Medizinrecht

Arzthaftungsprozess: Grundsätze zur therapeutischen Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung; Umfang der Dokumentationspflicht; Indizwirkung einer elektronischen Dokumentation ohne Erkennbarkeit nachträglicher Änderungen

Aktenzeichen  VI ZR 84/19

Datum:
27.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:270421UVIZR84.19.0
Normen:
§ 630c Abs 2 S 1 BGB
§ 630f Abs 1 S 2 BGB
§ 630f Abs 1 S 3 BGB
§ 630f Abs 2 BGB
§ 823 BGB
§ 286 ZPO
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

1. In § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB sind die vom Senat entwickelten Grundsätze zur therapeutischen Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung kodifiziert worden. Diese Grundsätze gelten inhaltlich unverändert fort; neu ist lediglich die Bezeichnung als Informationspflicht.
2. Der Umfang der Dokumentationspflicht ergibt sich aus § 630f Abs. 2 BGB. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten.
3. Einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB nicht erkennbar macht, kommt keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 6. Februar 2019, Az: 5 U 29/18vorgehend LG Aurich, 19. Januar 2018, Az: 5 O 755/15

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. Februar 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
2
Die Beklagte ist Fachärztin für Augenheilkunde und betreibt eine Augenarztpraxis. Im November 2013 traten beim Kläger plötzlich schwarze Flecken im linken Auge auf. Am 4. November 2013 rief er deshalb in der Praxis der Beklagten an und schilderte seine Beschwerden. Er erhielt einen Termin für den 7. November 2013 und wurde darauf hingewiesen, er möge eine Fahrbegleitung mitbringen, da eine Untersuchung unter Pupillenerweiterung erfolgen werde. Am 7. November 2013 wurde der Kläger von der Beklagten augenärztlich untersucht. Anschließend erklärte ihm die Beklagte, dass es sich bei den Beschwerden um eine altersbedingte Erscheinung infolge einer Glaskörpertrübung handle. Er müsse sich keine Sorgen machen. Ein Termin für eine Wiedervorstellung wurde nicht vereinbart. Am 14. Februar 2014 stellte ein Optiker bei einem Sehtest einen Netzhautriss fest, weshalb sich der Kläger am 18. Februar 2014 erneut bei der Beklagten vorstellte. Diese diagnostizierte eine Netzhautablösung und wies den Kläger darauf hin, dass es sich um einen Notfall handle und er sich sofort ins Krankenhaus begeben müsse. Nach einer Untersuchung im Krankenhaus in Oldenburg wurde der Kläger nach Bremen überwiesen und dort operiert. In der Folge traten Komplikationen auf und er erblindete auf dem linken Auge.
3
Der Kläger hat der Beklagten vorgeworfen, sie habe bei der Untersuchung am 7. November 2013 einen Netzhautriss übersehen. Sie habe versäumt, vor der Untersuchung eine Pupillenweitstellung zu veranlassen. Aus diesem Grund sei eine ordnungsgemäße Untersuchung des Augenhintergrunds nicht möglich gewesen. Sie sei durch ihren während der Behandlung im Behandlungszimmer spielenden Sohn abgelenkt worden, der ihr Bilder gezeigt und sie während der Behandlung angesprochen habe. Außerdem habe sie ihn nicht darauf hingewiesen, dass er sich bei weiteren Beschwerden erneut vorstellen und den Verlauf spätestens nach einem Jahr kontrollieren lassen müsse.
4
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.


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