Medizinrecht

Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Zweitantrag

Aktenzeichen  M 17 K 16.33435

Datum:
17.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1
VwVfG VwVfG § 51

 

Leitsatz

1 Gegen Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG ist die Anfechtungsklage die richtige Klageart (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 111567; BayVGH BeckRS 2016, 41335). (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat der EU betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 111567). (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG gewährleistet nicht die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet, sondern „nur“, dass sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland eine vorhandene Erkrankung nicht auf Grund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung oder auf Grund individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten in dem Zielstaat alsbald und in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2017 entschieden werden, obwohl die Beteiligten nicht erschienen waren. Denn in der form- und fristgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Der Umstand, dass die anwaltlich vertretene Klägerin nicht persönlich an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte, stellt keinen Verfahrensmangel dar. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt keinen Anspruch darauf, in der mündlichen Verhandlung neben einem bevollmächtigten Rechtsanwalt anwesend zu sein (BVerwG, U.v. 11.11.1980 – I C 23.75 – juris; B.v. 13.6.1974 – 7 B 72.73 – Buchholz 310 § 95 VwGO Nr. 2 mit Nachweisen). Weshalb die persönliche Anwesenheit der Klägerin erforderlich sei, wurde nicht plausibel dargelegt (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 102 Rn. 6; BVerwG, U.v. 30.8.1982 – 9 C 1/81 – juris). Zwar kündigte die Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 9. Februar 2017 an, dass sie den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht wahrnehmen werde. Dabei wurde aber weder eine Begründung angegeben noch ein Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung gestellt. Trotz Verhinderung der Klägerin wurde die Wahrnehmung des Termins durch die Klägerbevollmächtigten nicht für notwendig erachtet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann von einer Versagung des rechtlichen Gehörs nicht gesprochen werden, wenn der Betroffene oder – wie hier – sein Prozessvertreter es unterlassen haben, Gebrauch von den verfahrensrechtlich gebotenen Möglichkeiten zu machen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BVerwG, U.v. 30.8.1982 – 9 C 1/81 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Unabhängig davon, kann in den Fällen, in denen die Sachaufklärung ohne den persönlich erschienenen Kläger vorgenommen werden kann, das Gericht auch bei Ausbleiben in der Sache selbst entscheiden, ohne dass ein Gehörsverstoß vorläge. Die Sachaufklärung im vorliegenden Fall weist keine besonderen Schwierigkeiten auf. Der streitgegenständliche Bescheid vom 4. August 2016 ist verständlich abgefasst und betrifft vornehmlich die Frage einer Zweitantragsituation (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG), wobei die Klägerin in der Anhörung vor dem Bundesamt am … Dezember 2013 selbst angab, eine schriftliche Ablehnung des Asylantrags in Frankreich erhalten zu haben; eine komplexe Verhandlung – im Rahmen derer etwa eine Beweisaufnahme oder eine Sachverständigeneinvernahme vorgesehen gewesen wäre – stand nicht an. Überdies hatte die Klägerin im Laufe des Verfahrens auch die Möglichkeit, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sachgerecht, zweckentsprechend, erschöpfend und unter im Übrigen zumutbaren Bedingungen zu äußern. Nach alledem konnte die mündliche Verhandlung daher ohne Verletzung rechtlichen Gehörs auch in Abwesenheit der Klägerin durchgeführt und über die Streitsache entschieden werden.
2. Die teilweise unzulässige Klage, hat keinen Erfolg.
2.1. Die Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus, ist in der hier gegebenen Situation mangels Statthaftigkeit unzulässig. Vielmehr ist die Anfechtungsklage auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 4. August 2016 hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Zweitanträgen, die nach aktueller Rechtslage nach Inkrafttreten des Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG ergeht, richtige Klageart (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Ls. 1 und Rn. 14 ff.; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 21 f.).
2.2. Die zulässige Anfechtungsklage, gerichtet auf die Aufhebung des Bescheides vom 4. August 2016, ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 4. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Prüfung ist bei Anträgen, die das Bundesamt als Zweitantrag einstuft, auf die Fragen beschränkt, ob es sich tatsächlich um einen derartigen Antrag handelt und ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, also die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 AsylG vorliegen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG; BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 18f. – sog. „Zulässigkeitsprüfung“).
Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Die Eingangsvoraussetzungen des § 71a AsylG, dessen Anwendbarkeit Unionsrecht nicht entgegen steht (VG Berlin, B.v. 17.7.2015 – 33 L 164/15.A – juris Rn. 10 ff.; VG München, U.v. 7.2.2013 – M 11 K 12.30661 – juris Rn. 21; a.A. Marx, AsylG, 8. Aufl. (2014), § 71a Rn. 3 ff.), sind vorliegend erfüllt.
Zum einen handelt es sich bei der Republik Frankreich als Mitgliedstaat der Europäischen Union um einen sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG.
Zum anderen ist das vorhergehende Asylverfahren der Klägerin in Frankreich in der Sache erfolglos geblieben, indem ihr dort jeglicher Schutz versagt worden ist.
Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat der EU betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 30 ff.). Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist die Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedsstaat (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 33 ff.) Nach den eigenen Angaben der Klägerin ist ihr in Frankreich betriebenes Asylverfahren erfolglos abgeschlossen worden. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am … Dezember 2013 gab die Klägerin an, in Frankreich eine schriftliche Ablehnung des Asylbegehrens erhalten zu haben (Bl. 44 BA). Zudem lässt sich aus der Antwort der französischen Behörden zum Rückübernahmeersuchen der Bundesrepublik (Bl. 59 BA) schließen, dass ein solches Asyl(erst) verfahren im sicheren Drittstaat durchgeführt und negativ abgeschlossen worden ist. Die Rückübernahmeverpflichtung folgte nach den Angaben der französischen Behörden gemäß Art. 16 Abs. 1 e) der Dublin II-VO. Danach ist der für die Prüfung des Asylbegehrens zuständige Mitgliedsstaat gehalten, einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen (VG Schleswig, B.v. 14.09.2016 – 1 B 50/16 – juris Rn. 15).
Es bedarf danach für die Durchführung weiterer Asylverfahren gemäß § 71a AsylG der Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, was indes vorliegend nicht der Fall ist. Die Klägerin hat weder im Verfahren vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren Umstände vorgetragen, die einen Wiederaufgreifensgrund nach § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG begründen könnten. Vielmehr hat sie allein Umstände geltend gemacht, die sie entweder bereits im französischen Asylverfahren hätte vortragen können oder jedenfalls im Hinblick auf die Zuerkennung internationalen Schutzes keine günstigere Entscheidung herbeizuführen vermögen. Entsprechend gab die Klägerin während ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am … Dezember 2013 an, in dem Asylverfahren in Frankreich dieselben Gründe angegeben zu haben, wie in der Anhörung vor dem Bundesamt zur Begründung ihres Asylbegehrens in der Bundesrepublik Deutschland (Bl. 44 BA). Zudem befand sich die Klägerin sowohl bereits in ihrem Heimatland Kosovo als auch während ihres Aufenthalts in Frankreich wegen ihrer geltend gemachten psychischen Erkrankung in ärztlicher Behandlung. Im Übrigen wird insoweit entsprechend § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Erwägungen im angegriffenen Bescheid verwiesen.
Auch die Abschiebungsandrohung entspricht damit den gesetzlichen Anforderungen nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG sowie § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG.
2.3. Die Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist zulässig (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 20), jedoch ebenfalls unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten im Sinne von § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Auch insoweit wird entsprechend § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Erwägungen im angegriffenen Bescheid verwiesen. Ergänzend wird folgendes ausgeführt:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Nach ihrem eigenen Vortrag und den vorgelegten ärztlichen Attesten (Bl. 21 ff., Bl. 44 BA) befand sich die Klägerin bereits in ihrem Herkunftsland Kosovo (Klinikum in Prishtina) wegen ihrer psychischen Probleme in ärztlicher Behandlung. Dort habe man ihr Beruhigungsmittel verschrieben. Dieser Vortrag entspricht den vorliegenden Erkenntnismitteln, wonach psychische Erkrankungen im Kosovo grundsätzlich behandelt werden können (VG München, B.v. 25.11.2016 – M 17 S. 16.33053 – juris Rn. 56; VG Würzburg, B.v. 20.1.2016 – W 6 S. 16.30045 – juris Rn. 15; OVG NW, B.v. 7.2.2017 – 13 A 1836/16.A – juris; OVG Schleswig, U.v. 15.12.2016 – 3 LB 7/14 – juris Rn. 85). Laut dem Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 7. Dezember 2016 (Stand September 2016, S. 24 ff.) wird die Behandlung von psychischen Erkrankungen im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren („Mental Health Care Centres“, MHCs) durchgeführt. Patienten, die einer stationären Behandlung bedürfen, werden in den vier Regionalkrankenhäusern in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie sowie in der Psychiatrischen Klinik der Universitätsklinik Pristina behandelt. In diesen Regionalkrankenhäusern stehen ausreichende Bettenkapazitäten zur Verfügung. Diese Einrichtungen verfügen jeweils über eine angeschlossene psychiatrische Ambulanz mit ambulanter fachärztlicher Betreuung. Patienten, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, werden in den psychiatrischen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems weiterhin primär medikamentös behandelt. Eine Behandlung auf psychotherapeutischer Grundlage wird nach Angaben der Ärzte durchgeführt, wenn hierfür eine medizinische Notwendigkeit vorliegt und die für die Durchführung von psychotherapeutisch orientierten Gesprächen erforderliche Zeit zur Verfügung steht. Daneben führen auch Nichtregierungsorganisationen Behandlungen auf psychotherapeutischer Basis durch, z.B. das aus dem Stabilitätspakt für Südosteuropa unterstützte psychosoziale Zentrum der Diakonie, das auch die einzige Ausbildung in Traumatherapie in Kosovo anbietet. Fachärzte für Psychiatrie im privaten Gesundheitssektor behandeln Trauma-Patienten sowohl medikamentös als auch im Rahmen einer Psychotherapie. Privatpraxen für Psychiatrie bzw. Neurologie finden sich in ganz Kosovo. Der Preis für die Durchführung einer Gesprächstherapie beträgt zwischen 10 und 20 Euro. Die behandelnden Ärzte verfügen mindestens über eine Qualifikation als Neuropsychiater. Einige Ärzte haben zusätzliche Fachkenntnisse im Ausland erworben bzw. nehmen an Schulungsmaßnahmen teil, die NROs in Kosovo v.a. zur Behandlung von Trauma-Patienten anbieten. Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland können bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrer-Projekts „URA II“ in Anspruch nehmen.
Zwar könnte die Klägerin bei einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet wohl eine bessere gesundheitliche Versorgung erlangen. Wie in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch ausdrücklich klargestellt ist, ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährleistet nicht die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet, sondern „nur“, dass sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland eine vorhandene Erkrankung nicht auf Grund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung oder auf Grund individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten in dem Zielstaat alsbald und in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. Ein Ausländer muss sich auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. OVG NW, B.v. 27.7.2006 – 18 B 586/06; v. 14.6.2005 – 11 A 4518/02.A – juris).
Die Klägerin leidet nach Überzeugung des Gerichts auch nicht an einer psychischen Krankheit (PTBS), die langfristig behandlungsbedürftig ist.
Bei der PTBS handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild, bei dem nicht äußerlich feststellbare objektive Befundtatsachen, sondern innerpsychische Erlebnisse im Mittelpunkt stehen, sodass es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und die Nachvollziehbarkeit des geschilderten Erlebens und der zu Grunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen ankommt. Aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes bestehen besondere Anforderungen an ärztliches Vorgehen und Diagnostik. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome zur Substantiierung sowohl des Sachvortrags (§ 86 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 VwGO) als auch eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand hat, regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.09.2007 – 10 C 8/07; U.v. 11.09.2007 – 10 C 17/07; B.v. 26.7.2012 – 10 B 21/12; VGH BW, B.v. 09.07.2012 – A 9 S 1359/12; BayVGH B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390).
Ungeachtet des verspäteten Vorbringens gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO, erfüllt die vorgelegte medizinische Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom … Oktober 2016 (Datum sowie ausstellendes Klinikum ist aus dem vorgelegten Telefax schon nicht erkennbar) diese Anforderungen der Rechtsprechung nicht und ist daher nicht geeignet sind, den für die begehrte Feststellung erforderlichen Nachweis zu erbringen. Es fehlen insbesondere Angaben darüber, wie häufig sich die Klägerin in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von der Klägerin geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. In gleicher Weise bleibt die genaue Medikation und Therapie offen.
Die von der Klagepartei vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen des Herrn Dipl. Psych. … sind ebenfalls nicht geeignet, das vorgetragene psychische Krankheitsbild zu belegen, da sich die Klägerin aktuell nicht in seiner psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung befindet. Diese fand bis zum … Dezember 2015 statt und wurde wegen der Verlegung des Aufenthaltsortes der Klägerin nach Ingolstadt im Januar 2016 abgebrochen (siehe fachärztliche Bescheinigung des Dipl. Psych. … vom … November 2016). Der damals behandelnde Dipl. Psych. … gibt selbst an, dass ihm nicht bekannt ist, inwieweit seine Therapieempfehlung umgesetzt worden oder überhaupt eine therapeutische oder medikamentöse Behandlung erfolgt ist. Zudem stützt sich die fachärztliche Bescheinigung vom … November 2016 vornehmlich auf ein am … Februar 2016 mit dem Ehemann der Klägerin und ein mit einem Sozialarbeiter der Ingolstädter Unterkunft geführtes Telefonat, ohne dass – soweit ersichtlich – mit der Klägerin selbst Kontakt aufgenommen worden wäre. Schließlich beinhaltet das ärztliche Attest vom … November 2016 in erster Linie Mutmaßungen und Hypothesen („(…) ist davon auszugehen (…); (…) könnte das psycho-physische Zustandsbild [der Klägerin] erneut überprüft und hinsichtlich ihrer aktuellen Reiseunfähigkeit untersucht werden“), ohne eine substantiierte medizinische Beurteilungsgrundlage zu bilden. Darüber hinaus sind die ärztlichen Bescheinigungen des Dipl. Psych. … nicht „nachvollziehbar“ im Sinn der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 11.09.2007 – 10 C 8.07; U.v. 11.09.2007 – 10 C 17.07 – U.v. 26.07.2012 – 10 B 21.12 – juris; VGH BW B.v. 09.07.2012 – A 9 S 1359/12 – juris; BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris), da sie von traumatisierenden Ereignissen ausgehen, welche die Klägerin nach ihren eigenen Angaben so nicht erlebt hat. So schildert Herr Dipl. Psych. … … als das Trauma auslösendes Ereignis in erster Linie, dass die Klägerin am 14. November 2011 vergewaltigt worden sei, wohingegen die Klägerin in der Anhörung vor dem Bundesamt am … Dezember 2013 mitteilte, dass es zu keiner Vergewaltigung gekommen sei. Ein unbekannter Mann habe sie vergewaltigen wollen, von ihr jedoch abgelassen, als sie geschrien habe. Damit ist davon auszugehen, dass Dipl. Psych. … bei der Erstellung seiner ärztlichen Bescheinigungen von falschen Tatsachen ausgegangen ist.
2.4. Soweit sich die Klage darüber hinaus gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 AufenthG in Ziffer 4 des Bescheides richtet, ist sie ebenfalls unbegründet. Über die Dauer der Befristung dieses zwingend mit der Abschiebungsandrohung festzusetzenden Verbotes entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Entscheidung, die von Amts wegen vorzunehmende Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes ab dem Tag der Abschiebung auf 36 Monate festzulegen und damit im mittleren Bereich des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für den Regelfall aufgezeigten Rahmens anzusiedeln, lässt keine Ermessensfehler gemäß § 114 Satz 1 VwGO erkennen. Umstände, die eine weitere Reduzierung angezeigt erscheinen lassen würden, sind nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben