Medizinrecht

Anordnung der häuslichen Isolation

Aktenzeichen  M 26b S 20.5296

Datum:
23.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29646
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 2 Nr. 1, § 4, § 16 Abs. 8, § 28 Abs. 1 S. 1, § 30
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung häuslicher Isolation durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) über die Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen vom 18. August 2020, einschließlich der Feststellung des Landratsamts, sie sei Kontaktperson der Kategorie I nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts (RKI).
Der Antragstellerin gegenüber wurde am 15. Oktober 2020 durch das Gesundheitsamt A* … angeordnet, dass sie sich sofort in Isolation zu begeben habe bis voraussichtlich einschließlich Montag, 26. Oktober 2020. Sie sei, so die Begründung, am Montag den … Oktober 2020 von 8:20 bis 9:45 Uhr in einem Café in A* … mit einer Freundin beim Frühstücken gewesen; in diesem Zeitraum sei eine positiv auf Covid-19 getestete Person ebenfalls dort Gast gewesen. Daher werde sie als Kontaktperson 1. Grades eingestuft.
Am 19. Oktober 2020 erhielt die Antragstellerin die schriftliche Isolationsanordnung per Mail mit Briefkopf des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, unterschrieben durch das Gesundheitsamt Pfaffenhofen.
Weisungsgemäß unterzog sich die Antragstellerin am 16. Oktober 2020 einem Coronatest an einer Teststation des Landratsamts A* …, welcher aber wegen Unbrauchbarkeit der Probe nicht verwertbar war. Das Ergebnis eines weiteren Tests vom 19. Oktober 2020 war, wie sich aus dem übersandten Verwaltungsvorgang ergibt, negativ. Ein hausärztlicher Coronatest vom 19. Oktober 2020 war ebenfalls negativ.
Die Antragstellerin beantragt mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung,
Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Ende der häuslichen Isolation der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung anzuordnen bzw. die Isolation der Antragstellerin durch Isolationsschreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 19.10.2020 umgehend aufzuheben.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragstellerin zu Unrecht durch das Gesundheitsamt A* … als Kontaktperson 1. Grades eingestuft worden sei. Sie habe in dem Café nur mit ihrer Freundin an einem Tisch gesessen, sämtliche anderen Gäste des Cafés seien an anderen Tischen gesessen, die in dem erforderlichen Abstand von mindestens 1,5 m zum Tisch der Antragstellerin gestanden hätten. Die Antragstellerin habe auf dem Weg zum Tisch sowie beim Verlassen des Cafés eine Maske getragen. Es bestünde die Möglichkeit, dass der der Antragstellerin unbekannte Infizierte 5 m oder weiter vom Tisch der Antragstellerin entfernt gesessen sei. Das Café öffne offiziell erst um 8:30 Uhr. Erst beim Verlassen des Cafés um 9:45 Uhr sei das Café voller geworden. Während des Aufenthalts der Antragstellerin seien an den weiteren 4 Tischen des Cafés der Erinnerung nach jeweils eins bis zwei Personen gesessen, das Café dürfte rund 100 m² groß sein. Das Café würde auch in regelmäßigen Abständen, mindestens stündlich, intensiv gelüftet.
Einen für die Einstufung als Kontaktperson 1. Grades erforderlicher mindestens 15-minütiger Face to Face-Kontakt mit der infizierten Person oder ein Zusammentreffen in einem kleinen und schlecht gelüfteten Raum habe es nicht gegeben. Da der Antragstellerin nicht mitgeteilt worden sei, wann die infizierte Person im Café war, bestünde auch die Möglichkeit, dass nur eine minimale Überschneidung der Anwesenheitszeiten erfolgt sei. Das Bedienungspersonal des Cafés sei aufgrund des Vorfalls nur als Kontaktpersonen 2. Grades eingestuft worden. Die Antragstellerin, …anwältin … … mit Einzelkanzlei mit * Mitarbeitern, sei durch die Isolationsanordnung gezwungen, ihren Kanzleibetrieb bis einschließlich 26. Oktober 2020 ruhen zu lassen.
Der Antragsgegner hat den Verwaltungsvorgang übersandt und beantragt ohne weitere Begründung:
Der Antrag wird abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag richtet sich gegen die Allgemeinverfügung zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020, in Kraft getreten am 19. August 2020, Az. GZ6a-G8000-2020/572, BayMBl. 2020 Nr. 464, sowie gegen die Mitteilung des Gesundheitsamtes, die Antragstellerin sei Kontaktperson der Kategorie I, mit der die Allgemeinverfügung für die Antragstellerin persönlich wirksam wurde. Ob es sich bei dem vom Antragsgegner gewählten Konstrukt, dass die Qualifizierung als Kontaktperson der Kategorie I durch das Gesundheitsamt die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege im konkreten Einzelfall in Kraft setzt, um zwei jeweils selbständig anfechtbare Verwaltungsakte oder um einen einheitlichen Verwaltungsakt handelt, bedarf im vorliegenden Eilverfahren keiner Klärung. Jedenfalls ist als Rechtsträger der handelnden Behörden jeweils der Freistaat Bayern der richtige Antragsgegner und findet einstweiliger Rechtsschutz im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung) statt.
Der Antrag ist sachgerecht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Isolationsanordnung auszulegen. Gemäß § 28 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG entfalten Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist unbegründet und war daher abzulehnen.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung unter Abwägung des von der Behörde geltend gemachten Interesses an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer Klage. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Im vorliegenden Fall hat die in der Hauptsache zu erhebende Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Quarantäneanordnung ist § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.V.m. §§ 29 bis 31 IfSG.
Formelle Mängel der Allgemeinverfügung wurden nicht vorgetragen und sind auch sonst im Rahmen der erforderlichen, aber auch ausreichenden lediglich summarischen Prüfung nicht ersichtlich.
Auch in materieller Hinsicht ist die Allgemeinverfügung im Hinblick auf die im vorliegenden Fall streitgegenständliche Anordnung der häuslichen Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I (Allgemeinverfügung Ziffern 1.1, 2.1.1 und 6.1) voraussichtlich rechtmäßig. Die Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage zwar nicht in §. 30 Abs. 1 Satz2 IfSG, aber in § 28 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 IfSG.
Die von der Allgemeinverfügung zitierte Rechtsgrundlage des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach insbesondere die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider angeordnet werden kann, ist vorliegend nicht einschlägig, da sie nicht die hier getroffene Maßnahme häuslicher Absonderung ermöglicht, sondern die Absonderung in einem Krankenhaus oder in einer sonstigen geeigneten Einrichtung betrifft (statt vieler Häberle/Lutz in Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 30 IfSG)
Dies führt hier indes nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung. Denn die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgeben, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – BVerwGE 80, 96; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23 ff.).
So liegt es hier. Die Anordnung kann sich stattdessen auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG stützen, der der Behörde kein Entschließungsermessen einräumt.
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde unter anderem dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Behörde liegen angesichts der sich zuletzt wieder verschärfenden SARS-CoV-2-Pandemielage vor. Das Virus SARS-CoV-2 ist ein Krankheitserreger im Sinne von § 2 Nr. 1 IfSG. Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit SARS-CoV-2, der zur Lungenkrankheit COVID-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG handelt. Nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts, dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 – juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 16), handelt es sich bei der COVID-19-Pandemie weltweit und in Deutschland um eine dynamische und ernst zu nehmende Situation, wobei die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einzuschätzen ist. Nach einer vorübergehenden Stabilisierung der Fallzahlen auf einem erhöhten Niveau ist aktuell ein kontinuierlicher Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Die Dynamik nimmt in fast allen Regionen zu. Es kommt bundesweit zu Ausbruchsgeschehen, insbesondere im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis und bei Gruppenveranstaltungen und es werden wieder vermehrt COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gemeldet. Intensive gesamtgesellschaftlicher Gegenmaßnahmen bleiben nötig, um die Folgen der COVID-19-Pandemie für Deutschland zu minimieren. Die massiven Anstrengungen auf allen Ebenen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes verfolgen weiterhin das Ziel, die Infektionen in Deutschland so früh wie möglich zu erkennen und die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Es ist laut Robert Koch-Institut von entscheidender Bedeutung, die Zahl der Erkrankten so gering wie möglich zu halten und Ausbrüche zu verhindern. Hierdurch soll die Zeit für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten und von Impfstoffen gewonnen werden. Auch sollen Belastungsspitzen im Gesundheitswesen vermieden werden (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand 7.10.2020, abgerufen am 23 Oktober 2020).
In Ziffern 1.1, 2.1.1 und 6.1 der Allgemeinverfügung ist geregelt, dass Kontaktpersonen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des RKI Kontaktpersonen der Kategorie I sind, sich unverzüglich nach dieser Mitteilung und bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Isolation begeben müssen, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamtes erfolgt. Wenn kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, endet die häusliche Isolation, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19 Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind.
Kontaktpersonen der Kategorie I sind nach der geltenden Einstufung des RKI Ansteckungsverdächtige im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG und daher richtige Adressaten einer Schutzmaßnahme. Ansteckungsverdächtiger im Sinne des Gesetzes ist eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sei (§ 2 Nr. 7 IfSG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Letzteres anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Dafür ist es nicht erforderlich, dass sich die Aufnahme von Krankheitserregern „geradezu aufdrängt“; eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt aber nicht. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, 3 C 16/11, BVerwGE 142, 205, juris Rn. 31).
Im vorliegenden Fall ist die Einordnung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I bei summarischer Prüfung im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
Kontaktpersonen werden nach den Vorgaben des RKI (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html, abgerufen am 23. Oktober 2020) in folgenden zwei Situationen in die Kategorie 1 eingruppiert:
„A. Enger Kontakt (<1,5 m, Nahfeld)
Infektiöses Virus wird vom Quellfall über Aerosole/Kleinpartikel (im Folgenden als „Aerosol(e)“ bezeichnet) und über Tröpfchen ausgestoßen (emittiert). Die Zahl der emittierten Partikel steigt von Atmen über Sprechen, zu Schreien bzw. Singen an. Im Nahfeld (etwa 1,5 m) um eine infektiöse Person ist die Partikelkonzentration größer („Atemstrahl“). Es wird vermutet, dass die meisten Übertragungen über das Nahfeld erfolgen. Die Exposition im Nahfeld kann durch korrekten Einsatz einer Maske (Mund-Nasenschutz (MNS), Mund-Nasen-Bedeckung (MNB, entspricht Alltagsmaske) oder FFP-Maske) gemindert werden.
B. Kontakt unabhängig vom Abstand (hohe Konzentration infektiöser Aerosole im Raum)
Darüber hinaus können sich Viruspartikel in Aerosolen bei mangelnder Frischluftzufuhr in Innenräumen anreichern, weil sie über Stunden in der Luft schweben können. Vermehrungsfähige Viren haben (unter experimentellen Bedingungen) eine Halbwertszeit von etwa 1 Stunde. In einer solchen Situation mit hoher Konzentration infektiöser Viruspartikel im Raum sind auch Personen gefährdet, die sich weit vom Quellfall entfernt aufhalten („Fernfeld“, siehe auch Steckbrief des RKI).
Das Risiko steigt dann an mit
– der Zahl der infektiösen Personen
– der Infektiosität des Quellfalls (um den Erkrankungsbeginn herum höher als später im Erkrankungsverlauf)
– der Länge des Aufenthalts der infektiösen Person(en) im Raum
– der Intensität der Partikelemission (Atmen
– der Intensität der Atemaktivität der exponierten Personen (z.B. Sporttreiben)
– der Enge des Raumes und
– dem Mangel an Frischluftzufuhr (Details siehe Stellungnahme der Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt).
Die Exposition einer Einzelperson zu im Raum hochkonzentriert schwebenden infektiösen Partikeln kann durch MNS/MNB kaum gemindert werden, da die Aerosole an der Maske vorbei eingeatmet werden.
Beispielhafte Konstellationen für Kontaktpersonen der Kategorie I
– Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts- („face-to-face“) Kontakt mit einem Quellfall, z.B. im Rahmen eines Gesprächs. Dazu gehören z.B. Personen aus demselben Haushalt (A)
– Personen mit direktem Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten, insbesondere zu respiratorischen Sekreten eines Quellfalls, wie z.B. Küssen, Anhusten, Anniesen, Kontakt zu Erbrochenem, Mund-zu-Mund Beatmung, etc (A).
– Personen, die nach Risikobewertung durch das Gesundheitsamt mit hoher Wahrscheinlichkeit einer hohen Konzentration von infektiösem Aerosol im Raum ausgesetzt waren (z.B. Feiern, gemeinsames Singen oder Sporttreiben in Innenräumen ohne adäquate Lüftung) (B)
– Optional: Personen in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation mit dem bestätigten COVID-19-Fall (z.B. Schulklassen, Gruppenveranstaltungen), unabhängig von der individuellen Risikoermittlung (A, B)
– Medizinisches Personal in einem Raum mit Kontakt zum Quellfall z.B. im Rahmen von Pflege oder medizinischer Untersuchung (≤ 1,5 m) ohne adäquate Schutzausrüstung (A) (siehe unten)
– Medizinisches Personal in einem Raum mit hoher Konzentration infektiöser Aerosole (z.B. Intubation oder Bronchoskopie) ohne adäquate Schutzausrüstung (B) (siehe unten).“
Ausgehend von diesen fachlichen Vorgaben und von den glaubhaften Angaben der Antragstellerin über den Inhalt ihres Telefonats mit dem Gesundheitsamt, ihren übrigen Angaben in der Antragsschrift und den spärlichen Informationen des Antragsgegners, wie sie dem übersandten Verwaltungsvorgang entnommen werden können, ist die Einordnung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I durch den Antragsgegner im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin war nach den Ermittlungen des Gesundheitsamtes „relativ lange zusammen mit dem Indexfall im Café“, das Café sei „sehr klein, mit einer entsprechenden Aerosolausbreitung sei zu rechnen“.
Dabei erscheint zwar eine Eingruppierung in die Kategorie I aufgrund der vom RKI beschriebenen Situation A (Enger Kontakt) ausgeschlossen, da sich die Antragstellerin, die mit ihrer Freundin am Tisch saß und nach ihren Angaben keinen näheren Kontakt mit den sonstigen im Café anwesenden Personen, darunter die infizierte Person, hatte, nicht im Nahfeld des Quellfalls befunden hat.
Die Eingruppierung aufgrund der beschriebenen Situation B, die das Gesundheitsamt offenbar zugrunde gelegt hat, ist aber nachvollziehbar und plausibel. Dabei begegnet die Einschätzung des Gesundheitsamtes, dass aufgrund der Dauer des zeitgleichen Aufenthalts der Antragstellerin und des Indexfalls und der eher überschaubaren Raumgröße des Cafes, das nach Sichtung der im Internet verfügbaren Bilder nur über einen einzigen tatsächlich eher kleinen Gastraum verfügt (die Antragstellerin selbst gibt die Raumgröße mit geschätzten 100 m² an), mit einer entsprechenden Aerosolausbreitung zu rechnen und dass deshalb die Antragstellerin einem nicht zu vernachlässigenden Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen sei, keinen durchgreifenden Bedenken.
Sie findet ihre Stütze in der oben wiedergegebenen fachlichen Einschätzung des RKI, dass bei mangelnder Frischluftzufuhr in Innenräumen aufgrund hoher Konzentration infektiöser Aerosole im Raum auch Personen gefährdet sind, die sich weit vom Quellfall entfernt befinden.
Zwar lassen sich einige der vom RKI angegebenen risikorelevanten Faktoren wie die Infektiosität des Quellfalls und die Intensität der Partikelemission, also das infektionsrelevante Verhalten des Quellfalls, nicht restlos aufklären, wodurch es theoretisch möglich bleibt, dass die infizierte Person alleine war und während des Aufenthalts überhaupt nicht bzw. nur sehr wenig gesprochen hat. Aber selbst dann bleibt die Risikobewertung des Gesundheitsamts nachvollziehbar, dass die Antragstellerin aufgrund der eher beengten Raumsituation und des längeren zeitlichen Zusammentreffens mit dem Quellfall mit hoher Wahrscheinlichkeit einer hohen Konzentration von infektiösem Aerosol im Raum ausgesetzt war, plausibel. Was die in diesem Zusammenhang bedeutsame Lüftungssituation angeht, hat die Antragstellerin zwar glaubhaft gemacht, dass das Café in regelmäßigen Abständen (mindestens stündlich) gelüftet wird. Demnach ist aber bei lebensnaher Betrachtung nur anzunehmen, dass der Raum vor Öffnung um 8:30 Uhr gelüftet wurde und dann erst wieder 1 Stunde später. Deshalb ist aufgrund der konkreten Lüftungssituation eine Entstehung hoher Aerosolkonzentration in dem Café ab 8:30 Uhr gerade nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen gewesen.
Mithin besteht eine ausreichende, nicht von der Hand zu weisende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Antragstellerin bei ihrem Aufenthalt im Café am Morgen des … Oktober 2020 bei der infizierten Person angesteckt haben könnte.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Anordnung gegenüber der Antragstellerin liegen daher im vorliegenden Fall jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung vor.
Hinsichtlich der Auswahl der zu treffenden Maßnahme entscheidet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (Auswahlermessen). Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um notwendige Schutzmaßnahmen handeln muss. Zudem sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.3012 – 3 C 16.11 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 13. 8. 2020 – 20 CS 20.1821 – juris Rn. 27).
Die Anordnung einer mindestens 14-tägigen Isolation für Kontaktpersonen der Kategorie I (Ziffer 1.1 und 2.1.1 der Allgemeinverfügung vom 18. August 2020) ist notwendig und verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Die Maßnahme ist notwendig. Da nach wie vor weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19-Erkrankung vorhanden ist, besteht insbesondere bei älteren Menschen und bei Menschen mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung mit erheblichen Folgen für Leben und Gesundheit und mit der Gefahr einer Überforderung des Gesundheitssystems. Nach der Risikobewertung des RKI (s.o.) handelt es sich weltweit und in Deutschland nach wie vor um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation mit einer hohen, für Risikogruppen sehr hohen Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland. Angesichts teils schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe muss es Ziel sein, durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 einzudämmen und so weit wie möglich zeitlich zu verlangsamen. Laut Empfehlung des RKI soll eine Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Deutschland so weit wie möglich verlangsamt und Krankheitsfälle verhindert werden. Hierfür ist es notwendig, die Kontaktpersonen von labordiagnostisch bestätigten Infektionsfällen zu identifizieren und – je nach individuellem Infektionsrisiko – ihren Gesundheitszustand für die maximale Dauer der Inkubationszeit (14 Tage) zu beobachten, enge Kontaktpersonen müssen in häusliche Quarantäne. Das Isolieren von Erkrankten und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen ist seit Beginn des Corona-Geschehens in Deutschland eine zentrale Säule der Bekämpfungsstrategie (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html).
Das Gericht verkennt nicht, dass die Anordnung einer Isolation (Quarantäne) erheblich in die Grundrechte der Antragstellerin, insbesondere ihre Bewegungsfreiheit, allgemeine Handlungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz) eingreift. In Anbetracht des gewichtigen Ziels der Pandemiebekämpfung und des damit verfolgten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und des Funktionierens des staatlichen Gesundheitssystems erweist sich die Quarantäneordnung dennoch als verhältnismäßig. Sie ist geeignet, Infektionsketten zu unterbrechen und der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Sie ist auch erforderlich, dieses Ziel zu erreichen. Da die Nachverfolgung und Isolation von Kontaktpersonen eine wesentliche Säule der Pandemiebekämpfung darstellt, ist ein milderes, aber ebenso wirksames Mittel nicht ersichtlich. Die getroffene Anordnung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn, d.h. zumutbar. In Anbetracht der gewichtigen Ziele der Pandemiebekämpfung erscheint die vorübergehende Isolierung der Antragstellerin als zumutbar. Insoweit die Antragstellerin einen Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit als …anwältin geltend macht, ist dem entgegenzuhalten, dass die Anordnung keine unmittelbar berufsregelnde Tendenz haben dürfte und im Übrigen durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls auch angesichts der Berufsfreiheit der Antragstellerin gerechtfertigt wäre. Im Übrigen ist es der Antragstellerin als Freiberuflerin mit eigener Kanzlei noch vergleichsweise leicht möglich, ihren Beruf in häuslicher Isolation, wenn auch mit Einschränkungen, auszuüben.
Auch die Länge der Isolation ist voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß Ziffer 6.1 der Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 endet die häusliche Isolation bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten Covid-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind. Die Entscheidung hierüber trifft das Gesundheitsamt. Da bisher kein positiver Test bei der Antragstellerin vorliegt, ist derzeit davon auszugehen, dass die Isolation plangemäß nach 14 Tagen, also erst am 26. Oktober 2020, beendet werden kann. Der Einwand der Antragstellerin, sie sei am 19. Oktober 2020 mit negativem Ergebnis getestet worden, -mittlerweile ist ein zweites negatives Testergebnis vom selben Tag aktenkundig,- führt nicht zum Erfolg. Denn es ist nach den maßgeblichen wissenschaftlichen Erkenntnissen davon auszugehen, dass bis zum 14. Tag nach dem letzten direkten Kontakt noch eine (geringe) Wahrscheinlichkeit für eine Infektion besteht. Auch eine Person, die in diesem Zeitraum negativ auf das Virus getestet wurde, kann also bis zum 14. Tag noch eine Infektion entwickeln, so dass ein Test erst zu einem späteren Zeitpunkt positiv anschlägt. Ein zu einem früheren Zeitpunkt gewonnenes negatives Testergebnis ist lediglich eine Momentaufnahme, schließt aber noch nicht mit der erforderlichen Gewissheit aus, dass sich die Antragstellerin nicht doch angesteckt hat. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass auch eine Kontaktperson der Kategorie I mit einem negativen Testergebnis die vollen 14 Tage in Quarantäne verbleiben muss. Nur dann ist eine Verbreitung des Virus gesichert ausgeschlossen (so auch z.B. VG Regensburg, B. v. 3.9.2020 – RN 14 S 20.1917 – juris Rn. 34)
Die Qualifizierung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I und die darauf beruhende Anordnung einer häuslichen Isolierung für mindestens 14 Tage erweist sich daher aller Voraussicht nach als rechtmäßig.
3. Der Antrag war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und Ziffer 1.5 Satz 2 das Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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