Medizinrecht

Angelegenheiten nach dem SGB II – Erstattung von Bewerbungskosten

Aktenzeichen  S 22 AS 1169/16

Datum:
30.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 7 Abs. 1, § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
SGB III SGB III § 44
SGG SGG § 54 Abs. 2 S. 2, § 144, § 193 Abs. 1 S. 1
SGB I SGB I § 39 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Es ist im Rahmen der Erstattung von Bewerbungskosten aus dem Vermittlungsbudget nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 44 SGB III grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn das Jobcenter einen pauschalen Einheitsbetrag im Rahmen einer ermessenslenkenden Weisung festlegt. (Rn. 21)
2. Die Festsetzung einer Pauschale für schriftliche Bewerbungen (ohne Kosten für ein Bewerbungsfoto) im Jahr 2014 in Höhe von 4,00 € ist nicht zu beanstanden. (Rn. 22 – 23)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 19.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Da sie auf Verpflichtung des Beklagten zur Änderung des streitgegenständlichen Bescheides und Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtet ist und es sich bei den streitigen Leistungen aus dem Vermittlungsbudget gem. § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 44 SGB III um Ermessensleistungen handelt, ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsverbescheidungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 20b).
Sie ist jedoch unbegründet, weil der streitgegenständliche Bescheid nicht beanstandet werden kann.
Rechtsgrundlage für die Erstattung von Bewerbungskosten aus dem Vermittlungsbudget ist § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 44 SGB III. Danach können Ausbildungsuchende, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende und Arbeitslose bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung aus dem Vermittlungsbudget gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Die Förderung umfasst die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird (§ 44 Abs. 1 Satz 3 SGB III). Der Beklagte entscheidet im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens über den Umfang der zu erbringenden Leistungen. Er kann Pauschalen festlegen, die generell im Zuständigkeitsbezirk des zuständigen Jobcenters gelten. Das gesetzgeberische Ziel einer individuellen passgenauen Förderung darf durch die Pauschalen nicht umgangen werden (vgl. zum Ganzen Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 44 SGB III, 1. Überarbeitung, Rn. 143). Die Pauschalierung kann z.B. derart erfolgen, dass entweder ein Einheitsbetrag oder ein Höchstbetrag bestimmt wird (Herbst a.a.O., Rn. 144; BSG, Urteil vom 23.06.2016 – B 14 AS 30/15 R). Dabei darf der Zweck der Norm, nämlich die Eingliederung zur Förderung, nicht aus dem Blick geraten. Die festgelegte Pauschale muss daher ausreichen, um in der Regel die notwendigen Kosten abzudecken. Ist dies nicht der Fall, ist die Pauschalierung rechtswidrig (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.10.2011 – L 15 AS 317/11 B ER).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen („Ob“ der Leistung) für eine Erstattung von Bewerbungskosten aus dem Vermittlungsbudget liegen vor, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Bewerbungsbemühungen im Jahr 2014 unstreitig die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II erfüllt, Leistungen nach dem SGB II bezogen hat und arbeitslos bzw. von Arbeitslosigkeit bedroht war. Das Versenden schriftlicher Bewerbungen war zur Eingliederung des Klägers in Arbeit auch notwendig.
Hinsichtlich der Höhe der pauschalierten Erstattung („Wie“ der Leistung) hat der Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten und das Gericht kann auch nicht erkennen, dass er in einer dem Zweck der Ermächtigung widersprechenden Weise von dem Ermessen Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Eine weitergehende Prüfung steht dem Gericht bei Ermessensentscheidungen der Behörde nicht zu. Es findet nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsprüfung statt. Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 28 f.). Eine Ermessensentscheidung ist nur dann rechtswidrig, wenn die Behörde ihr Ermessen gar nicht ausübt oder im Bescheid nicht zum Ausdruck bringt (Ermessensnichtgebrauch), wenn sie ihr Ermessen zu eng einschätzt (Ermessensunterschreitung), wenn sie eine Rechtsfolge setzt, die in der gesetzlichen Regelung gar nicht vorgesehen ist (Ermessensüberschreitung) oder wenn sie von ihrem Ermessen fehlerhaft Gebrauch macht (Ermessensfehlgebrauch). Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum Beispiel vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung mit einbezieht, wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet oder wenn sie einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zu Grunde legt (BSG, Urteil vom 09. November 2010 – B 2 U 10/10 R; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 27).
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden, im streitgegenständlichen Bewilligungsbescheid die Pauschale für schriftliche Bewerbungen (ohne Kosten für ein Bewerbungsfoto) mit 4,00 € festzusetzen. Ermessensfehler liegen nicht vor.
Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass er auf das ausgeübte Ermessen explizit hingewiesen hat.
Er hat es auch nicht über- oder unterschritten. § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB III erlaubt es dem Beklagten ausdrücklich, selbst über den Umfang der gewährten Leistung zu entscheiden und ggf. Pauschalen festzulegen. Ober- oder Untergrenzen sieht das Gesetz ebensowenig vor wie genaue Vorgaben dazu, wie der Betrag zu ermitteln ist. Die vom BSG im Zusammenhang mit der Nachvollziehbarkeit von Pauschalen zur Wohnungserstausstattung gem. § 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II entwickelten Grundsätze (vgl. BSG, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 53/10 R) sind nach Auffassung der Kammer nicht auf die Pauschalen im Rahmen des Vermittlungsbudgets anzuwenden (a.A. Herbst a.a.O., Rn. 146). Auf Wohnungserstausstattung besteht bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein gebundener Leistungsanspruch, wohingegen Leistungen aus dem Vermittlungsbudget gerade ins Ermessen des Leistungsträgers gestellt sind. Im Übrigen hält der Gesetzgeber in § 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II explizit nachvollziehbares Datenmaterial für erforderlich, wohingegen § 44 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB III dies gerade nicht verlangt.
Auch ein Ermessensfehlgebrauch liegt nicht vor. Der Beklagte konnte in zulässiger Weise einen pauschalen Einheitsbetrag – auch im Rahmen einer ermessenslenkenden Weisung – festlegen. Das gesetzgeberische Ziel einer individuellen passgenauen Förderung wird durch diese Vorgehensweise, die einen örtlich einheitlichen Vollzug gewährleisten soll, bereits deshalb nicht umgangen, weil der Kläger bei höheren Aufwendungen die Möglichkeit gehabt hätte, abweichend von der Pauschale eine Erstattung der tatsächlichen Kosten zu beantragen. Von dieser Möglichkeit hat er indes keinen Gebrauch gemacht. Er hat ausdrücklich die Anlage zur pauschalierten Erstattung eingereicht und auch im anschließenden Widerspruchs- und Klageverfahren keinerlei Belege vorgelegt, anhand derer tatsächliche höhere Ausgaben im Einzelfall nachgewiesen werden konnten.
Die festgelegte Pauschale reicht nach Ansicht der Kammer auch aus, um in der Regel die notwendigen Kosten abzudecken. Dies sind bei normalen schriftlichen Bewerbungen die Kosten für das Druckerpapier und die Druckerschwärze, gegebenenfalls für die Anfertigung von Zeugniskopien, für eine Klemmmappe, für den Briefumschlag und für das Porto, die nach den Ermittlungen des Gerichts mit dem Betrag von 4,00 € ausreichend abgedeckt werden können. Veranschlagt man für das im Jahr 2014 bei der D. P. AG geltende Porto für Großbriefe 1,45 €, für eine Klemmmappe 0,62 €, für einen C4-Briefumschlag 0,17 € und für das Papier 0,01 €, so blieben im Regelfall immer noch 1,75 € für sonstige Kosten wie die Anfertigung von Kopien oder die zu vernachlässigenden Kosten für Druckerschwärze.
Sachfremde Erwägungen hat der Beklagte nicht angestellt. Die Festsetzung auf 4,00 € aus Gründen der Begrenztheit der für Leistungen aus dem Vermittlungsbudget zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel und zur Gleichbehandlung der örtlichen Leistungsbezieher ist nicht zu beanstanden, solange mit der Pauschale in der Regel die notwendigen Kosten für schriftliche Bewerbungen gedeckt werden können.
Schlussendlich kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass auf Grund des zuvor gewährten Pauschalbetrages von 5,00 € pro Bewerbung zu seinen Gunsten Vertrauensschutz bestehen würde. Der Beklagte hatte bereits mit Bescheid vom 12.01.2015, das Gegenstand des Klageverfahrens S 22 AS 355/15 gewesen ist, nur noch einen Betrag von pauschal 4,00 € bewilligt. Vertrauensschutz konnte bereits deshalb nicht eingreifen, weil dem Kläger spätestens seit dem 12.01.2015 bekannt war, dass der Pauschalbetrag abgesenkt wurde und er ggf. Belege vorlegen müsste, um höhere tatsächliche Kosten nachzuweisen. Dies hat er unterlassen und stattdessen erneut die pauschale Erstattung beantragt.
Nach alledem vermochte das Gericht den streitgegenständlichen Bescheid nicht zu beanstanden, so dass die Klage im Ergebnis keinen Erfolg hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Da die Klage im Ergebnis erfolglos blieb, hat der Beklagte keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung war nach § 144 SGG nicht zuzulassen.


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