Medizinrecht

Beabsichtigte Eheschließung, Anmeldung zur Eheschließung

Aktenzeichen  L 19 R 314/17

Datum:
13.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40805
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 46 Abs. 2 S. 1
SGB VI § 46 Abs. 2a

 

Leitsatz

1. Auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten ist der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet, überwiegend oder zumindest gleichwertig, aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde.
2. Das Vorliegen einer Liebesbeziehung allein reicht nicht aus, die Vermutung über das Vorliegen einer Versorgungsehe zu erschüttern, wenn die vorliegende schwere und akut lebensbedrohliche Erkrankung den Nachweis besonderer Gründe erforderlich macht.

Verfahrensgang

S 6 R 94/17 2017-04-25 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.04.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 46 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da der Anspruch wegen der Regelung des § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen ist.
§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI (idF vom 20.04.2007) bestimmt, dass eine Witwe, die nicht wieder geheiratet hat, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf eine große Witwenrente hat, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und die Witwe das 47. Lebensjahr vollendet hat. Im Gefolge der Übergangsregelung des § 242a Abs. 5 SGB VI gilt bei einem Tod eines Versicherten im Jahr 2016 noch eine modifizierte Altersgrenze von 45 Jahren und 5 Monaten als Mindestalter für einen daraus hergeleiteten Anspruch auf große Witwenrente. Die Klägerin ist die Witwe des am 07.05.2016 verstorbenen Versicherten G. A., der die allgemeine Wartezeit gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI erfüllt hatte. Die 1971 geborene Klägerin hat ab 11.10.2016 die Altersgrenze von 45 Jahren und 5 Monaten erfüllt gehabt. Sie hat nach dem Tod ihres Ehegatten auch nicht wieder geheiratet. Damit bestünde nach der genannten Vorschrift grundsätzlich ab 01.11.2016 ein Anspruch auf eine große Witwenrente, zuvor auf eine kleine Witwenrente (§ 46 Abs. 1 SGB VI) bzw. die erhöhten Zahlungen im sog. Sterbevierteljahr (§ 67 Nr. 4 SGB VI).
Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI, der nach § 242a Abs. 3 SGB VI für alle seit dem 01.01.2002 geschlossenen Ehen gilt, haben Hinterbliebene allerdings keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Im Fall der Klägerin hat die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert, da die Ehe am 18.03.2016 geschlossen wurde und der Versicherte am 07.05.2016 verstorben ist. Damit gilt zunächst die gesetzlich festgelegte Annahme, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, dass also eine sogenannte Versorgungsehe vorgelegen hat.
„Besondere Umstände“ i.S.v. § 46 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VI ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt. Nach der Rechtsprechung sind als besondere Umstände i.S.v. § 46 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VI alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Dabei kommt es auf die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an (BSG, Urteil vom 05.05.2009 – B 13 R 55/08 R – nach juris). Diese Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat müsste ergeben, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den – auf Grund Gesetzes angenommenen – Versorgungszweck überwiegen oder ihm zumindest gleichwertig sind. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles zu bewerten (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 13 R 134/08 R; BSG, Urteil vom 05.05.2009 – B 13 R 55/08 R, jew. nach juris). Die Umstände sind nachzuweisen; die Beweislast trägt, wer die Hinterbliebenenrente beantragt – hier also die Klägerin (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 118 Rn. 6).
Zu den zentralen äußeren Umständen zählt der Gesundheitszustand der Ehepartner zum Zeitpunkt der Eheschließung.
Der im Verlauf des Verfahrens getätigte Vortrag der Klägerin, dass der Entschluss zur Eheschließung bereits deutlich vor dem tatsächlichen Heiratstermin erfolgt gewesen sei und deshalb auf diesen früheren Zeitpunkt und nicht auf das Datum der Eheschließung für die Beurteilung der gesundheitlichen Situation des Versicherten und der Kenntnis der späteren Eheleute von der Erkrankung und ihrem Schweregrad abzustellen sei, hat sich in dieser Tragweite nicht bestätigen lassen. Allein das Zusammenleben in einer eheähnlichen Gemeinschaft ist – unabhängig von deren Dauer – ohne Bedeutung, weil es gerade auf die Verbindlichkeit einer Eheschließung und die daran anknüpfenden rechtlichen Folgen verzichtet. Gleiches gilt für eine Verlobung, die zwar eine Heiratsabsicht kundtut, aber noch keine weiteren konkreten Vorbereitungsschritte der Eheschließung abverlangt und im Fall der Klägerin solche auch nicht mit sich gebracht hat. Insofern kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin mit dem nun nachgereichten Screenshot das Vorliegen einer Verlobung ab dem angegebenen Datum ausreichend belegt hat oder nicht.
Die nach dem Vortrag der Klägerin konkreter vorbereitete „Überraschungshochzeit“ war nach der Auswertung der entsprechenden Schilderung nicht als Termin für die Eheschließung selbst vorbereitet, weil noch keine Unterlagen beschafft worden waren und auch etwa der Ehevertrag noch nicht vorbereitet war; vielmehr hätte es sich um einen Heiratsantrag/ein Heiratsversprechen mit nachträglicher rechtlicher Eheschließung handeln sollen. Eine hinreichende Konkretisierung mit nachfolgender planmäßiger Umsetzung oder nur auf Grund zwingender Hindernisse eingetretener und fortbestehender Verzögerung war für den Senat – auch wenn man die Angaben der Klägerin zu ihren Gunsten als zutreffend unterstellt – nicht zu erkennen.
Deshalb ist für die Beurteilung der gesundheitlichen Verhältnisse und der Kenntnis der Eheleute über den Schweregrad der Erkrankung des verstorbenen Versicherten zutreffend auf das Datum der Eheschließung bzw. das eine Woche vorher liegende Datum der Anmeldung beim Standesamt abzustellen gewesen, wobei zwischen diesen beiden kurz aufeinanderfolgenden Zeitpunkten kein wesentlicher Unterschied zu ersehen war.
Der Ehemann der Klägerin litt zum Zeitpunkt der Eheschließung an einer Karzinomerkrankung, die nach den ärztlichen Unterlagen der behandelnden Ärzte nicht mehr kurativ, sondern nur noch palliativ behandelt werden konnte und wurde. Die Passage im Brief des Hanseklinikums I-Stadt, die einen potentiell kurativen Ansatz anspricht, steht – schon grammatikalisch – in keinem harmonischen Kontext zur übrigen Antwort und wirkt wie ein eingefügter Textbaustein; ein konkreter Bezug zur Krankengeschichte des verstorbenen Versicherten ist daraus nicht zu entnehmen. Er stünde auch im Widerspruch zu allen übrigen ärztlichen Aussagen und könnte daher nicht überzeugen.
Für den Senat steht nach den durchgeführten Ermittlungen fest, dass der verstorbene Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung erkrankt war und sowohl er als auch die Klägerin Kenntnis von der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung hatten, wie die Unterlagen des Dr. D. und des R.-Kreisklinikums ersehen lassen. Auch die Klägerin hat eingeräumt, dass sie von der Uniklinik G-Stadt gewarnt worden sei, dass bei Unterlassen der Behandlung mit einem baldigen Eintritt des Todes ihres Ehemannes zu rechnen sei.
Aus Sicht des Senats kommt dem Vorliegen einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung zentrale Bedeutung zu, weniger dagegen der ärztlichen Prognose über die verbleibende Restlebenszeit und ebenso nicht den Erwartungen der Eheleute zur Dauer der Restlebenszeit. Selbst bei einer Prognose einer Lebenserwartung von mehr als einem Jahr, die hier nicht abgegeben worden war, könnte ohne weiteres eine Versorgungsehe vorgelegen haben. Somit ist es sowohl für den Tatbestand des § 46 Abs. 2a SGB VI („nicht mindestens ein Jahr“) als auch hinsichtlich des Vorliegens der „besonderen Umstände“ letztlich unerheblich, ob der Versicherte und die Klägerin bei der Eheschließung damit gerechnet haben, dass der Versicherte das erste Jahr nach der Eheschließung überleben werde.
Die Prognose spielt allerdings insofern eine indirekte Rolle als bei der Beurteilung eine Verknüpfung zwischen dem Schweregrad der Erkrankung und dem notwendigen Gewicht der anderweitigen Beweggründe hergestellt wird. Die Rechtsprechung geht dabei von Folgendem aus: Im Rahmen der Gewichtung ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VI nicht erfüllt. Doch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung – hier die objektiv als infaust zu bezeichnende Krankheitssituation des Versicherten – mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht völlig ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet – überwiegend oder zumindest gleichwertig – aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssten dann bei abschließender Gesamtbewertung diejenigen besonderen – inneren und äußeren – Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten im Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Demgemäß steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme (Vermutung) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG, Urteile vom 05.05.2009 und vom 06.05.2010, a.a.O.).
Zur Überzeugung des Senats sind besondere Umstände nicht nachgewiesen, die gegen eine Versorgungsehe sprechen und angesichts der lebensbedrohlichen Erkrankung auch von ausreichendem Gewicht sind.
Es ist bereits wiederholt entschieden worden (vgl. z.B. Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 20.04.2011 – L 20 R 20/09 – Rn. 41, veröffentlicht in juris), dass das Vorliegen einer Liebesbeziehung allein nicht ausreicht, die Vermutung über das Vorliegen einer Versorgungsehe hinreichend zu erschüttern, wenn die vorliegende schwere und akut lebensbedrohliche Erkrankung den Nachweis besonderer Gründe erforderlich macht (a.a.O. Rn. 40).
Die von der Klägerseite als weitere Motive für die Eheschließung genannten Umstände verändern dies nicht. Die Angabe, dass durch die Eheschließung die Handlungsfähigkeit und Auskunftsmöglichkeit der Klägerin gegenüber Ärzten und Behörden hätte erreicht werden sollen, mag zwar nicht zu widerlegen sein. Ihr kommt angesichts der Tatsache, dass dies auch durch eine Vollmacht für den nichtehelichen Lebenspartner hätte hergestellt werden können, nur eine untergeordnete Bedeutung zu.
Auch das „Besiegelnwollen“ der Beziehung und das Tragen eines gemeinsamen Namens sind – vor allem nachdem sie erst nach Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkrankung in den Vordergrund gerückt wurden – keine so bedeutsamen Gründe der Ehegatten, dass sie der gesetzlichen Vermutung zumindest gleichwertig wären. Zwar sieht der Senat den Wunsch der Klägerin, mit der Eheschließung die Änderung ihres Ehenamens herbeizuführen, als einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Eheschließung an (vgl. auch BSG, Urteil v. 27.08.2009 – B 13 R 101/08 R – nach juris), ohne dass – nach der Gesamtschau der objektiven und subjektiven Umstände – dieser Beweggrund den Versorgungszweck überwiegen würde noch diesem als zumindest gleichwertig anzusehen wäre. Weiter reicht es auch nicht aus, dass die Klägerin angab, den Namen des Exmannes ablegen zu wollen. Denn die Klägerin wäre zuvor nicht gehindert gewesen, eine Namensänderung zu beantragen. Nach Rechtskraft des Scheidungsurteils hätte die Versicherte ihren Geburtsnamen wieder annehmen können (§ 1355 Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch). Dass finanzielle Mittel nicht zur Verfügung gestanden hätten, ist – anders als bei den für eine evtl. Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit des Versicherten im Raum stehenden Geldbeträgen – dem Senat nicht ersichtlich. Beim Standesamt wären Gebühren für die Namensänderung in Höhe von weniger als 100 Euro zu erwarten, hinzukommen würden allenfalls Unkosten wegen der Änderung von Ausweisdokumenten.
Auch die als weiterer Grund angeführte Tatsache, dass die Klägerin zukünftig eigene Versorgungsansprüche aus eigener Beschäftigung haben werde, führt nicht dazu, dass die gesetzlich vermutete Versorgungsabsicht widerlegt wäre. Wie bereits dargelegt, geht es vorrangig um die Ermittlung und Bewertung weiterer bedeutsamer Gründe für die Eheschließung und nicht darum, die Versorgungsabsicht in Frage zu stellen. Dem Gesetz ist auch nicht zu entnehmen, dass die Rechtsvermutung nur bei Witwen bzw. Witwern gelten soll, die ihrerseits keine oder nur eine nicht genügende Versorgung haben.
In der Gesamtbetrachtung sah der Senat die dargelegten anderen Motive nicht als zumindest gleichwertig zur unterstellten Versorgungsabsicht an und zwar weder allein, noch in der Summe.
Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.04.2017 ist somit nicht zu beanstanden und die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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