Medizinrecht

Anforderungen an den Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung

Aktenzeichen  13a ZB 18.33056

Datum:
13.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35659
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, § 108 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, gehört angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Nachweis des Ereignisses, „das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“, ist nicht Gegenstand der gutachtlichen (fachärztlichen) Untersuchung einer posttraumatischen Belastungsstörung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Kontext der posttraumatischen Belastungsstörung ist geklärt, dass vom Schutzsuchenden ausschließlich gegenüber dem Tatrichter – und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter – nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden muss, dass ein behauptetes traumatisierendes Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 K 17.34930 2018-10-19 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. Oktober 2018 bleibt ohne Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Zur Begründung des Zulassungsantrags trägt der Kläger zunächst vor, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). So sei klärungsbedürftig, ob „die bisherige Rechtsprechung zu dem Beschwerdebild der posttraumatischen Belastungsstörung als Erkrankung mit einem unscharfen Krankheitsbild aufgrund der Fortschritte der Wissenschaft nicht aufgegeben werden muss, da die Posttraumatische Belastungsstörung ganz im Gegenteil genau festgelegte Symptome hat, anhand festgelegter Symptome/Kriterien diagnostiziert wird und daher kein unscharfes Krankheitsbild aufweist.“ Im weiteren Nachgang sei klärungsbedürftig, ob „nicht die bisherige Rechtsprechung, dass die PTBS nur dann vorliegt, wenn der Tatrichter vom Vorliegen des traumatischen Ereignisses überzeugt ist (und nicht der Arzt oder Therapeut) aufzugeben ist, da bei einer Erkrankung grundsätzlich immer zunächst das behandelnde Fachpersonal vom Vorliegen der Erkrankung aufgrund der Diagnosestellung überzeugt sein muss.“ Grundsätzlich klärungsbedürftig sei auch die Frage, ob „nicht wie bei anderen ärztlichen Attesten der Tatrichter zunächst die Diagnose zu akzeptieren hat und … aufgrund der gestellten Diagnose die weitere juristische Prüfung zu erfolgen hat.“ Zur inhaltlichen Begründung der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache trägt der Kläger vor, dass das Erkrankungsbild der posttraumatischen Belastungsstörung und die Anforderungen in Asylverfahren ein Paradoxon seien. Einerseits könne der Betroffene aufgrund einer stressbedingten Störung bei der Speicherung des Erlebten im Gehirn nicht über das traumatisierende Ereignis sprechen und solle dies medizinisch auch gar nicht, um eine weitere Traumatisierung zu verhindern; andererseits erwarte die Rechtsprechung genau dies vom Betroffenen und nehme sodann eine Glaubwürdigkeitsprüfung eines Sachverhalts vor, der krankheitsbedingt nur in Bruchstücken abgerufen und daher kaum widerspruchsfrei berichtet werden könne. All dies führe dazu, dass die rechtlichen Anforderungen an Atteste und den Vortrag des Asylsuchenden dem Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung widersprächen. Ärzte und Therapeuten würden erst nach einer gewissen Stabilisierung des Betroffenen das traumatisierende Ereignis langsam heranholen, um sodann über mehrfache Rückführungen auf eine normale Verarbeitung des Erlebten hinzuwirken. Naturgemäß stehe insoweit die Genesung des Betroffenen im Vordergrund, nicht die Glaubwürdigkeit der durch den Betroffenen geschilderten Ereignisse; ein kritisches Nachbohren sei hier aus therapeutischer Sicht sogar gefährlich. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung könne daher nicht anhand des traumatischen Ereignisses erfolgen, sondern nur anhand der vom Betroffenen berichteten und durch das Fachpersonal beobachteten Symptome (vgl. hierzu Dreßing, Kriterien bei der Begutachtung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Hess. Ärzteblatt 5/2016, 271 ff.; Flatten u.a., S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung ICD10: F43.1, Trauma & Gewalt 3/2011, 202 ff.; Hofmann, Therapie psychotraumatischer Belastungssyndrome, 5. Aufl. 2014, S. 16-28, 158; Stellungnahme der ihn behandelnden Diplom-Psychologin – Refugio München – v. 22.11.2018). Eine offenbar seitens der Rechtsprechung vorhandene Befürchtung, Asylsuchende könnten das Vorliegen der Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10 oder DSM-5 vortäuschen, sei unbegründet; die betreffenden Symptome seien vielmehr durch das Fachpersonal eindeutig feststellbar, denn sie beruhten auf von den Betroffenen nicht zu kontrollierenden chemischen Stoffwechselstörungen im Gehirn. Nach alledem könne es für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht auf die Glaubwürdigkeit des traumatisierenden Ereignisses ankommen, sondern nur auf das fachlich festgestellte Vorliegen der Symptomatik. Der Asylrichter habe daher im Lichte der medizinischen Kompetenz des Fachpersonals eine attestierte posttraumatische Belastungsstörung seiner weiteren rechtlichen Bewertung zugrunde zu legen, die betreffende Rechtsprechung zu einem unscharfen Krankheitsbild sei aufzugeben. Durch die derzeitige Rechtsprechung werde als schwerer Systemfehler im Bereich psychischer Erkrankungen – anders als bei physischen Beschwerdebildern – massiv in die Berufsrechte des medizinischen und therapeutischen Fachpersonals eingegriffen und ihre Kompetenz in Frage gestellt, da Richter derzeit feststellten, dass bei Unglaubwürdigkeit des traumatisierenden (Flucht-)Ereignisses die ärztlich attestierte posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliegen könne. Bei einer Diabetes-Erkrankung werde richterlich schließlich auch nicht von einer fehlenden Fähigkeit des Betroffenen, die Ursache der Erkrankung hinreichend bzw. widerspruchsfrei zu erklären, auf ein Nichtvorliegen derselben geschlossen. Unabhängig davon sei die tatsächliche Existenz des vorgetragenen traumatisierenden Ereignisses durch den Asylrichter in einer einzelnen Anhörung gar nicht hinreichend verifizierbar; in gleicher Weise werde durch die Rechtsprechung schließlich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nach nur einer psychiatrischen Sitzung als fachlich nicht belastbar erachtet. In seinem Fall habe etwa das Verwaltungsgericht aus nicht widerspruchsfreien Angaben zur Situation seiner Geschwister letztlich auf das Nichtvorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung geschlossen; dies sei ersichtlich sachfremd. Sollte ein Asylrichter der Auffassung sein, dass ein ärztliches Attest zu oberflächlich sei, so könne er ein amtsärztliches oder psychiatrisches Gutachten einholen, nicht jedoch die Diagnose an sich anzweifeln. Nachdem eine Vielzahl von Asylsuchenden von den aufgeworfenen Fragen betroffen sei, seien diese grundsätzlich klärungsbedürftig.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, worin die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der aufgeworfenen Fragen besteht. Hierzu genügt es nicht, dass er darauf verweist, dass in Asylstreitverfahren ein Abschiebungsschutz wegen einer attestierten posttraumatischen Belastungsstörung in einer Vielzahl von Fällen eine Rolle spielt. Es reicht auch nicht aus, dass der Kläger in diesem Zusammenhang vorträgt, dass in seinem Einzelfall das Verwaltungsgericht wegen fehlender Glaubwürdigkeit des traumatisierenden Ereignisses von einer ärztlich attestierten Feststellung abgewichen sei; vielmehr hätte es darüber hinaus konkreter Darlegungen dazu bedurft, dass dies in ähnlich gelagerten Fällen bereits wiederholt der Fall war oder zumindest künftig zu erwarten sein wird. Dies zeigt die Zulassungsbegründung jedoch bereits im Ansatz nicht auf (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 12 f.).
Überdies sind die aufgeworfenen Fragen nicht klärungsbedürftig.
Der zum 17. März 2016 in Kraft getretene § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, der auch im Rahmen von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 4.10.2018 – 15 ZB 18.32354 – juris Rn. 12; B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris Rn. 6-8; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 6-8), bestimmt nunmehr, dass vermutet wird, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Bereits zur alten Rechtslage war in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21.12 – juris Rn. 7; U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 = NVwZ 2008, 330 – juris Rn. 15) in diesem Sinne geklärt, dass schon zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (vgl. zum Ganzen auch BayVGH, B.v. 13.3.2018 – 20 ZB 17.30364 – juris Rn. 14; B.v. 9.1.2018 – 10 ZB 16.30102 – juris Rn. 8; B.v. 4.12.2017 – 11 ZB 17.31507 – juris Rn. 3; B.v. 26.10.2017 – 13a ZB 17.30985 – juris Rn. 6; B.v. 26.8.2014 – 13a ZB 14.30219 – juris Rn. 4 f.).
Ebenfalls ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik erfordert, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik. Eine posttraumatische Belastungsstörung entsteht als „verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“ (vgl. ICD-10: F.43.1, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme). Die Störung ist also stets die direkte Folge der akuten schweren Belastung; ihr Beginn folgt dem Trauma (vgl. ICD-10: F.43 Info und F.43.1). Auch geklärt ist insoweit, dass der Nachweis des Ereignisses, „das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“, nicht Gegenstand der gutachtlichen (fachärztlichen) Untersuchung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 8 m.w.N.; so auch VGH BW, B.v. 20.10.2006 – A 9 S 1157/06 – InfAuslR 2007, 132 – juris Rn. 3). Mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln kann ohnehin nicht sicher geschlossen werden, ob tatsächlich in der Vorgeschichte ein Ereignis vorlag und wie dieses geartet war (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 ff.). Nach medizinisch-fachlichen Stellungnahmen wäre es überdies fatal, „einem Patienten mit einer PTBS nicht zu glauben bzw. Zweifel dahingehend entgegenzubringen, dass seine geschilderten Erlebnisse sich so nicht zugetragen haben“; daher stelle „die Überprüfung der vorgebrachten Inhalte eine juristische Fragestellung“ dar, im Zusammenhang mit fachärztlicher Beratung würden das Leiden und die Bedürftigkeit des Patienten grundsätzlich nicht infrage gestellt (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 8 f.; B.v. 15.2.2017 – 9 ZB 14.30433 – juris Rn. 12; B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 25).
Insoweit ist ferner in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass es ausschließlich Sache des Tatrichters ist, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – juris Rn. 5; jeweils zur posttraumatischen Belastungsstörung in Asylverfahren). Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers gehört – auch in schwierigen Fällen – zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung (BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 118.01 – juris Rn. 3). Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung umfasst dabei sowohl die Würdigung des Vorbringens der Partei im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren einschließlich der Beweisdurchführung als auch die Wertung und Bewertung vorliegender ärztlicher Atteste sowie die Überprüfung der darin getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen auf ihre Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit. Der Sachverständige begutachtet demgegenüber lediglich als „Gehilfe“ des Richters einen grundsätzlich vom Gericht festzustellenden (Mindest-)Sachverhalt aufgrund seiner besonderen Sachkunde auf einem Fachgebiet (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.1985 – 8 C 15.84 – BVerwGE 71, 38 = NJW 1986, 2268 – juris Rn. 16). Die Feststellung der Wahrheit von Angaben des Asylbewerbers oder der Glaubhaftigkeit einzelner Tatsachenbehauptungen unterliegt als solche nicht dem Sachverständigenbeweis (BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris; siehe zum Ganzen: BayVGH, B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – juris Rn. 5).
Hiervon ausgehend ist im Kontext der posttraumatischen Belastungsstörung ebenfalls geklärt, dass vom Schutzsuchenden ausschließlich gegenüber dem Tatrichter – und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter – nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden muss, dass ein behauptetes traumatisierendes Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Die Angaben des Asylbewerbers hierzu unterliegen der uneingeschränkten Beweis- und Tatsachenwürdigung des Gerichts nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insoweit ist es Sache des Betroffenen, dem Gericht die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern. Der Umstand, dass bei Opfern von Traumatisierungen Aussagediskrepanzen aufgrund von Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie komplexe Verdrängungsvorgänge vorliegen können, ändert nichts an der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO maßgeblichen freien Überzeugungsbildung des Gerichts (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 6.9.2018 – 1 ZB 17.30420 – juris Rn. 3; B.v. 27.3.2018 – 9 ZB 18.30057 – juris Rn. 14; B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – juris Rn. 17; B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 10/25; B.v. 15.2.2017 – 9 ZB 14.30433 – juris Rn. 12 f.; B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 23; B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 8; B.v. 15.12.2010 – 9 ZB 10.30376 – juris Rn. 3).
Der Zulassungsantrag des Klägers gibt keinen Anlass, die oben geschilderte ständige Rechtsprechung in Frage zu stellen. Wie dargelegt sind die wesentlichen Argumente des Klägers im Zulassungsantrag von der Rechtsprechung bereits gewürdigt worden. Ferner ist aus den klägerseitig vorgelegten Auszügen aus Fachpublikationen bzw. Fachartikeln nicht ersichtlich, dass zwischenzeitlich eine relevante Änderung des wissenschaftlichen Kenntnisstands zur posttraumatischen Belastungsstörung eingetreten wäre.
Auch der Vortrag des Klägers im Übrigen führt nicht zum Erfolg.
Der Kläger trägt insoweit vor, dass die Berufung auch deswegen zuzulassen sei, da das Urteil des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (OVG NW, B.v. 20.1.2008 – 8 A 3053/08 – juris) abweiche, § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG. Das Verwaltungsgericht habe insoweit das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung verneint, da die Befundberichte von Refugio München nicht den Anforderungen aus § 60a Abs. 2c AufenthG entsprächen, da es sich bei der berichtenden Diplom-Psychologin und psychologischen Psychotherapeutin nicht um eine Fachärztin handele (UA S. 8). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in der genannten Entscheidung jedoch – wie zuvor bereits das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – insoweit das Gutachten eines in der Ausbildung zum Psychotherapeuten befindlichen Diplom-Psychologen als ausreichend angesehen. Die ihn behandelnde Diplom-Psychologin mit einem Psychologiestudium und einer mehrjährigen Ausbildung als psychologische Psychotherapeutin sei richtigerweise ohne weiteres qualifiziert, seinen Gesundheitszustand einzuschätzen. Sie habe auch wesentlich häufiger Kontakt zu Patienten als etwa der Psychiater als Facharzt; auch habe sich die betreffende Psychologin auf die Behandlung von Traumapatienten spezialisiert. Das Verwaltungsgericht weiche letztlich in ständiger Rechtsprechung von den genannten obergerichtlichen Entscheidungen ab. Dies sei in seinem Fall auch entscheidungserheblich gewesen, da nicht nur die Kompetenz der ihn behandelnden Diplom-Psychologin, sondern auch das Vorliegen der Erkrankung selbst bezweifelt worden sei. Richtigerweise habe die Erkrankung auch nicht früher durch ihn geltend gemacht werden können; die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung habe erst 2017 festgestanden, vorher sei er nur wegen Einzelsymptomen medikamentös behandelt worden.
Der Zulassungsgrund aus § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG (Divergenz) ist gegeben, soweit das Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Divergenz in diesem Sinne liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz insbesondere des Verwaltungsgerichtshofs oder des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328; Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 132 Rn. 35).
Hiervon ausgehend ist vorliegend keine Divergenz gegeben.
Soweit der Kläger auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen verweist, so ist diese vorliegend nicht von Relevanz. Im Rahmen von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist nur eine Abweichung von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, d.h. desjenigen Berufungsgerichts von Bedeutung, das dem in erster Instanz tätig gewordenen Verwaltungsgericht im Rechtszug übergeordnet ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 45). Dies ist vorliegend der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Soweit es die klägerseitig angesprochene Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs betrifft (BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris), hat der Senat hierin ausgeführt, dass gegen die Verwertung eines im dortigen Fall vorgelegten Gutachtens sowie gegen die Diagnose und die Sachkunde des für den Befundbericht verantwortlichen Gutachters – eines Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten i.A. – keine Bedenken bestünden. Das Ergebnis sei nachvollziehbar dargelegt, der Gutachter habe sich widerspruchsfrei geäußert. Das Gutachtensergebnis beruhe auf einer intensiven persönlichen psychotherapeutischen Behandlung der Asylsuchenden über einen Zeitraum von mehr als 15 Monaten. In dem Befundbericht werde nach ausführlicher Darstellung der Vorgeschichte, der beobachteten Symptomatik und eines psychischen Befunds eine zusammenfassende Diagnose nach ICD-10 gestellt (siehe zum Ganzen: BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris Rn. 22).
Ob das Verwaltungsgericht in seinem Urteil von der oben genannten Rechtsprechung des Senats abgewichen ist, kann letztlich offenbleiben. Denn jedenfalls beruht das Urteil nicht auf einer etwaigen Abweichung. Zwar hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Befundberichte von Refugio München bereits insoweit nicht den in § 60a Abs. 2c AufenthG normierten und von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien entsprächen, da es sich bei der Diplom-Psychologin und psychologischen Psychotherapeutin nicht – wie in der amtlichen Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538 S. 19) zu § 60a Abs. 2c AufenthG gefordert – um eine Fachärztin handele (UA Rn. 21). Jedoch hat das Verwaltungsgericht unmittelbar im Anschluss darauf hingewiesen, dass dies eine zusätzliche Heranziehung der genannten Befundberichte im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung nicht ausschließe (UA Rn. 21 a.E.); hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht auch die Befundberichte von Refugio München in seine Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustands des Klägers einbezogen (UA Rn. 26). Entscheidungserheblich für die Verneinung des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung war insoweit jedoch nicht eine fehlende formale Qualifikation der den Kläger behandelnden Diplom-Psychologin und psychologischen Psychotherapeutin; maßgeblich war hier vielmehr, dass das Verwaltungsgericht die Glaubwürdigkeit der klägerseitig vorgetragenen traumatischen Ereignisse verneint hat (UA Rn. 26 ff.; siehe hierzu die entsprechende klägerische Geltendmachung des Zulassungsgrunds aus § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Soweit der Kläger vorliegend auch und gerade rügen sollte, dass das Verwaltungsgericht in seinem Fall zu Unrecht das Vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint habe, so gilt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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