Kosten- und Gebührenrecht

Zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Erledigungserklärung

Aktenzeichen  1 CS 18.2267

Datum:
30.11.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32429
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 166
ZPO § 114 S. 1

 

Leitsatz

1 Wird mit einer verfahrensbeendenden Prozesserklärung auf veränderte Umstände reagiert, erscheint es nicht geboten, von dem Prozessbeteiligten zu verlangen, die Erklärung zurückzuhalten, um eine Entscheidung über einen entscheidungs-/bewilligungsreifen, aber vom Gericht noch nicht beschiedenen Prozesskostenhilfeantrag vor der Verfahrensbeendigung zu erreichen (Anschluss an BayVGH BeckRS 2017, 108392). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt auch in diesem Fall voraus, dass im Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bzw. -Verteidigung vorlagen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 S 18.4580 2018-10-12 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 12. Oktober 2018 ist in Nummer I und II wirkungslos geworden.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Bevollmächtigten wird abgelehnt.
V. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog) und der Beschluss des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO).
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, über den nach § 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO ebenfalls der Berichterstatter zu entscheiden hat, ist abzulehnen.
1. Über die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO). In der Regel entspricht es billigem Ermessen, dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der voraussichtlich unterlegen wäre. Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit das Gericht jedoch nach der Erledigung des Rechtsstreits von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden.
Gemessen an diesen Grundsätzen entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen der Antragstellerin aufzuerlegen, weil ohne die eingetretene Erledigung die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin erhobenen Klage bei summarischer Prüfung zwar offen sind, die demzufolge im Eilverfahren vorzunehmende Interessenabwägung aber voraussichtlich zu Lasten der Antragstellerin ausgefallen wäre. Nach den vorliegenden Unterlagen liegen erhebliche Indizien vor, dass das streitgegenständliche Anwesen einsturzgefährdet sein könnte und damit Gefahren für Leib und Leben u.a. der Antragstellerin bestehen. Relevant ist bei dieser Interessenabwägung insbesondere, dass auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, das die Feststellungen des Gutachtens mit ergänzenden Ausführungen bestreitet, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das vorgelegte (Partei-)Gutachten zur Frage der Standsicherheit des Anwesens unzutreffend sein sollte und insoweit als verwertbares Beweismittel ausscheiden müsse. Gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes wiegt daher das private Interesse der Antragstellerin an einem weiteren Verbleib in ihrer Wohnung ungeachtet der damit verbundenen Belastung nicht so schwer.
2. Der Gewährung von Prozesskostenhilfe, die grundsätzlich nur für die Zukunft bewilligt wird, steht zunächst nicht schon entgegen, dass das Eilverfahren nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien erledigt ist, eine weitere Rechtsverfolgung zum heutigen Tage also nicht mehr beabsichtigt ist. Denn die Antragstellerin hat mit der Erledigungserklärung darauf reagiert, dass die Antragsgegnerin dafür gesorgt hat, dass sie im Beschwerdeverfahren eine Sozialwohnung beziehen kann. Wird mit einer verfahrensbeendenden Prozesserklärung auf veränderte Umstände reagiert, erscheint es nicht geboten, von dem Prozessbeteiligten zu verlangen, die Erklärung zurückzuhalten, um eine Entscheidung über einen entscheidungs-/bewilligungsreifen, aber vom Gericht noch nicht beschiedenen Prozesskostenhilfeantrag vor der Verfahrensbeendigung zu erreichen (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 10 C 16.2189 – juris Rn. 3).
Gleichwohl kommt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht in Betracht, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, die gegen die für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung gerichtet ist, nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffes einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg im Rahmen der beabsichtigten Rechtsverfolgung zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance indes nur eine entfernte ist. Dies zugrunde gelegt ergeben sich ausweislich der vorstehenden Ausführungen unter Nummer 1 nicht die erforderlich hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung für das Eilverfahren.
Der Antrag der Antragstellerin im Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. November 2018, ihr „im Rahmen der Beschwerde“ auch für die erste Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu gewähren, ist unzulässig. Der angegriffene Beschluss, mit dem dieser Antrag abgelehnt wurde, ist dem Bevollmächtigten der Antragstellerin am 10. Oktober 2018 zugestellt worden. Nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses einzulegen. Das Verwaltungsgericht hat darauf in der dem angegriffenen Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrungzutreffend hingewiesen. Die Antragstellerin hat jedoch erstmals im Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 14. November 2018 und damit außerhalb der Beschwerdefrist zur Ablehnung der Prozesskostenhilfe und der Beiordnung ihres Bevollmächtigten ausgeführt.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben