Medizinrecht

Anerkennung einer Zahnschädigung als Wehrdienstbeschädigungsfolge

Aktenzeichen  S 12 VS 3/17

Datum:
18.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 57377
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SVG § 80, § 81, § 85
SGG § 51, § 57

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das Sozialgericht Nürnberg ist sachlich und örtlich gemäß §§ 51, 57 SGG zuständig.
Die ordnungsgemäß und fristgerecht eingereichte Klage ist zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Die Zahnschädigung des Klägers ist nicht als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen. Ein Anspruch auf Leistungen nach den §§ 80, 81 SVG i.V.m. mit dem Bundesversorgungsgesetzes (BVG) besteht nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gemäß § 80 Abs. 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.
Nach § 81 Abs. 1 SVG ist eine Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Gemäß § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (ständige Rechtsprechung des BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz: BSG, Urteile vom 22.06.1988, Az. 9/9a RVg 3/87 m.w.N. und Az. 9/9a BVg 4/87; zur Kriegsopferversorgung: BSG, Urteil vom 12.12.1995, Az. 9 RV 14/95; zum SVG: BSG, Urteile vom 24.09.1992, Az. 9a RV 31/90 und vom 15.12.1999, Az. B 9 VS 2/98 R und zum Impfschadensrecht: BSG Urteile vom 19.08.1981, Az. 9 RVi 5/80 und vom 19.03.1986, Az. 9a RVi 2/84) soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach den §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreistufige Kausalkette voraussetzt (BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az. B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten in GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolgen (3. Glied) bedingt. Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, das heißt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az. B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich, ist indessen aber ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az. B 9 VG 3/99 R), das heißt dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az. 9/9a RV 1/92). Demgegenüber reicht es für den ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist.
Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützt (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 25.07.2017, Az. L 20 VJ 1/17).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Rechtsstreit der Vollbeweis des Primärschadens „Zahnschädigung“ nicht gegeben. Dabei stützt sich das Gericht auf die Unterlagen der Beklagten, die Nachfragen bei den benannten Ärzten und die Zeugenaussage von Herrn H..
Aus den medizinischen Unterlagen der Beklagten ergibt sich lediglich eine Entzündung am rechten oberen Schneidezahn des Klägers im Zeitraum vom 05.01.1971 bis zum 11.01.1971 und eine ambulante Behandlung wegen einer Schürfwunde an der rechten Oberlippe in der Zeit vom 25.09.1970 bis zum 30.09.1970.
Der Primärschaden einer Schürfwunde an der rechten Oberlippe des Klägers aufgrund eines Unfalls (Sturz aus einem Bundeswehr-Kfz mit Aufprall auf dem Trittbrett) und eine damit verbundene ambulante Behandlung in der Zeit vom 25.09.1970 bis zum 30.09.1970 ist dabei in den Unterlagen der Beklagten sehr deutlich und für das Gericht ohne Zweifel dokumentiert.
Worauf die Entzündung am rechten oberen Schneidezahn des Klägers, welche zu einer ambulanten Behandlung in der Zeit vom 05.01.1971 bis zum 11.01.1971 geführt hat, beruht, was also die Ursache für die Entzündung war, ist hingegen in den Akten der Beklagten nicht dokumentiert. Vielmehr geht aus den Unterlagen hervor, dass die Ursache der Entzündung am rechten oberen Schneidezahn des Klägers im genannten Zeitraum unbekannt und die Entzündung keine Wehrdienstbeschädigung ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass eine bloße Entzündung am Schneidezahn grundsätzlich in einem überschaubaren Zeitraum abklingt und nicht nach 40 Jahren ohne weiter dokumentierte Brückensymptome dazu führt, dass der Zahn entfernt werden muss.
Auch die Aussage des Zeugen H. bestätigt letztlich nur, was sich bereits aus den Unterlagen der Beklagten ergibt. Nämlich, dass sich der Kläger während der Zeit bei der Bundeswehr bei einem Unfall den Mund aufgeschlagen hat und, dass er beim Zahnarzt in Behandlung gewesen ist. Welcher genaue Primärschaden allerdings aufgrund des Unfalls beim Kläger neben der Schürfwunde (Mund aufgeschlagen) eingetreten ist, ergibt sich aus der Zeugenaussage nicht. Es ist rein spekulativ zu vermuten, dass aufgrund des Aufpralls auf den Mund eine Zahnschädigung beim Kläger entstanden ist. Der Nachweis einer solchen Schädigung ist nirgends dokumentiert und auch nicht der Zeugenaussage von Herrn H. zu entnehmen. Eine weiterführende gerichtliche Befragung des Zeugen war daher nicht nötig. Der Zeuge hat zudem bereits bei der Beklagten angegeben, dass er sich nach 45 Jahren weder an den Unfallhergang noch an den genauen Unfallzeitpunkt erinnern kann.
Auch die Nachfrage bei den vom Kläger benannten Ärzten führte nicht zum Nachweis eines Primärschadens im Bereich des rechten oberen Schneidezahns des Klägers aufgrund des Unfalls (Sturz aus einem Bundeswehr-Kfz mit Aufprall auf dem Trittbrett). Die Ärzte sind allesamt bereits verstorben und Unterlagen über eine Behandlung des Klägers nicht mehr vorhanden.
Die Tatsache, dass ein Primärschaden im Bereich des rechten oberen Schneidezahn des Klägers nach dem Sturz aus dem Bundeswehr-Kfz nicht dokumentiert und belegt ist, geht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zulasten des Klägers, der aus dieser Tatsache Rechte herleiten möchte (vgl. zum Grundsatz der objektiven Beweislast insbesondere Schmidt in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG-Kommentar, 12. Auflage 2017, § 103, Rdnr. 19a m.w.N.).
Selbstverständlich ist es schwierig nach mehr als 40 Jahren Tatsachen zu beweisen. Generell führen aber Beweisschwierigkeiten nach der Rechtsprechung des BSG nicht grundsätzlich zu einer Beweislastumkehr. Diese tritt bei einem Beweisnotstand allenfalls dann ein, wenn er auf einer schuldhaft unterlassenen bzw. unvollkommenen Beweiserhebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung durch denjenigen beruht, dem die Unerweislichkeit der Tatsachen zum prozessualen Vorteil gereicht (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.2006, Az. B 9a VS 1/05 R). Dies ist vorliegend aber weder ersichtlich noch wurde es vom Kläger substantiiert dargelegt.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.


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