Medizinrecht

Anordnung einer Mitarbeiteruntersuchung auf Verdacht von SARS-CoV2 durch Allgemeinverfügung

Aktenzeichen  Au 9 K 20.851

Datum:
5.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22936
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84, § 113 Abs. 1 S. 4, § 167 Abs. 2
IfSG § 16 Abs. 8, § 25 Abs. 3
BayVwVfG Art. 35 S. 2
GG Art. 2 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine Allgemeinverfügung, mit der eine Untersuchung auf das Corona-Virus (SARS-CoV2) für alle Mitarbeiter eines bayerischen Schlachthofs sowie aller Mitarbeiter von Subunternehmen, beauftragten Unternehmen, Dienstleistern oder vergleichbaren Dritten, die in diesem Schlachthof tätig sind, angeordnet wird,  ist rechtmäßig und nicht geeignet, einen Mitarbeiter des Schlachthofs in seinen Rechten zu verletzen. (Rn. 25) (Rn. 1) (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 84 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zur Frage der Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind.
Die am 19. Mai 2020 erhobene Klage mit dem Antrag, die Allgemeinverfügung des Landratsamts … vom 18. Mai 2020 aufzuheben, bleibt ohne Erfolg.
Soweit man davon ausgeht, dass der Kläger – eine entsprechende Mitteilung der Beteiligten liegt dem Gericht allerdings nicht vor – die angeordnete Reihenuntersuchung zwischenzeitlich hat vornehmen lassen, besteht für die erhobene Anfechtungsklage, gerichtet auf Aufhebung der Allgemeinverfügung vom 18. Mai 2020 kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Der Rechtsstreit hätte sich insoweit in der Hauptsache durch Vornahme der angeordneten Untersuchung erledigt. Eine mögliche Umstellung der Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Maßnahme, ist jedenfalls nicht erfolgt.
Soweit man hingegen weiter davon ausgeht, dass die angeordnete Reihenuntersuchung beim Kläger nach wie vor aussteht, ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.
Die mit der Klage angegriffene Allgemeinverfügung des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der mit der Klage angegriffene Bescheid wurde zunächst formell rechtmäßig erlassen.
a) Soweit der Kläger darauf verweist, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung lediglich an die Mitarbeiter der … GmbH und deren Subunternehmen gerichtet ist, ist dieser Umstand nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit des Bescheides zu begründen. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich die im regelnden Teil der Allgemeinverfügung (Ziffern I. und II. des Bescheids) getroffene Anordnung gegenüber allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma … GmbH und deren Subunternehmen, beauftragten Unternehmen, Dienstleistern oder vergleichbaren Dritten, die am Standort … tätig sind. Insoweit ist auch der Adressatenkreis der Allgemeinverfügung hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar. Auch erschließt sich dem Gericht nicht, inwieweit der Kläger überhaupt durch die in der Versandanschrift gewählte Bezeichnung der Adressaten in eigenen Rechten verletzt sein sollte.
b) Ebenfalls unschädlich ist, dass der Allgemeinverfügung vom 18. Mai 2020 keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt wurde. Insoweit gilt lediglich § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach in Fällen, in denen die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist, die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Öffnung oder Verkündung zulässig ist, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist in Folge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Abgesehen vom Fristenlauf gegen die zugrundeliegende Entscheidung, hat eine fehlende Rechtsbehelfsbelehrung keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids.
c) Der Beklagte konnte hier auch in Form der Allgemeinverfügung tätig werden. Die Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihrer Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft (Art. 35 Satz 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG). Personenbezogene Allgemeinverfügungen richten sich aus Anlass einer bestimmten konkreten Situation an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Kreis von Adressaten, wobei die Konkretheit des geregelten Sachverhalts als entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung zur Rechtsnorm dient (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 35 Rn. 162).
Die vom Kläger angegriffenen Regelungen genügen diesen Anforderungen sowohl im Hinblick auf den betroffenen bestimmbaren Personenkreis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Firma … GmbH bzw. deren Subunternehmen, als auch hinsichtlich der konkreten Situation der geforderten Reihentestung.
2. Auch der Inhalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der mit der Klage angegriffene Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen.
a) Ermächtigungsgrundlage für die angeordneten Untersuchungen in Ziffern I. und II. der Allgemeinverfügung vom 18. Mai 2020 ist § 25 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 und 2 IfSG. Nach § 25 Abs. 1 IfSG stellt das Gesundheitsamt die erforderlichen Ermittlungen an, wenn sich ergibt oder anzunehmen ist, dass jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist, oder dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Die Ermittlungen können sich hierbei insbesondere auf Art, Ursache, Ansteckungsquelle oder Ausbreitung der Krankheit beziehen. § 25 Abs. 3 Satz 1 IfSG ermächtigt das Gesundheitsamt dazu, die in Abs. 1 genannten Personen vorzuladen. Nach § 25 Abs. 3 Satz 2 IfSG können diese Personen durch das Gesundheitsamt u.a. verpflichtet werden, Untersuchungen und Entnahmen von Untersuchungsmaterial an sich vornehmen zu lassen, insbesondere die erforderlichen äußerlichen Untersuchungen, Röntgenuntersuchungen, Tuberkulintestungen, Blutentnahmen und Abstriche von Haut und Schleimhäuten durch die Beauftragten des Gesundheitsamts zu dulden (Nr. 1.) und das erforderliche Untersuchungsmaterial auf Verlangen bereit zu stellen (Nr. 2.).
b) Die angeordneten Untersuchungsmaßnahmen sind rechtmäßig, weil die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 IfSG vorliegen und sich die getroffenen Maßnahmen auch als verhältnismäßig erweisen.
Die Voraussetzungen für die Durchführung von weitergehenden Ermittlungen der Gesundheitsämter nach § 25 Abs. 1 IfSG liegen vor. Bei der Lungenkrankheit Covid-19 handelt es sich um eine übertragbare Krankheit (§ 2 Nr. 3 IfSG). In den vergangenen Wochen wurde eine stetig wachsende Zahl von Personen festgestellt, die mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert sind, ein erheblicher Anteil ist (schwer) an Covid-19 erkrankt. Dass eine Übertragung der Krankheit durch Verbreitung des Virus wohl im direkten Kontakt von Mensch zu Mensch als auch über Oberflächen stattfindet, gilt inzwischen als gesichert. Dass sich die streitgegenständlichen Untersuchungsanordnungen auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des fleischverarbeitenden Betriebes der … GmbH und deren Subunternehmen erstreckt, begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Gerade in letzter Zeit kam es insbesondere in Schlachthöfen zu einer erhöhten Zahl der mit dem Virus SARS-CoV-2-Infizierten, was die getroffenen Untersuchungsanordnungen (Reihentestung) rechtfertigt.
Eine Ermittlungsmaßnahme nach § 25 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 IfSG kann dabei auch gegen Personen gerichtet werden, die derzeit selbst nicht krank, krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie in der derzeitigen Situation – eine Inanspruchnahme nur der Infizierten und damit als Störer einzustufenden Personen bereits daran scheitert, dass deren Infizierung oftmals nicht bekannt ist, weil aufgrund der langen Inkubationszeit der Erkrankung, häufig symptomlos verlaufender Infektionen und zahlenmäßig eingeschränkter Testungen der Infektionsstatus eines wesentlichen Teils der Bevölkerung offen sein dürfte.
c) Die angeordneten Reihentestungen sind schließlich auch verhältnismäßig. Sie sind geeignet, die weitere Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verhindern und damit das Infektionsgeschehen besser zu beherrschen. Sie sind auch erforderlich, weil mildere, aber gleichwirksame Mittel nicht ersichtlich sind. Solche zeigt auch der Kläger in seiner Klagebegründung nicht auf. Weiterer Vortrag des Klägers ist im Klageverfahren nicht erfolgt.
Schließlich sind die streitgegenständlichen Regelungen auch angemessen, weil der damit verbundene Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck, der Vorbeugung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und damit dem Schutz des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, steht. Der körperliche Eingriff (im Regelfall Rachenabstrich) ist als geringfügig zu beurteilen. Im Übrigen ermächtigt auch § 25 Abs. 5 IfSG zur Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Im Gegensatz dazu sind die Schäden, die bei einer weiteren und vor allem ungebremsten Verbreitung des Virus und einem deutlichen Ansteigen der Erkrankungs- und Todeszahlen für eine sehr große Zahl von Menschen zu gewärtigen wären, von deutlich höherem Gewicht. Bei den widerstreitenden Grundrechten des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat deshalb das Individualgrundrecht der von der Untersuchungsanordnung betroffenen Einzelperson hinter dem überragenden Schutzgut der menschlichen Gesundheit im Gesamten zurückzutreten. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund der mit einer Reihentestung verbundenen geringfügigen körperlichen Eingriffe.
3. Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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