Medizinrecht

Arbeitslosengeld II, Zahnersatz, Eigenanteil, Zuschuss, Mehrbedarf

Aktenzeichen  S 22 AS 229/17

Datum:
15.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 2 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1, § 21 Abs. 6, § 24 Abs. 3 S. 1
SGB V SGB V § 27

 

Leitsatz

Leistungsempfänger nach dem SGB II sind gegen die Risiken Krankheit und Pflegebedürftigkeit nach der gesetzlichen Konzeption dadurch abgesichert, dass sie gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V in die gesetzliche oder private Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen sind und die Beiträge hierfür vom Jobcenter übernommen werden. Wählt ein Versicherter freiwillig eine über die gesetzliche Regelversorgung hinausgehende Zahnbehandlung, besteht gegen das Jobcenter hinsichtlich des nicht von der Krankenkasse übernommenen Anteils weder ein Anspruch auf Kostenübernahme als Zuschuss, noch auf Gewährung eines Darlehens. (Rn. 14 – 19 und 21)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 18.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2017, mit dem die Übernahme des Eigenanteils für eine über die Regelversorgung hinausgehende Zahnbehandlung abgelehnt worden ist.
Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach vorheriger Anhörung beider Beteiligter ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt durch Beiziehung der Verwaltungsakte des Beklagten geklärt ist.
An der Zulässigkeit der Klage bestehen keine Zweifel. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil der Kläger die Aufhebung des Ablehnungsbescheides und zugleich die Bewilligung der beantragten Leistungen begehrt.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Eigenanteil der Kosten für die Versorgung mit höherwertigem Zahnersatz als Zuschuss übernimmt. Er muss sich auf die von der gesetzlichen Krankenversicherung bereits zugesagte Behandlung nach den Vorgaben der Regelversorgung verweisen lassen. Es ist nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende, den für alle gesetzlich Versicherten geltenden Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu Gunsten von Arbeitslosengeld-II-Empfängern zu erweitern.
Bereits aus dem Grundsatz der Nachrangigkeit von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 SGB II) ergibt sich, dass Krankenbehandlungen grundsätzlich nicht vom SGB-II-Leistungsträger zu übernehmen sind. Zwar ist die Absicherung gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit Teil der verfassungsrechtlichen Garantie des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09). Dies wird jedoch nach der gesetzlichen Konzeption dadurch sichergestellt, dass Leistungsberechtigte gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V in die gesetzliche oder private Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen sind und die Beiträge hierfür vom Jobcenter übernommen werden. Die Krankenkassen müssen gem. § 27 SGB V notwendige Krankenbehandlungen ihrer Versicherten übernehmen. Der Anspruch umfasst die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, Krankenhausbehandlung und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie ergänzende Leistungen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-6 SGB V). Es müssen die zweckmäßigen, wirtschaftlichen und medizinisch notwendigen Maßnahmen bezahlt werden. Soweit die Versicherten Zuzahlungen zu leisten haben, gilt dies nur bis zu einer gesetzlich festgelegten Belastungsgrenze. Bei Versicherten, die – wie der Kläger – Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II erhalten, ist die jährliche Belastungsgrenze gem. § 62 Abs. 2 Satz 6 SGB V anhand des maßgeblichen Regelbedarfes zu bestimmen. Weigert sich die Krankenkasse, die notwendige Gesundheitsversorgung sicherzustellen, müssen Leistungsberechtigte – auf Grund der Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB II – ihre begehrten Ansprüche vorrangig gerichtlich gegen die Krankenkasse durchsetzen, notfalls auch im einstweiligen Rechtsschutz (S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 21 Rn. 74).
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte im streitigen Leistungszeitraum die Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Krankenkasse übernommen und insoweit das Risiko des Klägers vor Krankheit im Rahmen des ihm zustehenden Existenzminimums ausreichend abgesichert. Einen weitergehenden Anspruch auf Kostenübernahme für die Gesundheitsversorgung des Klägers hat der Kläger nicht (so auch BayLSG, Beschluss vom 06.09.2017, L 11 AS 609/17 B PKH).
Ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zuschuss zur Zahnbehandlung ergibt sich nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II.
Danach wird im Rahmen der laufenden Bewilligung ein Mehrbedarf nur anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Die Unabweisbarkeit eines gesundheitsbedingten Bedarfs mit der Folge, dass das Jobcenter gegebenenfalls Leistungen zu gewähren hat, kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn das SGB V im konkreten Fall einen Leistungsausschluss für die medizinisch notwendige Versorgung vorsieht. Dies gilt jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen. So hat das BSG entschieden, dass die Kosten einer Krankenbehandlung bei gesetzlich krankenversicherten Grundsicherungsberechtigten entweder durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II abgedeckt sind (BSG, B 14 AS 146/10 R). Aufgrund der Notwendigkeit einer Zuzahlung zu Zahnersatz oder Hilfsmitteln wie Brillen entsteht im Rechtskreis des SGB II hingegen kein zusätzlicher, unabweisbarer laufender Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes (vgl. Saitzek in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 20 Rn. 53). Schon der Gesetzgeber hält es ausdrücklich für zumutbar, dass die Kosten für Brillen oder Zahnersatz grundsätzlich bis zur Belastungsgrenze aus dem Regelbedarf zu bestreiten sind (BT-Drs. 17/1465, Seite 8 f., vgl. auch BayLSG, Beschluss vom 29.11.2011, L 11 AS 888/11 B). Anderenfalls würden Leistungsempfänger im Vergleich zu den anderen gesetzlich Versicherten bessergestellt.
Die Kosten für die Versorgung des Klägers mit Zahnersatz fallen nur einmalig an, so dass es sich schon nicht um einen laufenden Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II handelt. Der von der Regelversorgung umfasste Kostenanteil, der wohl mit der Klage auch nicht geltend gemacht wird, wird nach der vorgelegten Kostenzusage von der Krankenkasse übernommen und ist somit bereits abgedeckt. Insoweit besteht gar kein besonderer Bedarf. Soweit der Kläger freiwillig eine darüber hinausgehende bessere Versorgung wählt, ist dieser Bedarf nicht unabweisbar. Das Gericht geht davon aus, dass der im Rahmen des Existenzminimums zustehende Zahnersatz auf Basis der Regelversorgung ausreichend gewährleistet ist, zumal der Kläger als „voll versicherter“ Leistungsempfänger (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V) uneingeschränkt und wie jeder andere Versicherte auch gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB V gegenüber der Krankenkasse einen Anspruch auf die zweckmäßigen, wirtschaftlichen und medizinisch notwendigen Maßnahmen hat.
Auch aus § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB II ergibt sich voraussichtlich kein Leistungsanspruch gegen den Beklagten, weil der einmalige Bedarf „Zahnersatz“ nicht in der abschließenden Aufzählung des § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II enthalten ist.
Der Kläger begehrt nach seinem Klageantrag wohl ausdrücklich nur einen Zuschuss. Soweit von ihm hilfsweise auch die Gewährung eines Darlehens nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht gezogen werden würde, wäre die Klage jedoch ebenfalls unbegründet. Der Eigenanteil der über die Regelversorgung hinausgehenden Zahnbehandlung stellt keinen unabweisbaren Bedarf dar. Zwingend medizinisch notwendig ist nur die Behandlung des Klägers im Rahmen der Regelversorgung.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Da die Klage im Ergebnis erfolglos blieb, hat der Beklagte keine Kosten zu erstatten.
Gegen diesen Gerichtsbescheid findet gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrungstatt.

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