melden, obwohl die Information vollständig vorhanden ist (und vom hier entscheidenden Gericht auch entnommen werden konnte).
Die Frage kann indessen dahinstehen:
Dem Kläger war es überhaupt nicht zuzumuten, ein PDF-Attachment, das ihm ein ihm bis dahin unbekannter Absender ohne vorherige Absprache zugesendet hatte und das möglicherweise aktive Inhalte aufwies, überhaupt zu öffnen. Es ist bekannt, dass es sich dabei um einen der verbreitetsten Angriffsvektoren für Computerviren handelt, weshalb E-Mail-Teilnehmern allgemein geraten wird, dies nicht zu tun
(z. B.: www…de/…html).
Dass dem Kläger schließlich bei dem von ihm behaupteten Telefonat am 20.06.2014 die Terminsaufhebung tatsächlich bekanntgegeben worden ist, ist von Beklagtenseite weder vorgetragen, noch unter Beweis gestellt worden.
Zur Schadenshöhe ist allerdings der Beklagtenseite Recht zu geben, insoweit der Kläger – nach eigenen Angaben zur fraglichen Zeit im Krankenstand – Schadensersatz für die von ihm aufgewendete Zeit nicht beanspruchen kann (wohl aber für die mit 3,50 € pro Stunde keineswegs übersetzte von der unstreitig notwendigen Begleitperson aufgewendete Zeit). Das Gericht muss deshalb von den Schadenspositionen 126,00 € (geltend gemachter Zeitaufwand für den Kläger selbst) absetzen.
Nachdem der Kläger nicht vorträgt, die vorgelegte Anwaltsrechnung tatsächlich schon beglichen zu haben, ist der Klageantrag Nr. 2 als Antrag auf Freistellung auszulegen und in der durch die berechtigte Klageforderung ausgelösten Höhe begründet.
Weitere Nebenentscheidungen: § 91, 92, 708, 710,3 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.
Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem Landgericht Bamberg, Wilhelmsplatz 1, 96047 Bamberg einzulegen.
Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.

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