Medizinrecht

Anforderungen an ein ärztliches Attest zur Glaubhaftmachung eines Abschiebungshindernisses

Aktenzeichen  W 6 E 19.1333

Datum:
14.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 24719
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 58, § 60a Abs. 2, Abs. 2c
VwGO § 80 Abs. 7 S. 2, § 123

 

Leitsatz

1. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht.   (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine tragfähige Einschätzung der Reisefähigkeit eines Ausländers ist es erforderlich, dass sich ärztliche Stellungnahmen mit einer möglichen Instrumentalisierung des Krankheitsbildes zur Vermeidung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auseinandersetzen.   (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Genügt ein vom Ausländer vorgelegtes Gutachten nicht den Anforderungen an den Nachweis einer Reiseunfähigkeit, bleibt die Ausländerbehörde gleichwohl verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn sich aus den vorliegenden ärztlichen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine mögliche Reiseunfähigkeit ergeben.   (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Untersagung von Abschiebungsmaßnahmen.
1. Die Antragsteller sind ukrainische Staatsangehörige, jezidischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit; sie reisten am 5. Juni 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Gültige Papiere konnten die Antragsteller im Asylverfahren nicht vorlegen. Die von ihnen gestellten Asylanträge lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 10. August 2016 ab, die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil vom 10. März 2017 (Az.: W 7 K 16.31423) abgewiesen. Der hiergegen gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss vom 14. Juni 2017 durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abgelehnt (Az.: 11 ZB 17.30524). Die Klagen der Antragsteller zu 4) und zu 5), beides in der Bundesrepublik Deutschland geborene Kinder der Antragsteller 1) und 2), wurden ebenfalls abgewiesen (VG Würzburg, jeweils U.v. 2.7.2018, W 6 K 18.31075 und W 6 K 18.30410). Die Antragsteller sind vollziehbar ausreisepflichtig.
Am 20. Juni 2017 gaben die Antragsteller an, Deutschland nicht freiwillig verlassen zu wollen. Die Beschaffung von Reisedokumenten, u.a. durch Vorsprache beim ukrainischen Generalkonsulat, war zunächst erfolglos.
Am 10. Januar 2019 beantragten die Antragsteller die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG; dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 21. Januar 2019 (Az.: W 6 S 19.16) abgelehnt. Im Rahmen dieses Verfahrens gaben die Antragsteller an, andere Identitäten zu haben.
Ein weiterer am 31. Januar 2019 gestellter Antrag auf vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurde mit Beschluss vom 15. Februar 2019 (Az.: W 6 E 19.97) in der Sache abgelehnt; die hiergegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 31.7.2019 – 19 CE 19.501).
Am 29. August 2019 wurde ein weiterer Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO analog auf vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gestellt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 9. September 2019 als unzulässig abgelehnt.
Am 16. September 2019 ließen die Antragsteller einen weiteren Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO analog auf vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erheben. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 25. September 2019 (Az.: W 6 E 19.1227) in der Sache abgelehnt.
2. Mit bei Gericht per Fax am 1. Oktober 2019 eingegangenem Schreiben ließen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz erheben und beantragen,
dem Antragsgegner aufzugeben, keine Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller durchzuführen und den Antragstellern eine Duldung zu erteilen.
Zur Begründung wurde ein fachärztliches Gutachten vom 23. September 2019 des Universitätsklinikums W* – Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – für den Antragsteller zu 1) vorgelegt, welches zum Zeitpunkt der Entscheidung vom 25. September 2019 im Verfahren W 6 E 19.1333 noch nicht vorgelegen habe. Zudem werde mitgeteilt, dass gegen den Beschluss vom 25. September 2019 (W 6 E 19.1227) keine Beschwerde eingelegt werde. Es wurde ausgeführt, dass sich den bisher vorgelegten ärztlichen Attesten entnehmen lasse, dass eine Gefahr für Leib und Leben wahrscheinlich sei, sofern eine Ausreise/Abschiebung durchgesetzt würde; eine konkrete, ernstliche Suizidgefährdung mit Krankheitswert liege vor. Es werde beantragt, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dies sei auch im Eilverfahren zulässig und geboten, da aufgrund der bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes drohenden erheblichen Verletzung der Grundrechte des Antragstellers auch im einstweiligen Rechtsschutz die eingehende tatsächliche und rechtliche Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs notwendig sei; folglich fänden auch die Regeln und Vorschriften des Hauptsacheverfahrens Anwendung, hier insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Soweit das Gericht im Vorverfahren W 6 E 19.1227 ein wie auch immer geartetes Gutachten fordere, verstoße dies gegen die Gewährung des rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens. Es werde erneut darauf hingewiesen, dass die Antragsteller als Leistungsempfänger nach AsylbLG ein solches Gutachten nicht bezahlen könnten; Fachärzte würden nur die Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung erbringen. Der Verweis auf die Krankenversicherung gehe daher fehl, da diese eine Position hinsichtlich eines fachärztlichen ausführlichen Fachgutachten nicht enthalte. Das erkennende Gericht sei im Hinblick auf die Durchführung eines fairen Verfahrens verpflichtet, im Rahmen seiner Amtsermittlung die vorgelegten fachärztlichen Atteste als Anlass zu nehmen, ggf. weitere Sachverhaltsaufklärungen zu betreiben. Das Gericht besitze offenkundig keine eigene medizinische Sachkunde, um die fachärztlichen Atteste zu bewerten. Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg verstoße gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs bei seinen bisherigen Entscheidungen. Deshalb werde beantragt, den Rechtsstreit zur Entscheidung an eine andere Kammer des Gerichts zu verweisen.
Der Antragsgegner, vertreten durch die Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde -, beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Antrag sei unbegründet, da die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Die Abschiebung der Antragsteller sei aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich. Die Zusage des ukrainischen Generalkonsulats München, für die Antragsgegner Heimreisescheine auszustellen, liege vor; die Abschiebung werde vorbereitet, ein Termin stehe jedoch noch nicht fest. Die Vorbereitung der Abschiebung stelle keinen Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 AufenthG dar, sonstige Duldungsgründe seien nicht erkennbar. Das vorgelegte ärztliche Gutachten vom 23. September 2019 entspreche nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG und sei unbeachtlich. Da der Sachverhalt gegenüber dem Ausgangsverfahren nahezu unverändert sei, werde auf die Gründe des Beschlusses vom 25. September 2019 (Az.: W 6 E 19.1227) Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2019 des Antragstellerbevollmächtigten wurde eine ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums W* vorgelegt, ausweislich derer sich der Antragsteller zu 1) seit dem 3. Oktober 2019 bis auf weiteres dort zur stationären Behandlung befindet; des Weiteren wurde eine Bescheinigung des Universitätsklinikums W* für den Antragsteller zu 4) vorgelegt, nach der dieser sich dort seit dem 3. Oktober 2019 bis „noch nicht bekannt“ in stationärer Behandlung befindet.
3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch in den Verfahren W 6 S 19.16, W 6 E 19.97 W 6 E 19.1164 und W 6 E 19.1227 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die erkennende Kammer ist in Einklang mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters (vgl. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 GVG, § 21e Abs. 1 GVG i.V.m. dem Geschäftsverteilungsplan des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg für das Jahr 2019 in der Fassung vom 26.9.2019) zur Entscheidung über den Antrag berufen. Dem Antrag, den Rechtsstreit einer anderen Kammer zur Entscheidung zu übertragen, konnte daher nicht entsprochen werden.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der gestellte Antrag ist in Anwendung von § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Abänderung der Entscheidung vom 25. September 2019 über eine Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begehrt wird.
Das angerufene Gericht hat vorliegend jeweils mit Beschluss vom 21. Januar 2019, 15. Februar 2019 und 25. September 2019 über eine Aussetzung der Abschiebung negativ entschieden und damit die gestellten Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Die erstgenannten zwei Entscheidungen sind rechtskräftig, hinsichtlich der letztgenannten Entscheidung haben die Antragsteller erklärt, keine Beschwerde einzulegen. Der vorliegende Antrag vom 1. Oktober 2019, mit dem wiederholt die Aussetzung der Abschiebung nach § 123 VwGO begehrt wird, richtet sich daher auf eine Abänderung der zuletzt getroffenen Sachentscheidung (B.v. 25.9.2019 – W 6 E 19.1227) gemäß § 80 Abs. 7 VwGO analog (vgl. ausführlich hierzu BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 10 CE 19.650 – juris Rn. 17 m.w.N.). Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist auch im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO angesichts der dringenden praktischen Notwendigkeit hierfür ein Abänderungsverfahren statthaft. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Antragsteller sich auf geänderte Umstände berufen kann.
Mit Vorlage des neuen ärztlichen Attestes vom 23. September 2019 und der weiteren zwei ärztlichen Bescheinigungen vom jeweils 4. Oktober 2019 machen die Antragsteller veränderte Umstände gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog geltend.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Antragsteller haben die Tatsachen für den Anordnungsanspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht. Weder aus der vorgelegten Bescheinigung des Universitätsklinikums W* – Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – für den Antragsteller zu 1) vom 23. September 2019 und der Bescheinigung des Universitätsklinikums Würzburg für den Antragsteller zu 1) vom 4. Oktober 2019 noch der Bescheinigung des Universitätsklinikums W* vom 4. Oktober 2019 für den Antragsteller zu 4) ergibt sich eine Reiseunfähigkeit der Antragsteller.
2.1. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2017 – 10 CE 16.838, beck-online Rn. 7). Bei der Bewertung der Darlegungen der Ausreisepflichtigen ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in § 60a Abs. 2c Satz 1, 3 AufenthG die grundsätzliche Reisefähigkeit des Ausländers normiert hat.
Eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fällen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht.
Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBl I S. 390 -) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u. a. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251; U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört. Wird die geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, so wird auch die gesetzliche Vermutung für die Reisefähigkeit nicht widerlegt (BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 10 CE 17.30 – beck-online).
2.2. Soweit eine ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums Würzburg vom 4. Oktober 2019 für den Antragsteller zu 4) vorgelegt wurde, entspricht diese schon nicht den oben genannten Anforderungen aus § 60a Abs. 2c AufenthG und kann daher nicht zur Darlegung eines der Abschiebung entgegenstehenden Umstands herangezogen werden. Weder ergeben sich aus der Bescheinigung der Grund noch die Diagnose, die eine stationäre Behandlung des Antragstellers zu 4) veranlasst haben.
2.3. Das vom Antragsteller zu 1) vorgelegte ärztliche Gutachten des Universitätsklinikums Würzburg – Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – vom 23. September 2019 vermag nicht zu einer Abänderung der zuletzt getroffenen Entscheidung führen, da sich hieraus keine der Abschiebung entgegenstehenden Gründe ergeben. Folglich kann es dahinstehen, ob dieses ärztliche Attest den Anforderungen aus § 60a Abs. 2c AufenthG entspricht.
Das ärztliche Gutachten vom 23. September 2019 attestiert dem Antragsteller zu 1) eine rezidivierend-depressive Erkrankung mit somatischen Symptomen ohne psychotische Symptomatik (ICD F32.11). Überdies zeige er Zeichen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung (ICD F43.1). Das Gutachten bezieht sich als anamnestische Grundlage auf zahlreiche psychotherapeutische Einzelgespräche, in denen der Antragsteller zu 1) glaubhaft von den erlebten Ereignissen aus dem ukrainischen Bürgerkrieg berichtet habe; auf die Aussicht in Kürze in die von ihm als „Hölle“ bezeichnete Situation des noch immer schwelenden ukrainischen Bürgerkriegs abgeschoben zu werden, habe er mit einer lebensbedrohlichen Destabilisierung mit akuter Suizidalität reagiert. Er habe glaubhaft und nachvollziehbar versichert, dass ihm und seiner Familie sowohl von Seiten der russischen Separatisten als auch anderer Mitglieder der religiösen Gemeinschaft der Jeziden aufgrund eines Kastenvergehens im Falle einer Abschiebung akute und für alle Mitglieder vital bedrohliche Gefahren drohen würden. Diese Summe der beschriebenen Probleme werde vom Antragsteller zu 1) als existenziell bedrohlich wahrgenommen, trotz aller psychotherapeutischen und neuropharmakologischen Bemühungen sei es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gelungen, eine glaubhafte Distanzierung vom Suizid zu erreichen. Bei Abbruch der angewandten Therapien sei mit gravierenden Folgen bis zur vitalen Gefährdung zu rechnen, der Antragsteller zu 1) sei gegenwärtig weder als transport- noch reisefähig einzuschätzen.
Soweit dieses Gutachten vom 23. September 2019 die Reise- und Transportfähigkeit aufgrund einer angenommenen akuten Suizidalität des Antragstellers zu 1) verneint, erfolgte dieser Befund ausschließlich aufgrund der Angaben des Antragstellers zu 1). Infolgedessen ist die Diagnose der akuten Suizidalität, welche eine Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1) ausschließen könnte, kausal mit den zur Grundlage der Diagnostizierung gemachten Angaben des Antragstellers zu 1) verknüpft – für den Fall der Abschiebung in den ukrainischen Bürgerkrieg und in die beschriebene Verfolgungssituation in der Ukraine wäre daher eine akute Suizidalität zu bejahen. Nachdem jedoch die Aussagen des Antragstellers zu 1) offenkundig nicht den objektiven Tatsachen entsprechen, ist festzustellen, dass die skizzierte Gefahr der akuten Suizidalität sich im Falle der Abschiebung tatsächlich nicht realisieren wird. Denn weder werden die Antragsteller in den ukrainischen Bürgerkrieg abgeschoben, noch droht ihnen eine Verfolgung bzw. Bedrohung von russischen Separatisten oder von Angehörigen ihrer Religionsgemeinschaft (Jeziden) bzw. seitens ihrer Familienangehörigen aufgrund eines angeblichen Kastenvergehens. All diese Umstände wurden im Rahmen des Asylklageverfahrens durch das damals befasste Gericht umfassend geprüft und verneint (VG Würzburg, U.v. 10.3.2017 – W 7 K 16.31423). Unter anderen konnten die Antragsteller im damaligen Klageverfahren schon keine Übergriffe oder Vorkommnisse benennen; zur Vermeidung von Wiederholungen sei auf die Entscheidungsgründe des rechtskräftigen Urteils vom 10. März 2017 verwiesen. Damit besteht die im ärztlichen Attest vom 23. September 2019 diagnostizierte Gefahr der akuten Suizidalität de facto nicht.
Soweit im Gutachten vom 23. September 2019 Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung angesprochen werden, sei anzumerken, dass die Antragsteller nicht in den von den Separatisten beherrschten Gebieten in den Oblasten Lugansk oder Donezk gelebt haben, in denen ggf. ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, sondern zwar in der Oblast Donezk, aber westlich der Kontaktlinie in der von der ukrainischen Regierung kontrollierten Stadt Sloviansk (so auch BayVGH, B.v. 14.6.2017 – 11 ZB 17.30524).
Es ist zu betonen, dass das Gericht keinesfalls die auf medizinischer Sachkompetenz beruhende Diagnose des ärztlichen Gutachtens vom 23. September 2019 in Frage stellt. Wie bereits ausgeführt, beruht die Diagnose jedoch offenkundig ausschließlich auf den Angaben des Antragstellers zu 1). Genau aus diesem Grund vermag das vorgelegte ärztliche Attest gerade keine belastbare bzw. abschließende Einschätzung zur Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1) darstellen. Dies gilt zum einen vor dem Hintergrund, dass sich der Antragsteller zu 1) seit mehreren Jahren in Behandlung wegen seiner psychischen Erkrankung befindet, was soweit ersichtlich nur unzureichend Eingang in das Attest gefunden hat. Zum anderen hat der Antragsteller zu 1) bereits in der mündlichen Verhandlung am 10. März 2017 im Rahmen des Asylklageverfahrens angegeben, lieber sterben zu wollen, als zurückzukehren: So hat er auf die Frage, was er bei einer hypothetischen Rückkehr in die Ukraine befürchte, angegeben, dass er daran gar nicht denken wolle und lieber hier (in Deutschland) sterben würde (vgl. Protokoll, S. 3; zu finden z.B. in der Behördenakte der Antragstellerin zu 2), Bl. 30 d.A.). Nachdem die Antragsteller seit Juni 2017 ihre Ausreise verweigern und eine Abschiebung bis Februar 2019 durch Verschleierung ihrer Identitäten verhindert haben, wäre es für eine tragfähige Einschätzung der Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1) zudem erforderlich gewesen, dass sich das vorgelegte Attest vom 23. September 2019 mit einer möglichen Instrumentalisierung des Krankheitsbildes zur Vermeidung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auseinandersetzt. Überdies ist die Behauptung, dass auch unter Begleitung eines behandelnden Arztes eine Reisefähigkeit (i.e.S.) nicht gegeben sei, nicht nachvollziehbar, da sich das Gutachten nicht mit möglichen Vorkehrungen zur Vermeidung einer Gesundheitsgefährdung im Rahmen des Abschiebungsvorgangs befasst. Soweit hierzu ausgeführt wird, dass nur in einer intensivpsychiatrischen stationären Betreuung die Sicherheit und Gesundheit des Antragstellers zu 1) gewährleistet werden kann, erscheint dies wenig plausibel, da dies zwangsweise zu einer lebenslangen stationären Behandlung des Antragstellers zu 1) führen würde.
Die vorgelegte Bescheinigung vom 4. Oktober 2019 des Universitätsklinikums Würzburg, die nur besagt, dass sich der Antragsteller zu 1) bis auf weiteres dort zur stationären Behandlung befinde, enthält weder einen substantiellen Aussagegehalt noch genügt diese den Anforderungen aus § 60a Abs. 2c AufenthG. Es ist folglich zur Darlegung eines Anordnungsanspruchs ungeeignet.
2.4. Die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen sind nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG für die Antragsteller zu widerlegen.
Genügt ein vom Ausländer vorgelegtes Gutachten nicht den Anforderungen an den Nachweis einer Reiseunfähigkeit, bleibt die Ausländerbehörde gleichwohl verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn sich aus den vorliegenden ärztlichen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine mögliche Reiseunfähigkeit ergeben (vgl. Hailbronner, AusIR, Stand 2/2016, A 1, § 60a AufenthG, Rn. 61 mit Verweis auf VGH BW. B.v. 6.2.2008 – 11 S 2439/07 – juris Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 10).
Dem hat der Antragsgegner im Falle einer Abschiebung durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung auf Reisefähigkeit an oder kurz vor dem Abschiebetag sowie ggf. eine medizinische Begleitung des Abschiebevorgangs und eine Medikamentenbevorratung für die ersten Tage im Heimatland Rechnung zu tragen. Unter Wahrung dieser Maßgaben ist nicht vom Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1) auszugehen (vgl. auch in diesem Sinne BayVGH, B.v. 31.7.2019 – 19 CE 19.501).
2.5. Soweit der Bevollmächtigte der Antragsteller die Auffassung vertritt, die Grundsätze des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens geböten es vorliegend, ein Sachverständigengutachten einzuholen, denn die Antragsteller könnten sich das vom Gericht geforderte fachärztliche Gutachten, das den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entspricht, nicht leisten, ist dies unzutreffend.
Zunächst ist festzustellen, dass weder das Gesetz noch das erkennende Gericht ein in irgendeiner Form spezielles oder besonders detailliertes Fachgutachten verlangen. Vielmehr ist ein qualifiziertes ärztliches Attest vorzulegen, das den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entspricht. Die konkreten Anforderungen, die das Gesetz vorgibt, wurden bereits oben (s. 2.1.) dargelegt; diesen Maßstab wendet das Gericht an. Darüber hinaus haben die Antragsteller freien Zugang zu medizinischer Versorgung, ohne dass sie dafür selbst die Kosten tragen müssten. Diese Möglichkeit nehmen die Antragsteller auch wahr, wie sich aus den sowohl in der Vergangenheit als auch im hiesigen Verfahren vorgelegten verschiedenartigen ärztlichen Attesten, Bescheinigungen und Gutachten zeigt. Im Übrigen trägt das nunmehr vorgelegte Attest vom 23. September 2019 die Überschrift „Ärztliches Gutachten“, sodass die Behauptung des Bevollmächtigten der Antragsteller, Ärzte würden schon deshalb keine Gutachten erstellen, da solche nicht von den Leistungen der Krankenversicherung abgedeckt seien, ins Leere geht.
Nachdem die Antragsteller wiederholt Atteste von unterschiedlichen (Fach-) Ärzten bzw. medizinischen Instituten vorgelegt haben, besteht aus Sicht des Gerichts – sowohl unter Beachtung der Grundsätze auf ein faires Verfahren und des rechtlichen Gehörs als auch der Verpflichtung zur Amtsermittlung – weder Grund noch Anlass, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dies gilt umso mehr, als die gesetzliche Regelung des § 60a Abs. 2c Satz 1 und Satz 2 AufenthG es eindeutig dem Ausländer aufgibt, die bestehende gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit zu widerlegen.
2.6. Es kommt folglich nicht mehr darauf an, ob die Antragsteller zudem die besondere Eilbedürftigkeit und damit das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft machen konnten.
3. Nach all dem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 sowie 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war der in Nr. 8.3 genannte halbe Auffangstreitwert pro Person zu halbieren, so dass 6.250,00 EUR festzusetzen waren.


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