Medizinrecht

Anerkennung eines triangulären fibrokartilaginären Komplexes (TFCC) am rechten Handgelenk als Dienstunfall

Aktenzeichen  3 ZB 21.1170

Datum:
9.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36757
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 46
VwGO § 86, § 98, § 124
ZPO § 412 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils gestützter Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) muss sich hinreichend mit den tragenden Erwägungen des angegriffenen Urteils auseinandersetzen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die unterbliebene Einholung eines zusätzlichen Gutachtens kann nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung und Prüfung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und so die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits ein Gutachten vor, muss es ein zusätzliches Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme erkennbare Mängel aufweist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 1 K 20.701 2021-03-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten) und des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel) gestützte Antrag bleibt erfolglos.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Schaden des triangulären fibrokartilaginären Komplexes (TFCC) am rechten Handgelenk des Klägers nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 4. Februar 2018 zurückzuführen ist. Es hat hierzu ausgeführt, dass der Sachverständige Dr. W. festgestellt habe, dass die ärztliche Dokumentation in Bezug auf das rechte Handgelenk erstmals im Befund vom 15. Februar 2019, also mehr als ein Jahr nach dem Unfall erfolgt sei, sodass schon aus diesem Grund ein unfallbedingter Körpererstschaden nicht angenommen werden könne. Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. entspreche es gesicherter medizinischer Erkenntnis, dass jede strukturelle Veränderung unmittelbar nach dem Unfallereignis die ausgeprägtesten Beschwerden bewirke, die dann im Laufe der Zeit eher schwächer würden. Dieser sog. Decrescendo-Verlauf sei beim Kläger nicht feststellbar, vielmehr seien die Handgelenksbeschwerden erst ein Jahr nach dem Unfall vom 4. Februar 2018 in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Klägers und der behandelnden Ärzte gerückt, was gegen eine unfallbedingte Verursachung dieser Schäden spreche. Daneben fehle es für die Anerkennung der TFCC-Läsion als Unfallfolge auch an Feststellungen von Begleitverletzungen an anderen anatomischen Strukturen, etwa an einer knöchernen Verletzung. Im Übrigen habe der Sachverständige überzeugend und unter Angaben einschlägiger Zitate aus der Fachliteratur ausgeführt, dass die beim Kläger vorliegende Ellen-Minus-Variante ein Dispositionsfaktor für Schäden des TFCC sei.
Die Einwendungen des Klägers befassen sich nicht mit der Argumentation, dass sich beim Kläger kernspintomografisch weder eine Begleitverletzung der radioulnaren Bänder noch traumatische Knochenödeme am Ellenkopf und am Dreiecksbein finden lassen, was nach der fachorthopädischen gutachtlichen Stellungnahme vom 21. November 2020 für die Diagnose einer traumatischen, also unfallbedingten TFCC zwingend erforderlich ist. Insoweit hat der Kläger seiner Darlegungspflicht nicht genügt.
Im Übrigen konnte er zwar nachweisen, dass ab dem 20. März 2018, also einem Monat nach dem Unfall, regelmäßig Behandlungen am rechten Handgelenk vorgenommen worden sind. In keiner der vorgelegten ärztlichen Unterlagen wird jedoch ein nach dem Unfall sofort einsetzender, stark schmerzhafter Funktionsverlust dokumentiert (vgl. Gutachten vom 20.10.2019), aus dem sich auf einen sog. Decrescendo-Verlauf schließen ließe. Im Gegenteil dokumentiert die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 12. Juli 2021, dass der Kläger bei der ersten Vorstellung am Tag nach dem Unfall über lediglich leichte Schmerzen in der rechten Hand geklagt hatte. Auch der Argumentationsstrang, die bei ihm vorliegende Ellen-Minus-Variante sei ein Dispositionsfaktor für Schäden des TFCC, vermag der Kläger nicht ernstlich in Frage zu stellen. Die von ihm hierzu bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Anlage B 3 (Schreiben der Universitätsklinik Würzburg vom 20.10.2020) wurde durch den Sachverständigen schon im Verwaltungsverfahren als nicht dem derzeitigen gutachterlichen Wissenstand entsprechend gewürdigt, ohne dass der Kläger dem etwas von Substanz entgegensetzen konnte. Sein Einwand, es müsse davon ausgegangen werden, dass einem Oberarzt einer Universitätsklinik, zudem habilitiert und promoviert, der aktuelle Diskussionsstand in der Wissenschaft sicherlich bewusst sei, ersetzt keinen wissenschaftlichen Diskurs. Warum schließlich der Radiologie-Befund vom 6. September 2019 gegen das Vorliegen eines Dispositionsfaktors sprechen soll, erschließt sich dem Senat nicht. Die Ellen-Minus-Variante ist keine degenerative Veränderung, sondern in der Regel angeboren.
Auch mit den vorgelegten Schreiben zur Kausalität zwischen Dienstunfall und TFCC vermag der Kläger keine ernstlichen Zweifel darzulegen. Das Schreiben der Uniklinik vom 16. Januar 2020, wonach ein medizinischer Zusammenhang „höchst wahrscheinlich“ anzunehmen sei, und das von Dr. P. vom 14. Januar 2020 („höchstwahrscheinlich“) dokumentieren zum einem nicht die erforderliche an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Unfall und TFCC, zum anderen hat der Sachverständige in seiner gutachterlichen, ergänzenden Stellungnahme vom 26. Februar 2020 auf die fehlende Kausalitätsdiskussion in den beiden Schreiben hingewiesen. Gleichwohl hat der Kläger daraus keine Schlüsse gezogen, sondern die Anlagen ein weiteres Mal vorgelegt, ohne diese mit ergänzenden Stellungnahmen zu untermauern. Im Schreiben des Universitätsklinikums vom 2. September 2019 wird ein Kausalzusammenhang lediglich für „wahrscheinlich“ gehalten. Auch im Schreiben des Universitätsklinikums vom 12. November 2020 wird eine „traumatische“ TFCC-Läsion nur behauptet, aber kein Kausalzusammenhang zum Unfall hergestellt bzw. ein solcher begründet.
2. Aus den gleichen Gründen, mit denen das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu verneinen ist, folgt auch, dass der Rechtssache nicht die – insbesondere im Hinblick auf den im Dienstunfallrecht geltenden Kausalitätsbegriff – besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten zukommen, die der Beklagte ihr zumisst. Damit scheidet auch eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aus.
Voraussetzung für die Zulassung nach dieser Vorschrift ist, dass der Kläger mit seinen Angriffen gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Fragen aufwirft, die von solcher Schwierigkeit sind, dass sich die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels nicht im Zulassungsverfahren, sondern erst im Rechtsmittelverfahren selbst klären und entscheiden lassen. Allein daraus, dass medizinische Stellungnahmen vorliegen, die konträr zu im Verwaltungsverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen stehen, ergeben sich noch keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten in diesem Sinne, zumal sie sämtlich die Kausalität nur behaupten, nicht aber dem Stand der Wissenschaft entsprechend begründen. Der Sachverhalt ist, soweit entscheidungserheblich, überschaubar und die vorliegenden medizinischen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. lassen sich eindeutig bewerten und werden durch die ärztlichen Schreiben, die der Kläger vorgelegt hat, nicht entkräftet.
3. Der Kläger legt auch keinen der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO dar, auf dem die Entscheidungen beruhen können. Das Verwaltungsgericht hat dadurch, dass es kein weiteres Gutachten eingeholt hat, nicht gegen die Amtsermittlungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen. Dem Erstgericht musste sich aus seiner Sicht eine weitere Sachaufklärung durch eine erneute Begutachtung auch nicht aufdrängen. Über die Einholung eines weiteren Gutachtens entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (§ 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO).
Die unterbliebene Einholung eines zusätzlichen Gutachtens kann dabei nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung und Prüfung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und so die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits ein Gutachten vor, muss es ein zusätzliches Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme erkennbare Mängel aufweist (BayVGH, B.v. 23.10.2020 – 3 ZB 19.1835/3 ZB 19.1836 – juris Rn. 22). Das ist – wie bereits ausgeführt – nicht der Fall.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
5. Mit diesem nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbaren Beschluss wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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